Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Frankreichs neu-alte neokoloniale Afrikapolitik unter François Hollande
Congo-Brazzaville und Zentralafrikanische Republik

05-2013

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Ein „Son of the beach“ wurde im April 2013 Woche offiziell in Paris empfangen. So drückte es die panafrikanische französischsprachige Internetzeitung Le Gri-gri international aus. (Vgl. http://www.legrigriinternational.com) Es lag nicht an einer mangelhaften englischen Aussprache, auch wenn die Schlagzeile natürlich auf den beliebten Sprachtest mit beach und bitch anspielt. Vielmehr wurde an die Rolle des Betreffenden, Denis Sassou-Ngessou, beim so genannten „Beach-Massaker“ erinnert. Es handelt sich um einen Massenmord an Zivilisten, bei der nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen mindestens 353 namentlich bekannte Personen spurlos „verschwunden“ sind. Ein Ermittlungsverfahren dazu ist beim französischen Gericht in Meaux anhängig.

Sassou-Ngessou ist der Präsident des zentralafrikanischen Staates Congo-Brazzaville, eines extrem erdölreichen und dünn besiedelten Staates, dessen nur vier Millionen Einwohner dennoch zu 70 % mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen. (Vgl. etwa http://www.lejdd.fr/) Im Herbst dieses Jahres wird er 70 Jahre alt, während er sich im 34. Jahr an der Macht befindet. Erstmals kam er 1979 an die Spitze des Landes, wurde jedoch im Zuge der kurzzeitigen Demokratisierungswelle im französischsprachigen Afrika zu Anfang der neunziger Jahre durch eine breite Demokratiebewegung aus dem Amt geschasst. Fünf Jahre später kehrte er 1997/98 durch einen Putsch, der einen blutigen Bürgerkrieg auslöste, mit französischer Unterstützung dorthin zurück. Bei dem „Beach-Massaker“ handelt es sich um die Verschleppung von zurückkehrenden Flüchtlingsfamilien, die aus Kinshasa kommend im Hafen von Brazzaville ankamen, im Mai 1999.

Der Schlächter als Vermittler

Am Montag, den 08. April 13 wurde Sassou-Ngessou im Elysée-Palast durch seinen Amtskollegen François Hollande empfangen (vgl. http://www.elysee.fr/ und auch http://www.jeuneafrique.com); am Dienstag, den 09. April dann durch führende französische Wirtschaftsvertreter. Derzeit sind 130 französische Unternehmen an der Ausbeutung der Bodenschätze seines Landes beteiligt. Vor diesen Empfängen war Sassou Ngessou von bezahlten Claqueuren aus der kongolesischen Immigrationsbevölkerung in Frankreich, die mit finanziellen „Belohnungen“ offen bestochen worden waren – was bei Bekanntwerden immerhin einen kleinen Skandal auslöste -, am Flughafen empfangen worden. Vgl. http://observers.france24.com/

Offiziell gerechtfertigt wurde der Empfang für den „Schlächter“, wie ihn Teilnehmer einer Protestdemonstration am 08. April bezeichneten (vgl. http://www.electionsafrique.org ), mit der Vermittlerrolle Sassou-Ngessous in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR). Auch honoriert das offizielle Frankreich die Teilnahme von Congo-Brazzaville an der Intervention in Mali: Die Armee des Landes hatte den Transport tschadischer Truppe an ihren Einsatzort in Mali übernommen. Dem offiziellen Gesprächsprotokoll zufolge ging es auch vor allem um diese beiden Krisenherde, die „bilateralen Beziehungen“ wurden an zweiter Stelle genannt. Bei ihnen handelt es sich noch um einen wunden Punkt, da die französische Justiz sich nach wie vor für die immensen Reichtümer Sassou-Ngessous in Frankreich interessiert, wo die Präsidentenfamilie über mindestens 100 Konten und luxuriöse Immobilien verfügt. Zwei NGOs klagten wegen Veruntreuung öffentlichen Vermögens seines Landes, und Beihilfe französischer Banken dazu.

Das Gesprächsprotokoll von Hollande und Sassou-Ngessou gibt an, dass beide Staatsführer sich für eine Lösung in der ZAR durch eine „nationale Einheitsregierung“ einsetzen. Aus der Allparteienregierung ist bislang jedoch nichts geworden: Die ehemalige Rebellenkoalition Séléka, die am 24. März 13 den vormaligen Präsidenten François Bozizé stürzte, hat alle Macht allein an sich gerissen und setzte ihren Chef Michel Djotodia als neuen Staatschef ein. Eine anfänglich existierende Mehrparteienkoalition zerbrach am 01. April 13, weil die früheren zivilen Oppositionsparteien den vormaligen bewaffneten Rebellen vorwarfen, sechzehn Regierungsposten mit „falschen Vertretern der Zivilgesellschaft, die in Wirklichkeit Séléka-Repräsentanten sind“ besetzt zu haben und eine überaus dominante Position einzunehmen.

Am Wochenende des 13./14. April d.J. kam es in Bangui zu Kämpfen zwischen Einwohnergruppen und Séléka-Milizen, die am Montag darauf (15. April) laut Angaben des Krankenhauses bereits zwanzig Tote gefordert hatten. Unter den „unzufriedenen Einwohnern“ sollen sich laut Regierungsangaben auch bewaffnete Bozizé-Anhänger befunden haben. Hingegen ging etwa aus einem Korrespondentenbericht für die Pariser Tageszeitung Libération (vom 16. April) hervor, dass es sich - vielmehr als um bewaffnete Gefolgsleute des alten Regimes – weitaus eher um „normale“ Einwohner/innen handelte, die der Plünderungen und Diebstähle durch marodierende Séléka-Einheiten in ihren Häusern überdrüssig geworden waren.

Interessensphäre Zentralafrikanische Republik

Die ebenfalls dünn besiedelte und rohstoffreiche ZAR ist zum neuen Spielfeld für die Einflussversuche diverser regionaler und internationaler Mächte geworden. Bozizé hatte zu Beginn der innenpolitischen Krise im Dezember Frankreich aufgefordert, ihm militärisch gegen die Rebellen beizustehen – wie Frankreich es unter seinen Vorgängern 1996, 1997 und 2002 auch getan hatte. Am 27. Dezember 12 erklärte Paris jedoch seine Weigerung: Französische Truppen würden nur „für unsere eigenen strategischen Interessen und für den Schutz europäischer Staatsbürger“ benutzt, nicht als Lebensversicherung für einen Präsidenten. Dennoch stockte Frankreich seine Truppenpräsenz auf 500 Mann vor Ort auf – eine hohe Zahl angesichts der schlecht bewaffneten und ausgebildeten militärischen Verbände auf allen Seiten - , die Mitte März 13 den Flughafen der Hauptstadt Bangui besetzten, jedoch den Sturz Bozizés nicht aufhielten.

Inzwischen ist jedoch klar, dass der Hauptgrund dafür nicht die Ablehnung von Einmischung war, sondern Interessenkalkül. Am 03. April 13 gab die Pariser Abendzeitung Le Monde bekannt, Franzosen würden die militärische Ausbildung für die künftige Armee der ZAR – die nun auf Basis der Séléka-Kampfverbände neu aufgebaut wird – übernehmen. Frankreich sieht also seine Interessen bei den neuen Machthabern gut gewahrt.

Dem alten Präsidenten standen dagegen südafrikanische Kampftruppen zur Seite; mindestens dreizehn ihrer Soldaten fielen dabei Ende März d.J.. Ihr Land ist im Abbau von Gold- und Diamantvorkommen in der ZAR stark präsent, und seit 2007 hatte Südafrika in Bangui militärische Ausbildungsmissionen übernommen. Bei ihrer Rückkehr nach Pretoria und Johannesburg entspann sich jedoch eine heftige Debatte in der südafrikanischen Presse. Soldaten des Landes hatten in der ZAR auf Kindersoldaten geschossen, die in den Reihen der Séléka kämpften, wie traumatisierte Militärs in den Zeitungen berichteten – „so hatten wir uns den Kampf gegen die Rebellen nicht vorgestellt“. Auch zog ein Teil der Presse Verbindungen zu unmittelbaren ökonomischen Interessen der Regierungspartei ANC (African National Congress), die mit der Holding Chancellor House verquickt ist, welche wiederum im Gold- und Diamantenabbau in der ZAR unmittelbar aktiv war. Die oppositionelle Democratic Alliance forderte einen formellen parlamentarischen Untersuchungsausschuss dazu. Am 04. April 13 wurde bekannt, dass Südafrika seine Truppen ersatzlos zurückzieht. (Vgl. etwa http://www.lemonde.fr/und http://www.liberation.fr) Allerdings haben Südafrika und die ZAR nun am 28. April 13 eine „Neubegründung ihrer bilateralen Beziehungen“, welche künftig auf regulären zwischenstaatlichen statt auf mehr oder minder fragwürdigen persönlichen Bindungen beruhen sollten, angekündigt. (Vgl. http://www.afriquinfos.com/ oder http://www.lanouvellecentrafrique.info/)

Südafrika dürfte jedoch zu den politischen Verlierern des Umbruchs in Bangui gehören, im Gegensatz zu Frankreich. Auch Sassou-Ngessou scheint mit seinen Versuchen zur Einflussnahme in der ZAR derzeit zu scheitern; an seiner statt übt eher das nördliche Nachbarland Tschad einen wachsenden Einfluss in Bangui aus. Dessen Präsident Idriss Déby entsandte seit Januar 13 das zweitstärkste Kontingent, nach dem französischen, in das Krisenland Mali.

Editorische Hinweise

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