Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Soziale Bewegung von rechts
Marine Le Pen, Geert Wilders und der 1. Mai

05-2013

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Konservative, Reaktionäre, Faschisten, Religiöse und noch einige Andere mobilisieren seit Monaten gegen die Homosexuellen-Ehe. Der Gesetzentwurf zu ihrer Einführung ist nun verabschiedet, aber die rechte Bewegung dagegen scheint noch bei weitem nicht abgeebbt

Zuerst, liebe Leser/innen, die beiden guten Nachrichten. Die erste lautet: Die amtierende sozialdemokratisch-grüne Regierung hat ein Wahlversprechen, das eine progressive Veränderung beinhaltet, eingelöst. Ein einziges – es dürfte auch für längere Zeit das einzige auf weiter Flur bleiben. Und wurde wohl nur deswegen realisiert, weil es zumindest „keinen Konflikt mit der Wirtschaft“ auslöste und unmittelbar kein Geld kostete. Ansonsten hatte die sozialdemokratisch-grüne Regierung aber wohl nicht mit einem derartigen Aufruhr um das Thema gerechnet...

Am Dienstag, den 23. April 13 wurde in „feierlicher“, namentlicher Abstimmung der Nationalversammlung in Paris jener Gesetzentwurf angenommen, gegen den sich seit Monaten die mit Abstand heftigsten Proteste seit der Wahl von Präsident François Hollande richteten. Der Gesetzentwurf zur Legalisierung der Homosexuellen-Ehe.

Noch in den Minuten vor der Annahme des Gesetzestextes kam es im Parlament dabei zu Wirbel: Auf den Besuchertribünen der Nationalversammlung versuchten rechte Protestler ein Transparent zu entfalten und die Abstimmung zu stören, was den sozialdemokratischen Parlamentspräsidenten aus der Haut fahren ließ: „Raus mit diesen Hitzköpfen, diesen Demokratiefeinden!“ Die rechten Aktivbürger waren auf Einladung zweiter Abgeordneter hin auf der Gästebühne anwesend: des konservativen Rechtsauslagers Hervé Mariton (er machte sich 1998 für jene bürgerlichen Regionalpolitiker stark, die damals – wie der Lyoner Regionalpräsident Charles Millon – Bündnisse mit dem Front National eingegangen waren) und des Neofaschisten Jacques Bompard, Bürgermeister von Orange und seit Juni 2012 Abgeordneter in der Nationalversammlung. Bompard war im Juni 1995 für den Front National ins Rathaus von Orange gewählt worden, hatte seine frühere Partei jedoch im Herbst 2005 aufgrund persönlicher Rivalitäten mit Jean-Marie Le Pen verlassen, und gehört heute in führender Position zur „identitären Bewegung“. Bompards parlamentarischer Mitarbeiter Benjamin Blanchard wurde i.Ü. am darauffolgenden Tag, am 24. März 13, infolge einer verbotenen Demonstration im Sicherheitsbereich des Elysée-Palasts festgenommen; vgl. http://droites-extremes.blog.lemonde.fr
 

Unterdessen in Paris : Marine Le Pen trifft Geert Wilders

Die Chefin des Front National ist nicht nur mit homophoben „Moral“aposteln und Reaktionären im Kontakt. Denn es gibt innerhalb der europäischen extremen Rechten auch noch Strömungen, die einen anderen Zugang zu der Thematik haben. Insbesondere die niederländische extreme Rechte beschritt in diesem Sinne neue Wege, erst unter Pim Fortuyn (getötet am 06. Mai 2002), dann unter seinem politischen Erblassverwalter Geert Wilders, dem Chef der „Partei der Freiheit“ PVV. In ihrer Argumentation sind Homosexuellen- oder Frauenrechte und andere emanzipative Errungenschaften nicht grundsätzlich von Übel, wie etwa in den Augen der rechtskatholischen Reaktionäre oder Fundamentalisten. Vielmehr gilt es dieselben als angebliche „abendländische Errungenschaften“ gegen die behauptete Bedrohung durch finstere Muslime, welche wiederum mit der puren Anwesenheit von Einwanderern aus mehrheitlich muslimischen Ländern assoziiert wird, zu verteidigen.

Noch während die rechte homophobe Protestbewegung in ihrer Hochphase war, traf Marine Le Pen am Montag, den 22. April 13 in Paris mit Geert Wilders zusammen. Dies wurde erst am Freitag, den 26. April durch die französische Nachrichtenagentur AFP der Öffentlichkeit bekannt, nachdem die Chefin des Front National am Vortag bei einer Pressekonferenz kurz darauf eingegangen war. Am darauf folgenden Tag, dem Freitag selbst, hatte Marine Le Pen „Beauftragter für Europapolitik“, Ludovic de Danne, der Agentur AFP zusätzliche Informationen darüber erteilt.

Die beiden Parteichefs erörterten demnach „die Europaparlamentswahlen 2014 und ihren gemeinsamen Kampf gegen die Europäische Union“ (in ihrer jetzigen Form), wie aus diesem Anlass verlautbarte. Ludovic de Danne präzisierte jedoch, es sei nicht an eine gemeinsame Liste oder ein gemeinsames Programm bei den EP-Wahlen gedacht.

Marine Le Pen erklärte dazu bei ihrer Pressekonferenz am Donnerstag: „Vor drei Tagen hatte ich Gelegenheit, (mit) Herrn Wilder (zusammen)zutreffen, obwohl er ein politischer Anführer ist, der bislang eher nicht die Angewohnheit hatte, mit anderen europäischen Bewegungen Kontakte zu knüpfen.“ Diese verklausulierte Formulierung drückt die bisherige Weigerung Geert Wilders‘ aus, mit eher aus unmittelbar faschistischer Tradition stammenden Parteien in Europa zusammenzuarbeiten – während er selbst vor der Gründung seiner Partei PVV (2006) bis im Jahr 2004 einer wirtschaftsliberalen Partei angehörte. Laut Marine Le Pen brachte Wilders jedoch „den Wunsch“ zum Ausdruck, „im Rahmen einer vertieften Zusammenarbeit die Beziehungen zwischen unseren beiden Bewegungen zu vertiefen“.

Als neuntes Land in der Europäischen Union, und als vierzehnter Staat weltweit (zuzüglich einiger Bundesstaaten innerhalb der USA wie etwa Vermont), hat Frankreich – einige Tage nach Neuseeland – durch dieses Gesetz die Institution der Ehe nunmehr auch homosexuellen Paaren geöffnet. Genau wie Heterosexuelle haben auch sie nunmehr die Wahl zwischen (a.) dem Zusammenleben ohne Trauschein, (b.) einer eingetragenen Lebensgemeinschaft in Vertragsform, die 1999 unter dem Kürzel PACS eingeführt wurde, und (c.) der Möglichkeit, zu heiraten.

Für alle Anderen, außer den betroffenen gleichgeschlechtlichen Paaren, ändert sich dadurch erst einmal überhaupt nichts. Umso erstaunlicher wirkt es da auf den ersten Blick, welch massive Reaktionen die Reform hervorgerufen hat, und dies, obwohl bis zuletzt eine deutlich relativ deutlich Mehrheit in Umfragen (Mitte April d.J. waren es etwa 58 %) den Gesetzentwurf befürwortete. Doch die Befürworter/innen brüllten einfach nicht laut, während die Gegner sich aufführten, als müssten sie sich gegen ihre unmittelbar bevorstehende, höchstpersönliche Vergewaltigung zur Wehr setzen. Ihr Aufruhr dauerte vom Bekanntwerden der Gesetzesinitiative im Oktober 12, bis zur jüngsten Verabschiedung des Textes - und wird auch noch darüber hinaus anhalten. Denn für den Sonntag, 05. Mai sowie für den 26. Mai 2013 sind erneut größere Aufläufe dagegen geplant und bereits angemeldet. Im letzteren Falle auch mit massiver Unterstützung durch die stärkste Oppositionspartei, die UMP, die „Millionen“ zur Teilnahme aufrief – sich jedoch intern noch heftig darüber, ob es eine Demonstration „für die Familie“ oder aber „gegen die sozialistische Regierung“ (welche aus Sicht mancher Rechten also solche illegitim ist) werden soll. Mit einiger Wahrscheinlichkeit beides…

Die Demonstrationen gegen die Homosexuellen-Ehe oder le mariage pour tous (die „Ehe für alle“) zogen mindestens mehrere Hunderttausende Teilnehmer/innen an, ihre Veranstalter behaupten sogar: Millionen. In jedem Falle erheblich mehr als die gewerkschaftlichen und sozialen Protestdemonstrationen in derselben Zeitspanne, obwohl es für Letztere Anlässe genug gab. Erstaunlich insofern, als die Protestierenden in keinem einzigen ihrer eigenen Rechte berührt, als keine ihrer sozialen Errungenschaft angetastet und keine ihrer bestehenden Lebensformen mit einem Verbot oder Einschränkungen bedroht wird. Wie es ein früherer Schwulenpolitiker der konservativ-wirtschaftsliberalen UMP, Jean-Luc Roméro – der seine Partei aufgrund ihrer reaktionären Positionen zum Thema verlassen hat - zu Anfang der vorletzten Aprilwoche bei Radio France Inter formulierte: „Bei den Protesten gegen die Rentenreform 2010“, also beim bislang letzten massiven gewerkschaftlichen Aufruhr in Frankreich, „waren die Leute in ihren persönlichen Rechten betroffen: Man verlangte von ihnen, dass sie bis zu einem höheren Alter arbeiten“, oder dass sie mit wesentlich weniger Pensionsgeld in die Renten gehen. Nichts dergleichen ist bei der Reform unter dem Namen „Ehe für alle“ der Fall.

Dennoch kann man durchaus von einer sozialen Bewegung sprechen, aber einer politisch klar rechts eingeordneten und in Teilbereichen religiös motivierten sozialen Bewegung. Im Wochenmagazin der KP-nahen Tageszeitung ,L’Humanité‘, also in L’Humanité Dimanche, war von einem rechten „Gegenstück zum Mai 1968“ die Rede. Ähnliches war aber auch, unter anderen (in dem Falle positiven) Vorzeichen, seitens des konservativen Presseorganes Le Figaro zu lesen.

Ein bitterer „Frühling“

Und nun die zweite gute Nachricht: Der Frühling ist endlich da. Nur leider nicht beim Wetter, denn da herrschen in Paris auch bei Abschluss dieses Artikels noch immer unsägliche frostige Temperaturen. Aber eine Organisation hat sich seit ihre Gründung, Ende März dieses Jahres, einen poetisch klingenden jahreszeitlichen Namen zugelegt.

An ihrer Spitze steht eine – nun ja - holde Dame, die eine frappierende Ähnlichkeit mit dem deutschen Komiker Otto Waalkes aufweist. Béatrice Bourges, 52, Unternehmenschefin, tritt seit dem 24. März 13 als Sprecherin einer neu gegründeten Gruppierung unter dem Namen Le Printemps français in der Öffentlichkeit in Erscheinung. Der programmatische Titel bedeutet „Französischer Frühling“, unter Anlehnung an die inzwischen längst abgenutzte Metapher vom „Arabischen Frühling“, unter der einige Monate lang die antidiktatorischen Revolten in Nordafrika seit dem Winter 2010/11 bezeichnet wurden. Das Anliegen der Organisation besteht darin, gegen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu kämpfen.

Nunmehr sei „auch die Zeit für das französische Volk“ gekommen, die auf ihm lastende Diktatur abzuschütteln, behaupten die Protagonistinnen und Protagonisten der Vereinigung. Ihre Symbole hat die Organisation zum Gutteil bei der feindlichen Linken abgekupfert. Auf ihren Plakaten sieht man etwa geballte Fäuste, unter denen der Schriftzug On ne lâche rien! prangt – also sinngemäß: „Wir geben niemals auf“. Ursprünglich lautete so der Titel eines Protestsongs, der die Sozialproteste gegen die Rentenreform 2010 untermalte und durch die von Einwandererjugendlichen gebildete Band HK & les Saltimbanks aus Lille kreiert wurde. Das einzige Erkennungsmerkmal, das den Betrachter sofort darauf hinweist, dass die Plakate in dem Falle von Rechten stammen: Die Fäuste sind in die Nationalfarben blau-weiß-rot eingefärbt, und die weiße Farbe füllt die Silhoutte eines Kindes aus, das zwischen einem blauen und einem rot gefärbten Arm aufrecht steht. Wie das Kind in einer ordentlichen Familie zwischen Mutter und Vater zu stehen hat, lautet der Subtext dazu.

Als erste Aktion, mit der er für öffentliche Aufmerksamkeit sorgte, überklebte der Printemps français unmittelbar nach der Großdemonstration gegen die Homosexuellenehe vom 24. März das Vereinslokal einer Gruppe, die für die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben kämpft. Ansonsten ist sie an Blockaden sowie an Versuchen, Polizeiketten zu durchbrechen und dadurch die uniformierten Beamten zu Tränengaseinsätzen zu provozieren, um Bilder von „Märtyrern“ zu erzeugen, beteiligt.

Nieder mit der sozialistischen Diktatur“ wird denn auch häufig in den Demonstrationen gerufen. Allein schon die Tatsache, dass ein „widernatürlicher“ Gesetzentwurf beraten werde, charakterisierte für die Einen die angebliche autoritäre Herrschaft, während Andere die Diktatur heraufziehen sahen, als die Parlamentsdebatte um einige Wochen abgekürzt wurde. Nachdem der Senat Mitte April den Gesetzentwurf angenommen hatte, wurde er bereits am 23. April statt, wie ursprünglich geplant, Mitte Mai d.J. für die letzte Lesung in die Nationalversammlung zurückgegeben, also in das parlamentarische „Unterhaus“, dem das letzte Wort zufiel. Der Hauptgrund dafür war, dass die Regierung den seit Monaten währenden Dauerkonflikt um die Reform verkürzen wollte, „weil rechte Gruppen hier eine hervorragende Gelegenheit finden, für die nächsten Jahren hinaus neue Generationen von Mitgliedern zu rekrutieren“, wie es ein sozialistischer Minister formulierte - unter Verweis auf frühere Schüler-, Studentinnen- und Gewerkschaftsproteste, die seiner eigenen Partei jeweils neue Generationen von Aktiven zuführten. Den geplanten Termin für die namentliche Abstimmung der Abgeordneten um drei Wochen vorzuziehen, zeichnete allerdings nicht gerade eine Schreckensherrschaft aus, zumal die parlamentarischen Kräfteverhältnisse klar waren.

Verbindung zur stärksten Oppositionspartei

Die Gründerin der Organisation, Béatrice Bourges, hat einen Mitgliedsausweis der UMP, also der stärksten französischen Oppositionspartei, die stark in der aktuellen rechten Protestbewegung verankert ist. Ebenso wie der rechtsextreme Front National, der jedoch im Augenblick eher das Nachsehen zu haben scheint. Dessen Chefin Marine Le Pen hat jedenfalls die UMP offen dafür angegriffen, dass sie die Demonstrationen dominiere, was nun nicht gerade besonders souverän wirkte. (Eine Polizeigewerkschaft, Syndicat général de la police-FO, kritisierte ihrerseits inzwischen „manche Mandatsträger“ – erkennbar solche der UMP, denn der Front National verfügt über kaum eine Handvoll Parlamentarier – dafür, dass sie explizit Gewalt in Demonstrationen begünstigten, um imaginäre „Opfer der Polizei unter der sozialistischen Regierung“ präsentieren zu können. Vgl http://www.lefigaro.fr )

Zumindest Teile der UMP, die ihrerseits über ihre Strategie gegenüber der Bewegung ebenso wie gegenüber der extremen Rechten zerstritten ist – der amtierende Parteichef Jean-François Copé setzt auf den radikaleren, sein Rivale François Fillon auf einen moderateren Kurs -, setzen gleichzeitig auf die Einbindung der Neofaschisten. Der FN-Parlamentsabgeordnete Gilbert Collard wurde etwa am 21. April 13 mehrfach Schulter an Schulter mit konservativen Abgeordneten (vgl. http://www.lemonde.fr/) und beim Händeschütteln fotografiert. Ausgerechnet an einem 21. April – einem Datum, das seit dem 21. April 2002 in weiten Kreisen geradezu sprichwörtlich geworden war, um etwa durch einen geflügelten Begriff auf Gefährdungen der Demokratie hinzuweisen. Seit dem 21. April 2002, also jenem Sonntag, an dem Jean-Marie Le Pen (neben Jacques Chirac) in die Stichwahl um die französische Präsidentschaft einziehen konnte. Ein solches Photo an einem solchen Tag, das war auch für viele Bürgerliche starker Tobak…

BB und die spiegelverkehrte Brigitte Bardot

Der Konservativen Béatrice Bourges wurde im Laufe des März 2013 der bis dahin stattfindende Protest, der in seiner Mehrheit kirchlich und konservativ dominiert war, laut eigenen Worten „zu harmlos“, zu brav und zu lahm. Unter Anleitung der sich selbst als „katholische Komikerin“ bezeichnenden Gallionsfigur „Frigide Barjot“, die eine scharfe Ablehnung der Homosexuellen-Ehe mit einer von sexuellen Ausdrücken überbordenden und bisweilen obszönen Sprache verbindet und als mindestens stark extrovertiert gelten muss – Kritikerinnen sehen sie eher als psychisch gestörte Persönlichkeit -, wedelten die Demonstranten bis dahin massenhaft mit blauen und rosa Fähnchen. Diese sollten einerseits das Festhalten an einer überschaubaren und ordentlichen Geschlechterordnung symbolisieren: rosa für die Mädchen und blau für die Jungs, andererseits aber zusammen mit weißen Kleidungsstücken eine blasse Ausgabe der Trikolore- Nationalflagge ergeben.

Barjot“, mit richtigem Namen Virginie Merle (ihr Pseudonym soll offenkundig auf spöttische Art auf Brigitte Bardot anspielen), ist die Ehefrau von Bruno de Tellenne alias „Basile de Koch“. Er firmierte früher als Berater und Ghostwriter des autoritär-konservativen Innenministers Charles Pasqua (Minister von 1986-88 und von 1993-95). Ihr Vater, Jacques Merle, war in den 1980er Jahren einer der bedeutendsten Sponsoren von Jean-Marie Le Pen; vgl. http://bellaciao.org/fr/spip.php?article134858 und ,Le Canard enchaîné’ vom 24. April 13. Virginie Merle-Tellenne spielte 1995 eine aktive Rolle im Präsidentschaftswahlkampf von Jacques Chirac, war aber ausweislich Archivbildern des französischen Fernsehens auch etwa bei der 1. Mai-Kundgebung von Jean-Marie Le Pen am 01.05.2007 zugegen. Die Dame, deren exzentrisches und halbverrückt wirkendes Auftreten zu ihrer Medienstrategie gehören könnte, versteht sich vor allem auf PR. Ihr wichtigstes Bemühen in den vergangenen Monaten war es, einen Teil der Demonstranten in ihrem Auftreten laut eigenen Worten zu „entspießern“ (déringardiser, vgl. etwa http://www.lemonde.fr/), ein bisschen lockerer zu machen, und Vorwürfe der Homophobie – durch Hinweise auf „meine vielen homosexuellen Freunde, die ebenfalls gegen die Homo-Ehe sind“ – abzuwehren.

Seit dem Erfolg der Demonstration vom 24. März 13 jedoch genügt dies einem wachsenden Teil der Protestierenden nicht mehr. Parallel zum „Französischen Frühling“ entstanden die Hommen, als eine Art vorgebliches maskulines Pendant zu den barbusig protestierenden Feministinnen der Gruppe Femen, die in der Ukraine entstand und in den letzten Monaten auch in Frankreich sowie Tunesien aktiv wurde. Diese jungen Männer ketteten sich wiederholt mit nacktem Oberkörper vor öffentlichen Gebäuden fest. Mit viel Pathos und Märtyrerposten ließen sie sich von Polizisten abtransportieren.

Andere Akteure gingen dazu überhaupt, Ministerinnen und Minister der Regierung an ihrem persönlichen Wohnsitz aufzusuchen und etwa frühmorgens aufzuwecken, oder anderen (für ihre Befürwortung der Homosexuellen-Ehe bekannten) Persönlichkeiten einzeln nachzustellen. Etwa wurde die prominente Journalistin Caroline Fourest anlässlich eines Vortrags in Nantes von Gegnern der Homo-Ehe bestürmt und belästigt, noch bis sie wieder in ihrem Zugabteil saß und noch darüber hinaus – die Bahn wurde regelrecht belagert, so dass der TGV/Schnellzug erst mit 45 Minuten Verspätung abfahren konnte.

Doch auch dies noch vergleichsweise harmlos, denn andere „Protestierende“ griffen da längst zu härteren Mitteln. Parlamentspräsident Claude Bartolone erhielt Munition per Brief als Drohung zugestellt. In Paris, Lille und Nizza wurden Homosexuelle in den ersten beiden April-Wochen tätlich angegriffen, im nordfranzösischen Lille etwa in Form des Angriffs auf eine Schwulenbar durch Skinheads. Noch am Abend des Dienstag, 23. April 13, also nach der definitiven Verabschiedung des Gesetzestextes, wurden am Rande einer nächtlichen Protestdemonstration Polizisten attackiert und Journalisten sowie Fotographen zusammengeschlagen. Als „Kollaborateure“ der vorgeblichen sozialistischen Diktatur, wie aufgeheizte Randalierer aus rechtsradikalen Gruppen wie dem katholisch-nationalistischen Renouveau français dazu riefen.

Rechte Aktivistengruppen

Eine Reihe von explizit rechtsextremen Aktivistengruppen waren in der rechten Protestbewegung aktiv, und die meisten von ihnen unterstützen seit deren Entstehung Ende März 13 die neu gegründete Bewegung Le Printemps français als neue Avantgardeorganisation.

Dazu zählen auch der GUD (Groupe Union-Défense), eine studentische Schlägertruppe mit geringerem inhaltlichem Niveau, dessen Ableger im ostfranzösischen Nancy mitteln Aufklebern explizit dazu aufforderte, Schwule zu verprügeln. Die vor allem im Raum Lyon verankerten Jeunesses Nationalistes (JN) – vgl. etwa http://www.lesinrocks.com/ - ihrerseits sind eine neonazistische Gruppe, die im vergangenen Jahr durch den 22jährigen Alexander Gabriac gegründet wurde. Er war 2010 als jüngster Regionalparlamentsabgeordneter in ganz Frankreich gewählt worden, wurde jedoch durch seine Partei – den Front National – ausgeschlossen, nachdem bei Facebook Fotos von ihm mit Hitlergruß publiziert worden waren. Seitdem versucht diese Gruppe vor allem, ein möglichst starkes Medienecho zu erzielen und Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die JN versuchten am 17. April 13, das Büro der Sozialdemokratischen Partei in Lyon zu besetzen, als vorgeblichen Protest gegen die Homo-Ehe. Deswegen und wegen mehrerer Gewalttaten wurden Führungsmitglieder der JN verhaftet, dabei wurden am Körper von Gabriac Mikrophone des Fernsehsenders Canal + gefunden. Von Seiten rivalisierender Gruppen werden deswegen die JN, deren Wahrnehmung in den Medien tatsächlich erheblich über ihre reale Bedeutung hinausgeht, als Provokateurstruppe „im Auftrag der Medien“ abgetan.

Das Verhältnis zu organisierten Rechtsextremen spaltete die Organisatoren der Großdemonstrationen gegen die „Ehe für Alle“ wiederholt, etwa das Kollektiv „Demo für Alle“, das die Aufmärsche jeweils anmeldete. Frigide Barjot, seine Sprecherin, kündigte noch am 12. April 13 an: „Präsident François Hollande will Blut sehen, und er wird Blut bekommen!“, während die rechtskatholische Politikerin Christine Boutin von einem heraufziehen „Bürgerkrieg“ faselte. Doch die strafrechtlich relevanten Aktionen organisierter rechtsextremer Kerngruppen – von Morddrohungen gegen Abgeordnete bis zu Attacken auf Polizisten, für die erstmals am 25. April ein Teilnehmer zu vier Monaten Haft auf Bewährung verurteilt wurde - sorgten dafür, dass Barjot kurz darauf das Ruder herumwarf. Auch die heftige Kritik, die sie von ihrem Schwager, dem prominenten Fernsehjournalisten „Karl Zéro“ einstecken musste, trug dazu bei. Am 14. April forderte Barjot daraufhin den sozialdemokratischen Innenminister Manuel Valls dazu auf, die Polizei möge den Veranstaltern Gruppen wie die Neonazis und die „Identitären“ – der Bloc identitaire mischte seit Januar dieses Jahres bei den Protesten gegen die Homosexuellenehe aktiv mit – vom Hals halten und Straftäter verhaften. Seitdem wird die 50jährige, deren selbstgewähltes Pseudonym so viel wie „Frigide Bescheuert“ bedeutet (unter Anlehnung an den Namen des Admirals Barjot, der infolge seiner irren Befehle im Suezkrieg vom Oktober/November 1956 durch Soldaten der französischen Marine zur Personifizierung von „Bescheuertsein“ erhoben wurde), in rechten Blogs als Verräterin behandelt.

Kommunalwahl 2014 im Visier

Auch Marine Le Pen und andere Führungsmitglieder des FN griffen die Veranstaltergruppe der Demonstrationen um „Frigide Barjot“ inzwischen an. Allerdings aus anderen Gründen, nämlich weil sie befürchten, dass letztendlich vielleicht eher die UMP als ihre eigene Partei die politische Ernte des monatelangen Konflikts einfährt. Ferner warf der Front National Frigide Barjot vor, dass sie (etwa anlässlich des jährlich stattfindenden Kongresses der UOIF/ Union des organisations islamiques de France am Osterwochenende, der eher den konservativen bis reaktionären Flügel der französischen Moslems mobilisiert) auch versuchte, die Muslime anzusprechen, um sie gegen die Homosexuellen-Ehe in Stellung zu bringen. Einige Moslems nahmen denn auch an den Demonstrationen der Homoehen-Gegner/innen teil; allerdings kamen auch „progressive Moslems“ (musulmans progressistes) zu einer Demonstration der Befürworter/innen der Homosexuellenrechte am 21. April 13.

Tatsächlich hat der FN es auf keinen Fall geschafft, die aktuelle rechte Protestbewegung parteipolitisch allein zu monopolisieren. Zumal die rechtsextreme Partei selbst gespalten war: Während viele Parteifunktionäre (auch Gründervater Jean-Marie Le Pen oder seine Enkelin, die junge Abgeordnete Marion-Maréchal Le Pen) eine Teilnahme an den rechten Protesten als „Muss“, ja als Priorität ansahen, war Parteichefin Marine Le Pen nicht dieser Auffassung. In ihren Augen zählten beim Wählerpublikum vor allem die „harten“, wirtschafts- und sozialpolitischen Forderungen, und sie verlieh lautstark ihrer Befürchtung Ausdruck, sich „von den etablierten Parteien UMP und PS in ein Ablenkungsmanöver hineinlenken zu lassen“, indem man sich auf die Debatte zur Homosexuellen-Ehe einlasse. Entsprechend hat der FN zeitweilig anderen Kräften, von den Konservativen einerseits bis zu aktivistischen rechtsradikalen (Splitter-)Gruppen andererseits, ein erhebliches Feld überlassen.

Allerdings ist auch der Front National derzeit eher im Aufwind; eine Umfrage des IFOP-Instituts von Mitte April 13 („Wie würden Sie stimmen, falls an diesem Sonntag Präsidentschaftswahlen wären?“) wies für den ersten Durchgang einer hypothetischen Präsidentschaftswahl 30 Prozent Wahlabsichten für Nicole Sarkozy und 22 Prozent für Marine Le Pen aus. Im April 2012 hatte Le Pen noch 18 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang erhalten. Nunmehr lag Marine Le Pen, jedenfalls der zitierten Umfrage zufolge, mit François Hollande gleichauf, und es wäre unklar, welche/r von beiden in die Stichwahl einziehen könnte. Eine Umfrage jüngeren Datums zeigt jedoch noch krassere Ergebnisse: Am 29. April 13 wurde eine weitere Umfrage vom Institut CSA publik, die ebenfalls die Sonntagsfrage („Wie würden Sie wählen, wenn...?“) zum Gegenstand hatte; vgl. http://www.lefigaro.fr- Demnach würde im Augenblick (im ersten Wahlgang) Nicolas Sarkozy auf 34 Prozent der Stimmen kommen, Marine Le Pen auf 23 Prozent, und der Sozialdemokrat François Hollande würde mit 19 % weit abgeschlagen auf dem dritten Platz landen.

Leichten Schaden zufügen könnte dem FN im Augenblick jedoch die Nachricht, die durch einige Presseorgane verbreitet wurde, wonach Axel Loustau – also der oberste „Sicherheits“beauftragte für die diesjährige 1. Mai-Demonstration des Front National – dabei fotografiert wurde, wie er eine aktive Rolle bei den Ausschreitungen gegen Polizisten am Abend des 23. April 13 spielte. (Vgl. http://reflexes.samizdat.netsowie http://www.mediapart.fr/ ) Am Abend des 19. April 13 hatte die oben genannte Frigide Barjot – nachdem sie auf Distanzierungskurs gegenüber den Gewalttätern in den Reihen der Anti-Homoehen-Demonstrationen gegangen war - den amtierenden sozialdemokratischen Innenminister Manuel Valls in einer TV-Sendung vor laufenden Kameras dazu aufgefordert, ein bestimmtes Individuum festnehmen zu lassen. Diese Aufforderung unterstrich sie mit Video-Aufnahmen von gewalttätigen Ausschreitungen gegen moderatere Demonstrationsteilnehmer und gegen Kameraleute. Bei dem fraglichen Individuum handelte es sich um eben diesen Axel Loustau. (Vgl. http://droites-extremes.blog.lemonde.fr )

Beide Parteien (UMP und FN) lauern jetzt darauf, profilierte Protagonisten der Demonstrationen als Kandidaten für die Kommunalwahlen zu gewinnen, die im März 2014 in ganz Frankreich stattfinden. Frigide Barjot kündigte unterdessen ihrerseits an, Bewerber oder Listen unter dem Label „Demo für Alle“ antreten zu lassen, und liebäugelt mit einer eigenen Kandidatur.

Bis dahin werden zweifellos einige Amtsinhaber in Bürgermeistersesseln, besonders aus den Reihen der Konservativen, durch einen erklärten oder unerklärten Boykott des Gesetzes zur Homosexuellenehe die (lokale) Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen versuchen.: Um sich zu profilieren, dürften sie Eheschlüsse bei gleichgeschichtlichen Paaren entweder offen verweigern (wie es einige wenige Rathauschefs ankündigten), oder aber ihnen de facto möglichst viele Steine in den Weg legen. Laut einer jüngst veröffentlichten Umfragen finden es zwar 57 Prozent der befragten Französinnen und Franzosen illegal, wenn in Rathäusern die Ausführung des Gesetzes zur Homosexuellenehe – wenn es einmal in Kraft getreten ist – verweigert wird. Aber eine Mehrheit in der Wählerschaft der Rechten (55 Prozent unter den Wähler/inne/n des Front National, und gar 60 Prozent unter denen der Konservativen) sind da gegenteiliger Auffassung: „Legal, illegal, scheißegal“ von rechts… Vgl. http://www.lefigaro.fr/
 

1. Mai-Aufmarsch des Front National in Paris

Am jährlichen Aufmarsch des FN in Paris, den die rechtsextreme Partei seit 1988 „zu Ehren der Nationalheiligen Jeanne d’Arc“ an diesem Datum durchführen, kamen am 01.05.2013 insgesamt knapp 3.000 Menschen. Die Beobachtungen des Verfassers basieren dabei auf den Dimensionen der
Demonstration (Teilnehmer pro Straßenbreite mal Minuten). Unsere Beobachtungen decken sich anscheinend weitgehend mit jenen der Pariser Polizei, die ihrerseits von rund 3.000 Teilnehmer/inne/n sprach. Ihrerseits sprachen der antifaschistische Journalist André Déchot von „höchstens 2.000“, die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde von 6.000, und die Parteiführung des Front National selbst von angeblich „15.000“ Teilnehmer/inne/n.

Sollten unsere Angaben (ungefähr) zutreffen, dann ist die Mobilisierung rückläufig. Zum Aufmarsch des Front National am 1. Mai in Paris kamen im Jahr 2011 rund 2.500, im darauffolgenden Jahr 2012 jedoch rund 3.500 Menschen. Allerdings fiel der Termin im Frühjahr 2012 auf die Zeitspanne zwischen dem ersten und dem zweiten Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahl, und einen guten Monat vor den französischen Parlamentswahl. Der Front National musste also auf eine möglichst starke Mobilisierung, durch (auch kostenlose) Reservierungsmöglichkeiten für Busfahrten auch aus weiter entfernt liegenden Regionen, achten.

Nach wie vor besteht eine starke Diskrepanz zwischen dem Stimmpotenzial des Front National bei Wahlen, seiner Mitgliederentwicklung (laut eigenen Angaben verfügt er – nach einem starken Anwachsen im letzten Jahr – über 65.000 Mitglieder, doch diese Zahlen sind stark aufgebläht), und seiner realen Mobilisierung von Aktivisten „an der Basis“. Letztere hinkt erheblich hinter dem Zuwachs von „einfachen“ Wählern und Sympathisantinnen zurück.

Nach wie vor schafft der FN es auf dieser 1. Mai-Demonstration auch nicht, die beiden auseinander strebenden Flügeln seines Publikums bei Wahlen – ein eher bürgerlich-reaktionäres, auf Besitzstandswahrung bedachtes, und ein proletarisches oder deklassiertes Publikum – gleichzeitig zu vereinigen. Optisch überwog beim diesjährigen 1. Mai-Aufmarsch stark der Anteil an visuell auffälligen Sympathisanten (Kurzhaarschnitt, T-Shirts mit Aufschriften „Skinheads“ u.ä., Militärklamotten) und von offensichtlich deklassierten Menschen: Der circa 15 Minuten lang vor mir stehende Herr trug etwa die schäbigste Anzugsjacke, die ich in meinem ganzen Leben sehen konnte, nicht nur extrem abgewetzt, sondern mit sage und schreibe 20 bis 30 Löchern...

Inhaltlich wurde in der diesjährigen Ansprache der Chefin wenig Neues geboten. Die Nation als Schicksalsgemeinschaft sowie „die Autorität des Staates“ soll die Menschen vor der Krise schützen, Frankreich muss wieder souverän werden (gegenüber supranationalen EU-Institutionen und durch Verriegelung der Grenzen für Einwanderung), und die Nation soll ein „Freiheitsraum“ sein gegenüber „den Totalitarismen, allen vor der mondialisme (ungefähr: Eine-Welt-Ideologie) und der Islamismus“.  Alles in Allem inhaltlich eher verschnarcht, wenn man den üblichen FN-Diskurs bereits
kennt.


Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.