Wenn der Polit-Sprech den Asyl-Gedanken wegradiert
Im EU- Abschottungsdiskurs werden Verhältnisse vernebelt, und Grenzen als „Hilfe“ verkauft

von Birgit von Criegern

05/11

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Die nordafrikanischen Umwälzungen brachten vielleicht eine Neuheit bei der EU-Politik: Dass mehr über Flüchtlinge gesprochen wurde. Keine Neuheit war, dass Flüchtlinge an europäischen Küsten in kleinen Booten anlanden. 30 000 Bootsflüchtlinge, die seit März in Lampedusa landeten, bedeuten vielleicht lediglich ein etwas verstärktes Ausmaß in der kurzen  Frist, doch seit den neunziger Jahren vollzogen sich immer dramatischer werdende Fluchtwege von Menschen des afrikanischen Kontinents, die in Booten über das Mittelmeer Europa zu erreichen versuchten. Mehr als 14 000 Menschen, so schätzen Organisationen wie Pro Asyl, sind dabei schon ertrunken.

Die EU-Abschottungs- und Grenzagentur Frontex kommt seit fünf Jahren ihrer hehren Mission nach, Flüchtlinge auf hoher See abzuwehren - mit lebensgefährlichen Szenarien.

Allein das Wissen von dieser Tatsache blieb wohl bis heute nur geringeren Anteilen der europäischen Gesellschaft vorbehalten, während Infotainment und verschiedene Krisen-Debatten das Innere der Festung zu beschäftigen hatten. Anstatt diesen Teil europäischer Geschichte endlich zur Kenntnis zu nehmen, tragen etliche Medien, und politischer Rechtskonservativismus, zur Vernebelung bei und suggerieren zur Stunde einen vermeintlichen „Migrationsdruck“ infolge der jüngsten Ereignisse in Libyen, Tunesien und Ägypten.

Ihr „Migrationsdruck“ ist das genehme politische Mittel, um von abgründigen Themen wie Atom-Katastrophe und Energie-Politik sowie von den weiteren Tatsachen wie Teuerungen, verstärkte Armut, soziale Spannungen und offen werdende Empörungen in den europäischen Staaten mit diesem Schlagreiz abzulenken, ein Mittel alter Facon, das Rechtspopulisten immer schnell zur Hand ist: mit „Migration“ Bretter vor Hirne nageln und Ängste schüren.

Die Verunklärung dauert an. Man spricht nicht von den Opfern der EU-Abschottung, oder auch nur den Opfern auf weiten Fluchtwegen seit den vergangenen rund 15 Jahren, und man spricht auch nicht von Asyl. Mit der Hysterie in ihren politischen Debatten zeigten die politischen SprecherInnen, welche Richtung Brüssel einschlagen musste, wenn denn wirklich mal explizit über „Asylpolitik“ gesprochen wurde. Es geht nicht darum, wie man den jede Woche im Mittelmeer kenternden, ertrinkenden MigrantInnen rasch helfen könnte, es geht auch nicht darum, eine Verteilung und Aufnahme von Flüchtlingen zu erwägen, sondern nur um Grenzen, um Grenz-“Sicherung“, um den „Schutz“ von Grenzen, und um „Solidarität“ bei der Grenzsicherung und um „mehr Sicherheit“ bei der Grenzkontrolle im Mittelmeer und zwischen Griechenland und der Türkei.

Denn es sind eben nicht nur die dänischen Rechtspopulisten, die mit ihrem rigorosen Abschottungs-Schritt ein häßliches Signal gesetzt haben. Zwar wurde Dänemark, das auf der Ministerkonferenz vom 12.5. seinen Beschluss erklärte, Grenzkontrollen wiedereinzuführen, halbherzig von einigen Seiten kritisiert ( aber auf der Konferenz von den beisitzenden Innenministern nicht maßgeblich daran gehindert). Aber einen deutlichen Kurs hatte schon die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström am 4. Mai in ihrer Stellungnahme zum italienisch-französischen Flüchtlingsstreit eingeschlagen und klargemacht, was sie unter einer „starken gemeinsamen Asylpolitik“ verstehe:
„die Stabilität des Schengen-Raumes zu schützen“, und, die Ausweitung der Grenzagentur Frontex voranzubringen. Die Schande von Brüssel lag ziemlich deutlich in einer Begriffs-Festsetzung, bei der Grenzpolitik einfach als „Asylpolitik“ unterlaufen konnte, und den rigorosen Wünschen nach Kontrollen seitens Sarkozy und Berlusconi einfach stattgegeben wurde. Die rechte DVP von Dänermark zog ihre Konsequenz. Dabei zeigte Bundesinnenminister Friedrich (CDU) Zustimmung, indem er den fabulierten „besonderen Migrationsdruck“ bestätigte.

Anstatt sich über asylrechtliche Verfahrenswege Gedanken zu machen, wird jetzt lang und breit die Reisefreiheit im Schengen-Raum erörtert. Flüchtlinge geraten in dem Abschottungsdiskurs zur regelrechten Gefahr. Der Gedanke Asyl selbst ist in diesem Polit-Sprech so gut wie wegradiert. Und „humanitäre Hilfe“, ein für UNO-Maßnahmen vorbehaltener Terminus, wird für die Situation der jede Woche auf See sterbenden Menschen aus Somalia, Nigeria, Libyen, Tunesien und anderen Ländern, immer noch nicht politisch aufgetischt.

Und noch deutlicher: Frontex unterläuft in Malmströms Sprache und in den Berichterstattungen nacheifernder Medien als saubere „Sicherheitsagentur“ und nichts weiter. So soll die Agentur mit Sitz in Warschau noch 20 Millionen Euro für ihre Ausstattung hinzubekommen, um auf offener See operieren zu können. Ein Blick in die Zeitungen bringt Bestürzung, denn die Agentur kommt in der öffentlichen Sprache immer noch zu euphemistisch weg. Indessen prangern Flüchtlingsorganisationen und KritikerInnen aus einer europäischen Minorität an http://frontexplode.eu/tag/protest/ an, dass Frontex für gewaltsame Flüchtlingsabwehr auf offener See steht und mit lebensgefährdenden Manövern vorgeht. Organisationen wie „Borderline Europe“ www.borderline-europe.de  sehen die europäische Abschottungspolitik plädieren letztlich für das Gegenteil dessen, was Malmström jetzt von Brüssel aus anempfiehlt – sie wollen ein Ende mit den Seemanövern gegen Flüchtlingsboote.

Bemerkenswert ist die Absenz des Asyl-Gedankens im Geist der EU-Kommission und der Regierungen, selbst noch angesichts des schlimmsten Elends im Mittelmeer – und angesichts von politischen Ereignissen in Nordafrika, die im März noch allseits bejubelt wurden.

Die Asylfrage selbst war schnell beiseitegeschoben worden. Die CDU hatte zum Beispiel kategorisch klargemacht, dass sie gegen Aufnahmen von nordafrikanischen Flüchtlingen sei http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/union-begrenzt-lernfaehig/ , und die anderen Regierungen in Europa beschränkten sich ebenfalls darauf, einander nur Forderungen entgegenzuhalten, rührten aber nicht an Gesetzliches. Deutschland, das seit vielen Jahren eine ziemlich konstante Quote von einem Prozent Asylgewährungen für Asylsuchende fährt, würde sich freilich mit einer Öffnung nicht überlasten.

Schnell abgehandelt war auch die wichtige Frage des Umgangs mit Dublin II. Europäische Regierungen diskutierten diese Vorschrift nicht mal ansatzweise, sondern stritten nur kurzzeitig über die Visa-Angelegenheit, die Berlusconi vorübergehend gestartet hatte.

Eine maßgebliche Konsequenz wäre aber die Abschaffung oder Aussetzung des Dublin II-Verfahrens gewesen, also die erleichterte Verteilung von Flüchtlingen auf mehrere EU-Länder. Das Verfahren aus dem Jahr 2003 schreibt vor, dass Flüchtlinge nur einmalig einen Asylantrag stellen dürfen, nämlich nur in ihrem ersten europäischen Ankunftsstaat. Vom grünen Tisch aus werden auf diese Art Flüchtlinge letztlich abgestempelt und verschoben, indem man sie zwingt, unter noch so elenden Bedingungen in den überfüllten Lagern des Erstaates, natürlich vor allem der Anrainerstaaten Italien und Griechenland, zu bleiben.

Die Bundesregierung machte im April auf eine kleine Anfrage eines linken Ausschusses mit Flüchtlingsorganisationsvertretern hin deutlich, dass sie bei „Dublin II“ keine Änderung vorsehe. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/055/1705579.pdf  .So dürften weitere Gekabbel zwischen einzelnen Politikern auf dilettantischer Ebene vorprogrammiert sein, wie es ja im April der Fall war, als man oberflächlich über eine Verteilung von Flüchtlingen redete und einen kläglichen Zahlenstreit führte, ob zehntausend oder vierzehntausend zumutbar wären – dilettantische Streitereien, die alle versandeten. Die EU-Regierungen sind drastische Lebensverhältnisse für Flüchtlinge in den Mittelmeerstaaten längst gewöhnt, könnte man sarkastisch folgern.

Fürchterliche Verhältnisse etwa in den griechischen überfüllten Flüchtlingslagern bewirkten, dass Flüchtlingsinitiativen schon seit Jahren die Abschaffung von „Dublin II“ wollten, und dass im März 160 minderjährige Flüchtlingen in Lesbos einen Hungerstreik durchführten http://www.fluechtlingsrat-nrw.de/3421/index.html  All diese humanitären Gründe fochten die EU-Regierungen nicht an, und selbst die vorübergehende Eskapade Berslusconis mit Visa für tunesische Flüchtlinge würde das jetzt nicht bewerkstelligen.

Wie der Asyl-Gedanke, so wurde eben auch „Dublin II“ im Polit-Sprech verschwiegen und in den allerwenigsten Medien erwähnt, womit ein maßgebliches Instrument europäischer Flüchtlingspolitik und -verwaltung, das ja auch das Gekabbel bei den Binnenstaaten zur Folge hat, ins Dunkel gedrängt bleibt. Da wird Migration allerdings zum Gespenst, wenn Unwissen über unsere eigenen Gesetze und über Probleme, die sie etwa für Lampedusa und Lesbos bringen, nur zu Spekulationen führt - und mit diesem Unwissen wird es dann einfacher, einen „Migrationsdruck“ aufzublasen.

Geradezu kurios ist aber der Tonfall, den die Tendenz von Brüssel und der Schengen-Vertreter jetzt mit kurzem Zeitabstand nach den Revolutionen brachte: keine Anteilnahme mehr an der bejubelten „Facebook-Generation“, wenn sie sich in die Boote setzt und übers Wasser hinüberkommt, an der „Demokratisierung der nordafrikanischen Länder“, wenn es darum geht, praktisch Hilfe zu leisten- im Gegenteil. In der Sprache rechtskonservativer VertreterInnen und einiger Medien geraten die vorher noch gelobten Revolutionäre zu etwaigen „Kriminellen“, da heißt es vordringlich: „Kriminelle“ abwehren, nicht: die „Generation Revolution“ ( Doku-Serie auf TV-Sender ARTE) unterstützen; „Illegale“ aufspüren, die eine vermeintliche Sicherheit gefährden könnten. Es sind die „Kriminellen“ und „Illegalen“, die in den strategischen Abwehrdokumenten von Frontex und EU-Kommission über „Grenzsicherheit“ und „Grenzmanagement“ schon seit langem so bezeichnet werden – Menschen, die aus Kriegen und zerstörten Lebensstrukturen herkommen und dazu in ein Gummiboot steigen, Menschen nicht nur aus den revoltierenden Gesellschaften, sondern auch aus Subsahara. Man denke an die 150 000 Flüchtlinge von der krisengeschüttelten Elfenbeinküste - dass auch sie Aufnahme bräuchten, wurde in der EU-Politik während der französischen Offensive nicht einmal erwogen.

Bei der Hysterie entblödet sich der ADAC nicht, die Angst vor Migration wie einen neuen Trend noch in Freizeitbereiche hinein aufzunehmen und breitzureden, und „warnte“ Wohnmobil-Reisende, die nach Italien fahren, dass sich blinde Passagiere in ihren Wägen verstecken könnten.

Die Prioritäten der EU-Kommission und der EU-Regierungen bringen eine eigenwillige Sprache mit sich, die Dinge regelrecht auf den Kopf stellt. „Solidarität“ und „Hilfe“gelten jetzt nur noch Schengen-intern, und zwar den europäischen Ländern! Von „solidarity“ ist sogar noch in einem Bericht über eine technische Neuerung bei der Grenzkontrolle die Rede: Im Magazin „Times of Malta“ wird berichtet, dass Interpol und Frontex stärker zusammen arbeiten, um künftig die Daten von Flüchtlingen auszutauschen und auch Informationen über ihre Familien in den Herkunftsländern zu bekommen http://www.timesofmalta.com , solidarisch ist man auch hier nur als EU-Staaten bei gemeinsamem Kontrollvorhaben.

Auf der anderen Seite sorgen sich die Politiker in Brüssel wenig um den Schutz von Flüchtlingen, nachdem am 6.5. ein weiteres Bootsunglück vor Lampedusa passierte, bei dem 600 Insassen eines Bootes kenterten und vermutlich ertranken. Laut Pro Asyl seien 16 Tote geborgen worden. Die Unglücke der Flüchtlingsboote vor Lampedusa und vor den Mittelmeer-Küsten sind ein seit Jahren andauernder Fakt. Es sieht fast nach einem Konsens in den EU-Regierungen aus, nach dem die Ankunft von Flüchtlingen eine äußerste Bedrohung sei, gegen die die Schengen-Länder einander „Hilfe“ zusichern müßten. „Berlin und Paris tun so, als ginge es um Giftmüll, dabei handelt es sich um Menschen“, kritisierte vor kurzem deshalb Bernard Schmid, der ja auch Autor und Journalist dieses Magazins ist und zudem in einer Flüchtlingsorganisation in Paris arbeitet http://www.rdl.de

Es stimmt bedenklich, in welcher Weise derzeit Unwissen über Frontex und über den europäischen Anteil am Flüchtlingselend produziert wird. Ein allgemeines Wissen über die europäische Verantwortung an den Vorgängen im Mittelmeer und an den Grenzen der nordafrikanischen Staaten wie Marokko und Libyen scheint noch in weiter Ferne zu sein, während innereuropäische Probleme wieder von Yellow Press und rechten Kräften mit dem Schlagwort „Migration“ zusammengeführt werden. Es tut not, dass sich von der Seite der Flüchtlingsinitiativen, von den KritikerInnen und Basis-Initiativen aus den europäischen Randschichten der Wissens-Konsens durchsetzt, der die Tragweite der europäischen Abschottung erfaßt hat, und auch, dass diese Abschottung mit der monopolistischen Politik der reichen Industrie-Staaten gegenüber dem Süden einen Zusammenhang
hat.

Es ist Wissen aufzuarbeiten, wie die Tatsache vom früheren Einvernehmen Europas mit dem früheren libyschen Diktator Gaddafi, solange er ein Grenzkontroll-Abkommen mit Italien einhielt, einen Abschottungs-Dienst für die EU mit Kontrollposten und Lagern in der Sahara, um Flüchtlinge zurück zu schicken, von manchen Kritikern auch als Türsteher-Funktion für Europa bezeichnet.

Gewissermaßen kam Gaddafi damals der Politik im selben Geiste nach, in dem die EU jetzt beginnt, die Reisefreiheit in den Schengen-Ländern zu überprüfen und Frontex auszuweiten. In der Bewertung von Gaddafis damaliger Funktion braucht man sich aber nichts vorzumachen: Die Zurückweisung der Flüchtlinge an der libyschen Grenze wurde von Human Rights Watch http://www.hrw.org/ schon seit langem scharf kritisiert und von der Malischen Assoziation der Abgeschobenen (Association Malienne des Expulsés) als völkerrechtswidrig angeprangert ( siehe u. a. http://www.friedenskooperative.de/ff/ff08/3-74.htm ), und die zurückgedrängten Flüchtlinge gaben immer wieder menschenverachtende Haftbedingungen und brutale Behandlungsweisen durch die Wächter zu Protokoll. Ein Wissen und eine Mitverantwortung, die aufgearbeitet und dokumentiert werden müssen, gerade in Europa. Entgegen dem politischen Konsens hat es um Aufarbeitung zu gehen und nicht um Abschottungsvorhaben.
 

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir von der Autorin für diese Ausgabe.