Leiharbeit verdrängt Stammbelegschaften
Strategische Arbeitsverhältnisse sind auf dem Vormarsch in der deutschen Europa-AG

von Reinhold Schramm

05/11

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Die prekären Arbeitsverhältnisse wie Leiharbeit sind auf dem Vormarsch, und LeiharbeiterInnen werden sogar als Streikbrecher eingesetzt, sagt DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki. [1]

LeiharbeiterInnen verdienen bis zu einem Drittel weniger als die fest Angestellten, und 11,5 Prozent von ihnen sind auf ergänzende Hartz-IV-Leistungen angewiesen.

Leiharbeit ist ein strategisches Instrument der Unternehmens-, Betriebs- und Geschäftsleitung, um Marktrisiken auf Lohn- und Gehaltsabhängige abzuwälzen. Betriebe, die Leiharbeit strategisch einsetzen, wollen grundsätzlich so wenig feste Verpflichtungen eingehen wie möglich, um die Produktion schnell und kostengünstig verringern zu können, sobald Absatzschwierigkeiten auftreten. Leiharbeit stellt ein „Sicherheitsnetz gegen das Kapazitätsrisiko“ dar. Leiharbeit hebelt den Kündigungsschutz aus. Entlassungskosten für die Unternehmen werden vermieden. [2]

Der Arbeitssoziologe Professor Dr. Klaus Dörre hat in Studien nachgewiesen, dass fest Angestellte sich weniger trauen, ihre Arbeitsrechte wahrzunehmen, weil sie befürchten, sonst selbst durch Leiharbeiter ausgewechselt zu werden. „Sobald Stammbelegschaften ihre Festanstellung als ein Privileg begreifen, werden sie erpressbar“, sagt Klaus Dörre.

Immer mehr Firmen wollen flexibles und billiges Personal haben. Sie wollen LeiharbeiterInnen auch strategisch nutzen.

„Strategische Nutzung bedeutet, dass Leiharbeiter dauerhaft im Betrieb sind und zunehmend Kernfunktionen übernehmen. Sie machen alles, was auch Stammbeschäftigte tun, aber zu weitaus ungünstigeren Konditionen. Der Übergang zur strategischen Nutzung hat mehrere Gründe: Große Unternehmen nutzen Mischkalkulationen, um die Personalkosten gering zu halten. Leiharbeiter lassen sich als Sachkosten verbuchen. Hinzu kommt, dass man auf diese Weise den Kündigungsschutz faktisch aushebeln kann, Leiharbeiter können von den entleihenden Unternehmen über Nacht entlassen werden. Das spart Entlassungskosten. Im Grunde wird das unternehmerische Risiko auf einen bestimmten Teil der Belegschaft abgewälzt. Die Leiharbeiter und andere prekär Beschäftigte wird man im Krisenfall rasch los und kann sie nutzen, um die Rendite stabil zu halten oder doch um zumindest das ‘Ergebnis zu retten’“ (Klaus Dörre). [3]

Die »Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände« (BDA) verkündet zu ihrer Strategie: »Zeitarbeit wird von den Unternehmen in erster Linie als Instrument genutzt, um schwankenden und daher zeitlich begrenzten Bedarf an Personal flexibel zu decken. In diesem Zusammenhang spielt Zeitarbeit auch eine Rolle als Ventil für das ansonsten starre und unflexible Arbeitsrecht.« -und- »Es ist zu erwarten, dass ab Mai 2011 Zeitarbeitsunternehmen aus mittel- und osteuropäischen Ländern mit deutlich niedrigeren Tariflöhnen im deutschen Zeitarbeitsmarkt aktiv werden.“ [4]

Anmerkung: Im Zusammenhang mit dem strategischen BDA-Interesse an prekären und zugleich stabilen Verwertungs- und Arbeitsverhältnissen (Selbstkontrolle der Beschäftigten), steht auch die so genannte »Willkommenskultur« für hochqualifizierte Fachkräfte aus EU-Osteuropa und anderen Entwicklungsregionen der Welt. Hier werden hochqualifizierte Fachkräfte den Entwicklungsregionen entzogen und zugleich auch die Markt- und Arbeitslöhne für Hochqualifizierte in den europäischen Wirtschaftsmetropolen nach unten gedrückt. - So heißt es im »Positionspapier zum Zuwanderungsrecht« des BDA, Dezember 2010: »Des Weiteren muss zur Erleichterung des Zuzugs hochqualifizierter Nachwuchskräfte die Einkommensgrenze von derzeit 66.000 € auf 40.000 € für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis weiter abgesenkt werden. Wenn in Berlin einem Juniorprofessor ein Gehalt in dieser Größenordnung gezahlt wird, kann eine um 60 % höhere Schwelle für ausländische Hochqualifizierte nicht das richtige Maß sein.« [5]

Auch bei der BDA- »Willkommenskultur« - für hochqualifizierte internationale Arbeitskräfte - geht es um die sozialökonomische und gesellschaftspolitische deutsche EU-Umgestaltung, - »nach den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes«; der Umgestaltung der Wert- und Mehrwertschöpfung aus abhängiger Arbeit, - im ausschließlichen Interesse des Kapitals. Dies gilt gleichermaßen für das BDI-BDA- »Zuwanderungsrecht« [5] , wie für die BDI-BDA- »Arbeitnehmerfreizügigkeit« (seit 1. Mai 2011). [6] - Anm.: Es geht dem deutschen und europäischen EU-Kapital nicht um die sozial-ökonomisch-ökologischen Zukunftsinteressen, - der differenziert -technisch und wissenschaftlich- hochqualifizierten internationalen lohn- und/bzw. gehaltsabhängigen Arbeitskräfte.

Der DGB-Vorstand setzt der Disziplinierung der abhängigen Arbeit, u. a. durch Leiharbeit, folgende Forderung an die Lobby-Politik entgegen: „Der DGB fordert die Politik deshalb auf, jetzt endlich den Grundsatz ‘gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort’ ab dem ersten Tag gesetzlich im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zu verankern.“ [1]


Quellen vgl.:

[1] DGB-Bundesvorstand | Claus Matecki: IW-Studie zur Leiharbeit realitätsfern
http://www.dgb.de/presse/++co++043cbf6a-7bce-11e0-500a-00188b4dc422  
[2] HBS - Böckler Impuls 05/2009. Leiharbeit: Stammbelegschaft unter Druck.
http://www.boeckler.de/32014_94471.html  
[3] IG Metall, 21.03.2011. Leiharbeit schafft zwei Klassen von Beschäftigten. Interview mit Prof. Dr. Klaus Dörre über die Folgen der Leiharbeit. http://www.igmetall.de
[4] BDA: »Eine Branche boomt« - »Zeitarbeit: Flexibilität schafft Beschäftigung« - Präsidiumsbeschluss, Sitzung vom 28. Januar 2008.
[5] BDA, Dezember 2010. Positionspapier zum Zuwanderungsrecht.
[6] BDA, Mai 2011, »argumente«, »Arbeitnehmerfreizügigkeit für die EU-8-Staaten«:
http://www.bda-online.de/www/arbeitgeber.nsf/res/Arbeitnehmerfreizügigkeit.pdf
 

Editorische Anmerkungen
Wir erhielten den Artikel am 12.5.2011 vom Autor für diese Ausgabe.