Immer mehr Menschen haben in
Berlin mit teils drastischen Mieterhöhungen und deren
vielfältigen Folgen zu kämpfen. Und entgegen den
wohnungspolitischen Mythen von Rot-Rot hat dieser Senat ganz
wesentlich dazu beigetragen. Anstatt aber nun den Grünen bei
der Wahl ein falsches Vertrauen zu schenken, lassen wir die
Parteien gleich ganz rechts liegen und nehmen die Dinge selbst
in die Hand.
In Berlin gibt es überall
genügend Wohnungen für alle
Falsch! In Berlin hat sich der Wohnungsmarkt mittlerweile
flächendeckend und in allen Preisbereichen deutlich
angespannt. Das ist nicht nur das Gefühl vieler Menschen, die
nach bezahlbaren Wohnungen suchen, sondern wird auch von der
Immobilienbranche bestätigt. Der Anteil leer stehender
Wohnungen in ganz Berlin wird auf gut drei Prozent geschätzt
und hat sich damit seit 2005 fast halbiert. Der Verband der
Wohnungsunternehmen in Berlin und Brandenburg geht bis 2015
sogar von einer Leerstandsquote von nur einem Prozent aus. Für
2025 wird ein Wohnungsdefizit von bis zu 9,3 Wohnungen auf 100
Haushalte vorausgesagt.
Berlin hat kein Mietenproblem
Falsch! Die Mieten in Berlin steigen schon seit Jahren,
und das nun auch fast im gesamten Stadtgebiet. Die
durchschnittliche Miete von bereits bewohnten und neu
vermieteten Wohnungen hat sich in den vergangenen zehn Jahren
um ungefähr 25 Prozent auf nun über fünf Euro pro Quadratmeter
erhöht. Besonders schnell stiegen die Mieten in letzter Zeit
bei den neu vermieteten Wohnungen. Seit 2008 hat es hier einen
Anstieg von ca. 20 Prozent gegeben. Der Wohnungsmarktbericht
2010 der Investitionsbank Berlin weist darauf hin, dass die
Entwicklung der Mietpreise innerhalb des S-Bahn-Rings
besonders drastisch ist und noch über den hier angegebenen
Durchschnittswerten liegt. In Friedrichshain-Kreuzberg
erhöhten sich die Neuange-botsmieten seit 2008 um 36 Prozent.
Gleichzeitig sind die Einkommen in Berlin leicht gesunken, was
zusammen einen starken Anstieg der Mietbelastung von
Haushalten bewirkt. Die letzten verfügbaren Zahlen sind schon
etwas älter, aber bereits in 2006 lag die durchschnittliche
Mietbelastung in Berlin bei knapp 25 Prozent, und damit auf
demselben Niveau wie in München oder Hamburg. Guckt man etwas
genauer hin, so wird deutlich, dass die Mietbelastung von
Menschen mit geringem Einkommen noch weitaus höher ist.
Haushalte mit weniger als 900 Euro im Monat müssen mindestens
40 Prozent ihres Einkommens für Wohnen ausgeben.
Besonders dramatisch ist die Situation im sozialen
Wohnungsbau. Hier gab es in den letzten zehn Jahren ebenfalls
einen Anstieg der Nettokaltmieten um 25 Prozent, hinzu kommt
dann noch ein Anstieg der Heiz- und Warmwasserkosten um 39
Prozent. Der Wegfall der Anschlussförderung im sozialen
Wohnungsbau hat hier noch einmal massiven Druck bei der
Mietbelastung bewirkt. Teilweise sind die Mieten nun sogar
höher als bei bislang nicht geförderten Wohnungen.
Einer Forsa-Umfrage zufolge hat jeder zweite Haushalt in
Berlin in den vergangenen Jahren eine Mieterhöhung erhalten.
Ein Viertel dieser Haushalte sieht sich demnach gezwungen, in
eine preiswertere Wohnung umzuziehen.
Eine Verdrängung Geringverdienender und Erwerbsloser findet
nicht statt
Falsch! Menschen mit wenig Geld werden in Berlin mal mehr,
mal weniger schleichend aus bestimmten Stadtteilen verdrängt.
Über 80 Prozent der 1993 in Prenzlauer Berg lebenden Menschen
mussten den Stadtteil angesichts enorm gestiegender Mieten
verlassen. Systematische Verdrängung gibt es ebenfalls in
Friedrichshain-Kreuzberg. Eine Studie aus 2008 kommt zu dem
Schluss, dass sich in SO36 immer mehr Menschen das Wohnen
aufgrund von Mieterhöhungen und Modernisierungen nicht mehr
leisten können. Ein Drittel der Bewohner_innen ist akut von
Verdrängung bedroht. Betroffen sind hier zuallererst Menschen
mit kleinen Einkommen und Erwerbslose. In Friedrichshain gibt
es bereits seit ein paar Jahren praktisch keine Wohnungen mehr
für Bezieher_innen von ALG II. Und durch den Wegfall der
Anschlussförderung im sozialen Wohnungsbau droht 28.000
Berliner_innen quasi über Nacht der Zwangsauszug. Im
Fanny-Hensel Kiez in Kreuzberg stieg die Miete dadurch
sprunghaft um 32%, und das sogar rückwirkend auf mehrere
Monate. Kündigungen wurden ausgesprochen, viele Mieter_innen
mussten bereits wegziehen.
Menschen, deren Miete über soziale Transferleistungen bezahlt
wird weil sie erwerbslos sind oder trotz Arbeit nicht genug
verdienen, sind besonders von Verdrängung aus ihren Wohnungen
bedroht. Schon jetzt droht hier einem Fünftel über kurz oder
lang der Zwangsumzug, in Kreuzberg ist es jetzt schon ein
Drittel dieser Mieter_innen. Nach der Veröffentlichung des
nächsten Mietspiegels im Mai ist damit zu rechnen, dass
Hartz-4-Empfänger_innen bald komplett aus der Berliner
Innenstadt wegumziehen müssen.
Auch im Karl-Kunger-Kiez in Alt-Treptow stehen langjährige
Mieter_innen vor der Frage, ob sie sich ihre Wohnung noch
leisten können, nachdem die Wohnungsbaugesellschaft Stadt &
Land dort in vielen Wohnungen die Mieten willkürlich und ohne
Verbesserungen für die Mieter_innen um bis zu 20 Prozent
erhöht hat. Gleichzeitig formieren sich in diesem Kiez immer
mehr so genannte Baugruppen wohlhabender Menschen, die sich
moderne Eigentumswohnungen bauen, und damit das Wohnen und
Leben im gesamten Kiez teurer machen. Haushalten, die hier
finanziell nicht mithalten können, droht die Verdrängung.
Rot-Rot ist der Senat der Mieter_innen
Falsch! Rot-Rot ist der Senat der Eigentümer_innen und
Immobilienwirtschaft. Abgesehen von dem Versuch, sich durch
eine von vornherein zum Scheitern verurteilte
Bundesratsinitiative zur Änderung der Mietgesetzgebung im
Dezember 2010 noch rechtzeitig vor den Wahlen als
Mieter_innenkoalition zu präsentieren, haben sich alle
wohnungspolitischen Maßnahmen der letzte Jahre gegen die
Mieter_innen gerichtet. Rot-Rot hat damit ganz maßgeblich zu
Mieterhöhungen und Verdrängung beigetragen:
Sozialer Wohnungsbau: Neubau von gerade einmal 35
Wohnungen. Gleichzeitig Kappung der Anschlussförderung für
28.000 Wohnungen, bei der die Vorteile der Eigentümer_innen
auf Kosten der Mieter_innen bewahrt wurden. Zudem massiver
Anstieg der Sozialmieten in den verbleibenden Wohnungen des
sozialen Wohnungsbaus
Öffentlicher Wohnungsbestand: Privatisierung von über
120.000 Wohnungen bzw. einem Drittel des Gesamtbestandes seit
Regierungsantritt. Dadurch Verlust wohnungs- und
sozialpolitischer Steuerungsmöglichkeiten. Gleichzeitige
Verpflichtung der städtischen Wohnungsbaugesellschaften auf
renditeorientiertes Wirtschaften mit ebenfalls verheerenden
Folgen für Mieter_innen.
Verschärfung der AV Wohnen: immer mehr durchgeführte
Zwangsumzüge, keine Angleichung der Richtsätze für die Kosten
der Unterkunft trotz steigender Mieten, vermutlich sogar eine
Herabsenkung der Mietrichtsätze bei Inkrafttreten des neuen
Satzungsrechts in diesem Jahr
Zweckentfremdungsverbot: Wegfall nach OVG-Urteil
aufgrund von Senatseinschätzung, der Berliner Wohnungsmarkt
sei entspannt. Erst jetzt, kurz vor dem Wahlkampf neue
Überlegungen, das Verbot wieder einzuführen.
Keine flächendeckende Verlängerung der Kündigungsschonfrist
bei Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen trotz
gesetzlichen Spielraums
Abbau von Schutzmechanismen für von Verdrängung
bedrohte Mieter_innen in Sanierungs- und Milieuschutzgebieten
Rot-Rot hat nicht nur durch die aufgezählten Maßnahmen
Mieter_innen unter Druck gesetzt, sondern sich auch immer
wieder durch Ignoranz der Probleme hervorgetan. Im Falle des
Wegfalls der Anschlussförderung im sozialen Wohnungsbau und
den daraus resultierenden horrenden Mietsteigerungen für viele
Mieter_innen sah der Senat keinen besonderen Handlungsbedarf
für eine Ausnahme-regelung. Die zuständige
Stadtent-wicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer wiederholt
bis heute gebetsmühlenartig, dass es ihrer Ansicht nach keine
Anspannung des Berliner Wohnungsmarktes gäbe und somit auch
kein Mietenproblem in der Stadt. Auch Bürgermeister Klaus
Wowereit verhöhnte unzählige Berliner_innen, als er Anfang des
Jahres meinte, steigende Mieten seien doch ein gutes Zeichen
für die Entwicklung der Stadt. Solche Äußerungen sind nicht
nur ein Schlag ins Gesicht derer, die Monat für Monat ihre
Miete zusammenkratzen müssen, sondern entlarven auch die
Arroganz dieses Senats, indem die Alltagsprobleme
Hunderttausender schlichtweg geleugnet werden.
Was tun?
Die rot-rote Koalition hat ganz klar versagt, Menschen mit
wenig Geld vor Mieterhöhungen und Verdrängung zu schützen. Bei
der kommenden Wahl nun die Grünen zu wählen, ist allerdings
auch keine Alternative. Deren Klientel ist gerade die neue
Mittelschicht, die jetzt bereits in den Wohnungen wohnt, in
denen vorher die Menschen mit geringem Einkommen wohnten. Oder
sie setzen sich gleich ihr schickes Baugruppenprojekt in die
Brache zwischen den unsanierten Altbauten. Und von einer
prinzipiell marktfreundlichen Partei ist eine stärke
Regulierung des Wohnungs-marktes ohnehin nicht zu erwarten.
Da sich die Verantwortlichen in Senat und Abgeordnetenhaus
sowieso hoffnungslos von den Problemen ärmerer Berliner_innen
entfernt haben, nehmen wir die Dinge jetzt einfach selber in
die Hand. Wir organisieren uns im Haus und in der
Nachbarschaft, um gegen steigende Mieten, Zwangs-umzüge,
Verdrängung und fiese Vermieter_innentaktiken vorzugehen. Wir
nehmen uns gemeinsam Rechtsbeistand, veranstalten
Stadtteilversammlungen und Kiezspaziergänge oder besuchen
direkt die Wohnungsbaugesellschaften, die uns die Mieten
erhöhen wollen. Denn wir wollen in unserem Kiez wohnen
bleiben, ganz gleich welches Einkommen wir haben, welche
Sprache wir sprechen oder welche Hautfarbe wir haben. Eine
wirkliche Aufwertung bedeutet, dass sich unser Leben in der
Stadt zu unseren Gunsten verändert, dass wir finanziell
abgesichert sind und nicht von Amt und Behörden schikaniert
werden, dass unser Haus für uns modernisiert wird und nicht
für diejenigen, die danach in unsere Wohnungen ziehen.
Wir bleiben alle dort wohnen, wo wir wohnen möchten,
denn hier haben wir unsere Freundschaften und unseren Alltag,
und hier fühlen wir uns zu Hause. Und das einzufordern ist
nicht konservativ, sondern einfach nur menschlich.
Editorische Hinweise
April 2011.
Erstveröffentlichung auf Indy. Der Text wird in den nächsten
Wochen auch als gedruckte Flugschrift erscheinen, und richtet
sich vor allem an Leute außerhalb irgendwelcher Szenezirkel.
Weiterverbreitung oder Verlinkung erwünscht!
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