Am Sonntag, den 17. April in den Räumen der Kunstsammlung
Collection Lambert, im südfranzösischen Avignon: Drei
junge Männer zwischen 18 und 25 Jahren bezahlen ihren Eintritt
und verschwinden unter den Gewölben des historischen Gebäudes.
Kurze Zeit darauf überrumpeln sie einen Wachmann und packen
einen Hammer und andere Geräte - die Ermittler schwanken derzeit
noch zwischen den heiβen Spuren „Eispickel“ und
„Schraubenzieher“ - aus. Sodann machen sie sich ans Werk. Und
zerstören zwei Kunstgegenstände, von denen eines ihr heftiges
Missfallen erregt hatte. Gottungefällig sei es, hatte es bereits
am Vortag (16. April) auch auf einer Demonstration von rund
eintausend Menschen in Avignon getönt. Laut Augenzeugenberichten
hatten auch die drei jungen Männer daran teilgenommen.
Der Stein des Anstoβes
Der Gegenstand in ihrer Erregung: „Gotteslästerung“ verkörperte
in ihren Augen das Kunstwerk unter dem Namen Piss Christ,
das von dem US-amerikanischen Kunstphotographen Anders Serrano
stammt. Der in New York lebende 60jährige Künstler mit
afro-kubanische und honduranische Wurzeln hatte dieses Werk 1987
hergestellt. Presseberichte bezeichneten es jüngst als Abbild
eines „mit Blut und Urin überdecktes Kreuzes“ von Jesus. In
Wirklichkeit zeigt das Kunstwerk allerdings nicht ein mit diesen
Stoffen beschmiertes christliches Kreuz, sondern ein in mildes
rötliches und gelbes Licht getauchtes Holzkreuz mit daran
hängendem Christuskörper. Ästhetisch ist es nicht so abstoβend,
wie es wirken würde, wäre der Betrachter direkt mit diesen
Stoffen konfrontiert. Blut und Urin sollen lediglich durch die
Farben, die entsprechende Assoziationen erwecken, suggeriert
werden. Der Name des Kunstwerks, Piss Christ, ist
in dieser Hinsicht jedoch eindeutig. Ebenso ist bekannt, dass
der Künstler seinen eigenen Harn für die Herstellung der Farbe
auf dem Foto verwendet hat.
Serrano hatte in der Vergangenheit für seine Werke bereits des
Öfteren mit Stoffen wie Blut, Sperma oder auch Muttermilch
experimentiert. Diese Stoffe interessierten ihn stets für die
Gewinnung eines bestimmten Farbtons, nicht, um einen Anblick
direkt auf die Ausgangsmaterie zu gewähren.
Dass Serrano das christliche Symbol in diesem - so gewonnen -
Licht zeigt, war von seiner Seite her keineswegs despektierlich
im Sinne einer bewussten Verspottung des Christuskreuzes
gemeint. Vielmehr bezeichnet Serrano sich selbst als gläubig und
„fasziniert“ vom katholischen Glauben. Er verbindet diesen
lediglich auf eigentümliche Weise mit seinen speziellen
ästhetischen Vorstellungen.
Von der Logik her muss es gar nicht als abartig erscheinen, dass
Stoffe wie Blut oder Urin benutzt werden, um ein Kreuz mit daran
hängendem Messias zu illustrieren. Hat doch das Christentum in
seiner zweitausendjährigen Geschichte stets die Darstellung von
Folter- und Tötungsinstrumenten benutzt, um dessen Leiden - das
laut christlicher Lesart „zur Erlösung der Menschheit“ erfolgte
- zu illustrieren. Generationen von Schülern wurden im
Grundschulalter mit ausführlichen Schilderungen von
Auspeitschungen und Annagelungen traktiert, um es ihnen nur ja
drastisch genug vor Augen zu führen. Und wer je eine Kirche in
Lateinamerika, (woher Serrano stammt) besucht hat, weiβ, dass
die bildliche Darstellung „der Leiden des Jesus Christus“ auf
diesem Kontinent regelmäβig noch weitaus blutrünstiger erfolgt
als in Europa.
Zumindest der blutige Aspekt dürfte also gläubige Christen
logischerweise nicht schockieren. Hingegen werden Exkremente wie
Urin gerne wegästhetisiert. Allerdings war es im
Originalgeschehen zweifellos so, dass ein Todeskandidat, der -
an einem Kreuz befestigt - sich dem Erstickungstod näherte, sich
vor Todeseintritt seiner Fäkalien entleerte. In verbreiteten
christlichen Darstellungen wird die Tötung zwar zurecht
ästhetisiert, bildet dadurch aber nicht unbedingt die
Wirklichkeit dieser im Alten Rom sehr verbreiteten Tötungsart
getreu ab.
Christliche Fundamentalisten haben sich aber schon des Öfteren
an Serranos Kunstwerken gestoβen, weil diese in ihren Augen die
Tatsache symbolisieren, dass man heute angeblich „gefahrlos über
den christlichen Glauben und seine Symbole spotten“ und sie
absichtlich „herabwürdigen“ können. In den USA, wo das Foto
Piss Christ bei seiner Veröffentlichung in den
achtziger Jahren zunächst kein negatives Aufsehen erregte - es
wurde 1999 in London für 162.000 Dollar versteigert -, fanden
später Kampagnen evangelikaler Christen gegen Serrano statt. Im
schwedischen Lund wurden im Oktober 2007 mehrere seiner Werke in
einer Galerie durch Neonazis beschädigt oder zerstört. Die
Rechtsextremen, die ebenfalls gegen Serrano hetzen, berufen sich
dabei sowohl auf eine christlich-abendländische als auf eine
naturalistische Ästhetik, die durch den Künstler verletzt
würden.
Faschisten & religiöse Reaktionäre: eine unangenehme Mischung
Aus einer Mischung aus Rechtsextremen und fanatischen Katholiken
bestand auch jene kleine Menschenmenge, die in den letzten
Wochen gegen Serranos Werke in Avignon mobilisiert werden
konnte. An der Demonstration vom 16. April, die unter dem Motto
„Die Ehre Christus’ verpflichtet uns dazu: Alle nach Avignon!“
stand, nahmen Kräfte aus beiden Richtungen - deren Ideen sich
manchen Gruppen auch vermengen - teil.
Im Rahmen
einer Ausstellung werden in Avignon seit dem 12. Dezember 2010
und noch in den Mai dieses Jahres hinein (bis zum 08. Mai)
Kunstwerke, die auf die eine oder andere Weise mit religiösen
„Wundern“ zu tun haben, gezeigt. Der Titel der Ausstellung
lautet Je crois aux miracles („Ich glaube an
Wunder“).
Die meisten der insgesamt 350 Ausstellungsgegenstände haben auch
für Rechtskatholiken oder Fundamentalisten keinen anstöβigen
Charakter. Wie etwa ein Foto desselben Künstler Anders Serrano,
das die Hände einer katholischen Schwester aus der Pariser
Kirche Sainte-Clotilde beim Gebet zeigt. Es ist ebenfalls durch
die Kunstvandalen vom 17. April 10 mit Hammerschlägen beschädigt
worden.
Nicht allein
katholische Ultrafanatiker und Faschisten ergriffen gegen das in
ihren Augen anstöβige Kunstwerk (Piss Christ)
Position. Auch der Bischof von Avignon, Jean-Pierre Cattenoz,
hatte die Entfernung dieses Ausstellungsgegenstands gefordert,
da das Foto „widerlich“ sei, und begründete dies mit den Worten:
„Es beschmutzt das Bild von Christus am Kreuz, Herz-/Kernstück
des christlichen Glaubens“. (1)
Rechtsradikal-katholisches „Institut“
Den Aufruf zu der Demonstration vom Sonnabend, den 16. April
hatte eine Gruppe namens Institut Civitas
lanciert, das der katholisch-fundamentalistischen Strömungen des
1988 von Rom abgefallenen - und inzwischen verstorbenen -
Ex-Bischofs Marcel Lefebvre nahe steht. In den letzten Wochen
ist diese rechtsextrem-katholische Gruppierung allgemein
verstärkt aktiv geworden. Im 18. Pariser Bezirk etwa wurden in
den letzten Tagen (Anfang Mai) Aufkleber dieses Institut
Civitas verklebt, auf denen zu einer
rechtsradikal-nationalkatholischen Kundgebung „für Jeanne d’Arc“
am Nachmittag des o8. Mai aufgerufen wird. Der aktivistische
Hardcoreflügel der extremen Rechten feiert die „Jungfrau von
Orléans“ alljährlich in der zweiten Maiwoche, während die
parlamentarische Variante der extremen Rechten in Gestalt des
Front National (FN) jährlich am o1. Mai „zu Ehren von Jeanne
d’Arc“ aufmarschiert.
Die Lefebvristen, zu denen auch die seit der Auschwitz-Leugnung
ihres „Bischofs“ Roger Williamsen vor zwei Jahren berühmten
Piusbrüder zählen, warfen der katholischen Amtskirche jahrelang
„marxistischen und subversiven Einfluss“ vor. Sie stieβen sich
an der Abschaffung des Lateinischen als Kirchensprache ebenso
wie an Modernisierungsbestrebungen seit dem Zweiten
Vatikanischen Konzil und der seitdem proklamierten theologischen
Aussöhnung mit dem Judentum. Seit 2006 hat der neue Papst
Benedikt XVI. ihre Anhänger allerdings wieder an die Amtskirche
angebunden, und in Bordeaux eröffnete der Kirchenapparat ein
neues kircheneigenes „Institut des Guten Hirten“, das als
Auffangbecken für sie dient.
Neben dem Institut Civitas riefen auch Webpublikationen wie die
ähnlich orientierte Webseite e-Deo oder die
„katholische Laienpublikation“ Le Salon beige an
der Demonstration in Avignon teil. Letztere mischt sich auch
direkt aktiv in die Politik ein und beteiligte sich am
innerparteilichen Wahlkampf beim rechtsextremen Front National (FN)
im zweiten Halbjahr 2010, bei dem man Bruno Gollnisch als
Kandidaten für den Parteivorsitz gegen die „Modernisierin“
Marine Le Pen unterstützte. Auch Anhänger des FN erschienen zu
der Demo in Avignon. Ebenso Marie-Christine Bompard, die
rechtsextreme Bürgermeister des Nachbarstädtchens Bollène. Sie
gehörte, ebenso wie ihr Ehemann Jacques - Stadtoberhaupt von
Orange - früher dem FN. Jetzt führt Jacques Bompard eine
rechtsextreme Splitterpartei an, die Ligue du Sud.
Doch es blieb nicht bei der Demonstration. 80.000 Menschen haben
eine Petition des Instituts Civitas, die in
Reaktion auf die vermeintlich frevlerhafte Ausstellung eine „Rechristianisierung
Frankreich“ fordert, unterzeichnet. Und die Leitung der
Ausstellung in der Kunstsammlung Collection Lambert
hat den Eingang von über 30.000 Protest-E-Mails registriert.
Begleitet werden die Nachrichten mitunter auch von
Morddrohungen. In einem Falle wurden Bilder eines brennenden
Scheiterhaufens zugeschickt.
Die Direktion der Sammlung unter Eric Mézil gab jedoch nicht
nach, und lieβ schon am auf die Attacke folgenden Dienstag, dem
18. April, die Ausstellung wieder eröffnen. Die beiden durch
Hammerschläge beschädigten Kunstwerke bleiben so, wie sie
infolge des Angriffs jetzt aussehen, ausgestellt.
Regierungspolitik, unter dem Deckmäntelchen des ausschlieβlich
anti-muslimischen „Laizismus“, fördert katholische Reaktionäre
Mézil sieht den Druck auf die Aussteller seit März dieses Jahres
wachsen. In jenem Monat setzte Präsident Nicolas Sarkozy - der
seit längerem mit dem französischen Laizimus hadert - neue
Symbole. Am o3. März 11 besuchte er den Wallfahrort Puy-en-Velay
in der Auvergne, von wo dereinst mehrere Kreuzzüge loszogen und
wo - als letzter französischer Staatschef vor ihm - zuletzt
Philippe Pétain seine öffentliche Aufwartung gemacht hatte. Zwei
Wochen später nannte Sarkozys Exberater und nunmehriger
Innenminister Claude Guéant den Einsatz seines Präsidenten für
die Intervention in Libyen öffentlich einen „Kreuzzug“ (croisade).
Die Wortwahl war nicht zufällig.
Zwar fand am o5. April 11 ein Seminar der Regierungspartei UMP
zum Thema „Laizismus“ statt. Dort ging es aber ausschlieβlich um
den „Platz des Islam“ in Frankreich und, dahinter stehend, um
den Umgang mit den Fremden sowie ihre notwendige Anpassung an
eine abendländische Leitkultur. Das Seminar, das aufgrund seiner
ausländerpolitischen und ausgrenzenden Stoβrichtung heftig
umstritten blieb - es wurde durch namhafte Regierungspolitiker
und sogar durch den relativ moderaten Premierminister François
Fillon explizit boykottiert -, gab vielen Rechten ein
ideologisches Signal.
Ihnen kommt es einerseits zupass, dass so viel von Leitkultur
und christlichen Werten die Rede ist. Andererseits sind sie
neidisch auf den Islam, weil von ihm derart viel geredet würde,
was sie als angebliche Bevorzugung wahrnehmen.
Im Namen rechtsauβen stehender Katholiken, die mit ähnlichen
Argumenten seit langen Jahren gegen eine angebliche
Diskriminierung ihres Glaubens zugunsten von „Fremdgläubigen“
agitieren, , erstattete ihre Lobbyorganisation AGRIF gegen die
Kunstwerke von Avignon Strafanzeige. AGRIF ist die „Allgemeine
Allianz gegen den Rassismus und für den Respekt der
französischen Identität“, die im Umfeld des FN entstand und
seit Jahren auch gerichtlich gegen „antichristlichen und
antifranzösischen Rassismus“ streitet. Vergangene Woche wurde
ihre Eilklage wegen „Diskriminierung von Katholiken“ durch die
Ausstellung jedoch abgeschmettert. Und die Vereinigung muss
den Ausstellern jetzt 8.000 Euro Schadensersatz und
Schmerzensgeld wegen „grob missbräuchlicher Klage“ zahlen.
Anmerkungen
1)
Cattenoz ist
in Avignon innerhalb seiner Gemeinde in den letzten Jahren
aufgrund seiner autoritären Methoden höchst umstritten gewesen.
Zum Teil allerdings auch, weil er die Gemeinde für Christen aus
anderen Ländern etwa in Osteuropa mit, aus Sicht mancher ihrer
Gläubigen, „eigentümlichen“ Glaubenspraktiken geöffnet hatte. In
den Jahren 2009/10 hatte es sogar Demonstrationen von
praktizierenden Katholiken gegen ihren Bischof in Avignon
gegeben.
Editorische Hinweise
Den Text
erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.
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