Jetzt oder Nie: Arbeiter und städtische Armut in Südafrika in Bewegung
Lohnabhängige und Pauperisierte in Südafrika nutzen das Herannahen der Fußball-WM, um durch Streiks oder andere Proteste ihre Lage zu verbessern

von Bernard Schmid

05/10

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Es hätte alles so schön sein können. Die Fußball-Weltmeisterschaft, die vom 11. Juni bis 11. Juli dieses Jahres in der Republik Südafrika stattfindet, hätte den Erfolg der „Regenbogennation“ zelebrieren und ihm die Krone aufsetzen sollen.

Sechzehn Jahre nach den ersten „gemischtrassigen“ Wahlen in dem Land am Kap hätte man, rückblickend, den Übergang in eine neue Ära feiern können. Das weiße Rassistenregime der Apartheid, das seit 1948 existiert hatte, und seine insgesamt 1.700 Gesetze zur detaillierten Ausführung der „Rassentrennung“ gehören der Vergangenheit an. Nach wie vor lebt die weiße Minderheit im Lande im Durchschnitt, und trotz erheblicher sozialer Ausdifferenzierungen in ihrem Inneren, materiell weitaus besser als die schwarze Mehrheit. Aber eine neue schwarze Bourgeoisie, die freilich eng mit der Staats- und Parteibürokratie des regierenden African National Congress (ANC) verbunden ist und ihren erreichten Standard oft von Korruption und Vetternwirtschaft ableitet, hat sich an den Schalthebeln der politischen Macht breit gemacht und stellt ihren Reichtum unverhohlen zur Schau. Gar zu sehr hätte diese Schicht, die sich heute auf der Gewinnerseite wähnt, auch die WM zu ihrer glorreichen Selbstinszenierung genutzt.

Doch dann das: Am laufenden Band werden, nur wenige Wochen nach dem Anpfiff der Spiele zwischen Pretoria und Cap Town, Streiks und soziale Protestbewegungen – von Slumbewohnern etwa, deren versprochene Ersatzbehausungen bis zur WM nicht fertig sein werden – vom Zaun gebrochen. Jetzt oder nie!, so lautet die Devise, gilt es für die Armen und Vernachlässigten des südafrikanischen „Wunders“, ihrerseits eine kleine Seite des erwarteten Einnahmenschubs und Prestigegewinns durch die WM für sich abzuschneiden.

Jetzt oder nie, denn der Herbst 2010 – respektive der Frühling auf der Südhalbkugel -, der auf die während der Nordsommers und Südwinters stattfinde Weltmeisterschaft folgen wird, zeichnet sich sehr unerfreulich ab. Das Versprechen des vor einem Jahr angetretenen populistischen Präsident Jacob Zuma, eine Million Jobs zu schaffen, hat sich als Schall und Rauch herausgestellt: Die weltweite Wirtschaftskrise hat auch Südafrika voll erfasst. Im vergangenen Jahr ist die offizielle Arbeitslosenquote von zuvor 23 auf 25 Prozent geklettert, real wird der Erwerbslosenanteil auf rund 40 Prozent geschätzt. Dies, und die ausgesprochen geringe und qualitativ schlechte Schulbildung, die ganzen Generationen von Schwarzen während der Apartheid-Ära erteilt wurde – weshalb Einwanderer aus anderen Ländern des afrikanischen Kontinents, in denen Schwarze ein besseres Schulniveau genossen, oft durch Arbeitgeber bevorzugt werden – drückt den Preis der Ware Arbeitskraft. Wenn eine Eintrittskarte zur WM zehn Wochenlöhne kostet und man als Township-Bewohner das Ereignis allenfalls im Fernsehen mitbekommen wird, fällt der Trost gering aus. Warum also nicht versuchen, im Vorfeld der WM, dann, wenn die Arbeitskraft eines Teils der Armen und das Ruhighalten der übrigen dringend benötigt werden, ein bisschen etwas abzubekommen?

Am 14. April erklärte sich die Südafrikanische Wirtschafts- und Handelskammer (SACCI) besorgt über den massenhaften Ausstand von Kommunalbediensteten, der „nur 56 Tage vor WM-Beginn“ ausgebrochen war. Über 130.000 Kommunalbedienstete waren am Vortag auf Aufruf der Gewerkschaft SAMWU hin auf die Straße gegangen, um gegen schlechte Löhne und für ein besseres System der Bewertung ihrer Arbeitsergebnisse zu demonstrieren. Die Industrie- und Handelskammer erklärte sich besorgt darüber, dass viele Geschäfte sich ihren Warenvorrat nicht rechtzeitig vor der WM fertig anlegen könnten. In Städten wie Johannesburg, Cape Town oder Tshweni wurden Not-transportdienste eingerichtet, während die im Verband SALGA zusammengeschlossenen Kommunen in Verhandlungen mit den Gewerkschaften eintraten.

Ungefähr zeitgleich, am 13. April 10, war die Regierungspartei ANC mit dem Kongress der südafrikanischen Gewerkschaften COSATU zusammengetroffen. « Da war Blut auf dem Boden », fasste der ANC-Sprecher Jackson Mthembu hinterher die Atmosphäre mit einem englischen Kraftausdruck zusammen. In vergangenen Tagen, in den Jahren des gemeinsamen Kampfs gegen das Apartheid-Regime, hatten COSATA, ANC sowie die südafrikanische Kommunistische Partei (SACP) zusammen ein kaum zertrennliches « Dreigesterin » gebildet. Heute, wo die sozialen Forderungen der armen Mehrheit unter den Schwarzen gegen jene, die ihre Hautfarbe teilen und sich in den letzten Jahren hemmungslos bereichern konnten, in den Vordergrund rücken, werden diese Bindungen locker. COSATU-Generalsekretär Zwelinzima Vazi, der den « krassen Materialismus, der den ANC zerfrisst », und das Profiteursdenken anprangert, sagt heute « eine Implosion » des formell noch immer gemeinsam die Regierung stützenden Ex-Bündnisses voraus. In Anbetracht dessen knüpft die COSATU, über ihre traditionell Gewerkschaftsklientel in Industrie oder Bergwerken hinaus, heute auch zunehmend enge Bindungen zu sozialen Bewegungen etwa für bessere Wohnungsbedingungen und Trinkwasserbewegungen in den Township-Slums.

Am letzten Wochenende (15./16. Mai) traten zudem 46.000 Transportbedienstete in den Streik, legten Züge, aber auch den Schiffsverkehr etwa in der am östlichen Rand Südafrikas gelegenenen Hafenstadt Durban lahm. Am Mittwoch, den 12. Mai war zuvor ein Zug mit Benzin und Diesel zwischen Durban und Johannesburg entgleist - Beobachter vermuteten Sabotage, welche der Wut vieller Beschäftigten über Regierungspläne zur Privatisierung des Transportbetriebs TransNet Audruck verleihen konnte. Der aktuell (bei Redaktionsschluss) noch anhaltende Arbeitskampf hat eine Lohnerhöhung von 15 Prozent zur zentralen Forderung. Doch die COSATU ist fest entschlossen, auch die angestrebte Privatisierung zugunsten einer Clique von Profiteuren aus Regierungspartei und Unternehmensvorstand zu blockieren.

Dass Anfang Mai 10 zum ersten Mal der neue Vorzeige-Schnellzug zwischen Pretoria und Johannesburg verkehren konnte, gibt zwar einen wichtigen Prestigeerfolg ab. Doch wird er nun durch den breit befolgten Streik im Transportsektor überschattet.

Das « Modell » für Streikbewegungen lieferte der Ausstand der Bauarbeiter während einer Woche im Juli 2009, der den Neubau von sechs Stadien für die Fussball-WM – die bis zum Dezember fertiggestellt werden sollten, und es mit leichten Verzögerungen dann auch wurden – blockierte. Damals hatten die Beschäftigten auf den Baustellen, die u.a. vom französischen Betronkonzern Bouygues betrieben wurden, die Arbeit niedergelegt und 13 Prozent mehr Lohn sofort eingefordert. 70.000 Lohnabhängige hatten an ihrem Ausstand teilgenommen.

Am frühen Morgen des 14. Juli 2009 wurde der Streik, nach einer Woche und nächtelangen Marathonverhandlungen, durch ein Lohnabkommen beendet. Unter dem hohen Zeitdruck, mit dem die Errichtung der Stadien erfolgen sollten, genossen die Lohnabhängigen eine günstige Verhandlungsposition. Doch sie gaben damit anderen Teilen ihrer Klasse das Signal, das vièle von ihnen in diesen Tagen nicht vergessen haben: Es geht, man muss nur an der richtigen Stelle Druck ausüben !

Editorische Anmerkung

Den Artikel erhielten wir vom Autor. es handelt sich um eine leicht überarbeitete Fassung , die am Donnerstag (20. Mai 1o) in der Berliner Wochenzeitung ,Jungle World’ publiziert wurde. Dort erschienen weitere Artikel zum Thema Südafrika vor der WM.