iz3w  Zeitschrift zwischen Nord und Süd

Aus der aktuellen iz3w-Ausgabe Nr. 318

Moderne Nostalgie
Die neue HafenCity in Hamburg würdigt den Geist des Kolonialismus

05/10

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Die Stadt Hamburg gibt sich gerne weltoffen. Die Label »kolonial« und »überseeisch« scheinen untrennbar dazu zu gehören. Und so wird ein Hotel im Kolonialstil gebaut, ein »Colonialwarenmarkt« ins Leben gerufen und eine Straße auf den Namen »Am Kaiserkai« getauft. In der neuen HafenCity schlägt Hamburgs koloniales Herz besonders laut. Dort gibt es Geschichtsbewusstsein von vorgestern für die Stadt von morgen.

von Anke Schwarzer

Das ehemalige Hafengebiet, wo derzeit die neue HafenCity gebaut wird, ist eine der größten Baustellen Europas. 5.000 Wohnungen und Büros für 40.000 Arbeitsplätze sollen dort entstehen, ergänzt durch zehn Kilometer Kaipromenade, eine U-Bahn-Linie, die HafenCity-Universität, die kostenträchtige Elbphilharmonie, das Science-Center und ein Terminal für Kreuzfahrtschiffe. Die HafenCity preist sich als modern und umweltbewusst. Doch der neue Stadtteil ist autoorientiert, und ursprünglich hatte man Schule und Kita vergessen. Vor allem aber macht das geplante Hamburg Cruise Center der Öko-Bilanz einen Strich durch die Rechnung: Kreuzfahrtschiffe verursachen durch Müllverbrennung, Stromverbrauch und schwefelhaltigen Treibstoff riesige Mengen an Schadstoffen. Der Zeit hinterher hinken aber insbesondere die neuen Straßen- und Gebäudebezeichnungen. Private Investoren, der Senat, der Bezirk Mitte und die HafenCity Hamburg GmbH arbeiten Hand in Hand daran, Kaiserkult und Kolonialflair zu verbreiten. Und so kann man »Am Kaiserkai« selbst gemachten Kuchen im Café »KaiserPerle« verzehren. Im »Überseequartier« hat ein holländisch-deutsches Investorenkonsortium den Gebäuden die Namen ehemaliger Kolonien und Kolonialwaren wie Kaffeesorten, Hölzer und Textilien verpasst. Die Bauten heißen »Java«, »Arabica« und »Pacamara«. Eine Ladenpassage trägt den Namen »Cinnamon«, ein Einkaufzentrum heißt »Palisander« und im »Silk« ziehen Büros ein. An der Überseeallee steht das Gebäude »Linnen«, weitere Häuser heißen »Virginia«, »Ceylon« und »Sumatra«. Tatjana Schildt, Sprecherin des Konsortiums, weist darauf hin, dass an diesen Orten die »Frachten aus Übersee« gelöscht wurden und deshalb an sie erinnert werden soll.

Mehrere Plätze tragen die Namen von Eroberern. Es gibt einen Marco-Polo-Tower mit Luxuswohnungen, Magellan- und Marco-Polo-Terrassen und am Kaiserkai den Vasco-da-Gama-Platz. »Diese drei Entdecker bzw. Handelsreisenden stehen symbolisch für die Erkundung neuer Erdteile und Handelswege«, heißt es aus der Kulturbehörde. Der Geschäftsführer der HafenCity Hamburg GmbH, Jürgen Bruns-Berentelg, lobt: »Die Internationalität und der Pioniergeist der Entdecker bringen die Bedeutung dieser Orte für die HafenCity hervorragend zur Geltung.« Und Kultursenatorin Karin von Welck sagt: »Ich freue mich sehr, dass das Westgebiet mit den ersten drei Namensgebungen eine so geschichtsträchtige Identität erhält. Straßennamen prägen und gestalten eine Stadt. Sie bilden auch Stadtgeschichte ab und können – wie in diesem Fall – besondere Impulse für die Zukunft geben.« Welche Impulse das koloniale Flair wohl gibt? Was für die einen Internationalität bedeutet, lässt andere an Zwangsarbeit, Plünderung von Rohstoffen und Plantagenwirtschaft denken.

Bei den Namensgebungen in der Hafencity bedient sich der Senat derselben historischen Vorbilder, wie es die Erbauer der Speicherstadt vor über 120 Jahren taten, zur Blütezeit des Deutschen Kolonialismus. Damals, 1888, erhielten Vasco da Gama und Magellan auf der Kornhausbrücke Denkmäler. Das entsprach dem aggressiven Zeitgeist des wilhelminischen Kaiserreichs, das nach Seemacht und Kolonien strebte. Hamburger Kaufleute wie Heinrich Carl Schimmelmann (1724-1782), Cesar Godeffroy (1813-1885) und Adolph Woermann (1847-1911) zählten zu den Global Playern des deutschen Kolonialismus. Die zahlreichen kolonialen Bezüge in Hamburg reichen also weiter zurück als in die Zeit reichsdeutscher Kolonialherrschaft, die im Jahr 1884/85 begann, und sie führen bis hinein in die Gegenwart. Bis heute werden sie jedoch vom »offiziellen« Hamburg und von der Hamburg Marketing GmbH verdrängt, verklärt oder gar nostalgisch als »Marke« wiederbelebt. 2006 hatte die Stadt sogar einem Sklavenhändler ein Denkmal gesetzt – und es erst nach Protesten wieder abgebaut.

Ja, Straßennamen prägen eine Stadt und drücken ein bestimmtes Geschichtsbewusstsein aus. Und so ist es kein Zufall, dass es bis heute keinen Ort postkolonialen Gedenkens in Hamburg gibt. Keine Straße, kein Denkmal, kein Platz ist der Erinnerung an die Opfer des Kolonialismus und an die FreiheitskämpferInnen gewidmet. Seit vielen Jahren protestieren das Eine Welt Netzwerk Hamburg, Kunstschaffende, Menschen aus der Black Community und das Projekt hamburg-afrika.de vergeblich gegen diese einseitige Geschichtsvergessenheit und die imperialen Namen im Stadtraum.
Derweil ehrt der Senat »Entdecker« und blendet dabei aus, dass diese Männer als Eroberer aufbrachen. Mit ihnen begann das Zeitalter von Kolonialismus und Sklaverei auf der südlichen Halbkugel, dessen Folgen bis heute anhalten. Hamburg, das als Hafenstadt Jahrhunderte lang von Europas kolonialer Expansion profitierte, sollte eigentlich eine Vorreiterrolle in der selbstkritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit spielen. Bisher ist das Gegenteil der Fall.

Anke Schwarzer ist Journalistin und arbeitet beim Eine Welt Netzwerk Hamburg.

Editorische Anmerkungen

Die KollegInnen der iz3w baten uns um Spiegelung des Textes aus der aktuellen Ausgabe Nr. 318

Inhaltsübersicht der Nr. 318

S. 3 Hefteditorial: Auf zu neuen Ufern

Politik und Ökonomie

S. 4 Südafrika I: Ein Arbeiterviertel im Museum - Der South End District in Port Elizabeth
von Thomas Schmidinger

S. 5 Südafrika II: »Als AktivistIn lebt man gefährlich«
Interview mit Ashraf Cassiem und Mncedisi Twalo

S. 6 Iran: »Schwächer als je zuvor«
Interview mit Meir Javedanfar über das Regime und die Opposition


S. 8 Honduras: Elitäre Versöhnung - Die politische Krise nach dem Putsch
von Tobias Lambert

S. 10 Haiti: Im Griff des Militärs - Die Geschichte Haitis zwischen Unterdrückung und Widerstand
von Peter Hallward

S. 13 Entwicklungspolitik: Apfelstrudel nach Peking tragen Die letzten Züge der deutsch-chinesischen Entwicklungszusammenarbeit
von Dirk Olaf Reetlandt

S. 16 Indien: Organic Mobile - Die Produktion von Biolebensmitteln boomt
von Nina Osswald

Schwerpunkt: Grenzregimes

S. 18 Editorial: Grenzregimes

S. 19 Überkreuzen, Überschreiten, Durchqueren - Die Kritik an Grenzen sollte jede Kategorie hinterfragen
von Birgit zur Nieden

S. 22 Boundary-Work - Über das Verhältnis physischer, sozialer und symbolischer Grenzen
von Albert Scherr

S. 24 Drinnen und Draußen - Die EU-Grenzen verschieben sich
von Henrik Lebuhn

S. 26 Geteilte See - Die Grenzkämpfe auf dem Meer weiten sich aus
von Kai Kaschinski

S. 28 Operation Rückbindung - Der marokkanische Staat fördert Zugehörigkeit über Grenzen hinweg
von Frederic Schmachtel

S. 29 Alte Konflikte und neue Territorien - Was bringt die Grenze zwischen Nord- und Südsudan?
von Thomas Schmidinger

S. 32 American Dream, Mexican Nightmare - Der Grenzraum in Südmexiko unter dem Einfluss der USA
von Kathrin Zeiske

S. 34 Grenzenlos reaktionär - Die weltweite Revolution der Islamischen Republik Iran von Jonathan Weckerle

S. 35 Surrealsozialistisch - Nord- und Südkorea trennt noch eine richtige Feindesgrenze
von Rainer Werning


Kultur und Debatte


S. 36Medien: Tele-Visionen - Anspruch und Realität des Nachrichtensenders Al-Jazeera English
von Benedikt Strunz


S. 35 Surrealsozialistisch - Nord- und Südkorea trennt noch eine richtige Feindesgrenze
von Rainer Werning

S. 40 Exotismus: Wilde Welten - Eine Ausstellung über die Aneignung des Fremden
von Ulrike Mattern


S. 41 Interkultur: »Die Institutionen müssen barrierefrei werden« - Interview mit Mark Terkessidis über sein neues Buch »Interkultur«

S. 44 Moderne Nostalgie - Die neue HafenCity in Hamburg würdigt den Geist des Kolonialismus
von Anke Schwarzer


S. 45ff. Rezensionen, Tagungen & Kurz belichtet