Die Mörder „betrauern“ ihre Opfer

Stellungnahme des
anarchistisches Plenum in Athen zu den Toten

05/10

trend
onlinezeitung

Im Begriffsapparat, der Kultur und der Sprache der Anarchisten gibt es die Worte „Unfall“, „Kollateralschaden“ und „aus Versehen“ nicht. Der unfassbare Verlust dreier Menschen während einer für die Jahre nach der Junta einzigartigen Demonstration. Wie lässt sich der Widerspruch aushalten? Eine Wut bis zum Himmel und ein Herz in tausend Stücken. Erklärung aus einem offenen Plenum, das heute Nachmittag (5. Mai 2010 - red. trend) im besetzten Haus in der Patission 61 Ecke Skaramangas stattfand: Die Mörder „betrauern“ ihre Opfer (zum heutigen tragischen Tod dreier Menschen)

Die großartige Streikkundgebung und Demonstration von heute, Mittwoch 5. Mai verwandelte sich in eine gesellschaftlichen Strom der Wut. Mindestens 200000 Menschen jeden Alter auf der Straße (Arbeitende und Arbeitslose, im öffentlichen Dienst und der privaten Wirtschaft, Einheimische und Migranten) versuchten über Stunden in ununterbrochenen Wellen das Parlament zu umzingeln und zu besetzen. Die Repressionskräfte in voller Bereitschaft in ihrer bekannten Rolle, die des Schutzschilds der politischen und ökonomischen Herrschenden. Die Zusammenstöße langanhaltend und intensiv. Das politische System und seine Institutionen am Nullpunkt.

Inmitten all dessen ein tragisches Geschehen, das nicht mit Worten beschrieben werden kann: drei Menschen sterben durch Rauchvergiftung in einer Filiale der Marfin Bank in der Stadiou Strasse, die in Flammen aufging.

Der Staat und das journalistische Gesindel sprechen vereint und ohne jeden Scham gegenüber den Toten und ihren Familien vom ersten Moment an von Mörder-Vermummten, im Versuch das Geschehene für die Besänftigung des Stroms der ausgebrochenen gesellschaftlichen Wut zu nutzen, ihr eigenes zerlumptes Ansehen wieder herzustellen, den Polizeistaat auf den Straßen wieder aufzurichten, die Herde des gesellschaftlichen Widerstands und Ungehorsams gegenüber dem staatlichen Terror und der kapitalistischen Barbarei zu unterdrücken. Aus diesem Grund haben die Polizeikräfte in den vergangenen Stunden im Zentrum Athens angegriffen, Hunderte festgenommen und sind mit Schüssen und Schockgranaten in das anarchistische besetzte Haus „Ort geeinter vielfältiger Aktion“ in der Zaimi Strasse und in das „Zentrum für Migranten“ in der Tsamadou Strasse (beides Orte in Exarcheia) eingedrungen. Zur gleichen Zeit schwebt über den übrigen selbstverwalteten Räumen (Besetzungen und Zentren) die Drohung der gewalttätigen polizeilichen Räumung, nachdem der Ministerpräsident die Festnahme der „Mörder“ durch Räumungen angekündigt hat.

Die Regierenden, die Staatsfunktionäre, das politische Personal, die Journallie, und die bezahlten Amtsträger versuchen auf diese Weise das System reinzuwaschen und die Anarchisten und jede unbevormundete Stimme des Kampfes zu kriminalisieren. So als bestünde auch nur die geringste Möglichkeit dafür, dass diejenigen, die die Bank angriffen gewusst haben, dass sich darin Menschen befanden und sie trotzdem in Flammen setzten (wenn das offizielle Szenarium stimmt). Wahrscheinlich verwechseln sie die kämpfenden Menschen mit sich selbst, die ohne zu zögern die gesamte Gesellschaft der größten Plünderung und Versklavung ausliefern, die ihre Fußsoldaten anweisen ohne zu zögern zuzuschlagen und auf Menschen zu schießen, die drei Menschen in der letzten Woche in den Selbstmord wegen Überschuldung getrieben haben.

Die Wahrheit ist, dass der eigentliche Mörder, der eigentliche Anstifter des heutigen tragischen Geschehens, „Herr“ Vgenopoulos ist (Besitzer der Marfin Bank, Anm. d. Üb.), der mit der bekannten arbeitgeberischen Erpressung (Drohung mit Entlassung) die Angestellten gezwungen hat, am Streiktag zu arbeiten, noch dazu in einer Filiale in der Stadiou Straße, wo die Demonstration vorbeikommen würde. Eine Erpressung, die alle kennen, die den Terror der täglichen Lohnsklaverei durchleben. Wir warten schon darauf, welche Rechtfertigungen er heute den Familien der Opfer und der gesamten Gesellschaft auftischen wird (mit seinem bekannten ekligen honigtriefenden und ernsthaftem Gesichtsausdruck), dieser Großkapitalist, der von bestimmten Zirkeln der Herrschenden schon als neuer Ministerpräsident einer Regierung der „nationalen Einheit“ nach dem zu erwartenden vollständigen Zusammenbruch des politischen Systems gehandelt wird.

Wenn ein Streik ohnegleichen für einen Mörder gehalten werden kann...
Wenn eine Demonstration ohnegleichen, in einer sozialen Krise ohnegleichen für einen Mörder gehalten werden kann...
Wenn offene gesellschaftliche, lebendige und öffentliche Räume für Mörder gehalten werden können...
Wenn der Staat den Ausnahmezustand verhängen und Demonstranten angreifen kann, unter dem Vorwand es ginge um die Festnahme von Mördern...
Wenn Vgenopoulos Angestellte in einer Bank festhalten kann, Symbol für den gesellschaftlichen Feind und Angriffsziel der Demonstranten....
...dann weil die Herrschenden, die mordenden Wiederholungstäter, die Geburt eines Aufstands unterdrücken wollen, der eine Lösung durch einen noch brutaleren Angriffs auf die Gesellschaft, eine noch größere gesellschaftliche Plünderung durch das Kapital, ein noch durstigeres Blutsaugen an uns anzweifelt.
... dann weil außer der vielgepriesenen „einzigen Lösung“ von ihnen eine Lösung existiert, die nicht von Wachstumsraten und Arbeitslosigkeit sondern von Solidarität, Selbstorganisation und menschlichen Beziehungen spricht.

Sollen doch die Kaliber der Herrschaft und des Kapitals, ihre Anhänger und Lakaien unter sich selbst schauen, wer die Mörder des Lebens, der Freiheit und der Würde sind. Heute und immer.

Hände weg von den freien selbstverwalteten Räumen
Mörder, Terroristen, Verbrecher und Räuber sind der Staat und die Kapitalisten
Alle auf die Straße
Aufstand

Editorische Anmerkungen

Wir spiegelten den Artikel von Indymedia, wo er am 8.5.1010 erschien. Frühere Stellungnahmen siehe in dieser Ausgabe unter http://www.trend.infopartisan.net/trd0510/t230510.html