Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Frankreich vor der nächsten Stufe der Renten„Reform“: Gewerkschaftsverbände trafen sich am Donnerstag – Streiktag am 27. Mai geplant

05/10

trend
onlinezeitung

Wie wir an dieser Stelle schon ansatzweise berichtet hatten (vgl. Der 1. Mai in Paris ), steht Frankreich kurz vor wichtigen Regierungsbeschlüssen zur nächsten Stufe der Renten„reform“. Die letzte Stufe war am 24. Juli 2003 verabschiedet worden, obwohl zuvor im Mai und Juni 2003 massive Proteste dagegen stattgefunden hatten und bis zu zwei Millionen Menschen dagegen auf die Straße gegangen waren.

(Aus den Tiefen des Archis von trend.infopartisan – vgl. vor allem http://www.trend.infopartisan.net/trd0603/t030603.html  und http://www.trend.infopartisan.net/trd7803/t457803.html  - lassen sich dazu noch ausführlichere Informationen schöpfen. Unter anderem auch dazu, wie der rechtssozialdemokratisch geführte Gewerkschaftsdachverband CFDT damals die „Reform“ der Rechtsregierung ab dem 15. Mai 2003 unterstützte; und wie die Streiktaktik des mitgliederstärksten Dachverbands, der „postkommunistischen“ CGT, den Arbeitskampf de facto abwürgte. Nach einem ersten Streiktag am 13. Mai 2003, der ein voller Erfolg gewesen und von allen Gewerkschaftsdachverbänden getragen worden war – auch wenn keine 48 Stunden später CFDT-Chef François Chérèque bei einem Gespräch mit Premierminister Jean-Pierre Raffarin die Seiten wechselte -, würgte die mittlerweile sozialdemokratisierte CGT den Ausstand der Transportarbeiter/innen bei der Eisenbahn und den Pariser Métro- und Busbetrieben ab, der „zu früh“ und unkontrolliert ausgebrochen war. In den darauffolgenden Wochen favorisierte die CGT einen bizarren Stop- and Go-Streik, der ungefähr alle acht Tage je 24stündige Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen beinhaltete, der aber nicht wie zuletzt beim Streik aller öffentlichen Dienste im Spätherbst 1995 das Land „lahmlegen“ sollte. Das Ergebnis war eine totale Verzettelung der Kräfte, der Aufbau eines auch nur annähernd korrekten Kräfteverhältnisses gegenüber der Regierung war faktisch unmöglich, und die Energien des Streiks und Protests wurden lediglich vergeudet.)

Nunmehr plant die Regierung, die Anzahl der obligatorischen Beitragsjahre zur Rentenkasse (für jene, die eine volle Pension ohne massive Abschläge beziehen wollen) in Zukunft auf voraussichtlich 42,5 anzuheben. Es waren zunächst 37,5 Beitragsjahre gewesen, in der Privatwirtschaft bis zu einer „Reform“ vom Hochsommer 1993 – jaja, die Hochsommer-„Reformen“, die in der Urlaubsperiode verabschieder werden – und in den öffentlichen Diensten bis zum letzten „Reform“gesetz vom Hochsommer 2003. Seitdem sind es 40 Beitragsjahre, die nach sukzessiver Anhebung (die „Reform“ griff jedes Vierteljahr eine Stufe weiter) in diesem Jahr 2010 erreicht worden waren.

Ferner möchte die konservative Regierung aber eventuell auch das gesetzliche Renteneintrittsalter anheben. Es liegt derzeit bei einem Mindestalter von 60 und, seit einer stillschweigend „nebenbei“ verabschiedeten Gesetzesnovelle im Jahr 2008 (vgl. Auch in Frankreich nun im Gespräch: Rente mit 70 Jahren?  und http://www.senioractu.com/ sowie http://www.senioractu.com ) bei einem Höchstalter von 70. Das Sarkozy-Regime plant nun, voraussichtlich das Mindest-Eintrittsalter – es beträgt seit der Regierungsperiode der Sozialisten und einem Gesetz von 1982/83 seit einem Vierteljahrhundert 60 – auf wohl 63 Jahre anzuheben. Dies wurde kürzlich angekündigt, aber der Testballon wurde nach einem Tag zurückgezogen, nachdem die Regierung die Reaktionen ausgewertet hatte. (Im Januar 2010 hatte auch die Chefin der Sozialistischen Partei, Martine Aubry, eine Anhebung des Mindest-Eintrittsalters auf 62 oder 63 positiv bewertet. Dann aber ihre Position, infolge von massiven Protesten aus ihrer Partei und aus der Linken, korrigiert. Seitdem ist sie, im Laufe des Februar 10, auf eine theoretische Position der Verteidigung des Mindestalters von 60 eingeschwenkt. Vgl. http://www.lefigaro.fr/ oder http://www.rue89.com sowie http://www.lefigaro.fr)

Der genaue Inhalt der bevorstehenden „Reform“ wird voraussichtlich Anfang bis Juni 2010 bekannt gegeben werden. Denn die Regierung möchte erst abwarten, dass der nächste Kongress der CFDT (vom o7. bis 11. Juni in Tours) vorüber zieht, um ihrem Chef François Chérèque das Absolvieren seines künftigen Gewerkschaftstags zu erleichtern. Erwartet wird, dass die CFDT möglicherweise – nach einer verbaler Nörgelei – die nächste „Reform“ eventuell wiederum unterstützen könnte. In den letzten Wochen hat ihre Spitze bereits angekündigt, über die Beitragsdauer mit sich reden zu lassen. (Vgl. http://www.lemonde.fr) Allerdings wird sie darauf beharren, dass jene Beschäftigten, die in früheren Zeiten schon mit 14, 15 oder 16 zu arbeiten anfingen und also ihre vollen Beitragsjahre schon vor Erreichen des gesetzlichen Rentenalters beisammen haben, ihre Pensionsrechte geltend machen dürfen. Dies betrifft heute freilich nur noch eine allmählich dahin schwindende Minderheit.

Unterdessen haben sich sieben von acht Gewerkschaftsverbänden – der populistisch-schillernd auftretende Dachverband FO (Force Ouvrière, ungefähr „Arbeiterkraft“, ihr Name schreibt sich ohne Artikel) als drittstärkste Gewerkschaftsorganisation nimmt seit Herbst 2009 an den Treffen nicht mehr teil – am Donnerstag, den 06. Mai am Sitz der CGT in Montreuil bei Paris versammelt.

Sie beschlossen, am 27. Mai 10 (einem Donnerstag) einen Streik- und Aktionstag, im Vorfeld der Bekanntgabe der Regierungsbeschlüsse, durchzuführen. Ein Problem dabei ist freilich, dass der Aufruf das Problem der Renten„reform“ mit mehreren anderen Aspekten vermengt und verquickt. Es ist ja nichts dagegen einzuwenden, dass Gewerkschaften gegen mehrere Aspekte der Politik von Regierung & Kapital protestieren- wirklich überhaupt nichts -, nur ist das dann uninteressant, wenn jeder einzelne Aspekte so lange mit anderen zusammengerührt wird, bis er selbst völlig verdünnt und verwässert „ie ein Schluck Wasser in der Landschaft“ steht. Abschreckendes Beispiel dafür sind die diesjährigen 1. Mai-Demonstrationen, bei denen jedenfalls auf Seiten der CGT power-; energie- und akzentlose Transparente mit absolut allgemein bleibenden Aufschriften wie „Für Löhne, Beschäftigung und Renten“ spazieren geführt wurden. Dieses Mal, für den 27. Mai, ist der Aufruf zwar etwas akzentuierter: Er rückt zwei Aspekte in den Vordergrund, (erstens) die Renten und (zweitens) die ab 2011 „im Namen der Griechenlandkrise“ für eine dreijährige Dauer drohende totale Ausgabensperre, welhe durch die Regierung François Fillons bereits angekündigt wurde (mit entsprechenden zu erwartenden Konsequenzen für die Sozialhaushalte). Abzuwarten bleibt, ob die Demonstrationen dann auch eine Strategie beinhalten, die auf konkrete Punkte abzielt und an ihnen ein Kräfteverhältnis aufzubauen versucht – und, hoffentlich, nicht nur allgemein bleibende Gutmenschenforderungen…

Den Aufruf dazu tragen die CGT, die CFDT, der Zusammenschluss linker Basisgewerkschaften (vom Typ SUD) ,Union Syndicale Solidaires’, die Bildungsgewerkschaft FSU sowie die „unpolitisch-unabhängige“ UNSA mit. Hingegen werden die rechteren, kleineren Dachverbände CFDT (Christenheinis) und CGC (höhere Angestellte) nicht mit dazu aufrufen. Der christliche Gewerkschaftsbund CFTC und die Gewerkschaften der höheren Angestellten bringen freilich auch dann, wenn sie teilnehmen, nur eine geringe Anzahl von Leuten auf das Pflaster.

FO hatte zwei Tage früher bekannt gegeben, dass sie am 15. Juni 10 zu einem eintägigen „Generalstreik“ aufrufe; (vgl. http://www.lemonde.fr  sowie http://www.lefigaro.fr). Bislang allein. Allerdings ist abzusehen, dass es sich um einen vollkommenen Rohrkrepierer handeln wird, sofern sich nicht doch noch andere Kräfte dem Ansinnen (u n d dem durch FO allein fixierten Datum) anschließen. Bisher jedenfalls sieht es nach der, für FO typischen, Mischung aus Verbalradikalismus und – parallel dazu durchgeführter – ziemlich rechter Gewerkschaftspolitik im Alltag aus.

 

Editorische Anmerkung

Den Artikel erhielten wir von Bernard Schmid zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.