Und plötzlich kommen die Investoren
Der Film Lychener Straße 64 dokumentiert eine vermeidbare Niederlage in einem Mieterkonflikt


von
Peter Nowak

05/10

trend
onlinezeitung

Am Anfang sind die Mieterinnen und Mieter der Lychener Straße noch kämpferisch. Das buntzusammengewürfelte Häufchen von Menschen, die noch im Jahr 2005 in einem unsaniertem Haus in Prenzlauer Berg mit Kohleofen und Außentoilette wohnen, haben gerade erfahren, dass ein Investor aus Leipzig das Haus gekauft hat und die unmittelbar bevorsteht. In dieser Situation sagt eine Mieterin sinngemäß: Die rechtliche Situation ist die eine Sache. Aber noch sind wir hier und wir lassen uns nicht einfach von wildfremden Menschen aus Leipzig vorschreiben, wie wir zu leben haben. Zu dieser Zeit lernt sich die Hausgemeinschaft erst kennen. Der äußere Druck schweißt für kurze Zeit zusammen. Genau hier beginnt auch der Dokumentarfilm Lychener Straße.

Die beiden FilmemacherInnen Jakob Rühle und Teresina Moscatiello, die selber in dem Haus wohnten, zeigten wie schnell die kämpferische Stimmung verflogen war. Schon nach wenigen Wochen packten die ersten MieterInnen die Koffer. Am Ende harrten der ukrainische Student Viktor und seine Freundin Ljusik alleine auf der Baustelle. Als das Pärchen in eine noch schlechtere Ersatzwohnung zog, wurden sie vom Eigentümer um die mündlich zugesagte Kaution betrogen. Doch nicht nur die beiden waren in dem Konflikt Verlierer. Die erwerbslose Graphikerin Simone richtete mit der Abfindung ein neues Domizil für sich und ihre 8 Papageien her. Doch kaum war sie damit fertig, informierte sie ein Schreiben, dass auch das neue Haus verkauft und vielleicht bald saniert wird.

Die Starken gehen zuerst

Allerdings gab es in der Hausgemeinschaft auch scheinbare Gewinner der Situation. So konnte die Schülerin Sophie, die anfangs noch sehr kämpferisch auftrat, mit der Abfindung ihre schon länger geplante Mexiko-Reise nach dem Abitur finanzieren. Auch der Gastronom Carsten, der einer der längsten Mieter des Hauses war und viel Geld in die Renovierung gesteckt hatte und daher auch eine erkleckliche Abfindung bekam, hatte sich als schnell verabschiedet. Auch Frank, der von seinen politischen Aktivitäten Anfang der 90er Jahre berichtet, geht den Weg des geringsten Widerstands. Er bekommt eine Umsatzwohnung in einem sanierten Haus in der Dunkerstraße, dass nach der Wende besetzt worden war.

Der Prototyp der Generation Durchschlängeln aber ist der Tänzer Hermann, der sich zunächst wortreich darüber auslässt, dass der doch so freundliche Eigentümer so gar nicht zum Feindbild taugt. Dass kurz darauf die Schikanen beginnen und Menschen, die keine gültige Mietverträge haben, innerhalb einer Woche ihre Wohnung verlassen sollen und auch die Rechtmäßigkeit von Simones Papageienzucht angezweifelt wird, zeigt ein anderes Gesicht der Hausbesitzer. Doch Hermann wird deswegen nicht kämpferischer. Er sucht sich neue Nischen bis zur nächsten Sanierung. Er fühle sich durch den Zwang zum Umzug nicht in seinen Grundrechten eingeschränkt, betont er. Da ist es auch nur konsequent, wenn der ganze Komplex des rechtlichen Widerstandes bis auf das kurze Statement von zwei Mieteranwältinnen weitgehend ausgeblendet wird. Das zeigt sich besonders in der letzten Szene, wo der um die Abfindung geprellte Viktor nicht gegen den Eigentümer klagen kann, weil er kein Geld hat. Warum die Hausbewohner nicht in eine Mietrechtsorganisation eingetreten sind, als sie vom Verkauf des Hauses erfuhren, bleibt schleierhaft. Damit wären sie auch in den Genuss des Rechtschutzes gekommen, was eine Klage nicht an fehlenden, individuellen Geldmitteln hätte scheitern lassen.

So verlässt der Zuschauer den Film mit einem schlechten Gefühl nicht, weil die Eigentümer in erster Linie an der Verwertung ihres Besitzes interessiert sind, was unter kapitalistischen Gesichtspunkten nicht anders zu erwarten ist. Auch dass nur die MitarbeiterInnen der bezirkseigenen Mieterberatung und der Gesellschaft für behutsame Stadtsanierung (Stern) an der möglichst geräuschlosen der Mieter interessiert sind, kann nicht überrasch, wer die Aktivitäten von Stern Ende der 80er Jahre im damaligen Sanierungsbezirk Kreuzberg noch im Gedächtnis hat. Das eigentlich Beunruhigende ist das unsolidarische Verhalten eines Großteils der Mieter. Diejenigen, die gute Verhandlungschancen hatten, gingen zuerst. o war es kein Zufall, dass das Paar aus dem Osten am Ende leer ausging und die erwerbslose Simone auch in ihrer neuen Wohnung erneut die Vertreibung befürchten muss. Es fehlte eben die Solidarität und so waren die kämpferischen Worte am Anfang waren so nur die Ouvertüre für die Unterwerfung unter die Verwertungslogik der Generation Aal, für die das Durchschlängeln zum Lebenszweck geworden ist.

Eine andere Wohnungspolitik

Zwischen den sehr privaten Szenen sind einige politische Sequenzen eingestreut, beispielsweise aus einer Rede zur Wohnungspolitik während einer SED-Sitzung. Im Kino wird bei diesen Szenen immer gelacht. Tatsächlich scheinen sie, obwohl erst 25 Jahre her, wie aus einer ganz anderen Welt. Aber schienen hier nicht auch Alternativen einer Gesellschaft auf, in denen Wohnen eben keine Ware mehr ist. Im Nominalsozialismus waren diese Vorstellungen natürlich völlig deformiert. Trotzdem betonen die DDR-Bürger und -kritiker Carsten und Simone, dass damals die Angst vor einem Verlust der Wohnung unbekannt war. Hier müsste die Diskussion ansehen. Wenn selbst im Nominalsozialismus trotz allem Zentralismus und trotz aller Reglementierung schon die Vorteile spürbar waren, wenn Wohnen keine Ware ist, welche Möglichkeit gäbe es erst in einer Gesellschaft, in der die Kapitalverwertung der Geschichte angehört?
 

 

Editorische Anmerkung

Den Artikel erhielten wir zur in dieser Ausgabe vom Autor.