Betrieb & Gewerkschaft

Streik in Gesundheits - & Bildungswesen
Demos von streikenden Krankenhaus- und Hochschulbeschäftigten vereinigen sich in Paris

von Bernard Schmid

05/09

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An diesem Dienstag (28. April) fand der erste Streik- und Aktionstag im französischen Gesundheitswesen statt: Ärztinnen, Ärzte und Beschäftigte der öffentlichen Krankenhäuser traten massiv in den Ausstand. In Paris fand eine Demonstration statt, an der lt. Tageszeitung ‚Libération’ „mindestens 15.000 Beschäftigte“ aus den Krankenhäusern teilnahmen. (Vgl. http://www.liberation.fr/ ) Die Pariser Polizei spricht von 8.000, die Veranstalter/innen ihrerseits von 18.000 Teilnehmer/innen. In anderen französischen Städten fanden kleinere Demonstrationen oder Kundgebungen mit jeweils mehreren hundert Teilnehmer/inne/n aus verschiedenen Krankenhäusern aus demselben Anlass statt.

Ihr Demonstrationszug vereinigte sich dabei am frühen Nachmittag ab circa 13.30 Uhr mit jenem der Hochschullehrer/innen, Studierenden und Universitätsbeschäftigten, der zur selben Stunde stattfand. Dieser Zusammenschluss war vorab geplant gewesen. (Vgl. http://paris.ville.orange.fr/) Tatsächlich ähneln sich die Anliegen auf beiden Seiten. So geht es auch in den öffentlichen Krankenhäusern u.a. darum, gegen eine Verwaltung der „Einheiten“ nach betriebswirtschaftlichen „Rentabilitäts“kriterien sowie gegen die Einsetzung eines wie ein Unternehmenschef waltenden, quasi allmächtigen Direktors zu protestieren. Anlass des Protestes ist ein neues Gesetz – die x-te „Reform“ im Krankenhauswesen in den letzten 10 Jahren –, die bereits durch die Nationalversammlung angenommen wurde und ab dem 11. Mai in den Senat, also das parlamentarische „Oberhaus“, zur Beratung kommt. (Vgl. http://abonnes.lemonde.fr/s)

Infolge der starken Mobilisierung beeilte sich die konservativ-wirtschaftsliberale Partei UMP – unter ihren Mitgliedern bei den Ärzten hatten einige selbst an den Demonstrationen vom 28. April teilgenommen – am Nachmittag umgehend zu versichern, das Gesetzesvorhaben werde noch überarbeitet und „verbessert“. Das dürfte allerdings die Abgeordneten der Nationalversammlung erzürnen, denn dort, im „Unterhaus“, wird es keine zweite Lesung mehr geben, nachdem der Text dort schon im März o9 angenommen worden ist. Die Regierung hatte nämlich das „Dringlichkeitsverfahren“ gewählt, bei dem nur eine einzige Lesung stattfindet. Bei den Umformulierungen geht es voraussichtlich darum, die Krankenhaus-Ärztinnen und vor allem ihre obere Schicht (Chefärzte, Stationsleiter) stärker in künftige Entscheidungen des Chefs, den mit neuer Quasi-Allmacht ausgestatteten Direktors, einzubinden. Bei diesem werden allerdings weiterhin alle Befugnisse über „strategische Entscheidungen“ und zur „Budgetpolitik“, also zur Geldverteilung und hinsichtlich der Anschaffungspolitik ihrer Krankenhäuser (oder zugunsten der Entwicklung dieser oder jener Abteilung etwa aufgrund ihrer „Rentabilität“) konzentriert bleiben. Die UMP fährt unterdessen eine Kampagne, in der sie behauptet, es gehe dieser Bewegung nur darum, die Interessen der Chef-, Fach- und Oberärzte zu verteidigen, die nicht wollten, dass ihnen künftig ein Chef bei lukrativen „Nebenjobs“ im Sektor der Privatmedizin auf die Finger guckt. Die auf Enthüllungen und Satire spezialisierte Wochenzeitung ‚Le Canard enchaîne’ berichtet an diesem Mittwoch (29. April), „man“ habe ihr bündelweise Dokumente über solche Nebenjobs zugespielt, „um zu versuchen, die Ärztebewegung zu diskreditieren“. Aber die Zeitung dreht den Spieb um, und betont (unter Verweis auf detailliertes Wissen) die erwiesene „Uneigennützigkeit“ der allermeisten an ihr beteiligten Mediziner. Den Dreck am Stecken weisen anscheinend eher solche Mediziner auf, die den politischen Machthabern nahe stehen... Offenkundig – so lässt sich aus aktuellem Anlass hinzufügen – dürfte es der Regierung mit ihren neuesten „Kompromiss“vorschlägen (die ebenfalls am Mittwoch bekannt wurden) wohl darum gehen, genau diese Schicht der obersten Ränge der Ärztehierarchie verstärkt in den „Reform“prozess einzubinden, die sie genau für korrumpierbar hält

Der Ausstand wird von unterschiedlichen Kräften getragen, bis hin zu bislang eher konservativ auftretenden Chefärzten. Die Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ zitiert in ihrer Donnerstags-Ausgabe (vom 30. April) etwa einen Facharzt für Neugeborenen-Wiederbelebung, für den es die erste Demonstration in seinem Leben ist, der aber bezüglich der „Reform“ eine geballte Faust in der Tasche herumträgt (ja, Neugeborenen-Wiederbelebung ist eben nicht unbedingt ein „rentables Geschäft“ im Sinne und Geiste der „Reform“). Andere Mediziner erklären, es sei ihre erste Demonstration „seit dem Mai 1968“. Den aktuellen Ausstand unterstützen aber auch die Gewerkschaften der Krankenhausbeschäftigten: CGT und SUD-Santé (letztere ist eine linke Basisgewerkschaft), die in der Demonstration vom 28. April massiv präsent waren. Hingegen lehnte die Spitze des sozialliberal geführten Gewerkschaftsdachverbands CFDT eine Teilnahme ab, mit der Begründung, man wolle nicht „die Macht der Ärzte verteidigen“. (Vgl. http://www.latribune.fr/) Ihre Mitgliedschaft bei den Pariser Krankenhäusern (unter der hauptstädtischen Klinikverwaltung AP-HP) war jedoch lt. AFP ebenfalls in der Pariser Demonstration vertreten.

An letzterer Demonstration nahmen zwischen 3.200, laut Polizei, und 14.000 (laut Veranstalter/inne/n) Personen teil. Insofern fiel die Beteiligung an der Demonstration der Hochschulen nach mancher Ansicht unterdurchschnittlich aus. (Vgl. http://actu.orange.fr/

Allerdings ist etwa die linksliberale Tageszeitung ‚Libération’ gegenteiliger Auffassung, die am Mittwoch schreibt: „Die Mobilisierung im Hochschulsektor lässt nicht nach.“

Allerdings hat sich in den letzten Wochen gezeigt, dass die Teilnahmequoten an ihren Mobilisierungen sehr unterschiedlich ausfallen konnte – und oft wurde der Hochschulprotest schon voreilig totgesagt, um ihn acht Tage später umso stärker aufflammen und die Demos wieder unerwartet stark wachsen zu sehen. Bei ihnen handelt sich bereits um den elften Demonstrations- und Aktionstag in Folge: Im Hochschulsektor begann der Streik, der mit starken örtlichen Disparitäten (zwischen verschiedenen Hochschulen) abläuft, am o2. Februar dieses Jahres. Ihn leitet eine selbstorganisierte Streikkoordination (Coordination nationale des universités), die u.a. die Hochschulgewerkschaft SNESup, das Kollektiv ‚Sauvons la recherche’ (Rettet die Forschung) und das Kollektiv ‚Sauvons l’université’, SLU, umfasst. Neben der Streikkoordination der Hochschullehrer/innen existieren unterdessen auch noch zwei weitere selbstorganisierte Koordinationen, jene der Studierenden und jene der technischen und administrativen Beschäftigten (Angestellten) an den Hochschulen.

Unterdessen wurde, neben der Universität Paris-IV (Nouvelle Sorbonne), auch u.a. an der Hochschule Bordeaux-III eine Fortsetzung des Streiks und auch der Blockade der Hochschulgebäude beschlossen. Eine Reihe von Universitäten – neben den o.g. auch Grenoble-III, Toulouse-III, Montpellier-III oder Amiens - werden nach wie vor durch Streikende blockiert. Hingegen war an der Hochschule Lyon-II (die eher links geprägt ist; diese Universität entstand nach dem Mai 1968 als Abspaltung von der reaktionären, später so getauften Hochschule Lyon-III, weil sowohl Studierende als auch Lehrpersonal am späteren Lyon-II den damaligen Streik unterstützen) am Dienstag ein erhebliches Durcheinander eingetreten. Die Universitätsleitung, obwohl selbst unzweideutig gegen die „Reform“ von Forschung & Lehre in Gestalt des neuen Dekrets zur Unterrichtszeit – das am 22. April vom Kabinett verabschiedet und am Montag dieser Woche im Amtsblatt (Journal officiell) publiziert wurde - , hatte eine geheime Urabstimmung zur Beendigung der Blockaden angesetzt. Diese ergab, bei einer Beteiligung von knapp 15 Prozent der eingeschriebenen Studierenden, eine Mehrheit von gut 80 Prozent für eine Wiederaufnahme des Vorlesungsbetriebs; die Abschlussexamen nahen heran. Doch minoritäre, d.h. nur durch eine aktivistische Minderheit getragene, Störaktionen von Blockadeaktivisten sorgten für ein – angekündigtes- Durcheinander: Aktivisten der ziemlich linksradikalistisch ausgerichteten, kleinen Studierendengewerkschaft FSE (Fédération syndicale étudiante) warfen Sylvesterknaller und Rauchentwickler in den Raum, wo die geheime Abstimmung stattfand. Diese ultra-minoritäre Aktion – an einer Hochschule, die kaum irgendeinen Befürworter der umstrittenen Hochschul“Reform“ zählt und wo die Spaltungslinie vor allem zwischen Befürwortern und Gegnern der Blockade des Unterrichtsbetriebs verläuft – schadet weitaus eher, denn dass sie Nutzen brächte. (Vgl. http://www.lyoncapitale.fr/, mitsamt Video) Dennoch nahm, im Anschluss daran, eine Vollversammlung – die durch die Aktivisten als einzig demokratisch legitimiertes Gremium anerkannt wird – noch mit Mehrheit der Anwesenden einen Beschluss zur Fortsetzung der Blockade an. (Vgl. http://www.lyoncapitale.fr/) Die Urabstimmung selbst war von ihrer Methode her höchst umstritten, da sie ohne vorherige Aussprache, ohne Rede und Gegenrede anberaumt worden war.

In Paris geht Ende dieser Woche die ‚Rondes des obstinés’, ein Rundgang von Protestlern während 24 Stunden am Tag und in der Nacht vor dem Rathaus, Ende dieser Woche in ihre 1.000 Stunde ohne Unterbrechung. Sie findet seit dem 23. März dieses Jahres statt. Unterdessen hat sie Nachahmer/innen in mehreren anderen französischen Städten ((Lyon Strasbourg, Dijon ...), etwa 20 an der Zahl, gefunden. Allerdings dort mit geringeren Präsenzzeiten als 24 Stunden pro Tag.
 

Editorische Anmerkungen

Der Text erhielten wir vom Autor.