Co-Management auf europäischer Ebene
Ein Interviewband mit europäischen Betriebsräten liefert ein ernüchterndes
Bild über gewerkschaftliche Politik

von Peter Nowak

05/09

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onlinezeitung

Während das Kapital zunehmend international agiert, orientieren sich die  Gewerkschaften noch immer nationalstaatlich, lautet eine nicht nur in  Zeiten der neuen Wirtschaftskrise häufig zu hörende Klage. Wer die im  Dampfboot-Verlag erschienene Studie der Sozialwissenschaftlerin Stefanie  Hürtgen liest, wird feststellen, dass die Gewerkschaften schon längst im  europäischen Rahmen agieren.  Das hat allerdings nicht zu einer
 Internationalisierung von Streiks und Klassenkämpfen sondern zu einer   Ausweitung der Politik des Co-Managements beigetragen.

Am 15.Mai wird Stefanie Hürtgen um 20 Uhr in Berlin in der Gneisenaustr. 2a (Mehringhof) im Buchladen Schwarze Risse das Buch vor und zur Diskussion stellen.

Hürtgen führte im Zeitraum von 2000 – 20003 ausführliche Gespräche mit  GewerkschafterInnen aus Deutschland, Polen und Frankreich, die zugleich  Mitglieder des Europäischen Betriebsrats waren. Diese institutionelle Form  der ArbeitnehmerInnenvertretung geht auf eine europäische Betriebsratrichtlinie  von 1994 zurück.

Die politischen Einstellungen von Hürtgens InterviewpartnerInnen differenzieren stark. Am linken Rand stehen die ehemalige kommunistische Funktionärin Madeleine F. und der ebenfalls den Kommunisten nahe stehende Louis  F. aus Frankreich. Am anderen Ende ist der Ostdeutsche Heiner D.  positioniert, der seine Betriebsratarbeit als Chance für seine persönliche  Karriere ganz ohne  klassenkämpferische Intentionen begreift. Auch mehrere der interviewten polnischen Gewerkschaftler können in diese Kategorie  eingeordnet werden.  Den Typus des enttäuschten Sozialdemokraten vertritt in dem Buch der langjährige IG-Metall-Funktionär Demiray D. Doch schnell wird deutlich, dass auch GewerkschaftlerInnen, die sich im  Gespräch mit Hürtgen als klassenkämpferisch einordnen, im Detail eine Politik der Standortsicherung und des Co-Managements vertreten.

„Ich vertrete meine  Leute“.

Der Euro-Betriebsrat wird  von den meisten GewerkschaftlerInnen als eine Instanz zur Lobbyarbeit für den „eigenen“ Standort  gesehen, auch wenn es gegen die KollegInnen aus anderen Ländern geht.  „Man  knüpfte Kontakte zu anderen Unternehmen, aber auch zu politischen   Parteien, um dort Druck zu machen oder politischen Lobbyismus zu betreiben“,  bringt der pragmatische Ostdeutsche Heiner D. dieses Rollenverständnis auf
 dem Punkt. Im Gespräch mit Hürtgen gefallen sich auch andere  GewerkschafterInnen in der Rolle des Betriebsretters mit guten Kontakten in  höchste Politik- und Wirtschaftskreise. Auch der sich selbst als  „Sympathisant für alles Soziale“ charakterisierende Demiray D. fertigte in  seinem Betrieb beschäftigte LeiharbeiterInnen, die mit einem Problem an ihn  wandten, mit den Worten ab: „Ich vertrete nicht Euch. Ich vertrete meine Leute“.

Dass britische Kollegen im Euro-Betriebrat eher als Klassenkämpfer denn als Lobbyisten auftreten, wurden von mehreren ostdeutschen und polnischen InterviewpartnerInnen als mangelnde Europareife und Zeichen für Rückständigkeit interpretiert.  In anderen Zusammenhang wurde kämpferisches Verhalten von Belegschaften mit der Charakterisierung  „typisch französisch“ ethnisiert und eben nicht als eine Erfahrung in der Arbeiterbewegung  wahrgenommen. Selbst, wenn linke GewerkschaftlerInnen  französische herbeiwünschen und damit einen Streik meinen, der sich mit  Trillerpfeilen und Plastikumhängen begnügt, bedienen die falsche Vorstellung,  dass wirkungsvolle Streikbewegungen typisch französisch  und nicht  eine Folge von Kampferfahrungen und politischer  Organisierung sind.  .       

Hürtgen liefert mit dem Buch ein realistisches aber auch ernüchterndes  Bild über den Bewusstseinsstand europäischer Gewerkschaftspolitik auf  Betreibratsebene, die mehr als Momentaufnahmen ist. Sie bietet damit genügend Stoff für eine Diskussionen über die Ursachen für die Politik des Co-Management. Dabei handelt es sich nicht in erster Linie um einen Verrat der Gewerkschaftsführung, wie es in linken Kreisen häufig behauptet wird. Die Politik des Co-Management hat vielmehr ökonomische und politische Ursachen. Hürtgens Buch liefert auch eine gute Basis für die Frage, welchen  Stellenwert  linke Interventionen in gewerkschaftliche Kämpfe haben. Dazu ist eine gehörige Portion von Ernüchterung und Illusionslosigkeit   nötig. Wer das Buch von Hürtgen gelesen hat, bietet also gute Voraussetzungen dafür.
 

Stefanie Hürtgen
Transnationales Co-Management
Betriebliche Politik in  der globalen Konkurrenz
Dampfboot-Verlag, Münster 2008, 312 Seiten,
29,90 Euro,
ISBN 978-3-89691-7409-2