Eigentlich
scheinen Streiks kein großes Problem zu sein. Schließlich
machten in den letzten Monaten die Arbeitskämpfe der Lokführer,
der Beschäftigten bei der Post und der Berliner
Verkehrsgesellschaft Schlagzeilen. Doch über dieses Medienecho
können die Beschäftigten im Einzelhandel nur träumen. „17
Monaten dauert der Arbeitskampf schon an, doch die
Öffentlichkeit erfährt davon wenig“, beklagt die Berliner
verdi-Sekretärin Erika Ritter und Verhandlungsführerin im
Einzelhandel am Samstag in Berlin auf einem Workshop, der sich
in Frage widmet, warum es so schwer ist, zu streiken.
Organisiert
wurde er von Berliner Maydaybündnis, das seit 3 Jahren am 1. Mai
die Paraden gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse
organisiert. „ In diesem Jahr nahmen daran mehr als 6000
Menschen teil. Beschäftigte aus verschiedenen Arbeitskämpfen
stellten sich dort vor. „Wir wollten diese Kooperation auch
über den 1. Mai hinaus ausbauen“ , begründet Andreas Farian
vom Berliner Mayday-Bündnis den Zweck des Workshops.
Für die
Beschäftigten im Einzelhandel ist Unterstützung von Außen
wichtig. „Das größte Problem bei einem langen Arbeitskampf ist
die Schwierigkeit noch an einen Erfolg zu glauben“, betont Erika
Ritter. Der Einsatz von Leiharbeitskräften, die rund um die Uhr
verfügbar sind, macht einen effektiven Streik oft besonders
schwer. Deswegen wollen auch die Streikenden neue Wege gehen.
„Wie wäre es, wenn sich auch die Kunden eines Arbeitskampfes in
die Auseinandersetzungen einmischten?“ überlegte eine
Verkäuferin. Schließlich werde auch hierzulande die Frage
diskutiert, unter welchen Arbeitsbedingungen Obst in Spanien
und Tee in Indien geerntet wird. Nach diesem Vorbild können in
Zukunft kritische KonsumenInnten auch deutlich machen, dass
ihnen nicht egal ist, wie viel die Kassiererin des Ladens um die
Ecke verdient.
Für sie gibt
es Alternativen. Schließlich haben einzelne
Einzelhandelsketten schon Vorschaltvertrage mit der
Gewerkschaft geschlossen, andere schalten weiter auf stur.
Die Hoffnung auf den Aufstieg
Eine ganz
andere Zielgruppe hat die „Mirreichts-nicht-Kampagne“
angesprochen, die im Vorfeld der Berlinale 2008 die
Arbeitsbedingungen im Film- und Kulturbereich unter die Lupe
genommen hat. „Wir haben gezielt Beschäftigte angesprochen und
nach ihren Arbeits- und Lebensbedingungen gefragt“, berichtet
ein Mitglied der Berliner Gruppe „Für eine linke Strömung“ (fels),
die diese Kampagne initiierte. Die Resonanz der Befragten und
der Medien war gut. Doch dauerhafte Organisierungsprozesse haben
sich daraus bisher nicht entwickelt, betonte Becker. Ein
Grund dafür ist, die Hoffnung vieler PraktikantInnen und
MinijobberInnen im Kulturbereich, im nächsten Jahr einen besser
bezahlten Job zu finden.
Vom Zahltag zur vierten Woche
Diese
Hoffnung haben auch Erwerbslose. Sie können nicht im klassischen
Sinne streiken, betonte Rainer Wahls von der AG-Soziales Berlin
auf dem Workshop. Doch er plädierte dafür, den Streikbegriff auf
die Verweigerung, das sich Wehren gegen bestimmte behördliche
Maßnahmen auszuweiten. Dafür sei es wichtig, dass die
Betroffenen aus ihrer vereinzelten Situation herauskommen. Als
aktuelle Beispiele nannte Wahls die Zahltag-Aktionen in Köln
und Göttingen. Dort haben Beschäftigte in den vergangenen
Monaten gemeinsam erreicht, dass verzögerte Anträge
bearbeitet worden sind. In der Erwerbslosenbewegung werde die
jetzt Aktion „Vierte Woche“ diskutiert, die sich an diesem
Konzept orientiert. In der letzten Woche des Monats reicht oft
das Geld nicht mehr und die Betroffenen müssen Schulden machen
oder sich total einschränken. Geplant ist nun, in der vierten
Woche beim Jobcenter einen Nachschlag zu verlangen. In den
nächsten Monaten sollen diese Aktion dezentral in
verschiedenen Städten diskutiert werden. Am 2. Juni werden
Berliner Erwerbslose einen Aktionstag organisieren, um
deutlich machen, dass sie nicht ohnmächtig und vereinzelt vor
ihren Fallmanager stehen müssen.
Fazit: Es
gab zwar relativ wenig TeilnehmerInnen des Workshops, doch die
ca. 30 Menschen, die anwesend waren, waren an der Thematik
interessiert und die Debatte war gut. Auch die Gemeinsamkeiten,
die bei allen konkreten Unterschieden bei den verschiedenen
Lohnabhängigen mit und ohne Arbeit herausgefunden wurden, machen
deutlich, dass bei aller Zersplitterung auch ein gemeinsames
Handeln möglich ist. So wollen Erwerbslose bei ihren Aktionen
auch Streikende aus dem Einzelhandel einbeziehen, weil es bei
ihnen die klare Erkenntnis gibt, erst Maßnahmen wie Hartz IV
drücken die das Lohnniveau so weit nach untern, dass dann
LeiharbeiterInnen rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Von der
gemeinsamen Erkenntnis zum Handeln ist es oft noch ein weiter
weg.
Nun muss
sich zeigen, ob eine Unterstützung von Arbeitskämpfen, ob und
sozialen Auseinandersetzungen möglich ist. Die kommenden
Aktionstage im Einzelhandel könnten ein solcher Praxistest
sein.
Editorische
Anmerkungen
Den Text
erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung.
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