Betrieb & Gewerkschaft

Streik der Sans papiers
Die « zweite Welle » hat begonnen

von Bernard Schmid

05/08

trend
onlinezeitung

An diesem Dienstag (20. 05. 2008) um 11 Uhr begann die, seit einiger Zeit angekündigte, „zweite Welle“ von Streiks der Travailleurs sans papiers (oder lohnabhängigen „illegalen“ Einwanderer) im Raum Paris. Im Laufe des Tages traten rund 500 „Arbeitende ohne Papiere“ in zwanzig Unternehmen in Paris und dem Umland der Hauptstadt in den Streik - zusätzlich zu jenen mehreren hundert Sans papiers, die sich seit dem 15. April dieses Jahres im Ausstand befinden. Betroffen sind von dieser „zweiten Streikwelle“ insbesondere Reinigungsfirmen, Bauunternehmen sowie eine Pizzeria auf den Champs-Elysées und andere Gaststättenbetriebe. Eine angespannte Situation herrschte am Dienstag besonders bei Pizzeria „Pasta Papa“ auf den Champs-Elysées, wo der Arbeitgeber es für klug hielt, angebrachte Transparente abzureißen und die Streikenden zu bedrohen. Dorthin wurde deswegen für den Mittwoch früh Verstärkung aus der Unterstützerszene gebeten. Seitdem unterliegt das Lokal einer „doppelten Besetzung“: Auf der einen Seite die Sans Papiers und ihre Unterstützer/innen – auf der anderen Seite der Arbeitgeber mit seinem eigenen „Unterstützerkomitee“. 

Am Dienstag Abend vermeldeten die Fernsehnachrichten ferner, dass der Ausstand nunmehr auch „die Regionen“ (oder, wie man früher gesagt hätte, „die Provinz“) erreiche. Insbesondere aus Cannes an der Côte d’Azur wurde am Dienstag ein Übergreifen des Sans papiers-Streiks vermeldet. Am Rande des berühmten Filmfestivals organisierte die CGT am Dienstag eine Kundgebung zur Solidarität mit den Sans papiers, an der rund 100 Personen teilnahmen. Es wird geschätzt, dass rund 400 Sans papiers in der Metropole der „Reichen und Schönen“ an der Côte d’Azur lohnabhängig arbeiten, vor allem im Hotel- und Tourismusgewerbe. 

Diese, seit einigen Tagen erwartete, Ausweitung des Sans papiers-Streiks ist eine Reaktion der organisierten Unterstützer/innen (insbesondere CGT und „Droits devant!“, eine  Art PR-Agentur, die sich in den Dienst sozialer Bewegungen stellt) darauf, dass die „Legalisierung“ der für ihr Aufenthaltsrecht streikenden Sans papiers bislang nur äußerst schleppend vorankam. Auf dem Stand vom Dienstag früh hatten bislang nur 70 jener rund 1.000 Sans papiers, die ihre „Legalisierung“  (régularisation) im Rahmen des Streiks und mit - formeller, durch den Arbeitskampf erzwungener oder realer - Unterstützung durch ihre jeweiligen Arbeitgeber an diesem Punkt gefordert hatten, eine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung erhalten.  

Hinzu kamen am Mittwoch jene 8 Beschäftigten „ohne Papiere“ der Billigklamottenkette Fabio Lucci im 19. Pariser Bezirk, die bereits seit 55 Tagen im Streik sind. Ihre Sondersituation besteht darin, dass sie nicht allein für ihre „Legalisierung“ streik(t)en, sondern dass ihr Streik am 27. März zunächst deswegen anfing, weil sie seit Februar ohne Lohn geblieben waren - infolge des betrügerischen Bankrotts mehr oder mafioser Subfirmen, durch welche die Kette ihre Sicherheits- und Wachleute eingestellt hatte.  Bezüglich ihrer Forderung auf Auszahlung der unbezahlten Löhne konnten die Streikenden sich bislang nicht durchsetzen, aber am Montag kündigte die Pariser Polizeipräfektur (Polizei- und Ausländerbehörde) ihnen an, dass sie am Mittwoch früh ihre Aufenthaltstitel abholen könnten. Eine Solidaritätskasse für den Streik, der mit massiver Unterstützung durch die CGT geführt wird, erbrachte bis zum vergangenen Wochenende rund 3.000 Euro, das ist aber zu wenig, um einen Lohnersatz für die Dauer des Streiks sicherzustellen. Am Dienstag Abend fand vor Ort eine Kundgebung mit rund 300 Menschen teil, auf denen sich die Streikenden (unter ihnen waren bislang 8 von 9 „Sans papiers“) kämpferisch und entschlossen zeigten, trotz der Müdigkeit nach 55 Tage währendem Kampf. Zudem zeichnete sich am Dienstag ab, dass der Antrag des Arbeitgebers auf Erlass einer gerichtlichen Einstweiligen Verfügung, um die Streikposten vor dem Fabiou Lucci-Geschäft polizeilich räumen zu lassen, wohl abgeschmettert wird. 

Die Ausdehnung des Sans papiers-Streiks dient den Hauptunterstützern (CGT und Droits devant!) also vor allem als Mittel, um einen schnelleren Abschluss für die derzeit im Ausstand befindlichen zu erreichen, da sich die Situation zu langsam und schleppend entwickelt. Es bleibt also beim Prinzip eines dosierten Streiks mit nur einigen „ausgewählten“ Sans papiers, der punktzielgenau auf bestimmte Unternehmen zielt, um maximale Wirkung zu erzielen - ohne aber an alle lohnabhängig arbeitenden Einwanderer „ohne Papiere“ zu appellieren, sich alsbald dem Arbeitskampf anzuschließen, da Letzterer in einem solchen Falle als nicht gewinnbar betrachtet wird. 

Am Dienstag früh kamen die beiden linksalternativen Basisgewerkschaften SUD-Rail (SUD Schienenverkehr) am „Lyoner Bahnhof“ in Paris und SUD-Nettoyage (SUD Reinigungsgewerbe) den größeren Strukturen insbesondere der CGT, die bislang den Streik in alleiniger Eigenregie anführten, zuvor. Denn am gestrigen Vormittag waren es die beiden SUD-Gewerkschaften, die als Erste den Tanz des ausgeweiteten Sans papiers-Streik eröffneten, bei mehreren Betrieben des Reinigungsgewerbes. Die Besetzung der Pizzeria „Pasta Papa“ auf den Champs-Elysées, mit sechs streikenden Küchenbeschäftigten „ohne Papiere“, wurde ihrerseits durch SUD sowie die anarcho-syndikalistische CNT sowie die (vorwiegend aus JuristInnen bestehende) Rechtsberatungsgruppe für Immigranten GISTI unterstützt. 

Die Präfekturen (Polizei- und Ausländerbehörden) im Raum Paris reagierten ihrerseits auf die Ausdehnung des Sans papiers-Streiks, indem sie am Mittwoch früh in einer öffentlichen Erklärung von „Ersatzdossiers“ (dossiers de substitution) sprachen. Dies soll bedeuten, dass die 321 personenbezogenen Dossiers, die am Dienstag - im Hinblick auf eine „Legalisierung“ der Betroffenen - im Zusammenhang mit der neuen Streikwelle eingereicht worden sind, an die Stelle eines Teils der 1.000 bislang eingereichten Dossiers treten könnten. Im Übrigen kündigten die Präfekturen an, nunmehr die Überprüfung der ihnen vorliegenden Dossiers zu „beschleunigen“.  

Konkret kündigten die Präfekturen im Raum Paris an, dass rund 300 der „alten“ Dossiers, die seit Ende April zusammengestellt worden waren, nicht verhandelbar seien, da keine schriftlichen Arbeitsverträge vorlägen. (Nach französischem Recht ist ein Arbeitsvertrag unabhängig von seiner Form - ob schriftlich oder mündlich abgeschlossen - rechtsgültig, sofern nur die drei wesentlichen konstitutiven Elemente „Arbeitsleistung“, „Lohnzahlung“ und „Unterordnungsverhältnis“ vorliegen.) Statt dieser 300 „älteren“ Dossiers, bei denen keine schriftlich ausgefertigten Arbeitsverträge vorliegen, sollen also die 300 „neuen“ Dossiers durch die Behörden untersucht werden. Dabei handelt es sich um einen durchsichtigen Versuch, die Betroffenen untereinander gegenseitig auszuspielen, indem denen Einen die erhoffte Legalisierung quasi direkt „auf Kosten der Anderen“ in Aussicht gestellt wird. Bei einer solch existenziellen Frage wie der Aufenthalts- und Arbeitsberechtigung (bei Leuten, die ihre Existenz und ihre Arbeitsstätte nunmehr öffentlich  bekannt gemacht haben - und damit ihre Beschäftigung zu verlieren drohen, falls sie nicht „legalisiert“ werden, da ansonsten sogar der Arbeitgeber aufgrund „illegaler Beschäftigung“ bestraft zu werden droht) wird damit ein erheblicher Druck auf die Betroffenen aufgebaut.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor.