Albin Kurti ist der bekannteste
Aktivist der „Bewegung für Selbstbestimmung“ (LPV) in Kosova. Im
letzten Jahr wurde Albin Kurti 7. Monate in die Gefängnisse
Kosovas geworfen. Die UNMIK verhaftete ihn, weil bei einer
friedlichen Demonstration der LPV in Prishtina am 10. Februar
2007, die UNMIK Polizei zwei Aktivisten der LPV tötete. Für die
Ausschreitungen wurde Albin Kurti verantwortlich gemacht, aber
nicht die Todesschützen aus einem rumänischem Polizeibataillon.
Letztere wurden aus Kosova abgezogen genauso wie der
polizeiliche Einsatzleiter bei der damaligen Aktion, der Brite
Stefan Curtis. Kurti gilt als Gegner der UNMIK Herrschaft, als
Gegner der EULEX Mission und als Gegner des serbischen Staates.
Mit Albin Kurti sprach Max Brym vor einer Demonstration gegen
die serbischen Wahlen in Kosova, welche die LPV am 9. Mai in
Prishtina durchführte.
M.B.: Herr Kurti, Sie
veranstalten die nächsten Tage eine Demonstration gegen die
serbischen Wahlen in Kosova. Haben Sie etwas gegen Serben?
A.K.:
Wir haben nichts gegen die Serben, auch nicht gegen die
örtlichen Serben, wir haben etwas gegen den serbischen Staat.
Wir sind gegen die staatlich
organisierten Wahlen, die Serbien hier veranstaltet, weil sie
sich gegen die Unabhängigkeit Kosovas richten.
Frage:
Die Unabhängigkeit Kosovas gibt es doch seit dem 17.2.2008.
A.K.:
Die Unabhängigkeit gibt es nur auf dem Papier. Der serbische
Staat kontrolliert 25 % des Territoriums von Kosovas mit seinen
staatlich parallelen Strukturen.
Seit der Unabhängigkeitserklärung
am 17.2.08 hat der serbische Staat seine Aktivitäten in Kosova
verstärkt.
Frage M.B:
Können Sie uns dafür einige Beispiele nennen?
A.K.:
Die serbischen Polizisten welche im Polizeidienst Kosovas
arbeiteten, haben aufgrund von Direktiven aus Belgrad ihren
Dienst in der kosovarischen Polizei eingestellt. Auch die
serbischen Mitarbeiter in anderen staatlichen Institutionen z.B.
die Justizangestellten, haben ihre Mitarbeit eingestellt.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel für
die Aktivitäten des serbischen Staates: In das Büro der
„Bewegung für Selbstbestimmung“ kamen 2 Angehörige der Roma, die
uns erzählten, dass sie von serbischen Organen bedroht wurden.
Ihnen wurde gesagt, sie sollten sofort jeglichen Kontakt mit den
Albanern einstellen und ihre Kinder keinesfalls am
albanischsprachigen Schulunterricht teilnehmen lassen.
Es wurde ihnen konkret angedroht,
bei Nichteinhaltung dieser Vorgaben, dass man ihre Häuser
anzünden würde.
Frage M.B:
Wer droht den Roma? Die Serben als solche, oder bestimmte
serbische Organisationen?
A.K.:
Die Bedrohung ging von Leuten aus, die sich als Repräsentanten
des serbischen Staates ausgaben.
Sie erklärten, wir sind die
Verantwortlichen für den serbischen Staat hier in Kosova.
Frage M.B:
Herr Kurti, Sie sagen, Sie wollen die Selbstbestimmung. Wenn die
Mehrheit der Serben sagt, sie wollen auch das Recht auf
nationale Selbstbestimmung, spricht doch eigentlich nichts
dagegen.
A.K.:
Wir verstehen das Selbstbestimmungsrecht nicht als Recht, dass
auf rein ethnischer Basis basiert. Wir fordern das
Selbstbestimmungsrecht für das ganze Volk in Kosova.
Milosevic hat in der
Vergangenheit das Selbstbestimmungsrecht explizit nur für die
Serben in Bosnien und Kroatien gefordert.
Dieses Recht verweigerte
Milosevic den Albanern in Kosova, den Ungarn in der Vaivodina,
und den Moslems in Sandschak.
Das Selbstbestimmungsrecht das
Milosevic einforderte, war kein universales Recht, sondern nur
ein partikulares Recht. Die Realität zeigt, dass saubere
ethnische Grenzen unmöglich sind. Immer wieder wird es Albaner
oder Serben auf der jeweils anderen Seite der Grenze geben. Wer
das Recht auf Selbstbestimmung auf ethnischer Basis fordert, ist
demzufolge für ethnische Säuberungen. Das Selbstbestimmungsrecht
auf ethnischer Basis kann nur mit kriminellen Methoden umgesetzt
werden. Aus diesem Grund widersprechen wir dem ethnischen
Prinzip und fordern das Selbstbestimmungsrecht für das Volk in
Kosova.
Frage M. B.:
Sie wollen mit den Serben und den Roma im Kosova zusammenleben.
Wie soll dieses Zusammenleben konkret aussehen?
A.K.:
Zuerst brauchen wir eine wirkliche Unabhängigkeit Kosovas, wir
brauchen einen Staat und eine Republik. Auf der anderen Seite
benötigen wir eine schnelle ökonomische Entwicklung, die dem
ganzen Volk zugute kommt.
Ich glaube nicht, dass man sich
einfach nur integrieren kann, ohne ökonomische Voraussetzungen,
die ökonomische Basis der Gesellschaft schafft die Möglichkeit
zur Integration.
Nach dem Krieg hat die UNMIK
gemeint, man könnte sich problemlos integrieren und
zusammenleben, ohne jeglichen ökonomischen Fortschritt.
Die UNMIK wollte dass wir uns
einfach ineinander verlieben. Ich glaube, die Integration ist
ein permanenter Entwicklungsprozess, der in den Schulen des
Landes beginnen muss.
Dies muss fortgesetzt werden im
praktischen Zusammenleben auf der Basis der Gleichheit, ohne
jegliche Unterdrückung. Ich bin für dieses Zusammenleben von
unten her.
Denn in Wirklichkeit verbindet
Hashim Thaci mehr mit einem reichen Serben als mit mir. Er hat
mit Oliver Ivanovic mehr gemein als mit den einfachen Albanern
und den einfachen Serben.
Frage M. B.:
Das entscheidende Problem scheint mir die Entwicklung der
Wirtschaft in Kosova zu sein.
A.K.:
Der UNMIK ging es zunächst darum, die Wirtschaft Kosovas zu
zerstören und zu entwerten, damit man die Betriebe billig
privatisieren kann.
Die Betriebe Kosovas wurden
systematisch entwertet, auch dadurch, dass die Aufträge in den
ersten Jahren der UNMIK-Herrschaft nicht an örtliche Betriebe
vergeben wurden, sondern an Firmen und große Konzerne aus dem
Ausland.
Frage M.B.:
Herr Kurti, wenn ich Sie richtig verstehe, sind Sie gegen den
serbischen Staat, gegen die UNMIK und die EULEX-Mission in
Kosova, und Sie stellen sich das Zusammenleben mit den anderen
nationalen Gruppen auf der Basis gleicher Rechte, sowie auf der
Basis der sozialen Gerechtigkeit vor?
A.K.:
Momentan ist das Wort Gleichheit und
Gerechtigkeit in unserem Land de facto verboten.
Keiner spricht davon, dass man
die Gleichheit und die soziale Sicherheit benötigt, die EULEX
und UNMIK spricht nur davon, dass man Stabilität benötige. Ich
bin an Stabilität nicht interessiert, sondern an sozialem
Fortschritt und Unabhängigkeit. Ich möchte mich mit den Serben
auf der Basis der Klassensolidarität verbinden.
Editorische
Anmerkungen
Den Text
erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung.
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