Am diesjährigen 1. Mai demonstrierten in ganz Frankreich rund
200.000 Menschen, darunter gut 30.000 in der Hauptstadt Paris.
In Paris war der Demozug stark von der Präsenz der ‚Salariés
sans papiers’ oder „illegalisierten“ und lohnabhängig
arbeitenden Einwanderer geprägt. Letztere stellten die mit
Abstand dynamischsten Abteilungen der Demonstrationen und
bildeten teils eigene Demoblöcke, teils „gemischte“ Blöcke von
der CGT angehörenden Beschäftigten (ohne Aufenthaltsprobleme)
und ‚Salariés sans papiers’.
Dass die „illegalisierten“ Einwanderer in Paris und anderswo –
teils in größerer Zahl – an gewerkschaftlichen und/oder linken
Demonstrationen teilnehmen und dort das gesellschaftliche
Problem der Einwanderungspolitik aufwerfen, ist seit Jahren
durchaus nichts Ungewöhnliches. Außergewöhnlich war aber ihre
Anzahl und ihre massive Präsenz am gestrigen 1. Mai. Da ferner
der allergrößte Teil der ‚Travailleurs sans papiers’ – aufgrund
der Rolle dieses Gewerkschaftsverbands im aktuellen Streik
„illegalisierter“ und lohnabhängig arbeitender Einwanderer -
Buttons der CGT trägt, ist klar, dass die CGT enorm von dieser
Frischluftzufuhr profitiert. Zumal sie nunmehr zugleich das
Überalterungsproblem, das sich nicht bei allen, aber bei manchen
ihrer Auftritte zu stellen schien, gelöst hat...
Dies Alles ist, selbstverständlich, eine Konsequenz aus dem
aktuell noch anhaltenden Ausstand von ‚Travailleurs sans
papiers’ in rund 30 Betrieben (Restaurants, Baufirmen,
Reinigungsunternehmen) in der französischen Hauptstadt und im
Pariser Umland. Er hat in den letzten beiden Wochen ziemlich
stark das aktuelle innenpolitische Geschehen mitgeprägt. Während
zugleich auch andere Kämpfe der („illegalisierten“ oder in
Frankreich „unerwünschten“) Einwanderer stattfinden, namentlich
ein Hungerstreik von 100 Insassen der Abschiebehaftanstalt in
Vincennes südöstlich von Paris - wohin am Sonntag Nachmittag
auch eine Demonstration führte -, hat der Streik der
„arbeitenden Sans papiers“ wesentlich entscheidendere
Auswirkungen auf die Entwicklung des innenpolitischen Klimas.
Obwohl er im Augenblick „nur“ 600 aktiv Streikende umfasst,
zumal da alle an der Debatte Beteiligten wissen, dass durch den
Streik im Moment nur sozusagen die Spitze des Eisbergs sichtbar
geworden ist: Ganze Wirtschaftsbranchen leben von der Ausbeutung
und z.T. Überausbeutung „illegalisierter“ Arbeitskräfte,
insbesondere das Hotel- und Gaststättengewerbe, die Bauindustrie
(vor allem ihre kleineren Unternehmen, aber nicht
ausschließlich) und das Reinigungsgewerbe.
Der Streik hat die Regierung in Bedrängnis befördert,
Konservative wie Rechtsextreme in Widerspruch zu einem Teil
ihrer eigenen sozialen Basis – den Kleinunternehmern,
Restaurant- und Hotelbesitzern – gebracht und erhebliches
Aufsehen in der Öffentlichkeit erregt.
Strategiedebatte: Schnelle Ausweitung oder nicht?
Der Arbeitskampf war durch die CGT seit längerem vorbereitet
worden. Zunächst waren rund 200 migrantische Arbeitskräfte in
ausgewählten Betrieben im Streik, ihre Zahl schnellte jedoch
innerhalb einer Woche auf 600 hoch. Und nur weil die
Hauptunterstützer des Streiks, die CGT und Droits devants! –
eine Art PR-Agentur für soziale Bewegungen und Revolten, die den
Teilnehmern kostenlos Know-How vom Pressekontakt bis zum
Savoir-faire einer Besetzung anbietet - keine schelle Ausweitung
des Ausstands wünschten, wuchs die Zahl nicht noch weiter an.
Hingegen favorisieren die linken Basisgewerkschaften
SUD/Solidaires und die anarcho-syndikalistische CNT (die durch
die weitaus größere CGT nicht an den Vorbereitungen beteiligt
worden sind, aber selbst ein Restaurant auf den Champs-Elysées
besetzen, zusammen mit dem GISTI, einer mehrheitlich aus
Juristen bestehenden Unterstützer- und Rechtsberatungsgruppe für
ImmigrantInnen) eine schnelle Ausweitung des Arbeitskampfs.
Dahinter steckt ein Kalkül, das nachvollziehbar ist, innerhalb
der Unterstützerszene für die Sans papiers jedoch breit und
kontrovers diskutiert wird: Aus dominierender gewerkschaftlicher
Sicht ist nur ein Arbeitskampf gewinnbar, der innerhalb relativ
klar abgesteckter Grenzen bleibt und darum eine
Verhandlungsführung ermöglicht, die je nach dem Verhalten des
Gegenübers mit der Ausweitung des Streiks droht oder aber – bei
Einlenken – seine Aussetzung oder Einstellung verspricht.
Zugleich gehen gewerkschaftliche, aber auch manche anderen
Unterstützer der „illegalisierten“ Einwanderer davon aus, dass
nur ein gewonnener Kampf zu einem späteren Zeitpunkt andere
Betroffene zu einer Nachahmung animieren wird; ein verlorener
Kampf aber motiviere niemanden.
Deshalb beschränkte die Streikkoordinierung den jetzigen
Arbeitskampf der Lohnabhängigen, die ohne gültige
Aufenthaltserlaubnis in Frankreich arbeiten, vorläufig auf eine
überschaubare Zahl. Sonst hätten es schnell auch Tausende,
wahrscheinlich Zehntausende werden können. Dies zeigte sich u.a
auch bei einer Großveranstaltung zur Unterstützung des Streiks
der Sans papiers, die am 23. April in der Bourse du travail – im
Gewerkschaftshaus – nahe der Pariser Place de la République
stattfand. Der große Saal dort bietet 550 Saalplätze, war aber
am frühen Abend bereits mit 800 Personen gefüllt – und eine noch
größere Anzahl drängte sich draußen vor den verrammelten Türen.
Dort konnte die CGT innerhalb weniger Minuten zahllose
Beitrittsanträge und ausgefüllte Formulare zur
„Legalisierungs“forderung einsammeln. Raymond Chauveau vom
Ortsverband der CGT in Massy-Palaiseau, einer der wichtigsten
Köpfe der Sans papiers-Arbeit in der CGT (wo er einer
maoistischen Minderheitsströmung angehört), plädiert zum
Abschluss der Veranstaltung auf der Rednerbühne für ein
strategisch dosiertes Vorgehen: Er benutzte die Ankündigung
einer möglichen Ausweitung des Sans papiers-Streiks als Drohung
an die Adresse der Regierung, für den Fall, dass sie in den
Verhandlungen über die „Legalisierung“ der jetzt Streikenden
nicht alsbald nachkomme. Er sprach so nicht einer sofortigen und
bedingungslosen Ausweitung des Arbeitskampfs zur „Legalisierung“
der Sans papiers das Wort, sondern einer abgestuften Strategie:
Wenn den Forderungen nicht nachgeben wird, dann schnelle
Ausweitung – andernfalls wird vorläufig das Ergebnis gesichert,
und später werden andere Kämpfe nachfolgen.
Auf Prinzipienebene ist allerdings klar, dass die CGT in der
Sache für die Forderung nach „Legalisierung aller arbeitenden
Sans papiers“ eintritt. In den letzten Apriltagen wandten sich
zugleich die beiden größten Gewerkschaftsdachverbände - die CGT
und die (sozialliberale) CFDT -, die ursprünglich
protestantische und bei der Betreuung von Asylsuchenden sehr
profilierte Hilfsorganisation CIMADE sowie die linksliberale
Liga für Menschenrechte (LDH) in einem gemeinsamen Offenen Brief
an Regierungschef François Fillon. Sie forderten darin einen
Termin, um über eine schnelle „Regelung“ des Problems der in
Frankreich arbeitenden (und oft auch Steuern zahlenden), aber
bislang nicht „legal“dort lebenden Einwanderer zu debattieren.
Auf diesem Wege und mittels einer relativ breiten Front
versuchen die Beteiligten, Druck auf die Regierung aufzubauen.
Auch die größte Lehrer/innen/gewerkschaft FSU tritt ihrerseits
für die (vollständige) „Legalisierung“ der Sans papiers ein.
Auf den Unterstützer-Mailingslisten für die Sans papiers, wie
der seit langen Jahren eingerichteten E-Mail-Liste „zpajol“,
wird unterdessen über die Strategie der CGT heftig diskutiert.
Manche Teilnehmer, darunter auch einige nervige anarchoide
Super-Rrrrrevolutionäre, monieren, dass es Verrat sei, „nur“ 600
Sans papiers und nicht alle in Frankreich lebenden
„illegalisierten“ Einwanderer (ihre Zahl wird auf circa 400.000
geschätzt) „legalisieren“ zu wollen. Dies ist allerdings
ziemlicher Nonsens, denn wie ein – und sei es auch kurzfristig
ausgeweiteter – Streik dazu in halbwegs absehbarer Zeit führen
könnte, bevor die Streikteilnehmer verhungert sind, bleibt das
Geheimnis dieser Super-Rrrrrevolutionäre. Und falls sie andere
Mittel besitzen, dann sollen sie gefälligst damit herausrücken,
wo nun die Kalaschnikows verbuddelt liegen. (Zur Erinnerung: In
Frankreich gibt es in aller Regel keine Streikkassen, und
Streikende bezahlen ihre Teilnahme an einem Arbeitskampf mit den
erlittenen Lohnverlusten. Allerdings werden auf Demonstrationen
wie am 1. Mai Gelder
in Solidaritätskassen gesammelt, was aber nicht ausreicht, um
die Lohnverluste zu ersetzen.)
Ernster zu nehmen sind hingegen andere Einwände, wie jener,
durch ihre Kampfführung (bei der doch die eigenen Organisationen
erheblich in den Vordergrund gerückt wurden, die aber auch keine
unendlichen Kräfte besitzen) und die mangelnde Beteiligung
anderer Unterstützerkräfte zu Anfang hätten die CGT und Droits
devant! selbst Potenziale zur Stärkung des Kampfes ungenutzt
gelassen. Aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen verlautet
allerdings, eine zweite „Angriffswelle“ – also eine neue Kette
von Streiks, falls die jetzige in naher Zukunft erfolgreich
beendet wird – sei in Vorbereitung.
Konflikte zwischen Sans papiers-Kollektiven und CGT
Vor diesem Hintergrund ist es allerdings nicht verwunderlich, ja
war es quasi unvermeidlich, dass es zu Konflikten innerhalb der
Sans papiers- und UnterstützerInnen-Szene kommen würde. Seit dem
vergangenen Freitag (2. Mai) besetzt die „Pariser Koordination
der Sans papiers“ nun mit mehreren hundert Leuten die Lokale der
CGT und das Pariser Gewerkschaftshaus, um Druck für ihre
Forderung zu entfalten, 1.000 ihrerseits zusammengestellte
Dossiers zu akzeptieren und ebenso wie die bei den Präfekturen
(= Polizei- und Ausländerbehörden) eingereichten 1.000 Dossiers
als (vor)dringlich zu behandeln. Was die CGT ihrerseits ablehnt,
mit der Begründung, jene, die sich selbst gewerkschaftlich
organisieren und an einem Streik teilnehmen, seien als
Verhandlungsteilnehmer vorrangig, „dies ist nun einmal die Basis
des Gewerkschaftswesens“ (so die CGT-Sekretärin Francine
Blanche).
Dies hat durchaus seine Logik, denn tatsächlich definiert sich
die Aktivität einer Gewerkschaft nun einmal zuvörderst über die
aktive Solidarität und das eigene Einbringen in kollektive
Streiks. Es hat ebenfalls seine Logik, dass die CGT „ihre“
derzeit bei den Präfekturen in Paris und in den
Bezirkshauptstädten im Pariser Umland eingereichten Dossiers von
Streikteilnehmern zuerst behandelt sehen möchte: Alle Kollektive
und Koordinationen von Sans papiers, die bislang existieren und
(infolge von Demonstrationen, Besetzungsaktionen, öffentlichem
Druck usw.) de facto als Verhandlungspartner der Staatsmacht
auftreten können, handeln ihrerseits ähnlich. Wenn die Präfektur
einem Sans papiers-Kollektiv zu erkennen gibt, dass sie bereits
sei, 200 Personen zu „legalisieren“, dann wählt das Kollektiv
seinerseits 200 Namen aus, um sie bei der Präfektur einzureichen
- und tut dies unter Berücksichtigung derjenigen, die selbst
beim eigenen Kollektiv organisiert oder dort aktiv sind.
Insofern handelt es sich um eine nachvollziehbare, aber
beklagenswerte „Konkurrenz“logik, die jedoch aufgrund des
Handelns der Gegenseite quasi unvermeidlich zu werden schien:
Die Pariser Regierung hatte der CGT signalisiert, das sie bereit
sei, 1.000 „Legalisierungen“ in Erwägung zu ziehen, hat ihr aber
zugleich als Gegenleistung abgefordert, die aktuelle Bewegung zu
„beruhigen“. Also keine neuen Streiks für „Legalisierung“
unmittelbar nachkommen zu lassen. Und wenn man genaue Kenntnis
davon hat, dass die Gegenseite nun einmal bereit ist, 1.000
Personen zu „legalisieren“, aber nicht mehr, dann steckt man
selbst in der Bredouille, weil man selbst quasi zum „Auswählen“
der „guten“ Dossiers gezwungen wird.
Dafür kann die CGT (bis zu diesem Punkt) nichts, denn sie wird
selbst durch die Regierung dem Zwang dieser Logik ausgesetzt.
Dennoch bleibt ein schaler bis negativer Nachgeschmack bei
diesen Auseinandersetzungen übrig; dafür sorgt die Kombination
aus mehr oder minder abgeschotteten Verhandlungen zwischen dem
Ministerium „für Einwanderung und nationale Identität“ von Brice
Hortefeux (wo die beiden CGT-Repräsentanten Raymond Chauveau und
Francine Blanche am 21. April empfangen wurden), einer
defensiven Kampfführung und der momentanen Ablehnung einer
Ausweitung der Streiks durch die CGT. Es ist also völlig normal
und nicht ungewöhnlich, dass jene, die nicht zu den 1.000
„prioriären Dossiers“ (also vorrangig, als dringlich behandelten
Akten) gehören, sich „ausgegrenzt“ fühlen und ihre eigene
Berücksichtigung reklamieren. Das Dilemma, durch das „Nadelöhr“
der durch die Gegenseite derzeit angekündigten bzw. „gewährten“
eintausend Legalisierungs-Anträge hindurch zu müssen, lässt sich
dadurch allein aber noch nicht auflösen.
Hinzu kommt aber - und an diesem Punkt wird es vollends
kritikwürdig - die Logik, durch die jedenfalls ein Teil der CGT
ihre „Legalisierungs“politik begleitet. Die Sekretärin des
Gewerkschaftsbunds, Francine Blanche, die am 21. April an dem
Termin mit dem Ministerium „für Einwanderung und nationale
Identität“ von Brice Hortefeux teilgenommen hat, sprach im
Anschluss daran von „nützlicher“ bzw. „ausgesuchter
Einwanderung“. Und griff dabei einen Begriff der amtierenden
Rechtsregierung auf (l’immigration choisie), wobei sie
versuchte, das hinter der durch Nicolas Sarkozy erfundenen
Begrifflichkeit stehende Konzept für die von ihr „betreuten“,
arbeitenden Einwanderer nutzbar zu machen: Die regierenden
Konservativen verstehen unter „ausgesuchter Einwanderung“ im
Kern eher eine auf die Zuwanderung von hochqualifizierten oder
hochspezialisierten Arbeits- und Führungskräften begrenzte
Einwanderung, über deren Zulassung Frankreich allein zu
entscheiden habe. Francine Blanche versucht dieses Konzept nun
ein bisschen umzudrehen. Nach ihren Worten wurden die jetzt
streikenden Arbeitskräfte ja „durch ihre Arbeitgeber
ausgewählt/ausgesucht“ und seien zudem für die französische
Ökonomie unbestreitbar nützlich. Insofern, so argumentiert
Francine Blanche, handele es sich da doch auch um „ausgesuchte
Einwanderung“. Dieses Spiel mit einem Konzept, das durch die
Regierungspolitik aufgebracht worden ist, mag zwar im konkreten
Falle für die konkret am Streik beteiligten „illegalen“
Einwanderer nützlich sein. Es bedeutet aber zugleich, das
instrumentelle, utilitaristische und sozialdarwinistische
Grundkonzept der Regierung zu akzeptieren und sich ihre
Fragestellung zu eigen zu machen: Wer ist „für uns von Nutzen“
(und wird also durch die CGT ‚betreut’), welches Dossier ist
hingegen „schlecht“? An diesem Punkt müsste die Kritik, auf eine
scharfe Analyse gestützt, ansetzen.
Hintergründe
Wer „ohne Papiere“, also ohne einen gültigen Aufenthaltstitel in
Frankreich arbeiten muss, ist leicht einer Überausbeutung
ausgesetzt. D.h. er oder sie wird – aus materieller
Notwendigkeit des Überlebens heraus – Arbeits- oder
Lohnbedingungen akzeptieren, zu denen der sog. Arbeitgeber keine
französischen oder anderen „legalen“ Arbeitskräfte findet.
Deshalb auch war es vielen Patrons durchaus - mindestens -
gleichgültig, ob ihre Angestellten im Besitz gültiger
Aufenthaltstitel waren oder nicht. Aber unter dem Druck des
gewerkschaftlichen Protests, der die Präsenz „illegaler“
Einwanderer sichtbar macht und ihre Patrons damit - im Falle
ausbleibender „Legalisierung“ ihrer Arbeitskräfte - selbst der
Gefahr von Strafverfolgung aussetzt, sehen sie sich nun
gezwungen zu handeln.
Denn die seit Juli 2006 sukzessive durch die regierenden
Konservativen veränderte Ausländer-Gesetzgebung sieht einerseits
vor, dass die Arbeitgeber „illegal“ sich im Lande aufhaltender
Beschäftigter selbst bestraft verändert können, wenn sie sich
nicht deren „Rechtmäßigkeit“ deren Aufenthalts versichert haben.
Dazu müssen sie nicht mehr nur selbst deren Papiere
kontrollieren – was es ihnen früher in aller Regel erlaubte, ein
Auge zuzudrücken, wenn ihnen falsche oder aber einer anderen
Person aus demselben Herkunftsland gehörende Papiere vorgelegt
wurden -, sondern sie müssen seit dem 1. Juli 2007 die Präfektur
(= Polizei- und Ausländerbehörde) zu ihrer Überprüfung
einschalten.
Andererseits aber gibt der berühmt gewordene Artikel 40 des
bislang jüngsten, novellierten Ausländergesetztes vom 20.
November 2007 (Loi Hortefeux) den Arbeitgebern das Recht, für
ihre eigenen Arbeitskräften eine „ausnahmsweise“
Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen, die durch die Behörden
geprüft werden muss. Ohne jegliche Rechtsgarantie für die
betroffenen Sans papiers freilich: Außer bei circa 30 in einer
ministeriellen Anordnung vom 7. Januar 2008 aufgelisteten
„Mangelberufen“, die ausschließlich hochqualifizierte
Tätigkeiten umfasst (es sind alles Ingenieurs- und höhere
technische Berufe), gibt es für Immigranten aus „Drittländern“
außerhalb der Europäischen Union keinen Rechtsanspruch auf
„Legalisierung“ zum Zwecke der Verrichtung einer Erwerbsarbeit.
(Für die Osteuropäer/innen, denen der nationale Arbeitsmarkt
noch nicht gänzlich geöffnet worden ist, gilt eine andere Liste
von 150 Berufen, darunter auch „gering qualifizierte“
Tätigkeiten. Offizielle Zielsetzung scheint es dabei zu sein,
ein „weißes“ Proletariat oder Subproletariat statt eines von
anderen Kontinenten kommenden bevorzugen zu wollen.) An dem
erstgenannten Punkt setzt nun der Streik an: Da die Arbeitgeber
seit dem 1. Juli 2007 nicht mehr – wie früher – einfach die
Augen zudrücken kann, um „illegale“ und deshalb gefügigere
Arbeitskräfte einzustellen oder weiter zu beschäftigen, bringt
ihn die Öffentlichmachung der „Illegalität“ ihrer Angestellten
selbst in die Bredouille.
Die Kontrollwut der konservativen Politiker tritt an dieser
Stelle in Widerspruch zum ökonomischen Interesse der
Bourgeoisie. Unter dem Druck des Streiks spricht letztere sich
deshalb für eine „Legalisierung“ der betroffenen Arbeitskräfte
aus. Etwa der Chef des Arbeitgeberverbands im Hotel- und
Gaststättengewerbe, André Daguin. Eigentlich ein reaktionärer
Scharfmacher, der am 30. August 2004 bei der „Sommeruniversität“
genannten Jahrestagung des Arbeitgeberverbands tönte, es brauche
Killerfiguren an der Spitze der Kapitalverbände, und seine
Kollegen gingen viel zu nett mit ihren Beschäftigten um: „Ihr
müsst jene sein, die bedrohen, und nicht jene, die bedroht
werden. (...) Die Gesellschaft benötigt harte (Leute), nicht
Weichlinge. Das Ärgerliche ist, dass es viele Weichlinge gibt,
zu viele. Es muss Schluss damit sein, dass zurückgewichen wird,
wenn der Moment der Anstrengung/Leistung gekommen ist. (....)
Ich ziehe die Mörder gegenüber den Betrügern vor. Die Leute
finden die Betrüger sympathisch. Die Mörder natürlich nicht.
Aber Erstere haben einen großen Verdienst: den, nicht
heuchlerisch/keine Heuchler zu sein.“ (Originalton, vgl.
http://fr.wikipedia.org/wiki/Andr%C3%A9_Daguin).
Derselbe André Daguin fordert nun aber allein für seine Branche
die „Legalisierung“ von 50.000 papierlosen Einwanderern. Eine
Forderung, die bislang entweder als hoffnungslos naiv geltenden
Humanisten oder aber Linksradikalen vorbehalten schien. Daguin,
der aus dem südwestfranzösischen Auch kommt und dort
Hotelbesitzer ist, hatte in der Vergangenheit eine
(lokal)politische Karriere bei der bürgerlichen Rechten
versucht, mit der Option einer Öffnung hin zur extremen Rechten.
Doch nunmehr steht er mit seiner Forderung in komplettem
Widerspruch sowohl zu den Mainstreampositionen innerhalb des
konservativ-liberalen Blocks, als auch zu denen des
rechtsextremen Front National.
Derselbe André Daguin fordert nun aber allein für seine Branche
die „Legalisierung“ von 50.000 papierlosen Einwanderern. Eine
Forderung, die bislang entweder als hoffnungslos naiv geltenden
Humanisten oder aber Linksradikalen vorbehalten schien. Daguin,
der aus dem südwestfranzösischen Auch kommt und dort
Hotelbesitzer ist, hatte in der Vergangenheit eine
(lokal)politische Karriere bei der bürgerlichen Rechten
versucht, mit der Option einer Öffnung hin zur extremen Rechten.
Doch nunmehr steht er mit seiner Forderung in komplettem
Widerspruch sowohl zu den Mainstreampositionen innerhalb des
konservativ-liberalen Blocks, als auch zu denen des
rechtsextremen Front National.
Konservative und Rechtsextreme vor offenen Widersprüchen
Beide Letztgenannten reagieren auf die aktuelle Situation, indem
sie sich auf die „schwarzen Schafe“ im ansonsten eher
geschätzten Unternehmerlager einschießen. So Nicolas Sarkozy in
seiner Fernsehansprache an die Nation am Abend des Donnerstag,
24. April, der einen längeren Teil seines Rede- und
Antwortspiels mit ausgewählten (und gefügigen) Journalisten den
Themen Einwanderungspolitik und Sans papiers-Streik widmete.
Sarkozy wetterte dabei gegen die schwarzen Schafe unter den
Unternehmern, die sich nicht an die Regeln hielten. Es gelte,
nun einmal ernsthaft zu sein: „Unter den legal in Frankreich
lebenden Ausländern haben wir gut 22 % Arbeitslosigkeit, also
soll mir niemand erzählen, es gebe keine (verfügbaren)
Arbeitskräfte und man müsse deshalb Illegale einstellen.“ Auf
perfide und geschickte Weise versucht Präsident Sarkozy dabei
zudem, verschiedene Einwanderergruppen – jene mit und jene ohne
gültige Aufenthaltstitel – gegeneinander auszuspielen und in
Widerspruch zueinander zu bringen. Damit war die Perfidie
anscheinend noch nicht am, denn Sarkozy fügte demagogisch hinzu:
„Dass man in einem Restaurant arbeitet, so sympathisch es auch
sein mag, gibt/verleiht noch kein hinreichendes Recht darauf,
Franzose zu werden!“
Nun streiten sich die Beobachter/innen, ob es lediglich eine
politische Dummheit oder aber infame Absicht war, auf solche
Weise Einbürgerung und Übertragung der französischen
Staatsbürgerschaft („Franzose werden“) einerseits, das Recht auf
(„legalen“) Aufenthalt in Frankreich anderseits miteinander zu
verwechseln bzw. in einen Topf zu werfen. Manche glauben an
einen Versprecher. Andere aber gehen davon aus, Sarkozy habe
vielmehr absichtlich auf die Dummheit, das Ressentiment oder das
mangelnde Interesse daran, es genauer zu wissen, in seiner
eigenen Wählerschaft (plus in jener Hälfte der Wählerschaft Le
Pens, die er 2007 vorübergehend gewonnen hatte) gesetzt.
Die extreme Rechte, die seit dem relativ erfolgreichen Take-over
Nicolas Sarkozys gegenüber ihrer Wählerschaft im vergangenen
Jahr in eine ernsthafte Krise geschlittert ist (jedenfalls in
ihrer parteipolitisch organisierten Form), versucht gleichzeitig
wieder in die Offensive zu kommen. Sie wettert sowohl gegen das
Versprechen der Regierung, mittels einer „Einzelfallprüfung“
über die Aussichten auf „Legalisierung“ der streikenden Sans
papiers zu entscheiden, als auch gegen die nämlichen schwarzen
Schafe im Unternehmerlager. Es fing damit an, dass Marine Le Pen
– die „Cheftochter“ und Anwärterin auf die Nachfolge des
alternden Jean-Marie Le Pen (er wird im Juni dieses Jahres 80)
an der Parteispitze – am vergangenen Freitag, 25. April ab 18.30
Uhr eine Kundgebung vor dem Sitz des Hotel- und
Gaststätten-Arbeitgeberverbands organisierte. Dadurch sollte
dessen Chef, der oben zitierte André Daguin, von Rechts her
unter Druck gesetzt werden. An ihrer Kundgebung nahmen
allerdings nur rund 50 Personen – junge Aktivisten und einige
Regionalparlamentarier des FN – teil, zuzüglich rund 50
Journalisten und Kameraleuten. Die Wirkung zielte wahrscheinlich
auch überwiegend auf das Medienecho ab. Dort, vor dem
Hotel-Arbeitgeberverband im noblen achten Pariser Bezirk,
wetterte Marine Le Pen gegen die ‚patrons-voyous’ („Ganoven in
Unternehmergestalt“, ein Begriff, den der damalige Arbeits- und
Sozialminister François Fillon 2003 prägte), die bislang
„Illegale“ beschäftigt hätten und jetzt zur Belohnung ihres
gesetzeswidrigen Verhaltens deren „Legalisierung“ beantragten.
Dabei machte sie sich durchaus einige beinahe kapitalismus- oder
globalisierungskritisch klingende Begriffe zu eigen, um
allerdings die dahinter stehenden Konzepte im Hinblick auf die
politischen Konsequenzen umzudrehen – die Fähigkeit dazu hat die
extreme Rechte in den letzten 15 Jahren des Öfteren unter Beweis
gestellt.
So
sprach Marine Le Pen von der „inneren (= inländischen)
Produktionsauslagerung“, ein Konzept, das von linken Autoren im
Umgang mit der Thematik der Überausbeutung „illegalisierter“
Arbeitskräfte geprägt worden ist. Originalton: „Manche
Arbeitgeber verlagern ihre Produktion in Billiglohnländer. Aber
in Dienstleistungsbetrieben ist dies nicht immer möglich, ein
Restaurant lässt sich nicht nach China verlagern. Der Rückgriff
auf illegale Arbeitskräfte erlaubt es dabei aber, im eigenen
Land unter Bedingungen wie in der Dritten Welt arbeiten zu
lassen.“ Dieses Konzept ist ursprünglich kritisch angelegt
gewesen, und die betroffenen Arbeitskräfte erscheinen dabei als
Opfer, die aus ihrer „illegalen“ Situation herausgeholt werden
müssen.
Bei Marine Le Pen allerdings lautet die Schlussfolgerung anders
herum, und ist genau entgegen gesetzt: „Wer sich in der
Illegalität aufhält, ist dazu berufen, in sein Herkunftsland
zurückgeführt zu werden!“ Einige junge Aktivisten schwenkten
dazu Schilder mit Aufschriften wie „CGT, Patronat (=
Arbeitgeberlager), Komplizen bei der Sklaverei!“ Am gestrigen 1.
Mai wiederum hielt Jean-Marie Le Pen seine alljährliche Rede
„zum Andenken an Jeanne d’Arc“ (die „Nationalheilige“ aus dem
15. Jahrhundert, die im Hundertjährigen Krieg gegen die
Engländer kämpfte). Dieses Mal vor nur rund 1.500 Anhängern
(eigene Schätzung; Polizeizahlen: 1.250, Angaben der
Veranstalter: 6.000). Noch im Vorjahr waren es zwischen 3.000
und 4.000 (lt. eigener Schätzung) gewesen – Spiegelbild einer in
einer tiefen Krise steckenden Partei.
Auf der Pariser Place des Pyramides widmete Jean-Marie Le Pen
dabei auch mehrere Minuten seiner rund einstündigen Rede dem
Streik der Sans papiers. Und wetterte nicht allein gegen die
CGT, sondern auch gegen jenen Teil des Arbeitgeberlagers, der
antinationalen Interessen gehorche. Dabei versuchte Le Pen, den
altbekannten Unterschied zwischen dem raffenden und dem
schaffenden Kapital aufzumachen. Er bezeichnete jene Vertreter
des französischen Kapitals, die nunmehr ihre Sans papiers
„legalisieren“ lassen möchte, als von „Gier und Spekulation“ (le
lucre et la spéculation) getrieben, und sah hinter ihnen das
„Finanzkapital“ (les financiers) stehen. Geltende Gesetze
hindern ihn freilich daran, wie manche seiner Vorgänger von der
‚jüdischen Hochfinanz’ zu sprechen. Der alternde rechtsextreme
Politiker versuchte, das organisierte Arbeitgeberlager in
Gegensatz zu dem guten, gesunden, bodenständigen
„Unternehmergeist“ zu bringen, und fügte hinzu: „Das Patronat
unterstützt die Unternehmer so, wie der Strick den
Gehängten/Gehenkten unterstützt!“ Allerdings geht seine
Unterscheidung zwischen dem „globalisierten und
finanziarisierten“ Kapital einerseits, das aus Gründen seiner
antinationalen Haltung nichts gegen eine„Legalisierung“ der Sans
papiers einzuwenden habe, und dem bodenständigen
(Klein-)Unternehmer andererseits in der Sache gründlich fehl.
Denn jene Betriebe, die derzeit unter dem Druck des Streiks der
Sans papiers stehen, sind keine globalisierten Großkonzerne mit
hohem Anteil des Finanzkapitals am Aktionärspakt, sondern
überwiegend paternalistische Familienbetriebe, „bodenständige“
Restaurants und auf den heimischen Markt angewiesene
mittelständische Baufirmen.
Sowohl die regierende Rechte als auch die (oppositionelle)
extreme Rechte geraten auf diesem Wege in offenen Widerspruch zu
einem Teil ihrer jeweiligen gesellschaftlichen bzw. ökonomischen
Basis. Dies ist einer hochinteressanten Aspekte am derzeitigen
Streik. Er lässt einen Widerspruch offen auftreten, der nicht
auf diese Weise aufgeworfen würde, hätte die konservative
Regierung nicht versucht, den staatlichen Kontroll- und
Strafanspruch auch auf „illegale Ausländer“ beschäftigenden
Arbeitgeber auszudehnen. Denn im letzteren Falle würde die
langjährig vorherrschende Heuchelei, die dieselben Leute
vordergründig gegen (zumal „illegale“) Einwanderer hetzen und
„hinten herum“ in ihrer „Illegalität“ gehaltene Arbeitskräfte
(über)ausbeuten ließ, auch weiterhin anhalten. Interessante
Perspektiven tun sich freilich dadurch auf, dass diese
Widersprüche nunmehr ins Tanzen zu geraten scheinen...
Allerdings sollte man sie dann auch tatsächlich als Widersprüche
– vor dem Hintergrund eines Klassen- und ökonomischen
Ausbeutungsverhältnisses – fassen, und nicht sie in dümmlicher
Gutmenschenmanier zu verkleistern versuchen.
Denn der jetzige Kampf hat ja gerade den Vorzug, die Frage des
Aufenthalts und der Rechte von Einwanderern und Sans papiers
nicht mehr als vermeintliche, reine humanistisch-humanitäre
Angelegenheit und Frage edler Gefühle aufzuwerfen. Sondern als
eine politische, ökonomische und letztlich eine die gesamte
Klasse betreffende Frage (danach, welche Arbeitsbedingungen sich
durchsetzen lassen, und ob das Kapital dabei die
„Illegalisierung“ mancher Lohnabhängig dabei als Waffe bzw.
Druckinstrument nutzen kann) zu stellen.
Die ödblöden Gutmenschen stellen sich diese Frage nicht auf
diese Weise. So titelte die linksliberal-sozialdemokratische
Tageszeitung ‚Libération’ vor’ 14 Tagen, zu Beginn des Streiks
der Sans papiers: „Arbeiter ohne Papiere, Patrons: même combat
(= ein gemeinsamer Kampf, derselbe Kampf)“. Und dies in
Abwandelung einer traditionellen linken Parole: „Französische
Arbeiter, ausländische Arbeiter: derselbe Patron, derselbe
Kampf“ (même patron, même combat)... Die Schicki-Micki-Fritzen
in der Redaktion bei ‚Libération’ seien getröstet: Angesichts
der Arbeits- und Lohnbedingungen, unter denen – und aufgrund
derer – bislang Sans papiers von bestimmten Arbeitgebern
angestellt worden waren, dürfte der Grundkonflikt alsbald wieder
offen zu Tage treten... Die Mehrzahl der vom derzeit anhaltenden
Streik betroffenen Arbeitgeber setzen sich übrigens, nachdem sie
dessen Wucht ausgesetzt sind, gegenüber Regierung und Behörden
für eine „Legalisierung“ ihrer Arbeitskräfte ein. (...und
plädieren gleichzeitig in der Öffentlichkeit dafür, sie hätten
von deren „Illegalität“ nichts gewusst, sondern seien vielmehr
selbst Opfer einer Täuschung mittels Vorlage falscher Papiere
geworden.)
So
setzen sich die meisten Restaurantbesitzer bei den Präfekturen
für die Legalisierung „ihrer““ Köche und Spülkräfte ein. Nicht
überall allerdings ging in den letzten Wochen das
Konfliktmanagement zwischen Patron und streikenden Sans papiers
in „ihrem Haus“ allerdings so lautlos vor sich. In
Pavillons-sous-Bois, nördlich von Paris, etwa holte der Besitzer
eines von bisher für ihn arbeitenden Sans papiers besetzten
Kleinbetriebs eine Schlägertruppe herbei, um die Ausständischen
von den Arbeitsplätzen zu vertreiben. Ihr wurde allerdings durch
die CGT „heimgeleuchtet“.
Der bestreikte Betrieb ist eine Baufirma, die im wohl härtestens
Sektor tätig sein dürfte: Abbrucharbeiten und Asbestentseuchung.
Tätigkeiten, die heutzutage – etwa bei Schiffen – oft in Länder
der „Dritten Welt“ ausgelagert werden wie etwa Bangladesh. Die
Arbeitsbedingungen in Pavillons-sous-Bois scheinen den dortigen
zu ähneln, bei einem Stundenlohn von 3,80 Euro. Das ist komplett
illegal, weshalb dem Eigentümer in diesem Falle nun auch
Strafverfolgung ins Haus steht. Im Département Essonne, im
südlichen Pariser Umland, soll der Chef einer bestreikten
Baufirma seinerseits ausgetickt und mit einem Gewehr unter dem
Arm aufgetaucht sein. Und die öffentliche Meinung? Sie ist
durchaus mehrheitlich einverstanden mit einer „Legalisierung“
der jetzt um ihr Aufenthaltsrecht kämpfenden Sans papiers. In
den Umfragen ergeben sich dabei jeweils Werte um die 70 %
zugunsten einer Lösung mittels „Legalisierung“ der Streikenden.
Ansonsten kommt es ganz darauf an, wie die Frage gestellt wird,
um eine (angebliche) Unterstützung für die Strategie der
Regierung oder aber der Gewerkschaften herauslesen zu können.
Das sozialliberale Wochenmagazin ‚Nouvel Observateur’ ließ den
Teilnehmer/inne/n an einer von ihm in Auftrag gegebene Umfrage
die Frage stellen, ob sie für eine „Legalisierung mittels
Einzelfallprüfung" seien. Ergebnis: Gut 70 Prozent „Ja“. Aber
die Gratistageszeitung ‚Métro’ (im Prinzip ein widerliches
Gossenblatt) ließ ihrerseits die Frage stellen, ob die Leute für
eine „Legalisierung der streikenden Sans papiers“ seien, und
fügte dabei den Begriff „Einzelfallprüfung“ nicht hinzu. Aber
der Grad an Zustimmung war derselbe, die Befürwortung fiel
ähnlich hoch aus. Entscheidend dürfte daher in den Augen des
Publikums eher die Frage nach einer möglichen „Legalisierung“,
und nicht nach ihren konkreten Modalitäten gewesen sein.
Allerdings wird sicherlich ein Teil der rechten Wählerschaft
erzürnt darüber sein, falls „der Staat (an diesem Punkt)
nachgibt“, und dies sowohl aus autoritären als auch aus
rassistischen Motiven.
(Vorläufige) Perspektiven
Die konservative Regierung bleibt bisher klar bei ihrer
Position, wonach es eine „Legalisierung“ mittels
„Einzelfallprüfung“ (= au cas par cas), aber „keinesfalls eine
massenhafte Legalisierung (régularisation massive)“ wie etwa in
den letzten Jahren in Spanien geben werde. Der konservative
Premierminister François Fillon mochte etwa Ende April nur die
„Legalisierung von ein paar hundert Arbeitenden“ in Erwägung
ziehen.
Bis Ende der letzten Aprilwoche haben die CGT und Droits devant!
nun, statt der angekündigten 600, insgesamt 930 individuelle
Dossiers zur „Legalisierung“ eingereicht. Abzuwarten bleibt nun,
ob ihnen tatsächlich allen die seit langem ersehnte
„Legalisierung“ winkt - oder ob die Behörden, ist der Streik
erst einmal vorbei, die Beschäftigtenkollektive durch eine
„Einzelfallbearbeitung“ nach dem Motto „Die Einen ins Töpfchen,
die Anderen ins Kröpfchen“ zu spalten versuchen.
Es
wäre nicht das erste Mal, denn auf diesem Wege wurden die
starken Sans papiers-Bewegungen der neunziger Jahre - die damals
noch Kirchen besetzten, jetzt sind es Restaurants und andere
Arbeitsstätten - ab 1997/98 durch die damalige
sozialdemokratische Regierung gespalten und geschwächt. Am Ende
waren sie als politischer Faktor vorübergehend ausgeschaltet.
Aller Wahrscheinlichkeit nach wird die Regierung versuchen,
durch eine 80-zu-20-Prozent-Regelung gegenüber den Streikenden
und der CGT „Ballast abzuwerfen“, aber zugleich eine Minderheit
von vielleicht einem Fünftel der Betroffenen in der
„Illegalität“ zu halten. Zur Abschreckung von Anderen, die
später streikwillig sein könnten: Ihnen würde signalisiert, dass
so ein Ausstand nicht ohne Risiko ist. Denn wer sich auf diesem
Wege als „Papierlosen“ bekannt macht, aber die ersehnte
Aufenthaltserlaubnis dabei nicht erhält, hat erst einmal alles
verloren. „Sein“ Arbeitgeber kann und darf ihn, unter Androhung
eigener Bestrafung, nicht weiterbeschäftigten. Die entscheidende
Frage wird sein, ob etwa die CGT sich auf einen faulen
Kompromiss nach dem Motto „80 Prozent ist besser als nichts“
einlassen, oder aber bei der Forderung nach einer kollektiven
„Legalisierung“ für hundert Prozent der Streikenden hart bleiben
wird. Dies dürfte der Knackpunkt für eine Bewertung des
Ergebnisses werden. Vor wenigen Tagen wurde Raymond Chauveau von
der CGT Massy-Palaiseau - die seit längerem besonders in der
Unterstützung für die Sans papiers engagiert ist - in den Medien
mit den Worten zitiert, er „erhoffe“ sich, dass die Präfekturen
(Polizei- und Ausländerbehörden) „neun Dossiers von zehn“
annehmen, d.h. einer „Legalisierung“ zustimmen würde.
Dies entspräche, so führen auch andere Persönlichkeiten aus der
CGT an, dem Ergebnis des Streiks im Nobelrestaurant ‚La
Grande Armée’
im teuren 16. Pariser Bezirk, der vom 16. bis 23. Februar 2008
stattfand und sozusagen den Vorläufer für die jetzige
Streikwelle bildete. Damals waren acht von neun „illegal“ in
Frankreich lebenden, afrikanischen Köchen „legalisiert“ worden.
Dem neunten wurden die ersehnten Papiere jedoch verweigert, mit
der Begründung, er sei drei Tage nach dem 1. Juli 2007 (dem
Stichdatum, ab dem den Arbeitgebern die Pflicht zu einer
verschärften Kontrolle bei der Einstellung zufiel) angestellt
worden. Eine juristisch nicht haltbare Begründung, aber ein
Signal an jene, die da nach ihm kommen würden, denn dieser aus
der Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste) stammende Koch verlor infolge
des Streiks und des Bekanntwerdens seiner „illegalen“ Anstellung
auch seinen Job.
Wird die CGT dieses Mal an solchen Punkten hart bleiben, und hat
sie die Mittel zu einer Unnachgiebigkeit in dieser Frage? Es
wird sich bald erweisen müssen. Unterdessen wurde am Freitag, 2.
Mai bekannt, dass die ersten drei Sans papiers im Zusammenhang
mit dem aktuellen Streik „legalisiert“ worden seien. Es handelt
sich um drei Köche aus dem Nobelrestaurant ‚Le Café de la Jatte’
im Millionärsvorort Neuilly-sur-Seine. Letzteres bildete einen
besonders neuralgischen Punkt, an dem der Streik
öffentlichkeitswirksam ansetzen konnte, da es sich um Nicolas
Sarkozys ehemalige „Kantine“ handelt – der frühere Innenminister
wohnte in dessen unmittelbarer Nachbarschaft, bevor er zum
Staatspräsidenten aufstieg.
Die übrigen streikenden Sans papiers erhielten bislang hingegen
von den zuständigen Präfekturen (Paris, Bobigny, Evry...)
vorübergehende Aufenthaltsgenehmigungen von... 14 Tagen „für die
Zeit der Prüfung ihrer Dossiers“. Nun wird sich in Bälde zeigen,
ob der Streik bis dahin durchgehalten werden kann – im ‚Café de
la Jatte’
ist er schon seit mehreren Tagen zu Ende, an den meisten anderen
Orten und besetzten Arbeitsstätten hingegen nicht-, und welche
Strategie die Staatsmacht im Umgang mit den eingereichten
Anträgen auf „Papiere“ einschlagen wird.
Editorische
Anmerkungen
Den Text
erhielten wir vom Autor.
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