"Crowd Control": Polizeikooperation in der EU
2007 und 2008 fanden einige groß angelegte Polizeiübungen statt. Ziel ist die Förderung der grenzüberschreitenden Polizeikooperation innerhalb der EU.

von Gipfelsoli

05/08

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Die gesetzliche Grundlage bildet der 2005 unterzeichnete "Vertrag von Prüm", der nun in EU-Recht überführt wird. Damit ist er für alle EU-Mitgliedsländer gültig. Zusätzlich zu Reiseperren, Meldeauflagen und umfangreicher Datenübermittlung ist die deutsche Bereitschaftspolizei mit Hoheitsrechten im Auslands-Einsatz.

Ähnlich sogenannter "Gotcha"-Spiele wird "Riot Control" geübt: ein Teil der Einsatzkräfte verkleidet sich als DemonstrantInnen, vermummt sich und errichtet brennende Barrikaden, zündet Rauchbomben, bewirft die Polizei mit Holzstücken und Kartoffeln oder trägt Clowns-Uniformen. Im Spiel werden alle DemonstrantInnen abgedrängt oder zurückgeschlagen und massenhaft in Gewahrsam verbracht. Manche der Geländespiele durften von der Presse begleitet werden.

Im Frühjahr 2007 berichtete eine Netzagentur aus Nordrhein-Westfalen über ein internationales Polizei-Manöver in Alt-Spenrath, einem aufgegebenen Dorf eines Kohle-Abbaugebietes. Hier trainierten Polizeikräfte aus Deutschland, Niederlande und Großbritannien das Löschen von Barrikaden und Vertreiben militanter AktivistInnen. Mitgebracht wurden Wasserwerfer aus den beteiligten Ländern. Laut Pressebericht waren nur etwa 100 PolizistInnen beteiligt, damit war es möglicherweise ein Szenario für die gegenseitige Unterweisung der Hundertschafts- und Gruppenführer. Die Übung fand 5 Wochen vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm statt - am 9. Mai, dem Tag der landesweiten Durchsuchungen und Festnahmen nach §129a. Für die Sicherheitsarchitektur bei "polizeilichen Großlagen" muß die Polizei sogenannte "redundante Systeme" aufbauen, falls der Gipfel nicht störungsfrei abgehalten werden kann (so gab es mindestens 2 alternative Orte für das Gipfeltreffen, einer davon die Marine-Kaserne "Hohe Düne" in Rostock). Vermutlich waren die Kräfte aus Holland und Großbritannien als Nothilfe für den Gipfelprotest vorgesehen.

Am 23. April fand eine weitere Übung auf einem "Fliegerhorst" der Bundeswehr in Oldenburg statt. Beteiligt waren 1.500 PolizistInnen um "den Ernstfall" zu trainieren. 500 Einsatzkräfte wurden als "Statisten" eingesetzt. Mit dabei: acht Hundertschaften Bereitschaftspolizei, Spezialkräfte sowie Hunde- und Reiterstaffeln aus Hamburg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Die Polizei wird mit Böller und Holzkötzen beworfen. zunächst werden die Reiterstaffeln und Riot-Polizei eingesetzt. Nach dem Werfen von Rauchbomben und Rufen von „Deutsche Polizisten, Mörder und Faschisten“ trifft Verstärkung ein. Die Polizei trainiert die Räumung der Barrikade mit Wasserwerfer und Räumfahrzeug.
15 Cops sind als Clowns verkleidet und wedeln mit Klobürsten und Deutschland-Fahnen. "Die Polizisten umringen die Kostümierten und drängen sie sanft zur Seite", schreibt die Presse später. Währenddessen werden die "gewalttätigen Demonstranten" eingekesselt und mit Kabelbindern gefesselt verhaftet. Auch "besetzte Busse" und Häuser werden geräumt.
Diese "größte Polizeiübung aller Zeiten in Niedersachsen" wurde von Polizei aus Holland und Kroatien beobachtet. Mit Kroatien unterhält Deutschland ein Abkommen zur Polizeiausbildung. Die Niederlande gehört offensichtlich zu den Ländern, mit denen die Polizeizusammenarbeit eine operative Ebene erreicht hat.

Für die ab Juni stattfindende Fußballmeisterschaft Euro08 werden über 800 deutsche Cops in Österreich und der Schweiz eingesetzt. In Österreich bekommen sie laut Innenminister Platter "volle Einschreitbefugnis". Österreich möchte das Sicherheitskonzept der Fußball-WM 2006 übernehmen, erklärte der Minister auf einer "Anrainer-, Transit- und Teilnehmerstaatenkonferenz" zur Euro08. Beteiligt an dem Treffen waren VertreterInnen aus 21 Ländern. Gemeinsam wurde versucht eine Risikoeinschätzung einzelner Spiele vorzunehmen. Interpol und Europol stellen regelmäßig Analysen zur Verfügung. Besondere Sorge bereiten die "Public-Viewings".

Die deutsche Regierung gewährt auch der Schweiz seit Jahren "grenzüberschreitende Amtshilfe". Beim G8-Gipfel 2003 half die deutsche Polizei mit 5 Wasserwerfern und Hundertschaften aus. Damals waren sie noch nicht mit allen "Hoheitsrechten" ausgestattet und durften keine Festnahmen durchführen. Wichigster Einsatz war auf einer der Innenstadtbrücken in Genf zur Einkesselung einer Demonstration.
In Lahr im Schwarzwald trainierten bereits im November 2007 die Bereitschaftspolizei Baden-Württembergs und schweizer Kantonspolizei die "Handhabung von Menschenmassen". Auch in der Schweiz werden deutsche BeamtInnen zur "Bewältigung polizeilicher Lagen" bei der Euro08 eingesetzt. Auch hier sollen die Erfahrungen bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 weitergegeben werden. Gewalttäter hätten "bei der EURO 2008 keinen Freiraum", erklärt Beat Hensler, Präsident der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten.
Geübt wurden die "Identifizierung und beweissichere Festnahme von Gewalttätern und Rädelsführern in Stadien und bei Public-Viewing-Veranstaltungen, die Kontrolle von Fan-Gruppen in Bussen und Zügen oder die Trennung von gewaltbereiten Fans".
Fundament des gemeinsamen Einsatzes ist ein deutsch-schweizerischer Polizeivertrag zum grenzüberschreitenden Einsatz unter der Leitung des Gebietsstaates. Für die Euro08 wird er um eine bilaterale Vereinbarung ergänzt. "Die deutschen Ordnungskräfte sind vor allem für das Durchgreifen bei Ausschreitungen zuständig", so Anita Panzer, Medienverantwortliche des EM-Projekts "Sicherheit der öffentlichen Hand". Vorgesehen sind mehrere Hundert BereitschaftspolizistInnen vor allem aus Baden-Württemberg und Hessen sowie der Bundespolizei. Sie stehen unter dem Kommando von Baseler und Züricher Polizei.
Deutsche Cops sind für den Nahkampf mit Schlagstöcken vorgesehen, worin die schweizer nicht geschult sind. Schweizer Cops setzen zur "Crowd Control" Distanzwaffen, vor allem Gummischrotgewehre, ein. Beim G8 2003 wurden auch Blendschock-Granaten verwendet. Distanzwaffen sind der deutschen Polizei verboten. Daher sollen sie in der Schweiz "wenns drauf ankommt, hart zupacken".Allerdings regt sich Widerstand auch unter schweizer Politikern. Es besteht die Sorge, dass ein Prügel-Einsatz der ohnehin schlecht angesehenen Deutschen ein "psychologisches Problem" in der Öffentlichkeit erzeugen könnte.

Neben allgemeinen polizeilichen Einsätzen bei "Major Events" wie Gipfeltreffen oder Sportveranstaltungen mischt die deutsche Polizei nun auch massiv im Kosovo mit. Der Unabhängigkeitserklärung im Februar folgte die sofortige Ankündigung der EU-Polizeimission EULEX mit 1.800 RichterInnen und Polizeikräften, hauptsächlich aus Deutschland und Italien. 700 von ihnen sollen zur "Kontrolle von Demonstrationen" eingesetzt werden. Im Kosovo trainiert die Polizei womöglich zusammen mit der Bundeswehr, die sich in der Altmark auf Aufstandsbekämpfung vorbereitet (StatistInnen werden z.B. von einer Rostocker Firma angeheuert).

Grundlage des grenzüberschreitenden Einsatzes nationaler Polizei innerhalb der EU ist der "Vertrag von Prüm", zuerst geschlossen von Belgien, Deutschland, Spanien, Frankreich, Niederlande, Luxemburg, Österreich. Ziel war die "Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration".
Der Vertrag von Prüm war ein Testlauf und wird nun geltendes EU-Recht (siehe zum neuen europäischen Polizeirecht sehr ausführlich ein Script von Silke Studzinsky). Er regelt unter anderem die Einrichtung gemeinsamer Datenbanken oder den regelmäßigen Austausch von nationalen "Verbindungsbeamten". Im Alltagsbetrieb sind sie etwa bei Europol und anderen Institutionen vertreten und agieren im Verborgenen. Bei anstehenden internationalen Großereignissen werden sie mit hohen Kompetenzen ausgestattet in die jeweiligen Führungsstäbe entsandt. Offiziell haben sie dort nur "beratende Funktion".
Europol wird eine EU-Agentur und erhält ab 2010 neue Kompetenzen. Damit soll die EU-weite Polizeikooperation eine neue Dimension erreichen, erklärt Kommissar Jacques Barrot: "This is a veritable transformation, not merely a cosmetic one. As a result, European police forces will cooperate more closely". Auch der Katalog von Straftaten, bei denen Europol tätig werden darf, hat sich beträchtlich erweitert und umfaßt nun "all serious forms of cross-border crime". Erwogen wir auch eine europäische "Spezialtruppe gegen Fußballgewalt" unter der Leitung von Europol.

Arbeitsgruppen der EU wurden nach dem G8 in Heiligendamm beauftragt, die Einrichtung einer Datei "Troublemakers" zu prüfen. Die Anweisung nimmt Bezug auf Beschlüsse des Europäischen Rates, die 2001 nach den Protesten in Göteborg und Genua getroffen wurden ("Conclusions adopted by the Council and the representatives of the Governments of the Member States on 13 July 2001 on security at meetings of the European Council and other comparable events".Die EU-Datenbank soll beim Schengen Informationssystem SIS angesiedelt werden.


http://euro-police.noblogs.org

 

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien bei Indymedia am 26.4.2008.