Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Nach der Wahl
Konturen des „Sarkozyismus“ an der Macht werden sichtbar

05/07

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„Als Mann, der es stets eilig hat, kam Monsieur Sarkozy zwei Minuten zu früh“. Unter dieser Überschrift beschreibt die Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ in ihrer Freitagsausgabe die Amtsübergabe von Präsident Jacques Chirac an seinen Nachfolger Nicolas Sarkozy, die an diesem Mittwoch stattfand. Statt, wie vom Protokoll vorgesehen, um 11 Uhr hatte Sarkozy um 10.58 Uhr im  Elysée-Palast Einzug  gehalten. Die Zeitung betrachtet es als ein Symbol, und ihre Formulierung ‚homme pressé’ bezeichnet dabei indirekt jemanden, der hoch hinaus will – und es in diesem Falle bereits hoch hinaus schaffte. Seinen ersten Antrittsbesuch stattete der neue französische Präsident noch am späten Nachmittag desselben Tages in Berlin ab. Am Freitag wird er seine neue Regierung vorstellen, die am Abend zu ihrer ersten Kabinettssitzung zusammentreten wird. Die ersten Konturen des „Sarkozyismus“ an der  Macht werden sichtbar.

In der vergangenen Woche – nach  seiner Wahl, aber einige Tage vor der Amtsübergabe -- war Nicolas Sarkozy zunächst noch mit Kritik konfrontiert worden. Am Abend des Wahlsonntags hatte er bekanntlich seine versammelten Anhänger frühzeitig verlassen, um sich in Luxusrestaurant Le Fouquet’s auf den Champs-Elysées zu begeben, und von dort in ein Fünf-Sterne-Hotel, wo er die Nacht verbrachte  - in fünf Autominuten Entfernung von seinem Wohnsitz im Pariser Nobelvorort Neuilly-sur-Seine. In den folgenden drei Tagen hatte er sich „zum Nachdenken zurückgezogen“, wie es hieb, aber alsbald wurde bekannt, dass er sich auf einer luxuriösen Yacht auf dem Weg von Malta nach Sizilien befand. Journalisten und Paparazzi waren Sarkozy alsbald auf der Spur.  

Keine Frage der guten Sitten 

Manche Betrachter in Frankreich und im Ausland betrachteten dies als „schamlose“ (>http://www.taz.de/dx/2007/05/12/a0203.1/text) Zurschaustellung von Reichtum bzw. Freundschaften zu schwerreichen Herren. Denn die Yacht ‚Paloma’ und der Privatjet, der im Einsatz die bescheidene Summe von 7.000 Euro stündlich kostet, wurden dem frisch gewählten Präsidenten von dem befreundeten Unternehmer Vincent Bolloré kostenlos zur Verfügung gestellt. Die parlamentarische Opposition und ein Teil der Medien waren pikiert und sprachen von den Sitten eines Parvenüs. Es ist aber  nicht sicher, ob diese Kritik von den Wählern Sarkozys in ihrer Mehrheit geteilt wird. Hatte doch das Beispiel Silvio Berlusconis –- mit dem der Philosoph Alain Finkielkraut, im Wahlkampf ein Unterstützer des konservativen Kandidaten Sarkozy, den neu gewählten Präsidenten am vorigen Donnerstag in einem Kurzbeitrag für Le Monde verglich – eher gezeigt, dass eine gewisse Dosis Unverfrorenheit in dieser Hinsicht durch die Anhänger sogar eher honoriert wird: Träumt doch manch einer unter ihnen davon, auf ähnlich schamlose Weise im eigenen Wirkungskreis zu reüssieren, und fühlt sich darin vom prominenten Vorbild eher beflügelt. Ansonsten können die beiden Politiker freilich kaum miteinander verglichen werden, da sich die Machtfülle des französischen Präsidenten und des italienischen Regierungschefs, aber  auch die Rolle des Staates und die Nähe zu ihm in beiden Gesellschaften  erheblich unterscheiden.

 

Vor allem aber verdeckt diese Kritik an Sarkozys Auftritt den Blick auf das Wesentliche. Denn viel wichtiger als die Frage der Sitten sind die strukturellen Beziehungen, auf die das Geschenk von Konzernchef Bolloré hinweist. Um den Stänkerern den Wind aus den Segeln zu nehmen, hatten Sarkozys Berater alsbald betont: „Diese Reise hat die französische Republik keinen Cent gekostet.“ Was wiederum die Aufmerksamkeit auf die möglichen Interessen Bollorés und seine Verbindungen zum französischen Staat lenkte. Der Grobunternehmer beeilte sich seinerseits zu versichern, er tätige kaum nennenswerte Geschäfte mit der öffentlichen Hand. Und wo dies doch der Fall sei – seine Filiale SDV transportiert das Reisegepäck französischer  Diplomaten  - fielen sie anteilsmäbig nicht ins Gewicht, sondern repräsentierten nur einen marginalen Anteil an seinem Umsatz. Doch die Pariser Wochenzeitung  ‚Le Canard  enchaîné’ korrigiert diese Darstellung im Nachhinein: Auch wenn dies zutreffe, könne man sich das Wirken des Konzerns,  der u.a. im Medien-, Transport- und Infrastruktursektor tätig ist, ohne gute Beziehungen zu staatlichen Stellen kaum vorstellen. So hat Bolloré im vorigen Jahr 16 von insgesamt 49 regionalen Lizenzen für die Zulassung von Wimax  - einer Art drahtlosen  Hochleistungs-Internetanschlusses  der nächsten Generation -  zugesprochen bekommen. Vor allem aber tätigt der Konzern ein Fünftel seines Geschäfts auf dem afrikanischen Kontinent, wo ihm beispielsweise ein Grobteil der Hafenanlagen und ähnlicher Infrastruktur in Ländern wie der Côte d’Ivoire oder Togo gehören; Kritiker bezeichnen seine dortigen Praktiken als neokolonial. Der ‚Canard enchaîné’ erinnert daran, dass Bolloré seine dortigen Geschäfte nicht ohne permanente gegenseitige Rückendeckung  zwischen dem Konzern und  dem französischen Staat tätigen könne, da er sonst in den armen Ländern mit notorisch korrupten Verwaltungsapparaten ständig wachsenden Forderungen seitens der örtlichen Behörden ausgesetzt wäre. Umgekehrt überlasse die französische öffentliche Hand den Privatkonzernen auch gern mal so manche schmutzige Seite des Geschäfts der Einflussnahme.  

Vincent  Bolloré ist damit zwar nicht, oder nicht in gröberem Ausmab, direkter Auftragnehmer der französischen Republik. Wohl aber ist er ein wichtiger Wirtschaftspartner für ihn. Und entsprechend bestehen Risiken der Bevorzugung gegenüber anderen wirtschaftlichen Akteuren oder aber der Abschirmung gegenüber gesetzlichen Ansprüchen,  falls der oberste Dienstherr sich ihm gegenüber als parteilich erweist. 

Befürchtungen bei Journalisten

 Aus ähnlichen Gründen, aber in umgekehrter Richtung – also im Sinne einer unzulässigen Begünstigung Nicolas Sarkozys -, geben die Beziehungen des neuen Präsidenten zu führenden Pressehaus- und Medieneigentümern manchen Journalisten Anlass zur Sorge. ‚Le Monde’ sprach am Montag dieser Woche von „Besorgnis bei den Medien“  (vgl.http://abonnes.lemonde.fr/web/article/0,1-0@2-823448,36-909761,0.html).  Martin Bouygues, der Eigentümer des ersten Fernsehkanals TF1 – der 1987 unter dem damaligen Premierminister  Jacques Chirac und   durch seinen Vater aufgekauft wurde - ist der Trauzeuge von Nicolas und Cécilia Sarkozy sowie Taufpate seines jüngsten Sohnes, Louis. Arnaud Lagardère, der Eigentümer eines führenden Medienimperiums und Erbe von Jean-Luc Lagardère, dessen Nachlass durch den früheren Wirtschaftsanwalt Nicolas Sarkozy geregelt worden ist, bezeichnete den nunmehrigen Präsidenten öffentlich als „meinen Bruder“. Viele halten es daher für plausibel, dass manche Artikel, die dem neuen Staatschef missfallen könnten, nicht erscheinen dürften. Jüngstes Beispiel ist ein Artikel, der am vorigen Wochenende in der Sonntagszeitung ‚JDD’ publiziert werden sollte und demzufolge die Präsidentengattin Cécilia Sarkozy  in der Stichwahl am 6. Mai nicht ihre Stimme abgegeben hat. Nicolas und Cécilia Sarkozy haben seit circa zwei Jahren notorische Eheprobleme. Zu Anfang diese Woche wurde die Existenz dieses  Artikels bekannt   - aber auch die Tatsache, dass er nicht in dem Sonntagsblatt publiziert werden konnte. Dessen Chefredakteur  Jacques  Espérandieu übernahm freilich gegenüber der Öffentlichkeit die Alleinverantwortung dafür, dass der Text in letzter Minute gekippt  worden war, mit der Begründung, eine Überprüfung der Information bei Cécilia Sarkozy hätte stattfinden müssen, sei aber unterblieben. Doch er fügte dann auch noch hinzu: „Ich hatte eine bestimmte Anzahl  von Anrufen von Leuten, die auf dem sehr privaten und persönlichen Charakter dieser Information beharrten“. Nun will aber der ‚Canard enchaîné’ wiederum wissen, die nämlichen „Leuten“ trügen einen alleinigen Namen, nämlich den von Arnaud Lagardère.   

 In diesem Falle ging der Schuss freilich vollkommen nach hinten los, denn falls die Information hätte geheim bleiben sollen, war nunmehr das Gegenteil der Fall: Eine Nachrichtenagentur hatte sie  am Montag tagsüber verbreitet. Im heutigen Informationszeitalter funktioniert die Zensur im klassischen Sinne  eben in der Regel eher schlecht, es sei denn, dass alle von einer Situation Betroffenen wirklich und ausnahmslos dicht halten. Ein viel eher Erfolg versprechendes  Rezept als der Versuch einer Unterdrückung missliebiger Nachrichten, dies ist mittlerweile ein Klassiker, ist da immer noch die Übersättigung mit  Bildern und Informationen mit mäbigem bis geringem Informationswert. Dafür ist TF1 sicherlich ein höchst geeignetes Instrument.

Das Schaffen so mancher Journalisten ist Nicolas Sarkozy freilich kein Dorn im Auge, wie sich im Zuge der Zusammensetzung seines  Mitarbeiterstabs im Elysée-Palast sowie der neuen Regierung erwies. Zwei bisherige politische Journalisten, Catherine  Pégard vom konservativen Wochenmagazin Le Point und Miriam Lévy vom Figaro, werden nunmehr Kommunikationsberater von Präsident Sarkozy im erstgenannten, des neuen Premierministers François Fillon im zweiteren Falle. Die beiden hatten in den letzten Monaten schwerpunktmäbig respektive den Wahlkampf Sarkozys bzw. den seiner Konkurrentin Ségolène Royal verfolgt und über ihn berichtet. Aber auch umgekehrt funktioniert die Sache mit der Durchlässigkeit der Grenzen ganz gut: Der ehemalige stellvertretende Wahlkampfleiter von  Sarkozys UMP, Laurent Solly, wird künftig „für Martin Bouygues arbeiten“, mutmablich für dessen Fernsehsender TF1 – den französischen TV-Kanal mit  den höchsten Einschaltquoten.

Durchsuchung beim  ‚Canard enchaîné’

Nicht direkt mit dem neuen Präsidenten persönlich in Verbindung gebracht werden kann, jedenfalls bisher, ein anderes Grobereignis in der französischen Medienlandschaft im Laufe der vergangenen Woche: Am vorigen Freitag wurden die Redaktionsräume des ‚Canard enchaîné’  in Paris durch ein stattliches Polizeiaufgebot durchsucht. Anlass dazu war offiziell die Suche nach einem Fax mit Informationen bezüglich der so genannten Clearstream-Affäre im Jahr 2006 (vgl. www.heise.de/tp/r4/artikel/22/22635/1.html ), das von einer Anwaltskanzlei an  die Redaktion geschickt worden sei, wodurch es zu einer Verletzung des Untersuchungsgeheimnisses gekommen sei. In dieser vielschichtigen Korruptions- und Bespitzelungs-Affären hatten Nicolas Sarkozy und seine damaligen Rivalen im bürgerlich-konservativen Lager, insbesondere der an diesem Donnerstag  aus dem Amt  geschiedene Ex-Premierminister Dominique de Villepin, sich durch diverse Manipulationen gegenseitig auszuschalten versucht. De Villepin, und hinter ihm die Verbündeten Chiracs, die den Aufsteiger Sarkozy auszubremsen versucht, hatten vermeintliche Details über  internationale krumme Geldgeschäfte ihres  Widersachers im Innenministerium herauszubekommen versucht. Einmal am Köder dran, lieben sie nicht locker, gingen dadurch aber selbst  an den Haken: Sarkozy war seit mindestens 2004 über diese Vorgänge auf dem laufenden, lieb die Affaire aber ausufern, um sich selbst im Frühsommer 2006 in der Öffentlichkeit als blütenweibes Opfer finsterer Machenschaften präsentieren zu können.  Ferner bedrohte er Mitarbeiter Chiracs zu jener Zeit mit freundlichen Ankündigungen  wie der, „am Fleischerhaken zu enden“. 

Die Redaktion des ‚Canard  enchaîné’ ist über solche Vorgänge gewöhnlich gut unterrichtet, da sie über Informationsquelle innerhalb der diversen politischen Apparate verfügt: Unterschiedliche Fraktionen benutzen die auf Enthüllungen spezialisierte Wochenzeitungen immer wieder, um ihre offenen Rechnungen zu begleichen. Von unterschiedlicher Seite her konnte also ein Interesse daran bestehen, an das Informationsmaterial der Redaktion über die letztjährige Affäre heranzukommen. 

Nicolas Sarkozy war noch nicht als Präsident im Amt, als die Redaktion am vorigen Freitag durchsucht wurde, obwohl er bereits  von seiner  Kreuzfahrt nach Paris zurückgekehrt war und am Tag zuvor seinen ersten Auftritt an der Spitze des Staates hatte: Bei einer amtlichen Zeremonie zum Gedenken an den Jahrestag  der Abschaffung der Sklaverei in Frankreich (1848) trat er an der Seite Chiracs auf. Insofern kann er nicht formell der Auftraggeber für die Durchsuchung gewesen sein. Allerdings hat er nicht nur selbst unmittelbare persönliche Interesse bei der Aufbereitung der Affäre vom vorigen Jahr. Sondern er hat auch von  den vergangenen fünf Jahren vier als amtierender Innenminister verbracht. Deswegen ist zweifelsohne anzunehmen, dass er nicht erst  formell in sein neues Amt eingeführt zu sein braucht, um bestehende Kontakte ins Innenministerium und seinen Apparat hinein zu aktivieren: Diese sind nicht nur längst vorhanden, sondern besonders intensiv. 

Dies alles beweist noch nicht, dass Nicolas Sarkozy die Anordnung zu der Untersuchung gegeben hat. Letztere ist aber ein besonderes Symbol für das Klima, das zu Beginn seiner Präsidentschaft herscht: Polizisten fühlen sich mit  einer „carte blanche“ ausgestattet, kritische Journalisten erscheinen als suspekt. Die Durchsuchung der Redaktionsräume einer Zeitung wie des ‚Canard enchaîné’ ist ein  Besorgnis erregendes Novum. Konkret hat sie freilich zu nicht sehr  viel geführt, da die Redaktion den anrückenden Polizeikräften erklärt  hatte: „Es ist komisch, wir haben gerade alle unsere Schlüssel zur oberen Etage verloren.“ Der anwesende Untersuchungsrichter rief  zwar zunächst einen Schlosser herbei, musste  dann  aber doch mitsamt der    Polizistenunverrichteter Dinge wieder abziehen.    

Kurs auf nationale Einheitsregierung

Bei der Zusammenstellung seiner Regierung zeigte sich Sarkozy unterdessen bemüht, seinem Ausspruch vom Wahlkampf gerecht zu werden und als „der Präsident ganz Frankreichs, und nicht eines politischen Lagers“ aufzutreten. Also den ideellen Gesamtvereiniger der Nation darzustellen und die Karte der nationalen Einheitsregierung  zu spielen. Im Vorfeld der Regierungsbildung, die in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag ihren Abschluss finden sollte, hatten Sarkozy und seine Berater schon Tage zuvor Nachrichten über eine „Öffnung  zur Linken“ gestreut, im Sinne einer Aufnahme von Mitgliedern der gröbten Oppositionspartei in die eigene Regierung. Das hatte es noch selten zuvor gegeben. Laut ‚Le Monde’ hatte es dafür bereits „mehrere Monate“ Vorarbeit und  Tuchfühlung gegeben. In der Schlussphase des   Wahlkampfs  hatte es das Sarkozy-Team geschafft, den ehemaligen wirtschaftspolitischen Ssprecher der Gegenkandidatin Ségolène Royal anzuwerben, der sein Amt am 14. Februar infolge von Differenzen niedergelegt hatte: Eric Besson. Anstatt eines  Ministeriums, wie vermutet worden war, wird Besson nun aber voraussichtlich nur einen Staatssekretärsposten bekommen.

Andere prominente Namen kursierten in den vergangenen anderthalb Wochen: François Mitterrands früherem Vertrauten Hubert Védrine sei das Aubenministerium angeboten worden, das er zuletzt  unter dem sozialdemokratischen Premierminister Lionel Jospin (1997 bis 2002) besetzte. Védrine lehnte jedoch, seinen Angaben zufolge, ab. Bei anderen Prominenten stieben die Mannen Sarkozys anscheinend   eher auf offene Ohren. Der frühere Bildungsminister und Forschungsfunktionär Claude Allègre, der mit seiner (sozialistischen)  Partei verkracht ist, in seiner Amtszeit die Lehrergewerkschaften gründlich vergrätzt hat und wegen seiner mitunter höchst notdürftig begründeten Ansichten zu wissenschaftlichen Themen sehr umstritten ist -  er leugnet etwa den Klimawandel  -  wurde beim Verlassen eines Hinterausgangs bei Sarkozy gesichtet.  

Interventionist als Aubenminister

Seit Mittwoch steht nun fest, dass der ehemalige sozialdemokratische Gesundheitsminister Bernard Kouchner, früher einer der Gründer der NGO „Ärzte ohne Grenzen“,  aller Voraussicht nach neuer Aubenminister wird. Mit seinem Parteivorsitzenden, François  Hollande, soll es eine ziemlich trockene Aussprache am Telefon gegeben haben. Kouchner fühlte sich seit Jahren mit seinem Talent bei der Sozialistischen Partei notorisch verkannt. Inhaltlich passt er mit seinem Profil durchaus zur  voraussichtlichen Linie der Aubenpolitik unter Nicolas Sarkozy, der aller Wahrscheinlichkeit nach eine starke Annäherung an die US-Administration Bush suchen – unter Bruch der Linie seines Amtsvorgängers  Jacques Chirac – und militärischen Interventionen der führenden westlichen Mächte relativ positiv gegenüber stehen dürfte. Auch wenn Sarkozy in der Schlussphase des Wahlkampfs, wohl um dieses Profil zu verwischen, die Präsenz der französischen Armee  in Afghanistan kritisch bewertet hat. Nicolas Sarkozy hat in seiner Rede  am Wahlabend, nach seinen Worten über die Rückkehr zu positivem Arbeits-  und Leistungsbezug, „Respekt, Moral und Autorität“, auch den Einsatz für die Menschenrechte gepriesen  und „Frankreich an der Seite der Unterdrückten auf der ganzen Welt“ positioniert. Und damit hatte Sarkozy garantiert nicht die Einführung eines  grobzügigeren Asylrechts gemeint. Es wird erwartet, dass seine internationale  Politik relativ pro-interventionistisch ausfällt.  

Bernard Kouchner seinerseits hat 1992, anlässlich der damaligen US-Landung in Mogadischu und dem Beginn der (anderthalb Jahre später    gescheiterten) Intervention in Somalia, die Theorie vom „Recht auf Einmischung“ oder ‚droit  d’ingérence’ kreiert. 1999 wurde Kouchner Protektoratsverwalter der internationalen Gemeinschaft für das Kosovo, nach dem Krieg der NATO vom Frühjahr desselben Jahres gegen Serbien-Montenegro. Und Anfang 2003 zählte Kouchner zu den in  Frankreich relativ wenigen, aber dafür lautstarken prominenten Befürwortern des Angriffs auf den Irak

Ein ähnliches Anzeichen für die Ausrichtung des künftigen Kurses   in der offiziellen Pariser Aubenpolitik ist auch die Beförderung, die dem französischen Diplomaten Jean-David Levitte zuteil wurde: Nicolas Sarkozy machte just den bisherigen Botschafter in den USA zum diplomatischen Berater des Staatsoberhaupts im Elysée-Palast. Über die Personenfrage hinaus dürfte darin jedenfalls auch ein Symbol liegen.    

Zähneknirschen bei den alten Getreuen

Dabei drohte infolge dieses „Öffnungskurses“ nun in den letzten Tagen manchen der eigenen langjährigen Weggefährten, in die Rühre gucken zu müssen. Nicolas Sarkozy speiste sie zu Wochenanfang mit den Worten ab: „Treue Dienste, das ist gut für die Gefühle, aber zum Regieren benötigt man Effizienz“. Einige der langjährigen politischen Freunde fühlten sich daher ernsthaft auf den Schlips getreten. Bei einer Versammlung der engeren Parteigänger Sarkozys mokierte sich dessen bisherige „rechte Hand“ Patrick Devedjian: „Ich bin zweihundertprozentig für die totale Öffnung. Sogar bis hin zu den Sarkozy-Anhängern!“ Allem Anschein nach ging  Devedjian bei der Zuteilung von Ministerien leer aus. Glaubt man ‚Le Monde’, so gingen Devedjian und Brice Hortefeux, der andere einflussbereiche Berater des  damaligen Innenministers Nicolas Sarkozy während der letzten fünfjährigen Regierungsperiode, sich bei der feierlichen Amtsübergabe vom alten zum neuen Präsidenten einander demonstrativ aus dem Wege. Hortefeux wird nun voraussichtlich das während des Wahlkampfs so heftig umstrittene, und tatsächlich unter  diesem  Titel geschaffene, Amt des „Ministers für Einwanderung und nationale Identität“ übernehmen. Kouchner soll es zuvor ausgeschlagen haben. Hingegen hat Devedjian am späten Donnerstag eine mögliche Kampfkandidatur gegen Jean-François Copé, den ebenfalls bisher leer ausgegangenen Regierungssprecher von  2002 bis 2007, für den Vorsitz der Parlamentsfraktion der  UMP angekündigt.

Das Frankreich der Résistance und Jeanne d’Arc

Als nationale  Integrativfigur  versuchte  Sarkozy sich auch am Mittwoch Mittag, nach seiner offiziellen Amtseinführung, geben. Im Rahmen einer kleinen Zeremonie im Bois de Boulogne, einem der beiden Pariser Stadtwälder, lieb  er 35 jungen Résistance-Anhängern gedenken, die dortselbst noch am 16. August 1944 – kurz vor der Befreiung von Paris – durch die nazideutsche Besatzungsmacht hingerichtet worden waren. Gleichzeitig kündigte er  „als  meine  erste Amtshandlung“  an,  dass künftig  alle  französischen Oberschüler zum Schjuljahresbeginn den Abschiedsbrief  des 17jährigen Kommunisten  Guy Môquet – der im Oktober 1941zusammen mit 26 anderen Geiseln, als „Vergeltung“ für Taten der Résistance, bei  einer  der  ersten Hinrichtungswellen durch die Besatzungsmacht erschossen worden war – an seine Eltern lesen müssten.

Dies entwaffnete für einen Augenblick die linke Kritik an Nicolas Sarkozy und seinem Diskurs, der die  Beschwörung einer bedrohten „nationalen Identität“ mit einem neoliberalen „Weltöffnungs“- und „Modernisierungs“impuls verquickt. Im Wahlkampf hatte Sarkozy zunächst, bei seiner ersten Kandidatenrede am 14. Januar 2007, Frankreich unter anderem „im Alter von 17 Jahren, im Gesicht von  Guy Môquet, als er erschossen wird“, personizifiert. Im Zuge derelben Kampagne hatte Nicolas Sarkozy der Nation allerdings auch etwa das Gesicht von Jeanne d’Arc, die bis dahin als Symbol in aktuellen politischen Auseinandersetzungen (jedenfalls der jüngeren Geschichte) nur durch die extreme Rechte benutzt worden war, verliehen. Diese „Jungfrau von Orléans“ hatte im 15. Jahrhundert gegen die Engländer, die einen Teil Frankreichs im Hundertjährigen Krieg besetzt hielten, gekämpft. Als Reaktion auf Sarkozys Inanspruchnahme des  kommunistischen Résistancekämpfers hatte die KP-Präsidentschaftskandidatin  Marie-George Buffet am 1. April ihrerseits  den Abschiedsbrief von Guy Môquet in ihrer Pariser Grobveranstaltung vor 12.000 Menschen verlesen lassen. Um das Symbol nicht dem konservativen Kandidaten zu überlassen.  

Nunmehr hat, in einer weiteren Wendung,  Präsident Sarkozy also die Deutungshoheit über die Résistance und ihre Angehörigen, als  Nationalsymbol, zurück verlangt. Gleichzeitig allerdings verlieh er  ihren Handlungen den Sinngehalt, den er ihnen gerne geben möchte. So  betonte er in seiner Ansprache unter anderem, die jungen Résistants verkörperten „das Unbesiegbare. Sie haben Nein gesagt: Nein zur Fatalität (Anm.: zum Schicksalhaften), nein zur Unterwerfung, nein zur Ehrlosigkeit, nein zu dem, was die menschliche Person erniedrigt...“ Aber vertritt nicht auch Nicolas Sarkozy heute eine moderne Version desselben Nein?  Hob er doch etwa in seiner Antrittsrede vom Mittwoch hervor, er mache sich zur Maxime seines Handelns „die Anforderung auf Veränderung, denn noch nie war die Bewegungslosigkeit (l’immobilisme) derart gefährlich für Frankreich wie in dieser Welt voller Veränderung“. Um hinzufügen, gefordert sei „der  Bruch mit den Verhaltensweisen der Vergangenheit, den Denkgewohnheiten und  dem intellektuellen Konformismus,  denn noch nie sind die zu lösenden Probleme so neuartig gewesen“. Genau in diesem Sinne hatte er im Wahlkampf auch „die Verweigerung der Fatalität“ als Handlungsmaxime auf seine eigenen Fahnen geschrieben. Verkörpert er also nicht in gewissem Sinne die moderne Résistance gegen „den Konservativismus und die Bewegungslosigkeit“, die er in seiner Antrittsrede ebenfalls anprangerte? Es kommt eben ganz darauf an,   wie man das Anliegen der Résistance von damals nachträglich interpretiert.  

Allerdings trägt der Widerstandskampf, den Präsident Nicolas Sarkozy heute anführt, vor allem das Antlitz neoliberaler „Reformen“ (gegen gesellschaftlichen Konservativismus, Bewegungslosigkeit und  „soziale Besitzstände“), wie sich einem auch andernorts auf der Welt bekannt vorkommen dürften....

Aus politischen, historischen und moralischen Gründen lässt sich jedoch nicht ernsthaft gegen die Anordnung von Präsident Sarkozy  wettern, den Abschiedsbrief von Guy Môquet in den Oberschulen zu unterrichten. Die (noch amtierende, aber im Herbst scheidende) KP-Vorsitzende und Ex-Präsidentschaftskandidatin Buffet „begrübte“ denn auch am Mittwoch diesen Beschluss und kommentierte ihn mit den Worten, es sei „wichtig, dass diese Botschaft den künftigen Generationen überliefert wird“. Der Vorsitzende der gröbten Lehrergewerkschaf FSU, Gérard Aschieri (auch er gewiss kein politischer Freund Nicolas Sarkozy) kommentierte seinerseits: „Das ist nicht kritikwürdig, auch wenn es noch keine Bildungspolitik ausmacht.“ Um hinzuzufügen: „Die (politischen) Werte sind nicht nur eine Frage der Proklamation“, also anders ausgedrückt: der Lippenbekenntisse.

Im Moment ist Nicolas Sarkozy seine politisch-symbolische Operation jedoch durchaus gelungen...

Sarkozy  in Berlin

Während die alten politischen Freunde in Paris einander vorübergehend spinnefeind zu werden drohten (s.o.), tauschte Präsident Nicolas Sarkozy am Mittwoch Abend in  Berlin Freundlichkeiten mit Bundeskanzelerin Angela Merkel aus. Ihr Zusammentreffen symbolisierte vor allem einen symbolischen Generationswechsel an der Spitze beider Länder: Wo Chirac immer altmodische Handküsschen verteilt hatte, küsste Sarkozy seine Amtskollegin ostentativ auf beide Wangen, legte ihr den Arm um die Schulter und duzte sie. Entscheidungen wurden an diesem  Mittwoc noch keine getroffen. Sarkozy hat durch seinen Besuch jedoch unterstrichen, dass die  von ihm erwartete Annäherung an Washington D.C. nicht auf Kosten der deutsch-französischen intensiven zwischenstaatlichen Beziehungen gehen solle. Die Freundschaft beider Länder bezeichnete Sarkozy als „heilig“. Ansonsten drückte er aufs   Tempo, was die nunmehr zu forcierende  Entscheidungsfindung im bilateralen Verhältnis betreffe. Sowohl in der EU-Politik als auch bei der Frage der Neudefinition des – bislang gleichgewichtigen – Kräfteverhältnis beider Staaten beim multinationalen Luftfahrt- und Rüstungsunternehmen EADS mahnte Sarkozy eine baldige Beschlussfassung an. EADS betreffend hatte Nicolas Sarkozy zu Jahresanfang, infolge der  Airbus-Krise, „die Besetzung mit Kompetenz statt paritätische Besetzung“  angemahnt. Diese Forderung hat er so   am Mittwoch nicht wiederholt.

Die Europäische Union - deren  Ratspräsidentschaft die deutsche Kanzlerin zur  Zeit inne hat -  betreffend, möchte Nicolas Sarkozy bei   einer Neuauflage des Verfassungsprozesses auf die Tube drücken.  Im Gegensatz zu seiner vormaligen Gegenkandidatin Ségolène Royal wünscht er jedoch keine erneute Abstimmung durch das französische Wahlvolk, das den damals  vorgeschlagenen Verfassungsvertrag am 29. Mai 2005 abgelehnt hat.  

Bei einem Besuch in Brüssel im September vergangenen Jahres hatte Sarkozy in  einem Vortrag ausgemalt, wie er sich eine effizient funktionierende Grobmacht EU an der Seite der (für ihn eher verbündeten, denn als Konkurrenten betrachteten) USA vorstelle. Demnach sollte der Text eines neuen „Mini-Vertrages“ für die EU, so Sarkozy damals, im ersten Halbjahr 2007 unter deutscher Ratspräsidentschaft der Union erarbeitet werden;  dieser  Zeitplan ist nun so nicht mehr ganz  einzuhalten. Im zweiten Semester des kommenden Jahres 2008 solle er dann unter französischer Präsidentschaft ratifiziert, und noch vor den Europaparlaments-Wahlen im Juni 2009 anwendbar werden.  

Sarkozys  EU-Konzeption 

So „mini“, wie Sarkozy zum damaligen Zeitpunkt den Eindruck erweckte, soll der Vertrag allerdings auch nicht ausfallen. Das bedeutet, er soll die ersten beiden Kapitel des 2005 am französischen und niederländischen „Nein“ vorläufig gescheiterten Verfassungsentwurfs – über die Institutionen der EU sowie den, allgemein gefassten und kaum verbindlichen, Grundrechtekatalog – übernehmen. Entfallen soll lediglich das dritte Kapitel, das wegen seiner zahllosen wirtschaftsliberalen Vorschriften von den linken Gegnern des Entwurfs in Frankreich besonders angegriffen wurde, dessen Bestimmungen allerdings auch anderswo im EU-Recht verankert sind. Anders als die gescheiterte „Verfassung“ soll der neue Vertrag jedoch nicht durch die Bevölkerung, sondern durch das Parlament ratifiziert werden: Dieses Mal wird auf Nummer Sicher gegangen...! 

Am wichtigsten ist es laut Sarkozy, eine handlungsfähige Führungssspitze auf Unionsebene zu schaffen. Dazu gehört die auch im Verfassungsentwurf enthaltene Idee, je nach Affinität unterschiedlich zusammengesetzte Ländergruppen zu bilden, in denen bestimmte Staaten der EU die Ausarbeitung einer gemeinsame Politik – unter sich – vertiefen können. „Ich nehme es nicht hin, dass derjenige, der nicht voran gehen will, die Anderen daran hindert, es zu tun“ tönte Sarkozy damals in  Brüssel. Als allererstes müsse „der Riegel“ des Einstimmigkeits-Erfordernisses gesprengt werden, forderte der seinerzeitige französische Innenminister. Denn daran scheiterten viele politische Entscheidungen auf Unionsebene. Sarkozy nannte konkret die Steuerpolitik, wo die Notwendigkeit einer Einstimmigkeit von vielen Regierungen benutzt werde, um sich hinter dem Scheitern einer Einigung zu verstecken und auf nationaler Ebene „Steuerdumping“ zu betreiben. Dadurch erhofft man sich vielerorts, dem nationalen Standort Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Das stimmt tatsächlich, und das Beispiel war geschickt gewählt – freilich steht der neue Präsiden ohnehin, auf innerfranzösische  Ebene,  für eine Politik der Absenkung von Steuern für Besser- und  Bestverdienende. Doch Sarkozy möchte auch generell das Einstimmigkeitsprinzip, das viele und vor allem kleinere Staaten der EU vor aufgezwungenen Beschlüssen schützt, kippen. Es soll durch ein Erfordernis „superqualifizierter Mehrheiten“ mit 70 bis 80 Prozent der Stimmen in den EU-Gremien ersetzt werden. Als Anwendungsfelder nannte Sarkozy im September  konkret die Einwanderungs- und Asylpolitik. Nicolas Sarkozy hatte zuvor heftig die Legalisierung“ so genannter illegaler Einwanderer in Spanien und Italien angegriffen, bei denen man andere EU-Länder wie Frankreich dort überhaupt nicht um ihre Erlaubnis gefragt habe. 

Schlieblich möchte Sarkozy der EU eine eigene Rechtspersönlichkeit geben, was er der Union erlauben soll, als solche einen Sitz in internationalen Gremien zu bekleiden. Statt der wechselnden Ratspräsidentschaften der EU soll es einen „stabilen Präsidenten“ geben, der vom Parlament gewählt würde, sowie einen gemeinsamen Aubenminister. Vor allem aber griff Sarkozy seinerzeit die heikle Frage der Vertretung der einzelnen Länder in der Kommission auf. Derzeit hat jedes der 25 Länder einen eigenen Kommissar, aber ihre Zahl soll zukünftig reduziert werden, um das Gremium „handlungsfähiger“ zu machen. Der Verfassungsentwurf hatte die diesbezügliche Reform auf 2014 verschoben, aber ein Rotationsmodell angestrebt, in dem die Mitgliedsstaaten abwechselnd eine Runde bei der Besetzung der dann 18köpfigen Kommission aussetzen. Das missfällt Sarkozy, denn für die „groben“ EU-Länder kommt es seiner Auffassung nach nicht in Frage, übergangen werden zu können. „Seiner Auffassung wäre die Kommission tot, wenn eines Tages eine Mehrheit von Kommissaren eine wichtige Entscheidung gegen ein grobes Land träfe, das (gerade) nicht vertreten wäre“, zitierte ihn damals die Pariser Tageszeitung Le Figaro. Stattdessen schlug Sarkozy vor, der jeweilige Kommissionspräsident solle sich „seine Mannschaft“ selbst zusammenstellen und dabei die je zu vertretenden Länder aussuchen. Es würde sich also faktisch um eine Art Koalition der Willigen unter besonderer Berücksichtigung der „Gröberen“ handeln. 

Und dann hält Sarkozy es ferner noch für wichtig, „jetzt klar zu sagen, wer Europäer ist und wer nicht“. Europäer, das sind nach seiner Definition  neben  den bisherigen Mitgliedsstaaten auch die derzeitigen Nicht-Mitgliedsländer auf dem Balkan, in Skandinavien und die Schweiz. Nicht dazu gehören darf hingegen die Türkei. Ihr schlug Sarkozy, ebenso wie den nordafrikanischen Ländern, eine „privilegierte Partnerschaft“ vor, das bedeutet: Militärabkommen plus die Anwendung von Freihandelsregeln. Zuzüglich der Möglichkeit, Studierende an Universitäten in der EU zu schicken. Bei dieser Frage dürften Nicolas  Sarkozys Vorstellungen bei der deutschen  CDU/CSU sicherlich auf offene Ohren treffen.

 

Editorische Anmerkung

Den Artikel erhielten wir von Autor am 18.5.07 zur Veröffentlichung.