Gegen die Verharmlosung des Kapitalismus durch die Anti-Globalisierungsbewegung.

Referat der gruppe 8. mai [ffm/brln/ny] – antifetischistische aktion, gehalten am 08.05.07 in Mülheim/Ruhr und in gekürzter Fassung am 09.05. in Mainz sowie am 10.05. in Bonn

05/07

trend
onlinezeitung

Die Antiglobalisierungsbewegung ist mittlerweile vor allem eines: berechenbar, langweilig, ritualisiert. Monate- oder jahrelang verfällt sie ähnlich einem Igel oder Murmeltier, also Spezies die einen ausgedehnten Winterschlaf pflegen, der Bewegungsstarre. Doch sobald wieder ein Gipfel auf der Agenda steht, taut sie auf. Dann werden Kontakte wiederbelebt, Bündnisse geschlossen und Aufrufe veröffentlicht, also der sogenannte Mobilisierungsprozess eingeleitet.

Einige Wochen vor dem Gipfel, sobald die Massenmedien beginnen, intensiver nachzuhaken und den Versuch unternehmen, einzelne Fraktionen der Bewegung gegeneinander auszuspielen, kommt eine Gewaltdebatte auf. Allgemeines Geraune setzt ein, es drohe eine kaum mehr abwendbare Spaltung. Diese an sich nicht verwundernswerte Tatsache – schließlich, so sollte man denken, besteht zwischen einem gewaltbereiten Autonomen und einem pfaffenhaft-pazifistischen attaci doch eine gewisse Differenz – wird aufgrund der Abwesenheit inhaltlicher Debatten zum großen Streit überhöht. Wundersamerweise wird die befürchtete Spaltung stets im letzten Moment abgewendet und man einigt sich auf die Leerformel, verschiedene Formen des Protestes würden als legitim anerkannt. Gerade in der Verschiedenheit der Beteiligten liege ja schließlich die Stärke der Bewegung, Pluralität, Multitude usw., man kennt das ja.

An die Gipfelmobilisierung werden äußerst hochtrabende Erwartungen geknüpft. Da die Bewegung nicht dermaßen kurzsichtig und verantwortungslos handeln will wie die von ihr gescholtenen Politiker_innen, soll es nicht nur einfach während der Gipfeltage ‚krachen’, sondern in den Monaten oder Jahren der Vorbereitung sollen „tragfähige Bündnisse“ geschlossen, „langfristige Strukturen“ aufgebaut und Kontakt zur „Bevölkerung vor Ort“ geknüpft werden. Der gesamte Gipfelprozess gilt nicht nur als Gelegenheit, der Bösesten der Bösen einmal konkret habhaft zu werden, womöglich Bushs Limousine mit der Zwille anzugreifen, sondern vor allem als geeignete Bühne, um linke Inhalte einer großen Öffentlichkeit darzubieten.

Die Gipfel sollen allen Missständen der radikalen Linken abhelfen. Die Frage, wieso der Kapitalismus, der uns doch die ganze Zeit beherrscht und ankotzt, nicht als solcher bereits genügend Anlass zu Vernetzung, Bündnisbildung usw. bietet, wird gar nicht mehr aufgeworfen. So werden die Gipfel mit Erlösungswünschen überladen: sie sollen die radikale Linke aus ihrer internen Zersplitterung zusammenführen ebenso wie die Überwindung ihrer gesellschaftlichen Isolation ermöglichen. Nicht mehr das Handeln von Menschen, hier: Linksradikalen, soll das menschgemachte Elend überwinden, sondern eine Institution, in diesem Fall die G8. In einer Broschüre des dissent!-Spektrums ist zu lesen: „Gipfel sind Resonanzkörper für radikale Kritik, die über den Event hinaus wirkt“. Und die Gruppe six hills aus Berlin meint: „Die überregionale Mobilisierung könnte die Chance bergen, dass ein Großteil der überregionalen radikalen Linken zusammenkommt und auch über den Gipfel hinaus zusammen arbeitet, bzw. eine darüber hinaus reichende Struktur schafft. Viele versprechen sich hier eine neue Zündung für die linksradikale Bewegung von grundlegender, perspektivischer Tragweite.“

Die Gipfel werden also verdinglicht zu messianischen Figuren: Ohne Gipfel keine Bewegung, d.h. keine Veränderung. Die kapitalistische Herrschaft der Dinge über die Menschen wird von der Bewegung also bereits formal affirmiert. Diese Verdinglichung bedingt dann auch die Ritualisierung der Bewegung, die sich abseits jeder Möglichkeit von Erfahrung bewegt.

Diese etwas abstrakten Ausführungen werden vielleicht deutlicher, wenn man sich kurz die Geschichte der Antiglobalisierungsbewegung in Erinnerung ruft. Diese Bewegung stand zwar bereits von Beginn an im Banne des Fetischs – „Ihr seid 8, wir sind 6 Milliarden“, Ausrichtung an einem begrifflichen Nichts wie ‚Globalisierung’ usw. Darum konnten auch schon in Seattle wie in Genua massenhaft national-protektionistische bis nazistische Kräfte mitwirken. Zugleich war hier jedoch noch eine gewisse Spontaneität, ein Mangel an Selbstdisziplin wie auch die partielle Abwesenheit externer Regulation zu bemerken. Die Art und Weise, wie der BlackBloc durch Genua marodierte, war einerseits nihilistisch bis barbarisch – z. B. wurden Bankfilialen angegriffen, über denen hilflose Alte wohnten, die ob des ihnen entgegenschlagenden Feuers panisch vom Balkon starrten. Andererseits zeigte sich in dieser umfassenden Destruktionsneigung eine Negativität, die sich dem Kompromiss mit den herrschenden Zuständen ebenso verweigerte wie der simplen Fixierung auf ‚das Finanzkapital’ oder ‚die USA’. Aufgrund dieses – zumindest scheinbar – neuartigen und totalen Angriffs konnte die Revolte von Genua nicht vollkommen in das Spektakel integriert werden. Genua blieb, trotz all seiner Mackerhaftigkeit, trotz der bornierten Orientierung am G8-Gipfel, eine Störung, eine Irritation im Betriebsablauf der Gesellschaft. Eventuell hätte man von dort aus in kritischer Solidarität weiterdenken können. Die Trier Gruppe lif:t schreibt, vielleicht zu euphemistisch: „Es war eine Macht im Sinne Rosa Luxemburgs und Hannah Arendts; eine Macht, die nicht aus den Gewehrläufen kam, sondern der spontanen Assoziation und dem gemeinsamen Handeln entsprang.“

Aber schon damals begann die Entschärfung, die InZweckSetzung der Bewegung. Im ‚Spiegel’, der ‚taz’, von Helmut Schmidt und Anderen wurde der „Raubtierkapitalismus“ als nationaler Hauptfeind ausgerufen. Attac und verwandte Sozialdemokrat_innen wurden als Repräsentanten der neuen Bewegung eingesetzt und somit der konfuse bis negative Impetus in das positive Betteln um die Einführung der Tobin-Steuer transformiert. In den folgenden Jahren wurde die Bewegung zum integralen Bestandteil der Gipfel-Inszenierungen. Wo ein Gipfel war und ist, war und ist der Protest. Der Protest konnte somit antizipiert werden, wurde zur kalkulierbaren, von den Eliten fest eingerechneten Größe. NGOs und andere zivilgesellschaftliche Kräfte wurden direkt in die Gipfel eingebunden, der BlackBloc geriet zum Synonym für pubertär-wütenden Krawalltourismus. Die Militanz formulierte nun kein entschiedenes Nein mehr, sie verstörte auch nicht mehr, sie wurde erwartet und aufgesogen. Wie die Gruppe a:ka Göttingen schreibt: „Die bürgerliche Öffentlichkeit hat an Argumenten keines, am Spektakel jedoch ein umso größeres Interesse, und Gewalt stellt von ihrem spektakulären Gehalt her eben alles in den Schatten, was den Medien sonst geboten werden kann.“ So gesehen, war der BlackBloc bereits in Genua, viel stärker noch in den Folgejahren Verstärker reformistischer Forderungen. Das Splittern der Glasscheiben, das Trommelfeuer der Steine auf den Schildern der bewaffneten Staatsmacht fungiert als Untermalung für die professionell durchkalkulierten Pressekonferenzen von attac. Der BlackBloc hält attac sozusagen das Megaphon hin, durch das dann die einschlägig bekannten Parolen ertönen vom „sozialen Europa“, das gegen den „Angriff des Neoliberalismus“, also der Großkonzerne, des Finanzkapitals und ihrem nationalen Ableger, den USA, zu verteidigen wäre.

Verschärfend kommt hinzu, dass der 11.9. nicht zum Anlass genommen wurde, über das seit den 1960ern Jahren veränderte Verhältnis von Metropole, Trikont und dort angesiedelten ‚Befreiungsbewegungen’ oder den Zusammenhang von Angriff auf das Finanzkapital und Antisemitismus kollektiv nachzudenken. Stattdessen wurde nach dem Zusammenbruch der Twin Towers die in Genua noch nicht dermaßen präsente Feinderklärung an die USA und Israel zugespitzt und zum bewegungsinternen Grundkonsens ausgebaut.

Die eingangs konstatierte Langeweile angesichts der No-Globals dürfte auch die Objekte ihres Protestes, also die etablierte Politik, befallen haben. Ihnen stellt sich die Bewegung nicht länger als ideologisches, sondern vor allem als ordnungspolitisches Problem – Stichwort: Zaun, Einsatz 1000er Soldaten und Polizisten – dar.

Ein Anflug von Langeweile ergreift die geneigte Leser_in allerdings auch mitunter bei der Lektüre der linksradikalen oder antideutschen Kritik, die der Bewegung entgegenschlägt. War es vor einigen Jahren noch provokant, ja geradezu revolutionär, den Antisemitismus in der Bewegung und sein Verhältnis zur Kapitalismuskritik zu thematisieren, wurde auch diese Kritik mittlerweile von Seiten derjenigen, die sie praktizieren, einigermaßen ritualisiert. D.h. Stichworte wie „struktureller Antisemitismus“, „verkürzte Kapitalismuskritik“, „linke Elendsverwaltung“ und „dichotomes Weltbild der Anti-Imps“ sind schnell zur Stelle, ohne allerdings noch im Einzelfall auf ihre Tragweite geprüft zu werden. Auch etwaige Veränderungen innerhalb der Bewegung können damit nicht erfasst werden. Auf der anderen Seite wurde diese einstige Sprengkraft der Kritik auch von Seiten einiger Fraktionen der Antiglobalisierungsbewegung entschärft: Man distanziert sich rhetorisch von „verkürzter Kritik“ und wendet sich gegen „Personalisierung“ und ähnliche Phänomene. Allerdings ist mit dieser Distanzierung keine weitergehende Einsicht verbunden, sondern deren Gegenteil, die Abwehr von Erkenntnis. Die sogenannte „verkürzte Kritik“ wird nämlich nur einer Minderheit der Bewegung attestiert – den „unbelehrbaren HC-Antiimps“ – während die Masse der Bewegung exkulpiert wird, somit weitermachen kann wie zuvor. Da sich Totalitarismustheorien, egal welcher Provenienz, immer gegen die Extreme auf beiden Seiten wenden, um eine idealisierte, vorgeblich vernünftige Mitte zu bilden, genügt auch in diesem Fall nicht die Abgrenzung gegen die HC-Antiimps. Zu ihrer Komplettierung bedarf es der Exklusion der Antideutschen aus dem gepflegt-demokratischen Diskurs. So schreibt Thomas Seibert von der Interventionistischen Linken, es müssten „Debatten nicht mehr geführt werden, die noch vor kurzem einige Mühe kosteten. Die Antideutschtümelei ist zum Kuriosum geworden, das kaum der Kritik mehr bedarf, selbst wenn es in Antifa-Kreisen wirkungsmächtig bleibt: eine auslaufende Serie.“

Die einst radikale Kritik wurde also floskelhaft integriert, zum Code heruntergebrochen, ohne dass real eine Reflektion eingesetzt hätte, und gleichzeitig werden jene, die sie weiter aufrechterhalten, als „Ewiggestrige“ oder „Sektierer“ verspottet. Nur weil die auf Marx und Adorno rekurrierende antideutsche Kritik nicht weiter zur Kenntnis genommen wird, heißt das natürlich nicht, dass sie falsch geworden wäre. Aber es gilt unseres Erachtens doch, auf der Basis dieser mittlerweile kanonisierten Analyse neue Formen, neue Wege, neue Begriffe zu finden , um die Kritik wieder zu schärfen und auf den von ihr anvisierten Gegenstand zu beziehen. Im Folgenden soll in thesenhafter Form ein solcher Versuch unternommen werden.

1) Die Antiglobalisierungsbewegung fungiert als großangelegtes Unternehmen zur Verdrängung von Auschwitz

Diese These resultiert nicht allein aus dem Gegenstand dieser Bewegung, der weder Antisemitismus noch Nationalsozialismus noch Deutschland lautet – und auch nie lauten wird, nicht lauten kann. D. h., es wäre mit großer Sicherheit keine Verbesserung, würden sich künftig attac, Greenpeace oder das Gegeninformationsbüro mit Seminaren über das System der Konzentrationslager oder Exkursionen nach Treblinka und Majdanek beschäftigt halten. Gemeint ist weniger, ob und inwieweit diese Bewegung die historischen Fakten zur Kenntnis nimmt, vor allem geht es uns darum, dass die Bewegung systematisch die spezifische Erfahrung, die unter dem Namen Auschwitz gefasst wird, verleugnet.

Diese Erfahrung schließt ein, dass der gesellschaftliche Zwangszusammenhang Kapitalismus einerseits einer verkehrten Rationalität folgt, andererseits diese noch teilweise berechenbare Ratio der Ökonomie zwischen 1933 und 1945 durchbrochen wurde. Durchbrochen nicht zur guten Seite, hin zu einer Vernunft, die sich an menschlichen Bedürfnissen orientiert, sondern durchbrochen in äußerst barbarischer Weise. Die technischen Mittel, die der Kapitalismus an die Hand gibt, wurden eingesetzt, nicht um das Glück der Menschheit zu mehren, sondern um den Massenmord an 6 Millionen Jüd_innen zu realisieren.

Besonders wichtig an dieser Erfahrung scheinen uns zwei Aspekte zu sein: zum Einen eröffnet sich hier die ungeheure Gewalt, die sich in der antisemitischen Ideologie und Praxis zu konzentrieren vermag. Das ist eine Gewalt, die mehr noch als im Rassismus eliminatorischen bzw. „exterminatorischen“ (Daniel J. Goldhagen) Charakter annehmen kann. Die Ignoranz der Wirkmächtigkeit des historischen Antisemitismus durch die Antiglobalisierungsbewegung hat weitreichende Folgen. Nicht nur wird der heute virulente Judenhass absolut unterschätzt, er wird vor allem von der Bewegung bestätigt und selbst hervorgebracht. Er tritt einerseits als Ressentiment gegen „Bonzen“, „Dekadenz“ und „Korruption“ auf, andererseits als Antizionismus. Für Letzteren möchte ich einige Beispiele anführen.

So enthielt die Erklärung der sozialen Bewegungen des WSF in Porto Alegre folgende Passage: „Die Situation des Krieges hat nunmehr den Nahen Osten destabilisiert und den Vorwand für die neuerliche Repression gegen das palästinensische Volk geschaffen. Angesichts der brutalen Besatzung Israels, besteht eine dringliche Aufgabe unserer Bewegung darin, zur Solidarität mit dem palästinensischen Volks zu mobilisieren und seinen Kampf um Selbstbestimmung zu unterstützen.“ Während der Dauer des WSF lebte die lokale jüdische Gemeinde in Angst vor Übergriffen, und tatsächlich kam es aus dem WSF heraus zu Angriffen: 20 Jüd_innen, die für eine binationale Lösung plädierten, wurden von militanten Israelhassern aus einer Demo für Palästina verwiesen. Beim EU-Gipfel 2002 in Barcelona wurden einige Genoss_innen von einem Mob aus Ordnern und Demo-Teilnehmer_innen verjagt, weil sie es gewagt hatten, die Gleichsetzung von Sharon und dem NS zu kritisieren, und beim EU-Gipfel in Kopenhagen trugen die Ordner gleich „Burn, Israel, burn“-T-Shirts. Das ESF in Florenz richtete am 9. November 2002 eine Demonstration gegen den Irak-Krieg inclusive Palästina-Fahnen und Intifada-Rufen aus. Beim direkten Folgeevent, 2003 in Paris, referierte der Islamist Tariq Ramadan, während ein sehr zurückgenommenes Flugblatt zu Israel von der Aktion 3. Welt Saar aufgrund von Gewaltandrohungen nicht verteilt werden konnte. Auch die in Deutschland wegen ihrer Kampfkraft heiß begehrten griechischen Linken möchten da nicht zurückstehen: Während Kommunist_innen anlässlich des Libanonkrieges 2006 das Holocaust-Mahnmal in Thessaloniki schändeten – und diese Schändung sogar im Nachhinein noch verteidigten – richteten Anarchisten in der selben Stadt am 27. Januar 2007 einen Tag der „Solidarität mit dem palästinensischen Volk“ aus. Walden Bello, mit dem sich die Großdemo in Rostock als Promi-Aufrufer schmückt, porträtierte im letzten Jahr den Hisbollah-Generalsekretär Nasrallah als „arabischen Che Guevara mit Turban“ und verfasste eine Lobeshymne auf die Organisation Nasrallahs: „Die Lüge, die Hisbollah sei eine Terrororganisation, wurde beerdigt. […]Doch die Hisbollah konnte nicht nur ihre militärische Kühnheit unter Beweis stellen, sondern - wie im Falle der Vertriebenen - auch ihre enorme Leistungsfähigkeit im sozialen Bereich.“ Und auf der Dissent!-Homepage findet sich ein „Aktionsaufruf gegen G-8 - Palestine: No Wars - no Walls“, in dem u.a. der Zaun um Heiligendamm mit dem Vorgehen der „Besatzungsmacht Israel in Palästina“ gleichgesetzt wird, deren „Mauer“ nicht der Sicherheit, sondern „Landraub und Vertreibung“ diene.

Der zweite, nicht ganz so offensichtliche Aspekt, der mit der These der Verdrängung von Auschwitz gemeint ist, ist die durch die Judenvernichtung erfolgte Demonstration der Brüchigkeit und Unvorhersehbarkeit kapitaler Gesellschaften im äußersten negativen Sinne. Auschwitz zeigt die prinzipielle Möglichkeit grenzenloser Vernichtung, des totalen weltumspannenden Amoklaufs. Hans-Jürgen Krahl formulierte diesen Zusammenhang folgendermaßen: „Ich glaube, dass sich das gewissermaßen selbst noch der logischen Unvernunft des kapitalistischen Geschichtsverlaufs widersetzt hat: Auschwitz ist der Begriff von Kontingenz, den Adorno in den Geschichtsverlauf eingeführt hat, Kontingenz selbst gegenüber der politischen Ökonomie.“ Abgesehen von der Einrichtung des Staates Israel sowie der mittlerweile wieder aufgehobenen Teilung Deutschlands gab es keine relevanten Konsequenzen aus Auschwitz.

Da keine Besinnung, keine Verhaltensänderung der Menschheit und schon gar nicht der Deutschen einsetzte, besteht die Vernichtungsdrohung weiter fort. „Es ist geschehen, also kann es wieder geschehen“, wie Primo Levi sagt. Zugleich ist mit diesem Bruch jede – bereits vor der Indienstnahme der Gaskammern irrige – Annahme von einem automatischen Fortschritt in der Geschichte, der entweder geradlinig oder auf verschlungenem Wege eine stetige Verbesserung für die Menschheit mit sich bringe, obsolet. Wer weiterhin Fortschritt predigt, verleugnet die Ermordeten oder bejaht sie als notwendige Opfer.

Was hat das nun, so werden sich manche fragen, mit der Antiglobalisierungs-bewegung zu tun? Diese Bewegung vertritt ähnlich der bereits von Walter Benjamin dafür kritisierten Sozialdemokratie, teils immanent, teils explizit, einen teleologischen Ansatz, der von einem prinzipiell vernünftigen, sinn- und zielbestimmten Lauf der Geschichte ausgeht. So wie das Problem am Kapitalismus nicht in totaler Verwertung, sondern im Fehlverhalten einiger Politiker und Konzerne verortet, also bagatellisiert, wird, so wird Auschwitz als Sinnbild für den Bruch jeder Vernunft nicht zur Kenntnis genommen. Auschwitz wird an den Rand der Geschichte geschleudert, als Marginalie abgetan. Tendenziell werden damit auch alle anderen, leider zahlreichen, Niederlagen der Menschheitsgeschichte übergangen und irrelevantisiert. Deutlich wird das im Mobilisierungsslogan der Interventionistischen Linken, „Join the winning side“, ebenso wie in dem derzeit wieder massenhaft publizierten Bild eines Graffito aus Seattle, wo hinter behelmten Polizisten die Parole „We are winning“ an der Wand prangt. Oder auch in der im Brustton der Überzeugung vorgetragenen Siegesgewissheit, in Heiligendamm werde man „die G8 wegpusten“, also: alles werde sich schon zum Guten wenden, obwohl es dafür keinerlei Anhaltspunkte in der Realität gibt. Dieser bürgerlicher Fortschrittsoptimismus offenbart lustigerweise auch die Nähe der Bewegung, die ja sonst immer gegen alles „Amerikanische“, gegen Coca-Cola, McDonald´s und „Hollywood-Schund“ agitiert, zu ebenjenem „Schund“. Denn was, bitte, wäre ein Hollywood-Film ohne Happy End?

Ein solches Geschichtsverständnis, das die andauernde Niederlage der Emanzipation abstreitet, anstatt ihr Protokoll aufzunehmen, ist kein Zufall. Die Projektion von Vernunft in die Geschichte – ob als Quell dieser Vernunft nun Gott oder der Kampf der Unterdrückten gilt, ist zunächst egal – hängt mit der gesamten Praxis der Bewegung zusammen, hat also strukturelle Gründe. Das führt mich zur zweiten These:


2) Die Antiglobalisierungsbewegung hat die Form der Politik gewählt und bleibt damit nicht nur der konventionellen Geschichtsauffassung, sondern insgesamt dem Bestehenden verhaftet.

Immer wieder wird im Rahmen der Heiligendamm-Mobilisierung die falsche Politik der „Herrschenden“ angeprangert. So heißt es im von der Grünen Jugend, Avanti, ALB, BUKO, Institut für Theologie und Politik Münster und Pax Christi unterzeichneten ‚BlockG8’-Aufruf: „Auf den G8-Gipfeln wird konkrete Politik gemacht. Eine Politik, bei der die Interessen von Großkonzernen und Finanzanlegern im Mittelpunkt stehen. Rund um den Globus verschärft sich dadurch die dramatische Spaltung in Arm und Reich, die von einem massiven Abbau sozialer und demokratischer Rechte begleitet wird.“

Die den Politikern angekreideten Charakteristika ähneln dabei stark dem volkstümlichem Ressentiment gegen „die da oben“, die „korrupten Schweine“ und die „Nieten in Nadelstreifen“. Das Stammtischpalaver über unfähige Politiker, dieses ganze Genörgel, dient ja nie und nimmer der Vorbereitung eines Aufstandes gegen diese Politiker und deren Staat, sondern einzig und allein dem Sich-Einrichten in den Verhältnissen. Nie würde der Stammtischspießer, obwohl er es doch angeblich um so Vieles besser weiß als Blüm, Schröder, Merkel (oder auch: Beckenbauer und Klinsmann) auf die Idee kommen, seine Geschicke selbst in die Hand zu nehmen. Der Stammtisch ist a priori die Ohnmachtserklärung des Kleinbürgers und Proletariers. In ähnlicher Weise ist das Genörgel der No-Globals über die „kurzsichtige, verantwortungslose Politik“ der G8 weder Kritik noch Aufkündigung einer Gefolgschaft, vielmehr dient es nur der Konstruktion einer besseren, eben „verantwortungsvollen“ (‚Block G8’-Aufruf) Politik. „Alternativen“ werden beschworen, und immer wieder Alternativgipfel ausgerichtet, also schon formal die offizielle Politik kopiert. Im Aufruf zu ebenjenem Gipfel heißt es dann konsequenzlogisch: „Es gibt Alternativen zur Politik der G8.“

Nur nebenbei: Als Mitaufrufende dieses Events fungiert das Leipziger Missionswerk, das sich über die UN beschwert, wo „die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges auf ihrem Vetorecht bestehen und alles blockieren, was ihrer bewussten Interessenspolitik nicht entspricht“. Das Missionswerk präferiert hingegen das „Anbrechen der Gottesherrschaft in Christus“.

Dieser sich um Alternativen bemühende Diskurs könnte nun als harmloser, reformistischer Idealismus abgetan werden. Abgesehen von allen anderen Grausamkeiten, die er mit sich herumschleppt, wie etwa dem Antisemitismus, ist er jedoch nicht als gut gemeint, aber wirkungslos zu begreifen. Sein Wille, Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten, dient der offiziellen Politik. Jener Politik ist es ja ebenfalls eine, vielleicht sogar zunehmend attraktive Option, eine Re-Regulierung des Marktes anzustreben. Der a:ka Göttingen meint, es könne “durchaus so sein, dass die Tage des unreglementierten Kapitalismus mal wieder gezählt sind und eine supranationale Ordnungsmacht […] die Finanzflüsse tatsächlich an die Leine zu nehmen gewillt und imstande ist, oder auch wirklich den ärmsten Ländern die Schulden erlassen werden. So verstanden trägt die Antiglobalisierungsbewegung die Potenz in sich, als Teil einer Modernisierungsbewegung geschichtswirksam zu werden.“ Angesichts dieser Nähe zur etablierten Politik ist es nicht weiter verwundernswert, wenn ein Kai Jelinek von attac beim G8-Gipfel 2003 in Evian erstaunt ausruft: „Das Programm des G8 liest sich wie das eines attac-Kongresses“. Allerdings schafft es Jelinek sogleich, diese Einsicht zu verdrängen, indem er die G8 schlicht der Lüge bezichtigt: „Begriffe wie Frieden, Nachhaltigkeit und Soziale Gerechtigkeit werden von den Wirtschaftsmächtigen genutzt, ohne dass wirkliche Absichten zu ihrer Verwirklichung dahinter stehen.“

Der Wille zur Politikberatung ist jedoch nicht nur bei attac und den diversen NGOs anzutreffen. In abgeschwächter Weise unterwirft sich auch die radikale Linke den Imperativen der Form Politik. Kritik – und kritische Praxis – sowie Politik unterscheidet, dass die Kritik die Wahrheit aussprechen möchte, um eines Tages die Welt nach Maßgabe der Vernunft, also des größtmöglichen Glückes aller, einzurichten. Obwohl die Kritik immer nur eine immanente sein kann, sich also an den Versprechen der bürgerlichen Gesellschaft orientiert, muss sie jene Gesellschaft in all ihren Dimensionen, bis ins Kleinste hinein, ablehnen und umstürzen. Die Politik dagegen will das Bestehende nicht abschaffen, sondern re-regulieren, anders organisieren, weiterhin verwalten und beherrschen. Sie will mittels des Repräsentationsprinzips als von der Gesellschaft abgesonderte Sphäre erhalten bleiben und muss darum die aus dem politischen Sektor ausgeschlossene Masse der Bevölkerung manipulieren. Sie muss darum den Schein heraufbeschwören, die Bevölkerung werde angemessen repräsentiert, ihre Interessen würden von der Politik in ausreichendem Maße vertreten.

Diese manipulative Herangehensweise ist in der G8-Mobilisierung besonders stark anzutreffen. Im Zuge der Kritik ihres Geschichtsbegriffes wurden die siegesgewissen Parolen der Interventionistischen Linken und anderer bereits angesprochen. Deren Behauptung, man werde ganz sicher gewinnen, ist nicht nur logisch äußerst schwer haltbar – es sei denn, man könnte in die Zukunft schauen – sondern mit Blick auf die Stabilität der Herrschaft in Vergangenheit und Gegenwart im Grunde als Lüge zu bezeichnen. Vielleicht nicht als bewusste Lüge, vielleicht glauben ihre Vertreter sogar an sie. Jedenfalls dient diese Lüge vom siegreichen Ende dazu, die Menschen für die vorher von der Polit-Gruppe festgelegten Ziele und Vorgehensweisen zu ‚gewinnen’. Es sollen also nicht die Menschen aufgeklärt werden bzw. zu einem Prozess der Selbstaufklärung angeregt werden, sondern sie sollen mit den Mitteln von Reklame, Anpreisung und Täuschung überredet werden. Nicht, weil es die Vernunft gebietet, Kommunist_in zu werden, sondern weil man als Kommunist_in auf der Seite der Gewinner stehe, also cool, mächtig, erfolgreich sein werde, soll man der IL folgen. Die No-Globals machen somit Werbung für ihre Position, preisen ihr Produkt in den schillerndsten Farben an. Redical M bezeichnen ihre Strategie als „Marketing für den Kommunismus“, und die No G8-Gruppe Kiel meint: „Mit einer Portion Selbstbewusstsein und etwas Organisation kann der G8-Gipfel […] zu einem riesigen Spaß mit großartigen Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung werden [und] sich obendrein als ausgezeichnete Gelegenheit erweisen“ blablabla. Die politische Auseinandersetzung, die den Verzicht auf kurzfristige Privatinteressen und Begierden erfordert, also äußerst anstrengend ist – von der potentiell todbringenden Konfrontation mit der Polizei ganz zu schweigen – wird in der Manier von ‚TrimmDichFit’- und ‚Deutschland bewegt sich’-Kampagnen zur lustigen Erlebnisreise umgebogen.

Wie jede Partei oder jedes Unternehmen auch berechnen die Antiglobalisierer den Erfolg ihrer propagandistischen Maßnahmen in Quantitäten. Und genau diese Quantitäten sind es, die ja erst die Menge der Leute dorthin rufen. Es handelt sich um einen performativen Akt. Die Leute hören: „Wow, 100.000 in Heiligendamm“ und denken sich „Da muss ich dabei sein“. Die Zeitung der IL, ‚G8Xtra’, schwärmt dementsprechend: „Verheißungsvoll klingt die Zahl von 100.000 Protestierenden – in den Augen der Mächtigen ein wahres Bedrohungsszenario.“ Eine Bezugsgruppe Wilnis aus den Niederlanden führt den absurden Diskurs weiter: „Stell dir mal vor, dass es echt gelingt, dass wir mit genügend Menschen sind, […] um alle Zugangswege zum G8 Gipfel echt zu blockieren. Dann fällt der G8 Gipfel, wo die Verantwortlichen für das globale Elend, Umweltzerstörung und neoliberale Handelsbeziehungen zusammenkommen […] ins Wasser. [..] Wer mitmacht, kann später an ihre/seine EnkelInnen […] erzählen, dass sie/er dabei war.“

Obwohl man weiß – oder aus jeder bürgerlichen Umfrage wie etwa Heitmeyers „Deutsche Zustände“ Teil 1-5 erfahren könnte – dass die absolute Mehrheit der Deutschen momentan nicht einfach nur unentschieden, sondern offensiv konterrevolutionär ist, machen sich die G8-Gegner über jene, die sich der Mobilisierung verweigern, als „Hand Voll Mitglieder eines kommunistischen Lesekreises“ lustig. Selbst wollen sie „die Massen mitnehmen“, wie es No G8 Kiel formuliert. Ähnliche Schauder ergreifen die Interventionistische Linke beim Gedanken an die Tage von Heiligendamm: „Juni 2007. Ein unübersehbarer Zug von DemonstrantInnen aus der ganzen Welt zieht aus Protest gegen das Gipfeltreffen der G8-Staaten durch die Straßen von Rostock. Zehntausende begrüßen die Regierungschefs bereits auf dem Rollfeld des Flughafens und blockieren den noblen Tagungsort Heiligendamm.“

Einmal abgesehen von diesen Entwürfen unmittelbarer Kollektivität, die den Fakt der isolierenden kapitalistischen Konkurrenz idealistisch ignorieren: entweder muss man für ein solches „Politikmachen“ seine eigene zumindest dem Anspruch nach revolutionäre Haltung verwässern – denn so viele Revolutionäre gibt es derzeit einfach nicht – oder man belügt die Leute, um sie für seine Zwecke einzuspannen. Ich würde sagen, die meisten Strömungen in der Bewegung tun beides, ablesbar an den oben zitierten Massenszenarien ebenso wie an den einschlägigen, mehr und mehr reformistischen Parolen. Im Block G8-Aufruf, der ja immerhin von Linksradikalen initiiert wurde, heißt es: „Für gleiche soziale, politische und kulturelle Rechte aller Menschen, für das Recht auf globale Bewegungsfreiheit, für einen verantwortungsvollen Umgang mit den weltweiten Ressourcen, für die Garantie öffentlicher Räume und Güter und für globale soziale Gerechtigkeit“. Rechte hier, Rechte da: es zeigt sich, wie das bereits kritisierte Politikgestalten mit einer Begeisterung für das Recht und seinen Garanten einhergeht, was uns zur dritten These leitet:

3) Die Anti-Globalisierungsbewegung ist objektiv eine Bewegung zur Rettung des Nationalstaates

Der Großteil der Bewegung spaltet die kapitalistische Totalität auf und konstruiert einen Gegensatz von Staat und Markt. Der Markt wird verdammt für sein Profitstreben, seinen Ausbeutungswillen, seine Tendenz sich angeblich „öffentlicher Güter“ zu bemächtigen. Einerseits steht der Markt hier meist synonym für die Wirtschaft. D.h., die Produktionssphäre und damit die Art und Weise, wie der Reichtum entsteht, wie gearbeitet wird, gerät aus dem Blickwinkel der Globalisierungskritik. Die No-Globals fixieren sich auf die Sphäre der Distribution. Darum wird in jedem Aufruf die „wachsende Spaltung in Arme und Reiche“ beklagt, die ja tatsächlich gigantische Ausmaße annimmt. Eine Lösung bietet in dieser als „ungerecht“ wahrgenommenen Situation die „angemessene“ Verteilung der produzierten Güter. Diese Verteilung soll nun der Staat besorgen, der den No-Globals als an sich neutrale, unabhängige und gerechte Einrichtung erscheint. Wie ein Schiedsrichter beim Fußball soll er für Fair-Play sorgen, also die ach so goldenen Zustände der fordistischen Ära wieder zurückbringen.

An keiner Stelle wird erkannt, dass der Staat nicht einfach korrumpiert ist, wenn er etwa die Unternehmenssteuer senkt, sondern darin seine ureigenste Funktion erfüllt, nämlich die optimalen Rahmenbedingungen für das in seinem Territorium ansässige Kapital bereitzustellen. Zwar ist der Staat souverän gegen die ihm unterworfenen Bürger_innen, aber nicht gegen seine ökonomische Basis.

Dort erscheint er lediglich manchmal als autonomer Machthaber, wenn er etwa Sanktionen gegen ein bestimmtes Unternehmen verhängt. Letzten Endes ist er aber allein schon aufgrund der Notwendigkeit, sich selbst finanzieren zu müssen, auf das Wohlergehen seiner Wirtschaft angewiesen. Wie auch andererseits die Ökonomie sich manches Mal des Staates zu entledigen scheint, ihm jedoch stets als äußerem Rahmen, als Ordnungsprinzip bedarf. Die vom Staat im Sinne eines ideellen Gesamtkapitalisten gesetzten Schranken wie etwa der 8-Stunden-Tag sind notwendig, damit sich die Einzelkapitalien nicht ihrer Grundlage, der Vernutzung menschlicher Arbeitskraft, berauben. Im Diskurs der Globalisierungskritik erscheint der Staat nicht als adäquate Durchsetzungsform des Kapitals, sondern als schützende Instanz vor den Zumutungen des Marktes. Wir haben es somit nicht nur mit einer nostalgischen Romantisierung einer vergangenen Epoche – des Fordismus – zu tun, sondern mit einer Fetischisierung des Staates und damit einer Affirmation von organisierter Gewalt, von Herrschaft.

Offen formuliert wird die nationalstaatliche Ausrichtung im Aufruf zum G8-Alternativgipfel: „Wir wollen faire Beziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern Wir wollen eine solidarische Ökonomie.“ Sogar Linksradikale wie Thomas Seibert propagieren mit Nicos Poulantzas „die ‚Anwesenheit’ der sozialen Kämpfe und Widersprüche in solcher Staatlichkeit“ und liefern dafür folgende Begründung: „Es wird weiterhin linke Parteien und deshalb auch linke Regierungen und ‚linke’ Nationalstaaten geben. Es ist erfreulich, ja sogar wünschenswert, dass es so etwas gibt. […] Es gibt kein Zurück hinter den Pluralismus der Bewegungen und Subjektivitäten, kein Zurück zur Unterordnung der Bewegungen unter Staat und Partei. Letztere sind besondere Medien der sozialen und politischen Kämpfe, doch nur ein Medium unter anderen und definitiv nicht das wichtigste. Hinfällig wird damit die prinzipielle Ablehnung beider: Eine jede Ablehnung wird konkret, d.h. im Einzelfall zu begründen, oder sie wird Anarchismus, d.h. eine ideologische Position im negativen Sinn des Worts, sein.“ Staat und Linke rücken ganz nahe zusammen, und jeder, der auf seiner baldestmöglichen Abschaffung beharrt, gerät zum pubertierenden Anarcho, zum „Ideologen“. Vielleicht wurde Seibert auch einst von seinen Eltern so geschimpft, als er seine ersten Demos besuchte.

Konkret praktiziert wird die linksradikale Adoption des Staates in der Regel als Rechtsfetisch: Während auf den Demos andauernd die Polizei als Vertreterin der Exekutive mit den niedrigsten Schmähungen versehen und im Straßenkampf herausgefordert wird, wird das Prinzip der Judikative übernommen und gar seine Ausweitung gefordert. Das Eintreten für „globale soziale Rechte“ und für diverse Unter- und Nebenrechte wie das Recht auf Bewegungsfreiheit, auf soziale Teilhabe oder gar die neumodischen „kulturellen Rechte“ ist mittlerweile Usus in jedem noch so radikalen G8-Aufruf. Doch Rechte gehen in der Regel mit Pflichten einher. Vor allen Dingen werden sie nur vom Staat oder staatsförmigen Institutionen garantiert – und entzogen. Der a:ka Göttingen kritisiert den linken Rechtsfimmel: „Der globalisierenden Tendenz des Kapitals will man mit einer ‚Globalisierung der Rechte’ entgegentreten, d.h. genau mit dem Prinzip, das die Entwicklungsform des Kapitals darstellt. Denn das Recht setzt die Verhältnisse, in denen freie und gleiche Privatleute mit ihren egoistischen Interessen überhaupt erst aufeinander losgehen können, ohne sich sofort gegenseitig totzuhauen, indem es für Vertragssicherheit der konkurrierenden Privatproduzenten sorgt. Daher verwundert es auch nicht, wenn Politiker der Antiglobalisierungsbewegung zubilligen, sie habe eine ‚berechtigte Kritik’, beruft sich diese Bewegung doch genau aufs Prinzip des Staates: das Recht.“ Der Konnex von Staat und Recht geht im beflissenen Wettstreit um das Auffinden und Präsentieren neuer Rechte völlig unter. Wahrscheinlich ist es den Linksradikalen zu peinlich, eingestehen zu müssen, dass sich ihre Forderungen andauernd an den Staat richten, wo sie doch so stolz sind, dass sie diesem Staat in Form der G8 jede Legitimation verwehren und jedes Mal wütend aufheulen, wenn sich wieder eine NGO mit der Bundeskanzlerin zum Plausch bei Kaffee und Kuchen trifft.

Wer den Staat als Rechtsgarant und Ordnungsprinzip nicht nur akzeptiert, sondern sogar explizit fordert, bejaht die Herrschaft des Allgemeinen über das Besondere, der bürokratischen Maschinerie über das Einzelne, das gleich gemacht, angepasst werden soll. Deswegen, und das führt zu These 4, muss die Antiglobalisierungsbewegung sich gegen das Individuum richten.

4) Die Bewegung ignoriert sowohl in ihrer Praxis wie in ihrer Analyse die heute vorherrschende Subjektivität wie auch Möglichkeiten emanzipatorischer Individualität

Da die Bewegung sich der politischen Sphäre zurechnet, muss sie sich, wie bereits gesagt, Techniken der Manipulation bedienen. Ihre Praxis richtet sich nicht an und auf vereinzelte Einzelne, die zur Reflektion angeregt, provoziert werden sollen, um sich dann bewusst zu einer Assoziation freier, solidarisch miteinander verkehrender Individuen zusammenzufinden. Ihre Praxis richtet sich an eine Multitude, an 6 Milliarden, die als Masse zusammenkommen sollen, um sich an ihrer Massenhaftigkeit zu berauschen. Deswegen belügen sich die No-Globals einerseits selbst über ihre ach so große Anzahl, die Vielzahl ihrer Widerstandsformen wie auch die große Akzeptanz ihrer Bewegung seitens der Bevölkerung. Andererseits belügen sie, weil sie sich nicht wirklich für die Menschen interessieren, sondern sie nur instrumentalisieren möchten, diese Bevölkerung, indem sie ihr von „massenhaftem Aufbruch“ vorschwärmen und falsche Gewinngarantien geben.

Wie diese Bewegung im Einzelfall sogar völlig reformistische Interessen der Individuen ignoriert, verdeutlicht eine Episode aus Frankreich. Dort kommt es 2003 zu massenhaften Streiks, um die geplante Rentenreform abzuwenden. Lehrer_innen und auch die von der Neuregelung gar nicht betroffenen Eisenbahner_innen gehen massenhaft auf die Straße. Ein Generalstreik steht im Raum. Im gleichen Zeitraum finden auch die Proteste gegen den G8-Gipfel in Evian statt. Doch abgesehen von einigen linken und anarchosyndikalistischen Gewerkschafter_innen stößt der Streik bei der G8-Bewegung auf keine Resonanz. Eine französische Gruppe, Temps critiques, kommentiert daraufhin: „Auf Initiative der Leitungen der Gewerkschafts-organisationen und der Assoziationen ist in den Generalversammlungen der Anti-G8-Dörfer von Annemasse die Verbindung mit der Bewegung gegen die Rentenreform diskutiert worden. [Es] zeigte sich, dass diese Verbindung von den Beteiligten nicht wirklich für entscheidend gehalten wurde, weil die Ziele dieses Kampfes nicht ‚umfassend’ genug seien, nicht die ganze ‚Menschheit’ beträfen. Aber ohne wahrzunehmen, dass diese Forderung nach Universalität ins Wasser fällt, wenn die Mehrheit der ‚Altermondialisten’ letztlich das Wesentliche der Kapitalisierung der Welt akzeptiert, außer… wenn sie vom ‚Liberalismus’ durchgeführt wird!“ Zur selben Zeit beglückwünschte der französische attac-Vorsitzende seinen Präsidenten Jacques Chirac bei einem Treffen zu dessen Ablehnung des Irak-Krieges mit den Worten: „Wir begrüßen Ihren politischen Mut. Sie haben sehr zum Glanze Frankreichs beigetragen.“

Man sieht also: Einerseits, im Falle der Kämpfe gegen die Rentenreform, werden die Interessen der Kämpfenden, obwohl sie als Französ_innen sogar formal unter das Konstrukt Frankreich fallen, ignoriert, und zwar mit der Begründung, ihr Kampf sei nicht universell genug. Andererseits, in der Gratulation an Chirac, wird die Nation als Realabstraktion hochgehalten. Im Falle des Lobs der Nation wie der Absage an den sozialen Kampf wird beides Mal das Allgemeine, das große Ganze, über das Partikulare, Einzelmenschliche gestellt.

Diese falsche Prioritätensetzung entspringt direkt der falschen Analyse der Bewegung. Stets wollen die No-Globals sich auf Augenhöhe mit den „Großen“ bewegen. Beinahe durchgängig orientieren sie sich an geopolitischen Kategorien. Relevante Themen sind ihnen die Kriege in Afghanistan und Irak oder Ausbeutung, Hunger und Verschuldung des Trikont. Gedacht wird meist in Formen von Staaten, Blöcken, Kulturen oder Völkern, die gegeneinander kämpfen. Einzelpersonen wie deren Familien, ihr direktes soziales Umfeld, Konflikte im Betrieb oder in der Schule kommen im Diskurs kaum vor, zumindest solange sie nichts mit Privatisierung zu tun haben oder als unmittelbare Folgen der Schimäre ‚Globalisierung’ ausgegeben werden können. Staat und Ökonomie erscheinen als separierte, klar abgrenzbare Blöcke, mit denen die Menschen wenig bis nichts zu tun haben, Blöcke, die lediglich einseitig von oben auf die Bevölkerung einwirken.

Die mangelnde Wahrnehmung des Subjektiven, des Individuellen und Kleinen hat auch die Ausblendung der Partizipation der Subjekte an der Gesamtscheiße zur Folge. Gerade das schrecklich Neue am Kapitalismus, dass eben alle Menschen die Herrschaft mit konstituieren, indem sie dem Tauschgesetz unterworfen und zum Mitmachen verdammt sind, wird übersehen. Darum werden auch die Verblendungen und Verhärtungen der Subjektivierten, ihre Paranoia, ihr Neid, ihr Hass, ihre Furcht, andauernd betrogen zu werden, nicht wahrgenommen. Die bei den ‚ganz normalen Menschen’ ausgeblendete Subjektivität taucht in verzerrter, übersteigerter Form in der globalisierungskritischen Beschreibung der G8-Repräsentanten als „Führer der Welt“ (Interventionistische Linke) wieder auf. Die G8 unterwerfen sich diesem Verständnis zufolge zu acht die Welt, herrschen als acht Menschen bzw. acht Regierungen über die ganze restliche Menschheit, immerhin sechs Milliarden. Allein die G8 scheinen zu agieren, und haben dabei offenbar alle Freiheiten. Meist werden im Rahmen dieser Allmachtsfantasien nicht mal die G8-internen Widersprüche, z. B. zwischen EU und USA oder USA und Russland, erwähnt.

Lassen wir noch einmal die No G8-Gruppe Kiel sprechen: „Unter Herrschaftsverhältnissen sind nicht alle Menschen gleich, sonst wäre es keine Herrschaft. Und natürlich sind Bush, Merkel und Putin Schweine, weil sie das machen, was sie nun mal machen und weil sie sich auch bewusst dafür entschieden haben, diesen scheiß Job zu machen!“ Biologen würden die Kieler Gruppe fragen: Seit wann haben Schweine Bewusstsein? Kommunisten würden zweierlei bemerken: Gleichsetzungen von Mensch und Tier sind nicht erkenntnisfördernd, sondern biologisieren soziale Verhältnisse. Noch problematischer ist dieses Vorgehen, wenn es sich um Bildersprache handelt, die aus antisemitischen Diskursen bekannt ist, wie eben die Rede von Heuschrecken oder Schweinen. Das aber nur nebenbei.

Wichtiger scheint uns hier die Behauptung, Bush, Merkel usw. hätten sich „bewusst entschieden“ für ihren Job. Weiß George Bush wirklich, dass er, als sozial konstruierter Mann, im Rahmen eines patriarchalen Systems auf dem G8 als Charaktermaske dem US-Kapitals ebendiesem die reibungslose Verwertung des Wertes ermöglichen soll? Wohl kaum. Darum sagt Marx: „Sie wissen es nicht, aber sie tun es.“ Die Subjekte machen mit, doch bewusstlos, ohne mit ihrem Verstand nachvollziehen zu können, was sie tun, wenn sie kaufen oder verkaufen, arbeiten und herrschen. Interessanterweise, das als kleiner Einschub, heißt es zum Ursprung der Heiligendamm-Mobilisierung in einem Reader des Dissent!-Spektrums: „Am Anfang stand die Frage: Wieso sollten wir überhaupt mobilisieren. Eine Frage, die auch auf dem ersten Netzwerktreffen […] heiß diskutiert wurde. Sie wurde nicht eindeutig beantwortet, aber die Anstrengungen zur Mobilisierung begannen.“ Will sagen: man weiß eigentlich auch nicht so genau wieso alle jetzt unbedingt zum G8 fahren müssen, stürzt sich aber einfach mal blind in die Praxis.

Um Missverständnisse zu vermeiden: George Bush ist ein Arschloch. Wladimir Putin ist ein noch größeres Arschloch. Über Angela Merkel müssen wir gar nicht erst reden. Ihnen allen ist es egal, wenn massenhaft Kinder verhungern oder Menschen von einem Panzer plattgewalzt werden, oder auch nur von monatlich 345 Euro Hartz IV leben müssen. Sie sind nicht sonderlich zu bedauern, wenn sie einen Stein an den Kopf geworfen bekommen. Solche Gewalt ist Pupskram gegen jene, die täglich vom Kapital ausgeübt wird. Auch wenn das Regierungspersonal nicht weiß, was es da eigentlich tut, und oft nicht einmal die unmittelbaren Folgen seines Tuns abschätzen kann, vgl. etwa den Irak-Krieg: Sie tun ihren Job durchaus freiwillig, kein unmittelbares existentielles Bedürfnis zwingt sie ins Kanzleramt. Sie hatten, bedingt durch ihre Klassenlage, die Möglichkeit, das Rekrutierungsbecken für Staatsdiener_innen, die Parteienlandschaft, zu durchlaufen, haben sich hochgearbeitet und kommen nun in den Genuss bestimmter Privilegien, die anderen leider abgehen, wie z. B. den einer komfortablen Sitzheizung in der Air Force One.

Und doch bleibt es falsch, sich auf wenige Spitzenpolitiker_innen zu konzentrieren. Die Kritik muss sich gegen solche Personalisierung wenden, und stattdessen das Handeln der G8-Repräsentanten als Exekution struktureller Anforderungen, die von Charaktermasken realisiert wird, interpretieren. Der Angriff auf die scheinbar wenigen Entscheidungsträger_innen verbietet sich daneben aber auch, weil im Moment die überwiegende Mehrheit der Subjekte den Zustand der Konterrevolution bis hinein in die Verästelungen ihres psychischen Apparates affirmiert. Sie haben die Herrschaft internalisiert. Eine communistische Revolution mit einer Mehrheit an Konterrevolutionären ist nicht möglich. Darum müssten zuerst diese Verhärtungen und identitären Zurichtungen aufgebrochen werden. Erst wenn die Einzelnen sich ihrer sozial vorgesehenen Funktion verweigern, beginnen, dysfunktional zu werden, kann zumindest revolutionäres Bewusstsein entstehen.

Im Folgenden kommen wir zu zwei Thesen, die noch einmal die Essenz unserer Überlegungen enthalten. Die Erste bezieht sich auf die Bewegung in ihrer Gesamtheit, die Zweite auf ihre linksradikale Fraktion.

5) Der Kapitalismus wird von der G8-Bewegung als Feudalismus fehlinterpretiert und gnadenlos verharmlost

Was in ästhetischer Hinsicht zuweilen wie ein Relikt der 1980er Jahre anmutet – die Gipfelproteste –, wäre eher den 1780er Jahren angemessen gewesen. Der damals herrschende Feudalismus basierte wesentlich auf direkter Herrschaft der Grundherren über die Bauern, die ihnen als Leibeigene unterworfen und an ihre Scholle gebunden waren. Das Produkt der Arbeit der Unterjochten, z. B. Brot und Wein, wurde direkt von den Herrschenden konsumiert, also gegessen und getrunken, und nicht, wie vom Kapitalist, wieder re-investiert. Nicht kreislaufartige Verwertung des Wertes, sondern Subsistenzwirtschaft zeichnet den Feudalismus aus. Die Masse der Bevölkerung war unfrei und nicht, wie heute, doppelt frei gesetzt – frei von direkter Herrschaft und frei von Produktionsmitteln. Die Souveränität verlief in einer geraden Linie von oben nach unten – von Gott zum König, und von dort weiter zum Adel und den jeweiligen Grundherren. Darum war es damals, man denke an Frankreich, noch revolutionär, die Feudalherren zum Teufel zu jagen und den König einen Kopf kürzer zu machen.

Eine solche KopfAb-Politik im doppelten Sinne ist heutzutage nicht allein anachronistisch. Wer von den „Herrschern der Welt“ (attac, Jean Ziegler, ALB, Libertad!, AG Soziale Kämpfe Karlsruhe, Antirassistische Gruppe im Antifa-KOK Düsseldorf, Sozialistische Zeitung, Volkswiderstandsbewegung der Welt, Anti-G8 Greifswald, Informationsstelle Militarisierung, und, laut der ‚Ostseezeitung’, auch Michael aus Dannenberg beim Anti-G8-Camp) ausgeht, die exklusiv die Geschicke der Welt bestimmen, verharmlost den Kapitalismus in grandioser Weise. Das Übel nur an wenigen Punkten, an wenigen Orten, an wenigen Tagen im Jahr anzugreifen, ist nicht die halbe Miete, sondern führt zur Gänze in die Irre. Denn der Kapitalismus ist ja eben keine Gesellschaft, in der nur einige Bösewichte unglücklicherweise das Ruder an sich gerissen haben und nun die Anderen aus Gründen des Sadismus oder zu ihrem Privatvergnügen unterjochen. Vielmehr ist er ein Gesamtzusammenhang, in dem einzelne Handlungen und Institutionen immer nur Elemente des Ganzen darstellen. Alle Erdenbürger sind zunächst mal Insassen des Gefängnis Kapitalismus und müssen sich an dessen Hausordnung halten. Das heißt nicht, dass es kein Entrinnen gäbe – und jeder ernst gemeinte Ausbruchsversuch hat unsere Sympathie – aber die Erkenntnis der nach Klassen, Nationen und Geschlechtern segregierten Totalität muss Basis der Kritik sein. In der Bewegung gegen die G8 ist davon wenig zu spüren, und darum halten wir das populäre Ticket gegen die G8, so human es sich auch dünken mag, für strukturell autoritär, da neidisch den Blick nach ‚Oben’ richtend, und inhaltlich reaktionär, da anti-materialistisch und pro-nationalistisch.

So betrachtet, geht auch das Gerede von ‚verkürzter Kapitalismuskritik’, von der sich mittlerweile sogar einige Fraktionen aus der Gipfelmobilisierung rhetorisch distanzieren, fehl: Eine Ablehnung der G8, des IWF oder der WTO bei gleichzeitiger Affirmation der Gesamtscheiße ist kein erster, positiver Anknüpfungspunkt communistischer Kritik. Eine solche Ablehnung ist eine von vielen Varianten, sich unter Ausblendung eigener Involvierung ideologisch in den Verhältnissen einzurichten, eine Variante, die zudem noch im Vorzeichen der Diffamierung des potentiell bewahrenswerten cosmopolitischen Scheins des Kapitalismus bei gleichzeitiger Verklärung nationaler und kultureller Trennungen steht. Mit anderen Worten: Das moralisierende Wehklagen über die falsche Politik der G8 leistet der Identifizierung der Subjekte mit der Herrschaft, einer idealisierten Politik vorausschauender, weiser und gerechter Staatenlenker_innen, Vorschub. Die angebliche ‚Verkürzung’ bedarf somit keiner Streckung oder Dehnung, sondern der Bekämpfung als gefährlichem Fetisch.

6) Durch den Mobilisierungsprozess nach Heiligendamm sind große Teile der radikalen Linken nach Rechts gerückt und der Verstaatlichung anheim gefallen

Abgesehen von einigen antideutschen Grüppchen und Stellungnahmen der Gruppe sous la plage Hamburg und der FAU Berlin gab es bisher keine ernsthafte Kritik an der G8-Mobilisierung. Wollte man hingegen alle linksradikalen Gruppen aufzählen, die in Heiligendamm involviert sein werden, säßen wir morgen noch hier. Während Demoaufrufe hierzulande in der Regel von einer bis 10 Gruppen getragen werden, mobilisieren zum G8 alle linken Spektren. Seien sie auch sonst noch so sehr auf ihren Status als Ein-Punkt-Bewegung fixiert: alle wollen nun dabei sein, ob Tierrechtler, Antira, Antifa, Umweltschützer oder Anti-Atom-Aktivist. Jeder Scheiß wird auf den G8-Gipfel bezogen, egal ob Sylvesterdemo gegen das Mannheimer Stadtjubiläum, das rassistische Abschiebesystem oder der 1. Mai, wo zwar kaum gegen Lohnarbeit, dafür umso mehr gegen die acht ‚Weltherrscher_innen’ agitiert wurde.

Beinahe sämtliche Gruppen mit Ausnahme vom umsganze-Bündnis sind in sogenannte breite Bündnisse einbezogen. Im ‚Rostocker Bündnis’, wo die konkreten Aktionsabsprachen getätigt werden, sitzen neben Libertad, FelS, NoLager Bremen, kein mensch ist illegal und X-Tausendmalquer auch attac, die Grüne Jugend, die WASG und medico international. Vom Block G8-Bündnis war bereits oben die Rede, und auch in der Demo-AG sitzen neben der Roten Aktion Berlin und dem Anti-G8-Bündnis für eine revolutionäre Perspektive die verdi-Jugend, die Linkspartei, attac und der BUND. Im Aufruf zum Aktionstag gegen das Bombodrom und den Militärflughafen Rostock-Laage heißt es, nachdem ausdauernd die „lokale Bevölkerung“, die „Menschen vor Ort“ und die „Menschen in der Region“ gelobt werden: „Es sind die Mischungen und Bündnisse, die bei aller Unterschiedlichkeit die Qualität radikaler sozialer Prozesse ausmachen.“ Und die Interventionistische Linke hofft für Heiligendamm auf folgendes Szenario: „Ein Jahr lang hatten sich die sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, die Kampagnen engagierter ChristInnen, verschiedene NGOs, GlobalisierungskritikerInnen, die Parteien der parlamentarischen und die Netzwerke der radikalen Linken darauf vorbereitet. Ihr gemeinsames Auftreten, ihr politischer Wille, sich gerade in ihrer Verschiedenheit nicht voneinander trennen zu lassen, ließ die mediale Desinformation ebenso ins Leere laufen wie die polizeiliche Repression.“ Offenbar könnte ebenso gut Claudia Roth den Job der Pressesprecherin der Interventionistischen Linken übernehmen, formuliert sie doch in frappierender Ähnlichkeit: „Wir werden den G8-Gipfel im Sommer dazu nutzen, breite gesellschaftliche Bündnisse mit Kirchen, mit Gewerkschaften, mit Menschenrechtsorganisationen und mit Umweltverbänden zu schmieden und Forderungen wie eine stärkere Bekämpfung der weltweiten Armut zu formulieren.“

Die eigene Schwäche, die es den Radikalbewegten notwendig erscheinen lässt, solche breiten Bündnisse zu schließen, wird nicht eingestanden. Statt dessen wird sie als Wille zum Pluralismus abgefeiert, die Differenz um der Differenz willen zelebriert – „alles so schön bunt hier“. Die radikale Linke ist nur noch ein Farbklecks in einem schillernd-farbenfrohen Mosaik. Anstatt die jeweilige Motivation der Reformisten zu befragen und sie in Relation zu deren gesellschaftlicher Funktion zu setzen – also: Wieso mobilisieren denn z. B. solche gruseligen Christ_innen wie das Leipziger Missionswerk? – wird alles in die Bewegung eingereiht, was nicht bei drei auf den Bäumen sitzt.

Herbert Marcuse schrieb vor Jahrzehnten in seinem Aufsatz „Repressive Toleranz“, „dass die Verwirklichung der Toleranz Intoleranz gegenüber den herrschenden politischen Praktiken, Gesinnungen und Meinungen erheischen würde […] Umgekehrt dient, was heute als Toleranz verkündet und praktiziert wird, in vielen seiner wirksamsten Manifestationen den Interessen der Unterdrückung. […] Toleranz wird auf politische Maßnahmen, Bedingungen und Verhaltensweisen ausgedehnt, die nicht toleriert werden sollten, weil sie die Chancen, ein Dasein ohne Furcht und Elend herbeizuführen, behindern, wo nicht zerstören. Diese Art von Toleranz stärkt die Tyrannei der Mehrheit“.

Gerade die vielgerühmte Breite der Bündnisse, über welche die Linksradikalen ihre Inhalte „vermitteln“ möchten, verunmöglicht als schlechte Form von Toleranz die Artikulation von Kritik. Weder ist noch großartig wahrnehmbar, was die radikale Position zu G8 von attac unterscheidet, noch ist durch das engagierte Lob von Parteien, Gewerkschaften und Kirchen noch ein Hinausdenken über solche Zwangsvereinigungen möglich. Die Gewerkschaften, Christen und die Parteien werden nach unserem Eindruck nicht nur strategisch als Bündnispartner anerkannt, sondern in ihrer sozialen Rolle als Arbeitskraftkartelle, als organisierte Verblender bzw. als Institutionen zur scheinpluralen Konfliktbewältigung akzeptiert. Bei einem solchen Kotau vor der alten Welt verwundert es nicht, dass der einzige Streit der letzten Monate eine nach wenigen Tagen wieder eingeschlafene, laue Gewaltdebatte war. Einige kurze Worte dazu: Diverse attac-Funktionäre wie Peter Wahl und Sabine Leidig hatten in der Presse einen Gewaltverzicht der Bewegung erklärt, woraufhin ein empörter Aufschrei seitens ALB, Avanti usw. kam. Nach einer besorgten Stellungnahme von einigen Vertretern des attac-Koordinierungskreises wurde die Gewaltfrage auf der letzten Rostocker G8-Aktionskonferenz in eine Arbeitsgruppe verwiesen und ist daraufhin eingeschlafen.

Wahrheit erscheint aber nicht im Mitrennen, Mitmarschieren und Wegdelegieren, sondern in der möglichst unversöhnlichen Kritik. Diese Kritik übt sich im Aufspüren des Alten, Herrschaftlichen nicht nur da, wo es offen zu Tage liegt – in der Polizei, im Militär, in der Bank und bei der Mietabbuchung – sondern auch dort, wo die Herrschaft verschleiert auftritt oder sogar Opposition zur Herrschaft formuliert wird. Kritik will negieren und muss darum an die Stelle des Mitmachertums die Provokation setzen. Eine kritische Option wäre etwa, den Alternativgipfel in Rostock zu stören und die Bewegung mit der Diskrepanz zwischen ihren Phrasen – „Eine andere Welt ist möglich“ usw. – und ihrer erbärmliche Analyse und Praxis zu konfrontieren. Vielleicht würde ein solcher Schock ja einen Raum der Selbstreflektion öffnen, der das Verhaftetsein an den Fetischen von Staat, Nation und Kapital transzendieren könnte.

Leider wäre eine solche Intervention auch nicht mit dem avanciertesten Teil der Bewegung, dem umsganze-Bündnis, zu machen. Deren recht durchdachte und gut formulierte Wertkritik enthält in der Analyse einige Mängel, vor allem jedoch mangelhafte praktische Schlussfolgerungen. Zunächst zu den analytischen Fehlern. Umsganze schreibt: „Gerade weil die Regierungschefs, die in Heiligendamm zusammenkommen, sich selber als Repräsentanten einer Volkssouveränität begreifen, ist folglich der Protest des ‚Volkes’ gegen solche Treffen eine völlig legitime Angelegenheit. Rein formell ist er weder a priori reaktionär noch latent antisemitisch sondern vollzieht sich in Gänze innerhalb eines bürgerlich Paradigmas.“ Mit dieser Argumentationslinie sollen die No-Globals vor dem generalisierenden Vorwurf des Antisemitismus in Schutz genommen werden. Doch der Protest gegen die G8 ist keineswegs ursprünglich gut oder gut gemeint und übersetzt sich dann erst manchmal, in einem zweiten Schritt, in reaktionäre Ausdrucksweise. Vielmehr ist die Fixierung auf die acht angeblichen Weltherrscher und ihr „Bonzentreffen“ (Anti-G8-Bündnis für eine revolutionäre Perspektive) schon von vorneherein problematisch, da ja nicht Repräsentation an sich abgelehnt wird, sondern lediglich die angeblich illegitime, undemokratische und international operierende Repräsentation der G8. Ebensowenig ist die eindeutige Trennung von Bürgerlichkeit und Antisemitismus, wie sie von umsganze suggeriert wird, zu haben, war es doch das bürgerliche Zeitalter, in dem der Antisemitismus in seiner modernen, rassenbiologischen Form sich erst konstituierte.

Und sind es doch die bürgerlichen, oder ihre heutigen, post-bürgerlichen Nachfolgegesellschaften, welche die Raserei gegen das Abstrakte und die verschwörungstheoretische Paranoia ihren Subjekten einpflanzen. Gerade in Deutschland ist es offenbar, wie dieser Hass auf die abstrakte Sphäre und den Kosmopolitismus, wie er auch in der G8-Mobilisierung artikuliert wird, latent oder offen an die Assoziation mit dem ‚Jüdischen’ rückgebunden wird. Als Stichworte sollen hier die von SPD über IG Metall und Linkspartei bis hin zu den Autonomen Kommunisten geteilten Heuschrecken- und Blutsauger-Phantasien genügen. Überhaupt fällt am umsganze-Bündnis auf, dass trotz seiner Konstitution aus der Post-Antifa an keiner Stelle die Erfahrung des Nationalsozialismus wie dessen Fortwirken unter veränderten Bedingungen thematisiert wird. Nicht nur, aber auch in den waste lands von Mecklenburg-Vorpommern ist das Weiterbestehen nationalsozialistischer Krisenlösungsstrategien in Form jugendlicher StreetGangs wie der breiten NPD-Wählerschaft schließlich unübersehbar.

Leichtfertig, geradezu schluderig werden von umsganze Argumente präsentiert, die angeblich eine Fahrt nach Heiligendamm notwendig machen. Diese Argumente seien im Folgenden auf ihre Stichhaltigkeit geprüft. Zunächst erfreut uns umsganze mit dem Reflektionsargument: Gerade „weil die G8-Gipfel als Form begriffen werden müssen, in der sich die kapitalistische Gesellschaft im Politischen reflektiert, rufen wir zum unversöhnlichen Akt der Negation auf“. Zwar sind die G8 keine demokratische Institution, die gewählt wird und über eine bestimmte Entscheidungsgewalt verfügt, doch liegt es in der Logik der Sache, dass sich das Kapital in ähnlicher Weise auch auf der Kultusministerkonferenz oder der örtlichen Gemeinderatssitzung einer Selbstbespiegelung und Regulierung unterzieht. Das durchaus berechtigte Plädoyer für eine Kritik der politischen Sphäre als notwendigem Gegenüber des blinden Marktes wie der Produktion gibt keinen Grund an die Hand, wieso speziell die G8-Gipfel gestört werden sollten.

Gehen wir weiter zum Paradoxon-Argument: „Gerade weil Herrschaft im Kapitalismus im Grunde weder Namen noch Adresse hat, sollte der G8-Gipfel zum Anlass genommen werden, um mit der Kapitalismuskritik aufs Ganze zu gehen. Denn der ‚richtige Ort’ für antikapitalistischen Widerstand ist nie unmittelbar gegeben. Die ‚Richtigkeit’ bestimmt sich ausschließlich in dem Maße, in dem aus der Erfahrung gesellschaftlicher Widersprüche die Einsicht in die Notwendigkeit“ der Revolution entstehe. Aus dem Paradoxon von abstrakter umfassender Kritik einerseits und notwendiger konkreter Praxis andererseits resultiert also die Vorgabe, dort einzugreifen, wo die Wahrnehmung von Widersprüchen den Wunsch hervorruft, alles Bestehende umzuwerfen. Welche Widersprüche aber beim G8 erfahrbar werden sollen, wird leider nicht ausgeführt. So kann man nur spekulieren: Ist der dem Volksmund bestens bekannte Widerspruch von oben und unten gemeint? Oder der in jeder Fernsehdokumentation über Afrika erkennbare Antagonismus von Metropole und Peripherie, zwischen universellem Glücksversprechen und massenhaftem Hungertod? Der Widerspruch zwischen der behaupteten Gewaltlosigkeit und der Realität brutaler Repression bis hin zur Tötung von Kritikerinnen und Kritikern? Keiner dieser Widersprüche scheint bei den Aufrufen zum Protest in einer sonderlich emanzipatorischen Weise reflektiert zu werden, im Gegenteil. Die G8-Inszenierung unterbindet Erfahrung im emphatischen Sinne. Sie wird in eine Weltsicht eingepasst, die sich den Kapitalismus aus der bösen Absicht einer kleinen Clique erklärt.

Ohne also auf vorrevolutionäre Widersprüche gestoßen zu sein, wenden wir uns dem Resonanzbodenargument zu: Das Bündnis sieht den G8-Gipfel „als Möglichkeit, unsere Kritik am falschen Ganzen denjenigen nahe zu bringen, die für uns erreichbar sind. (…) Bei aller Kritik am Zustand der ‚Bewegung’ findet sich dort doch zumindest ein Resonanzboden für unsere Überzeugungen.“ Zugegeben: Neben etlichem Bekämpfenswertem, der Volkshuberei, dem Antisemitismus, dem biederen Reformismus wie der machistischen Randalegeilheit, wartet die „Bewegung der Bewegungen“ im Gegensatz zur restlichen Gesellschaft immerhin noch mit dem Anspruch auf, sich mit dem gegenwärtigen Zustand der Welt nicht abzufinden und ihn zum Besseren ändern zu wollen. Doch eignet sich diese schlichte Wahrheit nicht als Argument fürs Mitmachen beim G8-Spektakel. Ein Resonanzboden kann schließlich auch durch Negation zum Schwingen gebracht werden. Ein Akt innerlinker Konfrontation wie die vorhin angesprochen Störung des Alternativgipfels würde ebenfalls Schwingungen hervorrufen, womöglich sogar stärkere als jene Schwingungen, die ein Haufen kritischer Vermummter in einem großen Haufen unkritischer Vermummter auszulösen vermag.

Übrigens: auch „Art goes Heiligendamm“, ein Projekt der ehemaligen Berliner Kultursenatorin Adrienne Goehler, benutzt den Begriff „Resonanzraum“. Goehler geht es um die „Erweiterung des gesellschaftlichen Resonanzraums von Kunst“, ein Ziel ist die Deeskalation der Lage vor Ort, also die Befriedung. Vielleicht verweist der zufällige Gleichklang der verwendeten Begriffen auch auf die Problematik des Resonanzboden-Konzeptes, das ein schlichtes Senderin-Empfängerin-Modell, wie es der bürgerlichen Kunst zueigen ist, impliziert, und darum autoritäre Tendenzen aufweist.

Vor Kurzem ist noch das umsganze-Mitglied redical m mit einem neuen, alten Argument in die Bresche gesprungen. Die Göttinger Gruppe schreibt: „Die mediale Aufmerksamkeit bei Anlässen wie dem G8-Gipfel in Heiligendamm stellt aber trotzdem auch eine bessere Ausgangssituation für linksradikale Kapitalismuskritiker dar. Auch wenn diese Aufmerksamkeit nicht überschätzt werden sollte, gilt es diese Chance nicht ungenutzt zu lassen – gerade aus der marginalisierten Position der radikalen Linken heraus.“ Man muss sich schon fragen, ob es ernst gemeint ist, wenn umsganze einerseits in ihrem Gründungsmanifest die Situationistische Internationale heranziehen, andererseits dann ihre Teilgruppen Hoffnungen schüren, die von der situationistischen Spektakelkritik als Illusionen aufgedeckt wurden. Die Situationisten schrieben: „Die Entfremdung des Zuschauers […] drückt sich so aus: je mehr er zuschaut, um so weniger lebt er; je mehr er akzeptiert, sich in den herrschenden Bildern des Bedürfnisses wiederzuerkennen, desto weniger versteht er seine eigene Existenz und seine eigene Begierde. Die Äußerlichkeit des Spektakels […] erscheint darin, dass seine eigene Geste nicht mehr ihm gehört, sondern einem anderen, der sie ihm vorführt.“ Ihnen zufolge assimiliert die Gesellschaft des Spektakels selbst die gegen sie gerichtete Rebellion, Unzufriedenheit wird als Ware vereinnahmt und als Abziehbild in den Mainstream reintegriert. Solche Rekuperation lässt sich z. B. im Umgang mit Che Guevara ablesen, der durch R.A.T.M. zur Pop-Ikone wurde. Mittlerweile prangt sein Konterfei, zumindest in Frankfurt, auf Plakaten für studentische BWLer-Parties.

Ebenso kann es sich mit der von umsganze beschworenen „Eloquenz brennender Barrikaden“ verhalten. Eine rauchende Mülltonne ist zunächst eine recht inhaltsleere Pose, die sich meist durch mackerhafte Symbolik auszeichnet. Sie muss darum, um über ihren unmittelbaren Zweck – etwa als Hindernis für einen Räumpanzer – hinaus Wirkung zu entfalten, in einem kritischen Kontext stehen. Die Mülltonne in Heiligen-damm steht nicht in einem solchen Kontext, umsganze hat nicht ansatzweise die Definitionsmacht über das kokelnde Plastik. Die Interpretationshoheit liegt bei den Massenmedien, die sich der spektakulären Bilder bedienen, um wahlweise die Becksteins und Schilys hetzen oder die attacies und Pfaffen vom Keynesianismus schwärmen zu lassen. Die aufsteigende Rauchsäule vernebelt jeden Blick auf die Intention derjenigen, die sie verursacht haben. Anders gesagt: Die Tagesschau ist kein Agnoli-Seminar. Das umsganze-Bündnis unterschätzt also in seinem subjektiv revolutionären Anspruch die objektive, eiserne Faust der Kulturindustrie, deren Zweck der „Massenbetrug, [die] Fesselung des Bewusstseins“ (T. W. Adorno) ist.

Fazit: Die von den Politkadern designte „Choreografie des Widerstandes“, die als Excel-Tabelle vorliegt und u. a. am 3.6. einen „Gottesdienst in Doberan“, am 6.6. den „Heiligen Damm“ des Gebets – eine christliche Lichterkette – und am 7.6. ein Konzert mit dem dauerknödelnden Deutschlandtollfinder Herbert Grönemeyer vorsieht, lässt keine Freiräume für emanzipatorische Spontaneität. Auch das umsganze-Bündnis kann der Präformierung und Schablonisierung des „Widerstandes“ nicht entrinnen und wird mit seinem Anliegen vor Ort wohl in lauter schwarzgepunkteter Buntheit untergehen. Wie auch die anderen radikalen Kräfte fungiert dieses Bündnis letzten Endes als Steigbügelhalter einer latent bis offen antisemitischen, staatsfetischistischen Modernisierungsbewegung. Da dieses Fiasko im Grunde abzusehen ist, drängt sich die Frage auf, ob der communistische Anspruch der umsganze-Clique mehr ist als ein oberflächlicher Anstrich oder ob unter dem kritischen Kostüm im Grunde weiter die alte action-orientierte Antifa steckt.

Wie dem auch immer sei: es soll hinterher keine sagen, sie sei nicht gewarnt worden. Dafür stehen wir mit unserem Namen.

Offener und konstruktiver Brief an die ‘Interventionistische Linke’

Wer kennt sie nicht, die Trotzkist_innen vom ‘Linksruck’? Stets bereit, mit gut durchdachten Vorschlägen die Bevölkerung vor Irrwegen zu bewahren (”Wählt Schröder!”), die “Rettung der Umwelt” vor der Klimakatastrophe zu bewerkstelligen, indem man die “Wirtschaft zugunsten unserer Zukunft in die Schranken” weist und die Vertriebenen-Novelle “Im Krebsgang” von SS-Onkel Günter Grass als “Mahnung gegen den Krieg” zu verteidigen.
Was wäre die linke Szene nur ohne diese sympathischen Hizbollah-Fans und ihren dem Volke zugewandten Entrismus? Kaum werden Auflösungsgerüchte ventiliert, springt eine nicht weniger sympathische Vereinigung für die ‘Ruckies’ in die Bresche:

Die ‘Interventionistische Linke’ [IL].

Ähnlich dem ‘Linksruck’ publiziert sie eine regelmäßig erscheinende Massenzeitung, ‘G8Xtra’. Und ähnlich der trotzkistischen Organisation beteiligt sie sich eifrig an “breiten Bündnissen” mit attac, NGOs, Gewerkschaften und Pfaffen. In der aktuellen Ausgabe der ‘G8xtra’ bewirbt die IL ein „Music and Message-Konzert” mit Herbert Grönemeyer sowie den von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche organisierten “Heiligen Damm des Gebets”.
Wie einst der ‘Linksruck’ ergeht man sich in allerlei konstruktiven Überlegungen. Für die Ökopolitik hat das Umweltministerium der IL bereits folgendes Programm ausgearbeitet: “Was wir eigentlich bräuchten, wäre ein massiver Ausbau erneuerbarer Energien, ein Programm zur Energieeinsparung und ein gerechtes Modell, wie die aufstrebenden Ökonomien des Südens den fossilen Entwicklungspfad überspringen können.”
Während im Trikont den “aufstrebenden Ökonomien” auf die Sprünge geholfen werden soll, weiß die IL auch in Deutschland um Missstände, die der Abhilfe bedürfen. Dabei geht man noch über die bereits sehr eloquente Kritik des ‘Linksruck’ an den G8-”Bonzen” und deren dekadenten Ausschweifungen hinaus. So ist in der neuen ‘G8xtra’ zu lesen:

“Kein souveränes, angstfreies Bild geben sie ab, diese Orwellschen Brüder und Schwestern, die sich da in einem Luxus-Hotel verschanzen. Einem Luxus-Hotel übrigens, in welchem eine Übernachtung […] mehr als den zweieinhalbfachen ALG-II-Satz/Ost kostet, auf welchen bei rund 20 Prozent Arbeitslosigkeit ein Gutteil der umliegenden Bevölkerung gesetzt ist, bei welcher der Zaun zum Teil traumatische Assoziationen mit der innerdeutschen Mauer respektive dem antifaschistischen Schutzwall aufkommen lässt [Hervorhebung g8m]. Kein Spaß ist es zudem, die Kosten von Auf- und wieder Abbau des paranoiden Projekts, die polizeilichen Personalkosten und kostspieligen Gelage der Herren und Damen von Welt und den ganzen anderen Gipfel-Firlefanz von Heiligendamm auf Hartz-IVHäppchen herunterzurechnen.”

Eins unterscheidet die IL doch vom eher autoritären ‘Linksruck’: sie will ihrer Gefolgschaft das eigenständige Denken nicht untersagen. Sie lässt darum die Frage, um welchen Schlag von Menschen es sich eigentlich bei Jenen handelt, die von einem “ANTIfaschistischen Schutzwall” traumatisiert werden, unbeantwortet. Die Logik legt allerdings nahe, dass es sich bei solchen Menschen um PRO-Faschist_innen handelt.

Wir möchten der IL darum ganz kreativ-konstruktiv anraten, sich in ‘Interventionistische Rechte’ umzubennen. Ein solcher, selbstverständlich rein strategischer Move wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Verhinderung des G8-Gipfels gemeinsam mit Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und der Bevölkerung vor Ort. Auch der “Antideutschtümelei” [IL-Zentralratsmitglied Thomas Seibert] wäre mit diesem Schritt eine endgültige Absage erteilt.
Für jene, die nicht von antifaschistischen Bauwerken, sondern von schwarz-rot-goldenen Flaggenmeeren und den entsprechenden Begleiterscheinungen wie Ausgrenzung, Abschiebung und rassistisch/antisemitischen Angriff traumatisiert sind und die von der IL und anderen Linken derzeit aus äußerst wichtigen Gründen vernachlässigt werden, versuchen wir, Solidarität zu organisieren. Bei diesen Traumatisierten handelt sich schließlich nur um eine kleine, zahlenmäßig unbedeutende Minderheit. Die “Massen” strömen ja nach Heiligendamm, um ihr Mauer-Trauma zu bewältigen …

Erstunterzeichner_innen:

gruppe 8. mai [ffm/brln/ny]
initiative anti_konsens hessen
antideutsche antifa pittsburgh
communistische assoziation rhein/main

 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde uns  von den AutorInnen zur Veröffentlichung gegeben.