Der schwierige Weg zur neuen Arbeiterpartei
Irrwege der SAV

von Dieter Elken

05/07

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Die SAV sieht sich selbst als DIE marxistische Organisation Deutschlands, als Keimzelle der künftigen revolutionären deutschen Arbeiterpartei und Sektion einer neuen Arbeiterinternationale. Das ist angesichts des verhältnismäßig dürftigen theoretischen Gepäcks der SAV und des Komitees für eine Arbeiterinternationale (KAI oder nach der gebräuchlichen englischen Abkürzung CWI) ein wenig verwunderlich. Aber mit diesem Selbstverständnis arbeitete sie bis Anfang der neunziger Jahre in der SPD und den Jungsozialisten und danach als eigenständige trotzkistische Organisation. Sie legte dabei einen beachtlichen Aktivismus an den Tag, mit dem es ihr immer wieder gelang, jugendliche Mitglieder zu gewinnen und so zu einer der zur Zeit stärksten trotzkistischen Gruppen zu werden. Schwierigkeiten bereitete ihr, diese jugendlichen Aktivisten längerfristig zu halten und ihr theoretisches Verständnis der kapitalistischen Gesellschaft zu vertiefen.
Weil sie sich der großen Masse der abhängig Beschäftigten, der Jugend, Arbeitslosen, Rentnern etc. nicht ernstlich als glaubwürdige und zugleich aktuelle Alternative zu SPD und PDS darstellen konnte und kann, propagiert die SAV, ebenso wie z.B. auch die Gruppe Arbeitermacht, die Schaffung einer neuen Arbeiterpartei.

Gleichzeitig bemühte sie sich bereits in den neunziger Jahren um lokale Wahlbündnisse und den Einzug in Kommunalparlamente. Wo ihr das gelang, wie in Aachen, Köln und Rostock, versucht sie, sozialistische Kommunalpolitik nach dem Vorbild ihrer englischen Schwesterorganisation zu betreiben, die einst im Liverpool der achtziger Jahre Masseneinfluß errang - und wieder verspielte. Einen größeren Durchbruch, der andere linke Kräfte in den Schatten stellen würde, schaffte die SAV jedoch nicht.

Das läßt sich teilweise auf den hierzulande sehr begrenzten Stand der Klassenkämpfe zurückführen; denn natürlich sind den Erfolgsmöglichkeiten aller linker Organisationen durch den Stand des Klassenkampfs objektive Grenzen gesetzt. Andererseits vertrat die SAV bereits 2003 die Position, daß größere Teile der Arbeiterklasse eine neue, kämpferische Partei wollten und die Zeit reif geworden war für eine neue Arbeiterpartei: "Bei jedem Schritt wird für die Arbeiterklasse aber auch das Vakuum auf der politischen Ebene spürbarer - das Fehlen einer Arbeiterpartei, die den Kampf in den Betrieben und Stadtteilen bündelt, auf Wahlebene fortsetzt..."[1]. Auf die Frage, ob die "Wahlebene" tatsächlich die höhere Ebene ist, auf der die Klassenkämpfe "gebündelt" werden, ist weiter unten noch zurückzukommen.
Als sich die Gründung der Wahlternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit abzuzeichnen begann, beteiligte sich die SAV an deren Gründungsprozeß. Sie hoffte dabei wie viele andere Linke, daß die WASG zu dieser neuen Arbeiterpartei werden würde. Sie stand daher in Opposition zu den sozialdemokratischen Gewerkschaftsapparatschiks um Klaus Ernst und Kräften wie Linksruck, die nicht einmal die Festlegung auf ein eindeutig anti-neoliberales Programm wollten, um fiktive bürgerliche Bündnispartner nicht zu verprellen und propagierte ihr formell sozialistisches Programm.

Die WASG wurde schließlich auf der Basis eines erklärt anti-neoliberalen, aber explizit nicht antikapitalistischen, sondern neokeynesianischen Reformprogramms gegründet. Die SAV stellte ihren alternativen Programmentwurf aber nicht mehr zur Abstimmung. Der Druck des linken Flügels kam dann vor allem in inhaltlichen Formelkompromissen z.B. zur Frage von Regierungsbeteiligungen zum Ausdruck. In Abgrenzung zur PDS hieß es: "An einer Regierung im Bund oder im Land werden wir uns nur beteiligen, wenn dies zu einem Politikwechsel in Richtung unserer Forderungen führt".[2]

Letztlich ermöglichte dieser Formelkompromiß die WASG-Gründung, weil er ihr politische Legitimität zu verliehen schien und dem zunächst breiten linken Flügel die Identifikation mit der neuen Partei ermöglichte. Schließlich war letztlich allen Beteiligten wenigstens ansatzweise klar, daß es nun einmal nicht möglich ist, glaubwürdige Opposition gegen den alltäglichen, realen Kapitalismus in Form von realem Widerstand zu betreiben und zugleich in Regierungen aktiv kapitalistische Regierungspolitik zu machen.

Der Formelkompromiß ging aber auch auf der WASG-Linken zu Lasten der inhaltlichen Klarheit der Argumentation in der Frage der Haltung zu Regierungsbeteiligungen.

Die SAV zur Regierungsfrage: Marxismus weichgespült

Für die Linke kann es nicht nur um die Frage der Beteiligung an Regierungen gehen. Linke können sich an Regierungen sinnvollerweise nur dann beteiligen, wenn sich die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse entscheidend geändert haben und wenn eine Regierungsbeteiligung unmittelbar mit einer Veränderung der Machtverhältnisse verbunden ist, d.h. daß die Regierungsbeteiligung muß diese Veränderung der Machtverhältnisse mitvollziehen. Nur dann läßt sich ein tiefgreifender gesellschaftlicher Richtungswechsel einleiten. Das bedeutet natürlich nicht, daß eine linke Parlamentsfraktion nicht schon zuvor für einzelne Reformen stimmen kann, zu denen sich die Herrschenden gezwungen sehen, um veränderten Kräfteverhältnissen Rechnung zu tragen. Aber die Beteiligung an einer Regierung, die kapitalistischen Verhältnisse im Kern unangetastet läßt, sie daher letztlich doch nur verwaltet, bedeutet immer den Anfang vom Ende linker Glaubwürdigkeit. Eine Regierungsbeteiligung kann für die Linke daher nur die Endphase einer grundlegend auf praktischen, außerparlamentarischen Widerstand gegen kapitalistische Verhältnisse und auf die Entfaltung gesellschaftlicher Gegenmacht gegen die herrschende Klasse gerichteten Durchsetzungsstrategie sein. Parlamentsarbeit muß dieser Strategie untergeordnet sein. Sie ist ihrem Inhalt nach nicht die strategische Hauptachse sozialistischer Politik und schon gar nicht Selbstzweck.

Es ist unabhängig davon sonnenklar, daß ein Sprung über die 5%-Hürde und der Einzug einer linken Parlamentsfraktion in den Bundestag nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zur Um- und Durchsetzung eines wirklich linken bzw. sozialistischen Programms sein kann. Dieser Schritt signalisiert nur eine beginnende Verschiebung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, nicht deren grundsätzliche Veränderung. Für die Durchsetzung eines linken Programms besagt dieser Schritt nur, daß die Propagierung dieses Programms erleichtert und die Mobilisierung für dieses Programm bzw. für Teile davon einfacher wird. Da es im Parlament heute und absehbare Zeit keine Bündnispartner für seine Durchsetzung gibt - nicht einmal die PDS-Fraktionen dürften in ihrer großen Mehrheit dafür zur Vefügung stehen -, ist eine linke Regierungsbeteiligung auf absehbare Zeit nicht möglich. Eine Regierungsbeteiligung kann daher zwischen Sozialisten kein aktueller Diskussionsgegenstand sein. Die Wahl einer linken Partei kann daher nur als Auftrag zu weiterer energischer Opposition und im Parlament zur Entfaltung von sichtbarem Druck auf reformerische und scheinreformerische Kräfte sein, wenigstens punktuelle Reformen zu verabschieden.

Wer unter den gegenwärtigen Bedingungen ernsthaft über Regierungsbeteiligungen diskutiert, bereitet entweder den Ausverkauf linker Politik vor oder fabuliert an der gesellschaftlichen Realität vorbei. Letzteres bedeutet, die Ausverkäufer mit Samthandschuhen anzufassen und sie nicht als das zu bezeichnen, was sie sind: Politische Ausverkäufer der Hoffnungen ihrer Wählerbasis.

Bedauerlicherweise gehört die SAV zu denjenigen, die zugunsten der brüchigen WASG-Einheit mit den grundlegend prokapitalistischen Reformern auf die gebotene Klarheit in der Sache verzichten: So hieß es in einem Artikel der SAV-Zeitung "Solidarität" Anfang 2006: "Regierungsbeteiligung der Linken? Ja - aber nur an einer linken Regierung!" Heino Berg warnt in diesem Artikel zwar davor, daß die Regierungsbefürworter in der PDS bis hin zu Gysi bereit sind, alles über Bord zu werfen, was für Linke eine Regierungsbeteiligung erst sinnvoll macht. Er setzt dem aber keine stringente inhaltliche Argumentation entgegen, sondern pocht auf den Formelkompromiß der WASG-Gründung: "Die WASG hat sich bisher keineswegs grundsätzlich gegen Regierungsbeteiligungen ausgesprochen, sondern dies an inhaltliche Bedingungen geknüpft, nämlich an die Einleitung eines politischen Kurswechsels. Zu Recht. Die Linke hat die Aufgabe, alle Möglichkeiten auszunutzen, die die Lage der arbeitenden und erwerbslosen Menschen zu verbessern."[3]

Auch, wenn er danach noch davon spricht, daß zusätzlicher außerparlamentarischer Druck nötig wäre, um diese Regierungsbeteiligung sinnvoll zu machen, abstrahiert sein Beitrag vom gegenwärtigen gesellschaftlichen Krafteverhältnis oder, anders ausgedrückt, vom aktuellen Stand der Klassenkämpfe. Er verliert sich in Zukunftshypothesen, ohne daß dies gesagt würde. Nur so, durch die intellektuelle Flucht auf fiktive Weltkörper, kann Berg so tun, als sei eine Regierungsbeteiligung heute ernsthaft als praktische Option für Linke diskutabel. Er übersieht auch die Kleinigkeit, daß sich die prokapitalistischen, neokeynesianischen Reformer der WASG mit viel größerer Berechtigung auf den Formelkompromiß der WASG-Gründung berufen können: Der Kompromiß schweigt sich nämlich darüber aus, wie schnell der "politische Kurswechsel" vonstattengehen soll, von dem die Rede ist. Machbar ist zur Zeit noch nicht einmal ein Kurswechsel im Schneckentempo. Die SPD verlangt hingegen im Namen des kleineren Übels Vorleistungen, damit es in unbestimmter Zukunft wieder aufwärts gehen kann. Und genau so, mit Hinweis auf das reale Kräfteverhältnis, wurde die Berliner Politik der PDS begründet.

Berg entwaffnet sich zudem selbst, wenn er den grundlegenden Fehler der Reformisten wiederholt, daß reale Verbesserungen für "die Menschen" sich nur durchsetzen lassen, wenn sich die Linke an Regierungen beteiligt. Die Linke kann ganz im Gegenteil durch ihre Arbeit an der Veränderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, durch den Aufbau von realer Gegenmacht viel mehr Zugeständnisse der herrschenden Klasse erzwingen, als ganze Heerscharen scheinsozialistischer Minister. Es kommt nicht von ungefähr, daß in Deutschland alle großen Sozialreformen von konservativen Regierungen beschlossen wurden, die so hofften, der Linken den Wind aus den Segeln zu nehmen und sich sozialen Frieden zu erkaufen.

Das Konzept der Sammlungsbewegung wird frühzeitig brüchig

Die SAV hielt ihre formelle Opposition gegen die offenkundigen Unzulänglichkeiten des WASG-Programms aufrecht. In der landespolitischen Praxis stellte sie die Koexistenz von verschiedenen, weltanschaulich und praktisch nicht miteinander zu vereinbarenden Strömungen nicht in Frage. Erleichtert wurde ihr das dadurch, daß die Programmdiskussion in der Bundes-WASG nach der erfolgten Gründung in den Hintergrund rückte.
In Berlin ließ es sich jedoch nur zu bald nicht mehr überspielen, daß eine Opposition gegen die herrschende neoliberale Politik mit der gleichzeitigen Teilnahme an einer Koalitionsregierung zur schrittweisen Durchsetzung von Reformen nicht möglich ist. Es fehlt dazu jetzt und auf absehbare Zeit an reformwilligen Bündnispartnern.
Die SPD hat sich voll und ganz dem Neoliberalismus als der aktuell von der herrschenden Klasse gewollten Form bürgerlicher Politik verschrieben. Die Teilnahme an einer Koalition, die eine Politik der sozialen Konterreform betreibt, entzieht, wie am Beispiel der hauptstädtischen PDS studiert werden kann, selbst der sozialreformerischen Selbstdarstellung einer Partei den Boden. Übrig bleibt das häßliche Gesicht des Kapitalismus.

Der sogenannte Gründungskonsens der WASG, der alles andere als ein Konsens über praktische Politik gewesen ist, wurde dann von den sozialdemokratischen Gewerkschaftsfunktionären, die den Führungskern der WASG stellen, nur zu bald offensiv von rechts in Frage gestellt.

Die SAV, die für die Clique um Oskar Lafontaine und Klaus Ernst zu dem Buhmann der WASG-Linken schlechthin wurde, profilierte sich dann dadurch als führende linke Kraft, indem sie den Gründungskonsens der WASG gegen das bürgerlich-reformistische Rollback verteidigte, das von den Parteiapparaten der WASG und der Linkspartei-PDS betrieben wurde. Sie verstieg sich sogar dazu, den strategischen Formelkompromiß heilig zu sprechen, indem sie davon sprach, daß es gelte, "Gründungsprinzipien zu verteidigen"[4]. Die SAV-Politik wurde damit verortet als inhaltlicher Kompromiß zwischen Marxismus und Reformismus.

Im Namen dieses Gründungskonsenses kämpfte die SAV für die Kandidatur zu den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus 2006. Die Berliner WASG konzentrierte sich dabei auf die Opposition gegen die neoliberale Politik in Berlin. Von Sozialismus war faktisch keine Rede mehr.

Erfolge und Schwächen der Berliner WASG-Politik - Aufstieg der SAV in die Sackgasse
Diese Art der Verteidigung des Scheinkonsenses der WASG-Gründung ermöglichte es der SAV, ihre Positionen im Zentrum der Berliner WASG vorübergehend zu stärken. Lucy Redler wurde zum aufstrebenden Star der Berliner linken Szene mit bundesweiter Reputation. Mit dem politischen Widerstand gegen die neoliberale Politik des Berliner Senats gelang es der WASG, beachtliche Erfolge bei den Hauptbetroffenen dieser Politik, bei Arbeitslosen und Armen zu erzielen. Insoweit leistete die SAV hervorragende Arbeit und hatte an diesem Erfolg einen beachtlichen Anteil. Es ist wohl nicht übertrieben festzustellen, daß das Engagement der Genossinnen und Genossen der SAV ein wesentlicher Schlüssel für die erzielten Erfolge gewesen ist - womit die Arbeit anderer nicht herabgewürdigt wird.
Aber diese nur auf Opposition gegen den Neoliberalismus beschränkte Politik der Berliner WASG, die auf die Propagierung bzw. das Bekenntnis zu einer gesellschaftlichen Alternative verzichtete, sprich: der Notwendigkeit des Sozialismus, barg von Anfang an zugleich den Keim ihres Scheiterns in sich:

Ohne eine klare und offen sozialistische Zielstellung konnte es nicht gelingen, die von der nach rechts driftenden Politik der Linkspartei/PDS enttäuschte und sich von der L/PDS nach links abwendende Wählerbasis für die WASG zu gewinnen. Mit dem Verzicht auf die sozialistische Zielstellung verzichtete die Berliner WASG darauf, sich als entschiedene linke Alternative deren Wählerinnen und Wählern anzubieten. Dazu hätte sie auch diejenigen Kräfte in der WASG durch eine offene Kritik an ihren reformistischen Halbheiten angreifen müssen, die um jeden Preis die Fusion mit der PDS ansteuerten.

Zentrale Forderung des linken Flügels hatte sein müssen: Ausschluß der Berliner PDS-Führung aus der PDS als Vorbedingung für eine Fusion.

Ohne Konfrontation mit Lafontaine wäre das nicht abgegangen. Die SAV hätte sich ihm stellen müssen. In dieser Debatte wären strategische und programmatische Fragen linker Politik auf den Tisch gekommen und jeder hätte spätestens nach der Debatte gewußt, worin sich die Strömungen unterscheiden. Sie hätte auch viel offensiver gegen die bürokratischen Machenschaften der altsozialdemokratischen Funktionärsriege um Klaus Ernst vorgehen und offensiv zu einer bundesweiten Formierung der WASG-Linken hiergegen aufrufen müssen. Ohne innerparteiliche Demokratie kann eine neue linke Partei keine Zukunft haben, wie wir jetzt sehen. Die WASG wäre daran wohl zerbrochen. Aber in einer für ihren linken Flügel wesentlich günstigeren Weise, als dies jetzt der Fall ist.

Diese Unentschlossenheit der WASG-Linken wurde dadurch unterstrichen, daß die Berliner WASG-Führung einschließlich der SAV-Kader nicht aufhörte, öffentlich zu erklären, sie wolle die Fusion mit der Linkspartei/PDS. Dem Bruch der Berliner WASG mit der PDS-Politik mangelte es deshalb sowohl innerhalb der Bundes-WASG wie auch gegenüber den Berliner Wählerinnen und Wählern an Glaubwürdigkeit und innerer Konsequenz.

Wozu gegen die PDS kandidieren, wenn die Berliner WASG als kleinere Partei doch mit ihr fusionieren wollte? Wozu sollte die von der PDS-Politik frustrierte Wählerschaft dann die WASG wählen? Diesen aus PDS-Sicht nach links drängenden Wählern mußten die Perspektiven der Berliner WASG suspekt erscheinen.

Konsequenterweise gelang es der WASG so gut wie nicht, Ex-Wählerinnen und Exwähler der PDS für sich zu gewinnen. Das begrenzte das erreichbare Wahlpotential auf die ehemaligen Nicht- und Erstwähler. Den notorischen Linksschwätzern in der PDS, deren "Kommunistischer Plattform", konnte es so zu allem Überfluß auch noch gelingen, in der L/PDS die WASG als rechte Konkurrenz der L/PDS zu diffamieren. Das Scheitern an der 5%-Klausel war die zwangsläufige Folge des Verharrens auf dem Scheinkonsens der WASG-Gründung.

Hier hat die SAV-Führung politisch versagt. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Einerseits war sie ängstlich darum bemüht, im Falle eines Wahlerfolges in Berlin den Weg zu Verhandlungen in der Bundespartei nicht zu verbauen, um sich doch noch durch einen Kompromiß mit dem Apparat eine Nische in der fusionierten Partei zu erkämpfen. Andererseits wollte sie die in der Berliner WASG zustandegekommene Koalition von Befürwortern der Eigenkandidatur gegen die Berliner PDS nicht gefährden. Sie verzichtete deshalb auf die offensive Auflösung der unhaltbar gewordenen Formelkompromisse des WASG-Gründungsparteitages.

Dies, obwohl Klaus Ernst und seine politischen Freunde in der kurzen Geschichte der WASG bewiesen haben, daß eine konsequent anti-neoliberale Opposition nicht möglich ist, wenn nicht gleichzeitig eine grundlegende, d.h. sozialistische Umwälzung der kapitalistischen Gesellschaft angestrebt wird. Dazu bewies die Bundesvorstandsmehrheit der WASG, daß die Koexistenz von bürgerlichen Reformern mit selbst konsequenten Nur-Anti-Neoliberalen - geschweige denn mit Sozialisten - nicht möglich ist, wenn beide ihre Linie praktizieren wollen. Trotzdem klammerte sich die SAV-Führung in ihrer Unentschlossenheit an die unhaltbar gewordenen Formelkompromisse der WASG-Gründung.

In der Bundespartei WASG bedeutete das, daß sie der WASG-Rechten das Gesetz des Handelns überließ. Lafontaine, Ernst und ihre Freunde konnten mit Unterstützung des PDS-Apparats und den für sie nützlichen Idioten von Linksruck organisatorisch die Initiative ergreifen und der Mehrheit des Berliner Landesverbandes der WASG nach Belieben Knüppel zwischen die Beine werfen und den anlaufenden Wahlkampf behindern.

Dies um so leichter, als weder die Berliner WASG-Führung noch die der SAV die Fähigkeit zur politischen Gegenoffensive entwickelten. Anstatt nun endlich für eine klare sozialistische Perspektive zu kämpfen und politisch in die Gegenoffensive mit dem Hinweis zu gehen, daß die WASG-Bundesführung nicht nur den Scheinkonsens der WASG-Gründung in Frage stellte, sondern zugunsten der Fusion mit den PDS-Apparatschiks bereit war und ist, selbst die bescheidensten Reformvorhaben zur Disposition zu stellen, bekannte sie sich weiter ohne Sinn und Verstand zur beabsichtigten Fusion. So verkündete Sascha Stanicic am 12. August 2006 in einem Interview mit der Zeitung "junge Welt", daß ein Wahlerfolg der Berliner WASG "übrigens auch die linken und antikapitalistischen Kräfte im Parteibildungsprozeß von WASG und Linkspartei.PDS stärken" würde[5].

Es ging aber nicht um das Prinzip einer Fusion an sich, sondern um die anstehende reale Fusion unter Führung der Apparate von L/PDS und der WASG-Rechten. Die schon leicht surreale Haltung jenseits aller Realitäten wurde selbst dann noch beibehalten, als Lafontaine sich bereit fand, als Hauptredner auf der L/PDS-Wahlkampfauftaktveranstaltung den Anti-WASG-Berlin-August zu machen - was der L/PDS nicht viel nützte, aber der Berliner WASG schadete.

Dazu paßte, daß von Seiten der SAV von einem unvermeidlichen Bruch mit der WASG-Rechten nicht einmal dann offen geredet wurde, als der Rixdorfer Kreis und Linksruck mit gewaltigem finanziellen Aufwand offiziell nicht bekannter Provenienz Wahlkampf gegen die WASG-Berlin machten.

Noch beim Felsberger Treffen der WASG-Linken im Oktober 2006 und danach weigerte sich die SAV-Führung hartnäckig, das offenkundige Scheitern des Konzepts einer diffusen Sammlungsbewegung anzuerkennen und sofort den Kampf für eine klare politische Alternative zu den bekennend prokapitalistischen Scheinreformern aufzunehmen. Stattdessen wurde weiter wider besseres Wissen so getan, als sei ein Bruch doch noch zu vermeiden.

In der November-Ausgabe der "Solidarität", der SAV-Zeitung, schreibt sie in der Dauerrubrik "Wofür wir kämpfen" im Abschnitt "Gewerkschaften und Arbeiterpartei": "Die Chance der WASG und die Unterstützung für die neue Linke im Bund nutzen. Für den Aufbau einer neuen kämpferischen Arbeiterpartei mit sozialistischem Programm." Wer glaubt, er könne die Partei "Die Linke" oder - im November 2006 auch nur die WASG - in eine kämpferische bzw. sozialistische Arbeiterpartei verwandeln, litt (und leidet?) unter einer besonders heftigen Form von Realitätsverlust. Es wäre verkehrt, der SAV-Führung dies zu unterstellen. Es ist aber bemerkenswert, daß von ihrer Seite gegenüber ihrer Leserschaft so getan wird, als ob die SAV das glauben würde. Die Leser werden schlicht für dumm verkauft.

Wozu das alles? Die Antwort ist einfach: Die SAV will im Westen Deutschlands, aber nur dort, trotz ihrer offiziell erklärten Gegnerschaft gegen die Fusion von WASG und L/PDS weiter in der neuen Partei "Die Linke" arbeiten, um dort im Falle eines von ihr für möglich gehaltenen Zustroms neuer Mitglieder weiter für einen "Kurswechsel"[6], d.h. im Klartext für eine Reform der neuen Partei kämpfen zu können. Bis dahin wird sie versuchen, dort zu überwintern.

Da bleibt dann auch das rituelle Bekenntnis der SAV zum Sozialismus als Fernziel nur irrelevantes Schmuckornament einer letztlich kraftlosen, wirren Politik.

Eine sozialistische Strategie als Gegenentwurf zu den irrealen Utopien des kapitalistischen Reformismus kann nach Ansicht der Marxistischen Initiative ja nur dann glaubwürdig sein, wenn sie offen einen transitorischen Ansatz verfolgt, der die vor allem außerparlamentarische Arbeit um Tages- und demokratische Forderungen sowie um die verschiedensten Übergangsforderungen mit den sozialistischen Zielen verbindet.

Bei der SAV gibt es davon in ihrer Eigendarstellung "Wofür wir kämpfen" wenig Konkretes, umso mehr Vages. Ein Sammelsurium von Forderungen ohne jeden Bezug zur Machtfrage ist noch kein Übergangsprogramm. Zwar benennt die SAV den Sozialismus als (Fern?)-Ziel, jedoch finden sich im Zusammenhang mit der Machtfrage allenfalls weich gespülte Formulierungen wie die der „sozialistischen Demokratie". Die Abgrenzung zur existierenden bürgerlichen parlamentarischen Demokratie ist unklar. Der Wille zum Aufbau einer revolutionären sozialistischen Massenpartei wird fast im gleichen Satz dadurch konterkariert, daß praktisch sogar neue Massenparteien ohne konsequent sozialistisches Programm gutgeheißen werden. Es fehlt der erkennbare Wille, systematisch den Kampf um die Umsetzung der Forderungen zu beginnen und durch die Entfaltung von Bewegungen Widerstand gegen die kapitalistischen Verhältnisse zu organisieren bis hin zur Eroberung der politischen Macht. Die Frage nach dem konkreten Subjekt hinter den Forderungen, also wer die Änderungen durchsetzen soll, wird generell im Nebulösen belassen: Die SAV schweigt sich sogar zur Regierungsfrage aus - die mit der Machtfrage alles andere als identisch ist. Selbst in ihrem Grundsatzprogramm von 1999 fehlt jede Aussage darüber, wie der Übergang zum Fernziel Sozialismus vonstatten gehen soll. Das diesbezügliche marxistische Konzept einer Arbeiterregierung, das untrennbar mit einer schwerpunktmäßig außerparlamtarischen Strategie verbunden ist, wird nicht erwähnt.

Das hätte für die SAV bedeuten müssen, das Wagnis einzugehen, innerhalb der WASG-Linken den Abschied von der extrem parlamentsfixierten Politik zu propagieren, die Kennzeichen der WASG-Gründung und ihres Selbstverständnisses war. Die SAV teilt aber seit jeher dieses Fehlverständnis sozialistischer Politik. Das ist übrigens auch der Grund, weshalb sie eine Reihenfolge von Parteien aufstellt nach deren parlamentarischer Repräsentanz. Man beachte die von ihr beschworene Diskussion um die "6. Partei". Die SAV verlor auch aus diesem Grund die initiative Rolle in der WASG-Linken, die sie einige Zeit inne hatte.

Stattdessen veranstaltet die SAV einen politischen Eiertanz, der seinesgleichen sucht: In Berlin will sie eine Konkurrenzpartei zur Partei die "Die Linke" schaffen. Im Bund nicht. Im Westen will sie in der vereinigten Partei der kapitalistischen Scheinreformer als oppositionelle Kraft mitarbeiten, in den neuen Ländern wegen der offenkundigen bürokratischen Erstarrung der Kernlandesverbände der künftigen Partei "Die Linke" nicht. Obwohl der "PDS-Apparat+" die neue Partei jetzt schon im eisenharten Griff hat und das relative Gewicht der Linken zwangsläufig noch geringer werden wird und obwohl Lafontaine jetzt schon offen eine Regierungsbeteiligung 2009 ansteuert, hält die SAV in der alten BRD einen massenhafteren Zustrom in die fusionierte Partei für möglich, in den neuen Ländern jedoch nicht. Die mögliche Gewinnung einiger weiterer Altsozialdemokraten und Gewerkschaftsbürokraten wird in der Partei "Die Linke" jedoch weder deren sozialistische Linke stärken noch einen Zustrom radikalisierter Lohnabhängiger bewirken.

Wohin ihr Eiertanz praktisch führen soll, verraten uns die SAV-Strategen nicht. Wollen sie Lafontaine bei künftigen Wahlkampfauftritten in Köln bejubeln, in Rostock anflehen, seine Partei für eine linke Opposition etwas kuscheliger zu machen und in Berlin auspfeifen? Wollen sie, nachdem alle Züge längst abgefahren sind, doch noch nachträglich auf den Fusionszug aufspringen und der fusionierten und bürokratisch konsolidierten Bundespartei den grandiosen Vorschlag machen, ihren Berliner Landesverband 'rauszuschmeißen, um Stefan Liebich durch Sascha Stanicic und eine neue Berliner Regionalpartei zu ersetzen - obwohl sich die Kernlandesverbände der neuen Partei im Osten überhaupt nicht voneinander unterscheiden? Soll sich die künftige Berliner Regionalpartei bei Bundestagswahlen oder Wahlen zum Europaparlament enthalten, zur Wahl der Partei "Die Linke" aufrufen oder als Konkurrenz antreten? Wenn ja, weshalb will sie dann nur Regionalpartei sein und entsprechenden Auftritten selbst jeden Anschein von inhaltlicher Ernsthaftigkeit nehmen?
Fragen über Fragen und als Antwort der SAV-Führung nur beredtes Schweigen. Der demonstrierten organisatorischen und strategischen Unentschlossenheit entspricht das Ausmaß ihrer politischen Konfusion.

Was treibt die SAV an?

Die inneren Widersprüche der SAV-Politik haben deren Organisation in eine Krise gestürzt. Der in Berlin erhoffte Mitgliederzuwachs blieb aus. Eine Reihe von Mitgliedern hat die Organisation verlassen. Die innere Mobilisierungsfähigkeit der SAV hat stark gelitten. Große Teile der Mitgliedschaft sind allem Anschein nach von der Linie der Führung nicht überzeugt. Einige der ausgetretenen Mitglieder haben geäußert, daß selbst die Führung der SAV ihre Politik zunächst nur widerwillig verfolgt hat und daß die seit dem Frühjahr 2006 verfolgte taktische Orientierung der SAV-Führung ihr von der Führung ihrer internationalen Organisation per Beschluß gegen inneres Widerstreben auferlegt worden sei.

Ob das den Tatsachen entspricht, kann von außen nicht wirklich beurteilt werden. Tatsache ist, daß die SAV Teil bzw. deutsche Sektion einer Internationale ist, des Komitees für eine Arbeiterinternationale (KAI), besser bekannt unter seiner englischen Bezeichnung Committee for a Workers International (CWI). Das KAI bekennt sich zum demokratischen Zentralismus. Die Behauptungen könnten daher der Wahrheit entsprechen, zumal das KAI in der Vergangenheit schon häufiger dafür kritisiert wurde, ein besonders rigides Verständnis von demokratischem Zentralismus zu praktizieren, mit nahezu gleichartigen taktischen Orientierungen in allen Ländern, in denen sie mit nationalen Sektionen vertreten ist. Wenn diese Behauptungen richtig sein sollten - was die SAV-Führung bestreitet - wäre das bedenklich, weil die politische Führung einer Internationale ihren Sektionen schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht per Beschluß politische Entscheidungen aufzwingen sollte.

Für die Auseinandersetzung mit der SAV-Politik wäre das aber völlig sekundär, weil die SAV-Führung in der BRD unabhängig davon die politische Verantwortung für ihre Politik trägt. Die Konzentration der Kritik auf die organisatorische Struktur des KAI und die Behauptung, die internationale Führung des KAI habe in die SAV hineinregiert, hat darüberhinaus häufig einen sehr fragwürdigen, linksnationalistischen Beigeschmack.

Die Frage der Internationale

Wer im Zeitalter des Imperialismus und der von ihm immer weiter forcierten Globalisierung, im Zeitalter der von internationalen Koalitionen geführten Kolonialkriege und international verursachter ökologischer Katastrophen gegen die Notwendigkeit einer Internationale argumentiert, befindet sich nicht auf der Höhe der Zeit. Ohne internationale Perspektive ist der von der Arbeiterklasse und den Linken zu führende Kampf völlig aussichtslos. Auch wenn man an der SAV und ihrer Internationale, dem KAI/CWI Kritik übt, sollte diese Kritik daher politisch geführt werden.

Wer die internationale Organisierung als solche bemängelt, begibt sich selbst auf schwankendes Terrain. Viele Gegner der SAV, darunter skurrilerweise besonders viele Befürworter des Konzeptes einer breiten Sammlungsbewegung, konzentrieren deshalb ihre Kritik auf die Tatsache, daß die SAV "Entrismus" betreibt. Marxisten und Kommunisten haben aber schon immer als Strömung in breiteren Organisationen der Linken bzw. der Arbeiterbewegung gearbeitet, so Marx und Engels zunächst im Bund der Gerechten, der sich dann unter ihrem Einfluß in Bund der Kommunisten umbenannte. Dieser wiederum arbeitete in Arbeiterbildungsvereinen. Kommunisten arbeiteten in der I.Internationale, neben Reformern und Anarchisten und in der dritten Welt in antiimperialistischen Formationen. "Entrismus" ist deshalb keine Erfindung von bösartigen Trotzkisten, sondern eine ganz legitime Form der Teilnahme an breiter aufgestellten Bewegungen.

"Entrismus" ist auch nicht, wie manche SAV-Gegner in der WASG meinen, eine Konsequenz der Akzeptanz von Doppelmitgliedschaften, Der Kampf gegen Doppelmitgliedschaften ist auch nicht geeignet, "Unterwanderungen" abzuwehren.
Innerorganisatorische Demokratie ist in größeren Organisationen ohne Gruppenbildung, ohne Plattformen, Tendenzen und Fraktionen überhaupt nicht denkbar. Wer innerparteiliche Demokratie bejaht, muß die Möglichkeit bejahen, für besondere politische Positionen organisiert zu kämpfen. Es sind deshalb gerade Apparatschiks wie Klaus Ernst, die sich ihrer politischen Widersacher gern mit dem Vorwand entledigen, diese würden die Partei unterwandern. Wer aber die Rechte organisierter Minderheiten in Frage stellt, für ihre Positionen organisert zu kämpfen, bekämpft (ob nun aus politischer Absicht oder aus Tumbheit) das ABC linker Politik. Auch bei den linken Kritikern der SAV wird der politische Kern der Auseinandersetzung gern ausgeklammert. Anstatt sich mit der Politik und den Inhalten der SAV-Politik auseinanderzusetzen, werden den SAV-Mitgliedern unehrenhafte Motive und Ziele unterstellt. Die innerorganisatorische Demokratie und die Bereitschaft zur solidarischen Auseinandersetzung, ohne die überhaupt keine politische Bewegung vernünftig funktionieren kann, bleiben dabei für gewöhnlich als erstes auf der Strecke.

Es wäre bei der Einbindung der SAV in das KAI/CWI dennoch nicht möglich, die SAV-Politik zu diskutieren, ohne auf das KAI und seine politischen Defizite einzugehen. Die politische Identität der SAV, ihr Selbstverständnis, ihre Geschichte, Ihr Programm sowie ihre Strategie sind ohne eine wenigstens summarische Beschäftigung mit dem KAI nicht zu verstehen. Diese Beschäftigung wird auch erhellen, welche Grundfehler den jetzt zu Tage tretenden politischen Schwächen der SAV zugrundeliegen.

Die Tradition des KAI

Das KAI wurde 1974 gegründet. Seine Gründung wurde maßgeblich vorbereitet von der britischen Militant Tendency. Deren wichtigster Theoretiker und politischer Kopf war damals und bis 1992 Ted Grant.

Grant war seit den vierziger Jahren einer der wichtigsten Führungskader der britischen trotzkistischen Bewegung. Eines seiner Verdienste war es gewesen, in der Nachkriegszeit als einer der ersten Marxisten mit der Möglichkeit eines Aufschwungs der imperialistischen Wirtschaft gerechnet zu haben. In anderen Fragen, wie der nach der Analyse der Umwälzungen in Osteuropa und Südostasien schwankte Grant zwischen einer (falschen[7]) Theorie des bürokratischen Bonapartismus, wonach die militärische Eroberung eines Territoriums durch die sowjetische Armee und umfangreiche Nationalisierungen immer gleichbedeutend sind mit dem Sturz des Kapitalismus und der Errichtung von Arbeiterstaaten und der (noch falscheren) Staatskapitalismustheorie, von der er sich aber bald wieder löste. Theoretische und praktische Differenzen (und eine relative Erfolglosigkeit) führten danach zu mehreren Spaltungen der trotzkistischen Bewegung in Britannien. 1965 brach die Militant Tendency mit dem Vereinigten Sekretariat der Vierten Internationale, in erster Linie aus organisatorischen Gründen. Danach erklärte sie alle anderen Gruppen zu unverbesserlichen "Sekten, die sich den Titel ‚Trotzkisten' anmaßten"[8] und arbeitete am Aufbau einer eigenen Internationale.

Da Grant nach 1945 in wichtigen Fragen der Einschätzung der neuen Weltlage unzweifelhaft schneller und früher als die meisten der seinerzeitigen Theoretiker der trotzkistischen Bewegung die neuen Realitäten wenigstens annäherungsweise erfaßte, proklamierte er für sich und seine Strömung die Kontinuität und das politische Erbe der trotzkistischen Bewegung.[9] Tatsache ist aber auch, daß er sich seinerzeit (und auch später) nicht ernstlich darum bemüht hatte, in der Vierten Internationale einen organisierten Kampf für seine Positionen zu führen.

Als sich diese 1952/1953 spaltete, verbündete er sich bald darauf mit denjenigen Kräften (Pierre Frank, Michel Pablo, Ernest Mandel), die er zuvor am heftigsten kritisiert hatte - offenbar, weil sich auf nationaler Ebene sein alter "Erzfeind" Gerry Healy dem falschen Lager angeschlossen hatte.[10] Als sich die Hauptströmungen der trotzkistischen Bewegung nach vorbereitenden Diskussionen seit 1961 im Jahre 1963 wiedervereinigten, drängten deren internationale Führer darauf, auch in Britannien alle trotzkistischen Kräfte zu vereinigen, unabhängig davon, ob sich zuvor deren divergierende strategischen und taktischen Positionen angenähert hatten. Als sich Healy mit seiner damals größten Organisation weigerte, die internationale Wiedervereingung mitzuvollziehen, wurde darauf gedrängt, wenigstens die anderen Kräfte zusammenfassen. Auch das scheiterte. Als das Vereinigte Sekretariat der Vierten Internationale dann entschied, der von Grant geführten Sektion diesen Titel abzuerkennen und absurderweise ohne politische Begründung zwei sympathisierende Sektionen anerkannte, trennte sich Grant vom Vereinigten Sekretariat der Vierten Internationale.[11] Grant versuchte dann Mitte der sechziger Jahre eine Zeitlang, sich mit der von Tony Cliff geführten Organisation[12] zu verbünden, die damals ebenfalls noch in der Labour Party arbeitete. Diese Zusammenarbeit endete, als sich die von Cliff geführte Organisation aus der Labour Party zurückzog und eine unabhängige Organisation aufbaute, die heutige "Socialist Workers Party".

Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß diese organisatorische Geschichte eher eine Geschichte prinzipienloser Blöcke und Kombinationen ist als eine, die einen kontinuierlichen und dem marxistischen Anspruch gerecht werdende Kontinuität repräsentiert. Für den Anspruch des KAI/CWI, gegenüber der Welt der "Sekten" allein die Kontinuität des Marxismus zu repräsentieren, gibt es keine Grundlage. Vielmehr kommt darin nur der Glaube an eine spezifische Unfehlbarkeit zum Ausdruck, der dem KAI/CWI seinerseits einen Sektencharakter attestiert.

Entrismus als strategisches Prinzip

Seit den fünfziger Jahren arbeiteten Grant und seine Anhänger in der Labour Party. Die Begründungen für diese "Eintrittstaktik" oder "Entrismus" wechselten. Sie reichten ursprünglich von der Erwartung, daß ein neuer Weltkrieg bevorstünde, der letztlich auch in der Labour Party eine große Linksbewegung auslösen müßte, bis hin zu der später verfestigten Auffassung, daß sich jedwede neue Radikalisierung der Massen zwangsläufig in der Labour Party niederschlagen müsse. Die Marxisten müßten daher in der Labour Party darum kämpfen, den dort irgandwann anwachsenden linken Flügel zu beeinflussen, ihn für marxistische Positionen zu gewinnen, um dann mit diesem um die Führung der Labour Party zu kämpfen. Gestützt auf die marxistische Eroberung der Labour Party würde man dann - auf parlamentarischem Wege - den Sozialismus durchsetzen.

Grants Revision der marxistischen Analyse der Sozialdemokratie

Ted Grant und die Militant Tendency revidierten zur Rechtfertigung ihrer Politik die traditionelle marxistische Einschätzung der Sozialdemokratie.

Für führende marxistische Theretiker wie z.B. für Lenin, Luxemburg und Trotzki hatte es seit 1914 keinerlei Zweifel gegeben, daß die Sozialdemokratie endgültig auf die Seite der bürgerlichen Ordnung übergegangen war. Gleichwohl wurde die Sozialdemokratie als besondere bürgerliche Partei betrachtet, weil sie aus der revolutionären Arbeiterbewegung hervorgegangen war und zumindest mit Teilen der Arbeiterklasse immer noch besondere Beziehungen hatte. Häufig wurde mit Rücksicht auf diese besonderen Beziehungen auch der Begriff bürgerliche Arbeiterpartei benutzt. Dies bedeutete jedoch nicht, daß der Politik der Sozialdemokratie ein irgendwie gearteter "proletarischer Charakter" beigemessen wurde. Die praktische Konsequenz war vielmehr nur, daß in besonderen Situationen des Klassenkampfs - je nach aktueller Ausprägung der sozialdemokratischen Politik, deren konkrete Analyse durch die Grundeinschätzung nicht überflüssig wird - praktische Bündnisse mit der Sozialdemokratie in Tagesfragen propagiert werden sollten, manchmal auch mußten und konnten - z.B. in gewerkschaftlichen Fragen und im Kampf gegen den Faschismus.
Die Militant Tendency war demgegenüber der Ansicht, daß die Labour Party einen widersprüchlichen, sowohl proletarischen wie auch bürgerlichen Chrarakter hatte. Die Aufgabe der Marxisten wurde darin gesehen, an der Aufhebung dieses Widerspruchs zu arbeiten und die Labour Party von innen zu einer wirklich proletarischen Partei zu machen, d.h. sie zu reformieren. Dementsprechend galt es nach Ansicht Grants, unter allen Umständen in der Labour Party zu verharren. Der Entrismus wurde von einer Taktik zu einer Dauerstrategie erhoben.[13]

Hiermit verbunden war eine irreale und schematische Sicht auf die Geschichte der Klassenkämpfe und der realen Radikalisierungsprozesse innerhalb der Arbeiterklasse. So schrieb Grant: "Die ganze Geschichte zeigt, daß sich die Massen, in den ersten Etappen revolutionärer Aufschwünge den Massenorganisationen zuwenden, um für ihre Probleme eine Lösung zu suchen und zu finden. Das gilt besonders für die jüngere Generation, die zum ersten Mal die politische Bühne betritt." Und: "Unter den Bedingungen einer Krise und von Kämpfen wird sich die gesamte Labour Bewegung erneuern. Alt gewordene Vertrauensleute, die sich dem Management in den Betrieben untergeordnet haben, denen es in der vergangegenen Periode relativ gut ging, werden hinausgedrängt und durch jüngere Kräfte ersetzt werden (...). Unter solchen Bedingungen wird sich innerhalb der Labour Party eine starke linksreformistische oder sogar zentristische Strömung mit einer Massenbasis entwickeln."[14]

Es war aber weder in Britannien noch in anderen Ländern 1959 oder Ende der sechziger Jahre so, daß sich Radikalisierungsprozesse in erster Linie und zuerst in den sozialdemokratischen Massenparteien bzw. Labour Parties entwickelten. In aller Regel entwickelte sich z.B. Ende der sechziger Jahre die erneuerte europäische Linke zuerst außerhalb der Sozialdemokratien. Die Militant Tendency erstarkte in der Labour Party auch erst danach, in den siebziger Jahren, als es den neuen unabhängigen Organisationen der Linken nicht gelang, ihre Zersplitterung zu überwinden und sie zunehmend sektiererische Züge entwickelten. Das war die Zeit, in der die britische Labour Party vorübergehend eine neue Anziehungskraft entwickelte.

Revisionismus in der Staatsfrage

Die Militant Tendency (ebenso wie ihre Schwesterorganisationen weltweit) kämpfte in dieser Zeit unter der Parole: "Labour an die Macht auf einem sozialistischen Programm". Die Zeitung der deutschen Sektion des KAI, Voran, propagierte dementsprechend jahrelang die Losung "Für eine SPD-Alleinregierung auf der Grundlage eines sozialistischen Programms".
Der Sozialismus sollte zumindest in Britannien allen Ernstes per parlamentarischem Mehrheitsbeschluß, mit Hilfe einer Art "Ermächtigungsgesetz" ("enabling bill") durchgesetzt werden, mit die Labourregierung ermächtigt werden sollte, die 200 größten Monopole entschädigungslos zu nationalisieren bzw. zu verstaatlichen.[15] Zeitweilig erklärte die Zeitung Militant in ihrer Kurzfassung des Programms "Wofür wir stehen" sogar im Abschnitt "Friedlicher Übergang", daß in Großbritannien eine völlig friedliche Umwandlung der Gesellschaft möglich sei, "wenn die ganze Kraft der Arbeiterbewegung kühn dazu verwendet wird, um die Veränderung zu bewirken."[16] Peter Taaffe, heute der unumstrittene Chefideologe des KAI/CWI schrieb seinerzeit in der Militant International Review: "Wir haben in unserer Zeitung Militant, in Broschüren, in Reden gezeigt, daß der Kampf zur Errichtung eines sozialistischen Britanniens auf parlamentarischem Wege erfolgen kann, unterstützt durch die kolossale Kraft der Arbeiterbewegung außerhalb des Parlaments."[17] Damit wurde, von der offenkundig illusionären Position zur Möglichkeit eines friedlichen Übergangs zum Sozialismus ganz abgesehen, das strategische Primat der parlamentarischen Arbeit betont und der außerparlamentarischen Mobilisierung und Selbstorganisation der lohnabhängigen Massen nur eine sekundäre Hilfsrolle zugewiesen.

Anders als von Marx nach der Erfahrung mit dem Rätestaat der Pariser Kommune im Jahre 1870 generell für möglich gehalten, sollte also der Staat nicht zerschlagen und durch einen völlig anderen, nämlich einem Rätestaat als Übergangsregime zur klassenlosen Gesellschaft ersetzt werden. Militant wollte den bürgerlichen Staat vielmehr einfach in Besitz nehmen und für sozialistische Zwecke instrumentalisieren.

Die Strategie des Dauerentrismus[18], verbunden mit einer Revision der marxistischen Analyse der Sozialdemokratie, hatte damit zu einer weiteren grundlegenden Revision marxistischer Politionen sowohl in Bezug auf die Staatsfrage als auch hinsichtlich der Haltung zum Parlamentarismus sowie der Strategie zur Schaffung eines Rätesystems geführt. Diese Revision sollte Ende der neunziger Jahre noch einmal eine große Rolle spielen, als sich der Großteil der schottischen Kräfte des KAI/CWI, die die wichtigsten Führer der Scottish Socialist Party waren, von ihrer Organisation trennten, um ihre neoreformistische Politik ungestört betreiben zu können.

In den siebziger Jahren hatten die Anhänger Grants mit dieser Linie jedoch erstmals größere Erfolge. Der Militant Tendency gelang es, in der Jugendorganisation der Labour Party die Mehrheit zu erringen und, gestützt darauf, auch die Mehrheit in deren Liverpooler Stadtorganisation. Auf dem Höhepunkt ihres Einflusses in den achtziger Jahren war sie in Britannien die mit deutlichem Abstand größte trotzkistische Organisation mit nach eigenen Angaben 1985 über 7000 Mitgliedern. Sie nutzte ihren Einfluß, um in Liverpool eine Reihe fortschrittlicher Maßnahmen (besonders in der Wohnungspolitik) umzusetzen. Das brachte sie nicht nur blitzartig in Konflikt mit den Konservativen in Liverpool selbst, sondern sowohl mit der von Maggie Thatcher geführten britischen Zentralregierung, als auch mit der sich an Thatcher anpassenden Führung der Labour Party[19].

Diese hatte schon seit 1983 begonnen, mit Ausschlüssen gegen führende Mitglieder von Militant vorzugehen. Eine adäquate politische Antwort erfolgte nicht. Die strategische Orientierung, um jeden Preis in der Labour Party zu bleiben, wurde beibehalten. So ging Militant im Liverpooler Kampf mit Thatcher 1985 einen Kompromiß ein, als der den britischen Klassenkampf für viele Jahre entscheidende Kampf der Bergarbeiter noch nicht entschieden war. Der Liverpooler Kompromiß bereitete der Niederlage der Bergarbeitergewerkschaft den Weg.[20]

Militant hielt auch dann noch zäh an seiner Perspektive fest, als die Führung der Labour Party die Jugendorganisation lieber zerschlug, als deren Führung durch Militant weiter zu dulden. Nennenswerten Widerstand leistete Militant nicht. Die notwendige politische Gegenoffensive, die die undemokratischen Machenschaften des Parteivorstands von Labour als notwendigen Bestandteil des neoliberalen Rechtskurses von New Labour hätte in den Mittelpunkt stellen müssen, wurde immer wieder auf eine dafür günstigere Zukunft vertagt - bis es dafür offenkundig keine aktive Basis in der Labour Party gab. Die Parallele zur WASG ist nicht ganz zufällig: Strategischer Schematismus macht blind.

Die Umorientierung des KAI/CWI

Die Führung von Labour reagierte auf den neoliberalen Rechtskurs Maggie Thatchers nicht, indem sie gegen diesen Widerstand organisierte, sondern indem sie die Politik Labours an die der Konservativen anpaßte. Jeder Widerstand in den Reihen von Labour wurde mit allen bürokratischen Mitteln erstickt. Kämpferische Arbeiter und Linke jeder Couleur verließen in Scharen die Labour Party. Die Militant Tendency, die sich weiter an ihre alte Linie klammerte, verlor einen großen Teil ihrer Basis[21]. Heute wird diese Passivität und der ihr zugrundeliegende strategische Schematismus auch von SAV-Theoretikern kritisiert,[22] wenn auch mit falschen Argumenten.

Nachdem sich die einzige Massenbewegung im damaligen Britannien, die Bewegung gegen die Einführung einer Kopfsteuer ("poll tax") außerhalb des organisatorischen Rahmens von Labour und den bürokratisch kontrollierten Gewerkschaften entwickelt hatte - Militant hatte in dieser Bewegung zunächst eine herausragende Rolle gespielt - spaltete sich die Militant Tendency 1991. Vorwiegend die große Mehrheit der jüngeren Mitglieder entschloß sich unter Führung von Peter Taaffe, aus der weithin bürokratisierten Labour Party herauszugehen und künftig unabhängige Arbeit zu machen. Damit verbunden war die Erwartung einer unmittelbar bevorstehenden Massenradikalisierung. Diese Vorhersage wird seitdem regelmäßig wiederholt.[23]

Die Spaltung der Militant Tendency wurde ebenso wie in Britannien ohne große Debatte ebenso in der Internationale vollzogen. In Deutschland verließ die Mehrheit der hiesigen Sektion die SPD und begann eine unabhängige Arbeit.

Erstmals im Liverpooler Wahlkreis Walton wurde einem rechten Labour-Kandidaten (letzterer hatte für den Parteivorstand 600 Mitglieder der Labour Party aus der örtlichen Parteioganisation hinausgesäubert) bei einer Unterhausnachwahl ein linksreformistischer Bündniskandidat entgegengestellt. Dieser erhielt allerdings nur 2600 Stimmen, weil die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler es vorzog, einen Kandidaten der Liberalen zu verhindern und doch noch nicht so radikalisiert gewesen war, wie von Militant erhofft. Kurze Zeit später erzielte Militant mit führenden Aktivisten der Anti-Poll-Tax-Bewegung als Scottish Militant Labour in Schottland beachtliche Erfolge.

Noch eine Revision der marxistischen Einschätzung der Sozialdemokratie

Theoretisch gerechtfertigt wurde der Bruch mit Labour mit der These, daß Labour und die internationale Sozialdemokratie durch ihren Anpassungskurs nach rechts überall aufgehört hatten, im politischen Sinne Arbeiterparteien zu sein[24]. Mit dieser "bahnbrechenden" Erkenntnis, die die SAV aus dem angeblichen Rechtsruck der internationalen Sozialdemokratie nach der Wende 1990-1991 gewonnen haben will[25], mehr als sieben Jahrzehnte nach Lenin, Trotzki, Liebknecht und Rosa Luxemburg, zogen Militant, die SAV und fast alle anderen Sektionen des KAI/CWI den Schlußstrich unter ihre jahrzehntelange Arbeit in der Sozialdemokratie.

Die internationale Sozialdemokratie soll danach so bürgerlich sein wie alle anderen auch. Ein besonderes Verhältnis der Sozialdemokratie zur Arbeiterklasse wird geleugnet, ebenso, wie die Notwendigkeit, aufgrund dieses besonderen Verhältnisses der Sozialdemokratie in speziellen (wenn auch immer selteneren) Situationen dieser gegenüber eine besondere Taktik einzuschlagen.

Wurden vom KAI und der SAV bis 1991 Illusionen in die Reformierbarkeit der Sozialdemokratie genährt, so wird jetzt noch nicht einmal ausnahmsweise, in den kurzen Episoden, in denen es die Sozialdemokratie für nötig hält, mit ihrer Politik kurzfristig an die Interessen ihrer Wählerschaft anzuknüpfen, taktische Flexibilität angekündigt. Der alte opportunistische Schematismus wurde durch einen neuen, sektiererischen Schematismus ersetzt.

Das bedeutet nicht, daß die SAV ihre verfehlte frühere Herangehensweise bei der Einschätzung reformistischer Parteien aufgegeben hätte. In ihrem Grundsatzprogramm von 1999 bescheinigte sie der PDS wegen ihres "sozialistischen Selbstverständnisses trotz aller Kritik faktisch einen Doppelcharakter. Sie kündigt deshalb an, der PDS, "je nach konkreter Situation, Aktionseinheit im Kampf gegen Arbeitslosigkeit, Sozialabbau, Rassismus und Neonazismus" vorzuschlagen und bei Wahlen, "falls sie (die SAV) nicht selbst antritt, zur Wahl der PDS" aufzurufen. Abgesehen davon, daß dieser letztere "Grundsatz" von ihr zumindest in Berlin wohl nicht mehr als solcher angesehen wurde, erklärt diese Haltung, weshalb sie weiter in der Partei "Die Linke" arbeiten will.

Der Kampf für neue Arbeiterparteien

In England[26] wurde im Rahmen der strategischen Wende des KAI/CWI zunächst versucht, bei Wahlen Kandidaten unter dem Etikett "Real Labour" ("wirkliche Labour") aufzustellen. Als das scheiterte, benannte sich Militant in die Socialist Party um. Als sich herausstellte, daß das Recht an diesem Namen schon vergeben war, nannte sich die Organisation in England und Wales "Socialist Party in England und Wales" und kandidierte bei Wahlen als "Socialist Alternative". Alle diese Etikettierungen verhinderten nicht, daß die Erwartung eines großen Aufschwungs der Klassenkämpfe und eines neuen Mitgliederzustroms enttäuscht wurden. Im Gegenteil. Immerhin entstand in Schottland Ende der neunziger Jahre eine Sammlungsbewegung, die fast alle Kräfte außerhalb der Labour Party umfaßte, aber inzwischen auch wieder zerfallen ist.. Die britische Schwesterorganisation der SAV war auch dabei nach der Abspaltung ihrer wichtigsten Führungspersonen in Schottland weniger erfolgreich als erhofft. Sie konzentrierte sich dann auf Gewerkschaftsarbeit, mit punktuellen Erfolgen.

2006 begann die Socialist Party eine "Kampagne für eine neue Arbeiterpartei", gemeinsam mit der britischen Schwesterorganisation der Gruppe Arbeitermacht, "Workers Power" und anderen Organisationen der britischen Linken, darunter eine der Restgruppen der Kommunistischen Partei mit der Zeitung "Weekly Worker". Die Kampagne bezog sich in einer Broschüre positiv auf das Vorbild der Herausbildung einer neuen Linkspartei in Deutschland: "Der kürzliche Erfolg der neuen Linkspartei in Deutschland, die 8,8% der abgegebenen Stimmen und 54 Parlamentsmandate errang, wirft ein Schlaglicht auf das Potential einer neuen linken Kraft."[27]

Zum Programm der von ihnen angestrebten Partei heißt es dann: "Und wir erkennen an, daß eine Partei, die wichtige Teile der Arbeiterklasse zusammenbringt, um wie die Tiger gegen die Angriffe des Großkapitals auf unsere Arbeits- und Lebensbedingungen zu kämpfen, ein riesiger Fortschritt sein wird, auch, wenn das Programm dieser Partei am Anfang noch begrenzt sein mag. Wenn die neue Partei erfolgreich sein will, ist es jedoch entscheidend, daß sich die neue Partei von Anfang an vollständig gegen die bestehende Ordnung richtet."[28]

Wir alle kennen Marx Ausspruch, daß jeder wirkliche Schritt einer Massenbewegung tausend mal mehr Wert ist, als (bloß) geschiebene Programme. Ebenso sicher ist aber auch, daß nur eine Partei, die über ein gemeinsames Grundverständnis der Lage der Klassenbeziehungen und der sich hieraus ergebenden Möglichkeite sozialistischer Politik verfügt, eine wirkliche andauernde Rolle im Klassenkampf spielen kann. Die Erfahrung zeigt darüberhinaus, daß sich nur eine Partei, die über ein kohärentes Programm verfügt, vollständig gegen die bestehende Ordnung richten kann. Ernsthaftigkeit auch in strategischen und programmatischen Fragen (dazu gehört auch die Gesellschaftstheorie) sollte daher selbstverständlich sein.

Auch in der BRD propagiert die Sektion des KAI/CWI jetzt die Schaffung einer neuen, breiten Arbeiterpartei. Hierbei steht die SAV nicht allein. Auch Linksruck, die Gruppe Arbeitermacht und der Revolutionär-Sozialistische Bund tun das, wenngleich unter ihnen unterschiedliche Vorstellungen darüber herrschen, wie die zu schaffende neue Arbeiterpartei aussehen soll. Die SAV schreibt in ihrem Grundsatzprogramm von 1999: "Die SAV unterstützt jeden Ansatz zum Aufbau einer breiteren Arbeiterpartei, ohne dass sie ein sozialistisches Programm zur Bedingung macht. Ohne eine Partei mit einem klaren revolutionär-sozialistischem Programm wird es jedoch nicht gelingen, das kapitalistische System zu überwinden." Sie schiebt den Satz hinterher: "Die SAV hat sich zum Ziel gesetzt, eine revolutionäre Partei aufzubauen."
Aus marxistischer Sicht ist das problematischer, als es in breiten linken Kreisen auf den ersten Blick aussieht.

Der Kampf für die Schaffung einer breit aufgestellten, alle Strömungen der Massenbewegung umfassenden Arbeiterpartei ist nach wie vor immer noch in solchen Ländern sinnvoll, in denen die Arbeiterklasse noch nie eine eigenständige Klassenpolitik gemacht hat und in denen es darum geht, in der Gewerkschaftsbewegung und sonstigen linken Basisinitiativen den Bruch mit allen bürgerlichen Parteien populär zu machen. In Ländern der Dritten Welt stellt die in aller Regel zugespitzte Lage der Klassenkämpfe alle strategischen und programmatischen Fragen des Klassenkampfs auf höchstem Niveau auf die Tagesordnung, weil die Bourgeoisie in aller Regel keine Verteilungsspielräume für nennenswerte Zugeständnisse hat. Für Kompromisse auf programmatischem Gebiet ist daher faktisch wenig Raum geboten. Marxisten können sich daher nur für ein Programm auf der Höhe der Zeit aussprechen, das auf alle Zerfallssymptome der spätimperialistischen Ordnung die adäquate Antwort zu geben versucht. Allenfalls in einem Land wie den USA könnte noch eine neue reformistische Massenpartei entstehen - aber auch dort allenfalls als Versuch von Gewerkschaftsfunktionären, sich an die Spitze einer breiten Radikalisierung zu stellen, um diese ihrer Sprengkraft zu berauben. Zur Zeit ist das dort aber auch noch Zukunftsspekulation.

In den imperialistischen Metropolen befinden wir uns aber weder in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, als die noch junge Arbeiterklasse die ersten Schritte auf der politischen Bühne machte, noch geht es heute um die Erringung elementarer Reformen. Die neoliberale Politik ständiger Konterreformen, teils durchgeführt von sozialdemokratischen, aber auch ebenso von exkommunistischen Parteien, wirft nicht das Problem auf, sich überhaupt erst einmal von bürgerlichen Parteien abzugrenzen. Es geht vielmehr unmittelbar um einen politischen Bruch mit dem Reformismus und mit der Politik des kleineren Übels.
Die Erfahrung mit den Grünen und ebenso mit der WASG belegen, daß die politische Halbwertzeit unausgegorener Bündnisprojekte immer kürzer wird. Darauf verweisen die britischen Erfahrungen und ebenso die Versumpfung der Rifondazione Comunista in Italien. Sammlungsbewegungen ohne Einigkeit darüber, was zu tun ist, führen zu keiner Stärkung realer Basisbewegungen. Sie sind allenfalls geeignet, einigen Neufunktionären wenigstens zeitweise zu Parlamentsmandaten zu verhelfen. Die Schaffung von Sammelparteien ohne ernstzunehmendes Programm, ohne die Perspektive des Primats außerparlamentarischer Arbeit und ohne eine Übergangsstrategie zum Sozialismus kann nur in eine Sackgasse führen. Sie ist Zeitverschwendung.

Selbst in einem vergleichsweise reichen Land wie der BRD lassen sich die heutigen Probleme der Arbeiterklasse nicht innerhalb des Kapitalismus lösen. Natürlich ist die herrschende Klasse immer noch in der Lage, große Zugeständnisse zu machen, wenn es für ihr Überleben als Klasse erforderlich ist. Aber sie wird ohne massive Klassenkämpfe keine kostspieligen Reformen mehr zulassen. Ohne hartnäckige Abwehrkämpfe wird sie nicht einmal daran gehindert werden, die sozialen Standards weiter massiv zu verschlechtern. Die Partei "Die Linke" ist dabei zu demonstrieren, daß reformistische Parteien in dieser Lage komplett nutzlos sind und außer hohlen Phrasen nichts zu bieten haben, was die Lage der Lohnabhängigen verbessern könnte.

Wenn der Terminus "breitere Arbeiterpartei" mehr ist, als eine banale Umschreibung des frommen Wunsches nach Größe und Sammlungsbewegung meint - dafür spricht bei der SAV die Abgrenzung zum sozialistischen Programm, wäre sie eine Partei, die niemand braucht. Eine pseudoreformistische Partei haben wir mit der "Linken" schon. Eine zweite Partei, die Reformen im modernen Kapitalismus verspricht, wenn man sie nur wählt, und die sich damit in realpolitischer Phantasy versucht, benötigt niemand.

Der Aufbau einer solchen Partei wäre der fleischgewordene Verzicht auf eine heute schon praktizierte Übergangsperspektive. Er wäre Ausdruck einer Etappenstrategie, die den praktischen Kampf für eine sozialistische Perspektive in die ferne Zukunft verlegt. Er läuft auf die Trennung von Minimal- und Maximalprogramm hinaus.

Das reicht jedoch nicht. Maßnahmen zur Abwendung der Klimakatastrophe können nicht warten. Der verschwenderische Verbrauch der energetischen Ressourcen führt zu terroristischen Kolonialkriegen der führenden imperialistischen Mächte, die immer größere Weltregionen ins Elend stürzen. Die wachsende soziale Unsicherheit und die immer breiter werdende neue Armut setzen schnelle und tiefgreifende Lösungen auf die Tagesordnung. Gleichzeitig fehlt es der zersplitterten Linken an Durchsetzungsmacht. Zu gemeinsamen Aktionen trotz bestehender Differenzen und zu einem gleichzeitigen Meinungsstreit mit dem Ziel, diese Differenzen zu überwinden, gibt es keine Alternative. Hierzu will die Marxistische Initiative einen Beitrag leisten. Sie ist aber weit davon entfernt, schon eine Partei zu sein.

Leider ist das bei der SAV trotz guter Ansätze noch viel weniger der Fall: Ihr Programm genügt den Anforderungen nicht.

Die Partei, die gebraucht wird, eine, die ernsthaft daran arbeitet, mit der Organisierung der Abwehr der Angriffe des Kapitals zu beginnen, die auf außerparlamentarische Mobilisierungen für Massenaktionen setzt, die nicht nur eine reale Oppositionsbewegung gegen den Kapitalismus aufbaut, sondern den Abwehrkampf gegen die herrschende Klasse mit einer sozialistischen Übergangsstrategie verbindet, ist noch nicht in Sicht. Aber gemeinsamer Widerstand ist notwendig und möglich. Jetzt.

Anmerkungen

[1] vgl. Sascha Stanicic: Zur Lage in Deutschland, in: www.sozialismus.info/modules.php?name=Newsfile=print&sid=734

[2] http://www.w-asg.de/uploads/media/gruendungsprogramm_20050531.pdf , dort S.27

[3] Heino Berg: Regierungsbeteiligung der Linken? Ja - aber nur an einer linken Regierung!, in Solidarität Nr. 43, Januar/Februar 2006

[4] vgl. Sascha Stanicic: Gründungsprinzipien verteidigen! in: Solidarität Nr. 43, Januar/Februar 2006

[5] Interview Jürgen Elsässers und Rüdiger Göbels mit Sascha Stanicic, junge Welt vom 12./13.08.06

[6] so Lucy Redler: Eine andere WASG war möglich, in junge welt vom 20.03.2007

[7] Hier ist nicht der Platz, diese Theorie im Einzelnen zu kritisieren. Es ist aber offenkundig, daß diese Theorie nach 1945 weder in der sowjetisch besetzten Zone Österreichs, noch in Finnland zutreffend war. Der platt ökonomistische und auf jede Klassenanalyse verzichtende Schluß von Verstaatlichungen auf "Sozialismus", der dieser Theorie zugrunde liegt, führten Grant und mit ihm das KAI und die SAV später dazu, unter anderem in Äypten, Syrien, Südjemen, Mozambique, Angola und Äthiopien und Burma Arbeiterstaaten zu entdecken - so das Grundsatzprogramm der SAV von 1999, S. 13

[8] Vgl. Peter Taaffe: Geschichte des Komitees für eine Arbeiterinternationale, in: Die Internationale - Geschichte des Komitees für eine Arbeiterinternationale, Köln 2000, S. 7

[9] Im Klappentext des Buches von Ted Grant: "History of British Trotskyism", London 2002, wird dementsprechend zum Beispiel vom "unbroken thread" (der ungebrochenen Kontinuität) seines Beitrags zur Geschichte des Trotzkismus gesprochen.

[10] Vgl. hierzu: Rob Sewell: Postscript on the History of British Trotskyism, in: Ted Grant: History of British Trotskyism, London 2002, p. 196 ff

[11] Dem VS der IV. Internationale gehören in der BRD heute der Revolutionär-Sozialistische Bund (RSB) und die Internationale Sozialistische Liga (isl) an.

[12] Tony Cliff und seine Strömung hatten sich 1948 von der Vierten Internationale abgespalten. Sie hatten die Theorie entwickelt, daß die Sowjetunion und die nach 1945 neu entstandenen nichtkapitalistischen Länder "staatskapitalistisch" waren. Die internationale Strömung Tony Clifffs ist in Deutschland unter anderem durch Linksruck vertreten.

[13] Auf Trotzki konnte sich Grant nicht berufen. Trotzki hat 1934 anläßlich der Diskussion über die Politik der französischen Trotzkisten geäußert, daß die Ansicht einer damaligen Strömung der französischen Sozialdemokratie, Marxisten müßten um jeden Preis dort bleiben, zu politischem Verrat führen würde. S. Leon Trotsky, The Crisis of the French Section, New York 1977

[14] Ted Grant:Problems of Entrism, geschrieben im März 1959,

[15] Vgl. hierzu: Stephen Foster and Mark Hoskisson: The Militant's peaceful parliamentary road, in: Permanent Revolution, no. 8, p. 5 ff (9)

[16] Militant, What We Stand For, 1985

[17] Militant International Review, No. 22, p. 28

[18] Sehr empfehlenswert und instruktiv hierzu die Kritik von Colin Loyd, Richard Brenner und Eric Wegner:: Voran, Vorwärts und die Militan-Tendenz. Bruch und Kontinuität einer Wende", s. www.arbeitermacht.de/rm/rm12/cwi.htm  - 125k

[19] Dave Reid von der Socialist Party kommentierte dies wie folgt: "Es war nur die verräterische Rolle von Kinnock selbst und die Isolation von Liverpool, die es den Tories ermöglichte zurückzuschlagen, den von Militant geführten Stadtrat auf undemokratische Weise abzusetzen und viele der Fortschritte rückgängig zu machen, die die Liverpooler Arbeiterklasse errungen hatte." S. www.socialistworld.net/eng/2002/06/30trotsky.html 

[20] S. z.B. Ann Talbot: www.wsws.org/de/2006/okt2006/gra1-o19.shtml ; ebnso: Behind the Crisis in Militant, A Workers news Pamphlet, p. 12

[21] Vgl. hierzu: Behind the Crisis in Militant - A workers News Pamphlet, October 1992, p. 8

[22] So bemängelt Sascha Stanicic in seiner Rezension von Ted Grants "History of British Trotskyism", daß der Rechtsruck bei Labour nicht eingeordnet und bewertet wurde.

[23] Vgl. zB.: aus dem jahre 2005 die Thesen über die Weltwirtschaft, die USA, China, Europa und Irak, in; www.sozialismus.info/index.php?name=News&sid=1531&ds=print.htm  (dort die Thesen 58-62)

[24] Siehe z.B. Aron Amm: Für den Aufbau neuer Arbeiterparteien - international, in: http://www.sozialismus.info/?sid=1811

[25] So das Grundsatzprogramm der SAV 1999, S.14

[26] vgl. zum Folgenden Darren Williams: The latest "socialist alternative" in Britain, Workers Action No. 30, August 2006

[27] http://www.socialistparty.org.uk/pamphlets/cnwp/

[28] ebenda

Editorische Anmerkungen

Der Artikel ist eine Spiegelung von http://www.marxismus-online.eu/