Die
Szene spielte sich vor gut drei Jahren ab. Nicolas Sarkozy -
damals seit anderthalb Jahren als französischer Innenminister
im Amt - weilte auf Staatsbesuch in Peking, wo er ein
Rücknahmeabkommen über unerwünschte Immigranten mit der
chinesischen Regierung aushandelte. Dieses beinhaltete, dass
künftig auch chinesische Polizeibeamte am Pariser Flughafen
Roissy ihren Dienst versehen sollen, „um uns dabei zu helfen
zu erkennen, wer illegaler Einwanderer ist und wer nicht“, wie
der Minister erklärte. Umgekehrt sollten französische
Polizisten an den Flughäfen von Peking, Schanghai und Kanton
stationiert werden. Zugleich wurde aber auch vereinbart,
Frankreich für chinesische Geschäftsleute und auch für
Touristen attraktiver gemacht werden. Aber nicht diese
skandalös enge Zusammenarbeit mit einem Staatswesen, dessen
Regierungspraxis nicht eben demokratischen Gepflogenheiten
entspricht, erweckte die Aufmerksamkeit der französischen
Öffentlichkeit.
Denn
der kleinwüchsige Minister mit dem überdimensionierten Ego
nutzte seinen Aufenthalt nebenbei auch dazu, einige flotte
Bemerkungen loszuwerden. So ließ er sich in Peking in aller
Öffentlichkeit abschätzig über das japanische Sumo-Ringen und
„diese fettleibigen Sportler mit Gel im Haar“ aus. „Das ist
wirklich kein Intellektuellensport“, fügte er hinzu. Mit der
Bemerkung wollte Sarkozy offenkundig den französischen
Präsidenten Jacques Chirac treffen, der als großer Fan der
japanischen Kultur und insbesondere des Sumo-Ringens bekannt
ist. Ganz unverfänglich fragte Sarkozy, der damals als
faktisch zweitstärkster Mann im Staate galt, ferner den frisch
ins Amt gekommenen chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao,
„wie man sich fühlt, wenn man von der Nummer Zwei zur Nummer
eins aufgerückt ist“. Und dachte dabei offenkundig an sich
selbst Gut gelaunt erzählte der ehrgeizige Politiker die
Anekdote auf einer Pressekonferenz in Peking. Ebenfalls viel
beachtet wurde, dass Sarkozy in seinem Grußwort an die in
China lebenden Franzosen den amtierenden Präsidenten, Jacques
Chirac, mit keinem Wort erwähnte. Was sämtlichen
diplomatischen Gepflogenheiten widersprach. Chirac hatte die
Botschaft wohl verstanden: Sein Empfang für den Rückkehrer
Sarkozy soll „gewitterhaft“ gewesen sein, wie die Pariser
Abendzeitung Le Monde im Nachhinein bemerkte.
Das diplomatische Parkett, die internationale
Politik als Schaubühne für kleinkarierte persönliche
Abrechnungen und ungezügelte persönliche Ambitionen: Nicolas
Sarkozys Auftritt in Peking zeichnet das Bild eines
brandgefährlichen Politikers. Man stelle sich nur einmal vor,
China und Japan seien damals hinter den Kulissen in ernsthafte
Konflikte verwickelt gewesen oder hätten gar am Abgrund eines
Krieges – den die Kräfteverhältnisse jedoch in diesem Falle
unwahrscheinlich machen – gestanden... Kaum auszumalen. So
einer, lässt sich festhalten, könnte glatt die Welt in Brand
stecken, wenn es seinem Ego dient. Was durchaus zu einem
Staatsoberhaupt passt, in dessen jüngstem
Präsidentschaftswahlprogramm der zentrale Programmpunkt „Ich“
lautet: Ich verspreche, ich garantiere, ich will, ich werde;
„ich werde Euch nicht verraten, ich werde Euch nicht belügen“.
Nicolas Sarkozy im Oval Office
Egozentrik mischte sich einmal mehr mit dem
Bemühen um politische Profilierung, als Nicolas Sarkozy am 11.
und 12. September vergangenen Jahres New York und Washington
D.C. besuchte, pünktlich zum fünften Jahrestag der Attentate
von 2001. Aus diesem Anlass ließ der damalige französische
Innenminister sich mit US-Präsident George W. Bush im Oval
Office ablichten und verkündete mit stolzgeschwellter Brust,
zu Hause nenne man ihn „Sarkozy l’Américain“. Hinterher
wurde sein PR-trächtiger Auftritt mit dem mächtigsten Mann der
Welt in Frankreich zum glatten Reinfall, da die von Sarkozys
Kommunikationsteam verbreiteten Fotoaufnahmen durch kritische
Betrachter in der Presse – namentlich beim auf Enthüllungen
spezialisierten Canard enchaîné – im Nachhinein
berichtigt wurden. Das berühmt gewordene Foto von Sarkozys
Besuch beim US-Präsidenten zeigt die beiden Männer
nebeneinander, und es vermittelt den Eindruck, als seien sie
genau gleich groß. In Wirklichkeit trennen Sarkozys und Bushs
Körpergröße aber 15 Zentimeter. Das Bild war so lange aus
verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen wurde, bis der Eindruck
stimmte. Le Canard enchaîné aber druckte die Aufnahme
in einer retuschierten Fassung ab, die die tatsächlichen
Proportionen wieder herstellte. Das Bemühen Sarkozys, lästige
Details zu verbergen, hatte im Endeffekt den gegenteiligen
Effekt: Das Bild wurde zum Lacherfolg beim Publikum.
Aufräumen mit dem Erbe des Gaullismus
Die Sache hat aber einen ernsten politischen
Hintergrund. Denn tatsächlich bricht Nicolas Sarkozy, obwohl
selbst aus der neogaullistischen Partei (dem ehemaligen RPR,
der 2002 in der konservativen Einheitspartei UMP aufging)
kommend, in außenpolitischer Hinsicht mit sämtlichen
Prinzipien, Dogmen und Mythen des französischen Gaullismus.
Letzterer hatte über Jahrzehnte hinweg den Anschein einer sehr
weitgehenden Unabhängigkeit in der Außenpolitik erwecken
wollen, der darüber hinweg täuschen konnte und mochte, dass
Frankreich den Status einer Weltmacht zusammen mit einem
Großteil seiner Kolonien verloren hatte. Diese Politik hatte
ihre Blütezeit in den sechziger Jahren. Damals baute das
offizielle Paris darauf, dass auch nach der Welle der
Entkolonialisierung ein Agieren als traditionelle Großmacht
weiterhin möglich sei: Frankreich solle sich nun, als starker
und gefestigter Nationalstaat, den jungen, frisch entstandenen
Republiken in Afrika oder Asien, bzw. ihren Eliten, als
Vorbild und Partner anbieten. Dieser Kurs fand seinen
Höhepunkt, als Präsident Charles de Gaulle mit seiner „Rede
von Phnom Penh“ 1966 den durch die USA geführten Krieg in
Vietnam verurteilte. Er hatte aber auch seine negativen
Aspekte, als etwa die Baath-Diktatur im Irak in den siebziger
Jahren durch breite Teile der französischen politischen Klasse
als „arabischer Gaullismus“ bezeichnet und glorifiziert wurde.
Seit den
neunziger Jahren ist diese Strategie de facto passé: Präsident
Chirac hat seit Ende 1995 eine offene Wiederannäherung an die
NATO betrieben, deren militärischen Verbund Präsident de
Gaulle 29 Jahre zuvor verlassen hatte. Aber auf verbaler und
symbolischer Ebene knüpfte Frankreich noch einmal an die
vorangegangene Periode an, als Chirac und sein damaliger
Außenminister Dominique de Villepin – mit seine Rede vor der
UN-Vollversammlung im Februar 2003 – ihr Nein zum Irakkrieg
der US-Administration Bush formulierten. Der Glanz verblasste
zwar schnell wieder, aber ein Symbol war gesetzt. Zu realer
Weltpolitik auf eigenen Füßen hat Frankreich jedoch nicht mehr
die Mittel. Zu groß ist der Abstand bei den Militärausgaben
gegenüber den USA. Auf dem afrikanischen Kontinent - wo
Frankreich seit vier Jahrzehnten einen Neokolonialismus mit
äußerst klassischen Methoden betrieb und sich lange Zeit nicht
einmal die Mühe gab, den Anschein einer Modernisierung seiner
Praktiken zu erwecken - wird seine Einflusssphäre durch das
Vordringen von US-Interessen und chinesischer Konkurrenz
zunehmend angeknabbert.
Vor diesem
Hintergrund bleiben der französischen Rechten zwei
grundsätzliche Möglichkeiten: Entweder die Annäherung an die
militärisch stärkeren und in Afrika offensiv gewordenen USA,
um als ihre (Junior-)Partner einen Teil des bisherigen
Einflusses zu halten – oder aber die nationalistische
Fundamentalopposition gegen den Statusverlusts des eigenen
Landes. Letztere Variante vertrat Jean-Marie Le Pen, als er
1990 infolge des Endes der bipolaren Weltordnung die These von
den Intellektuellen der extremen Rechten übernahm, der
Hauptfeind sei nun nicht mehr „der Kommunismus“, sondern der
vaterlandslose Liberalismus und der Atlantizismus. Vor diesem
Hintergrund ergriff der rechtsextreme Politiker nicht nur
Partei gegen den US-Krieg im Irak vom Januar/Februar 1991,
sondern sogar offen für das Regime von Saddam Hussein.
Die
bürgerliche Rechte navigierte hingegen lange Zeit irgendwo in
der Mitte zwischen diesen beiden Polen herum. Nicolas Sarkozy
legt ihr nun aber einen Übergang zur offenen Annäherung an die
USA, ihre Außen- und Militärpolitik nahe. Im Frühjahr 2003
schwieg er – was bei diesem Politiker nun wirklich äußerst
selten vorkam - zum Ausbruch des Irakkriegs. Seine Berater,
wie der Pro-Atlantiker Pierre Lellouche, verkündeten aber
schon damals, in Wirklichkeit verurteile Sarkozy das Nein
Chiracs zum Angriff auf den Irak. Im September 2006 in
Washington D.C. hat der Minister es nunmehr offen bekundet:
Mit seiner Haltung im Vorfeld des Irakkriegs habe Frankreich
„Arroganz“ bewiesen, und die Mittelmacht habe die Weltmacht
Nummer 1, die USA, dadurch „erniedrigt“. Doch Opportunismus
verpflichtet: In seiner Rede anlässlich seiner offiziellen Kür
zum Präsidentschaftskandidaten, am 14. Januar dieses Jahres in
den Pariser Messehallen, lobte Sarkozy die historische Bilanz
seines Rivalen Jacques Chirac – dessen politische Karriere in
ihren letzten Zügen lag – und hob dabei auch seine Position
zum Irakkrieg, der „ein Fehler“ gewesen sei, hervor.
Kontinuität in der Kolonial-, pardon, Afrikapolitik
Die Rede
in den Pariser Messehallen markiert de facto auch Nicolas
Sarkozys Position zur Zukunft der französischen Afrikapolitik.
Nicht so sehr aufgrund dessen, was er in Worten ausführte,
sondern aufgrund dessen, was man sah. Einer der prominenten
Gäste war Pascaline Bongo – niemand anders als die Tochter von
Omar Bongo, des seit 1967 ununterbrochen amtierenden
Präsidenten der Republik Gabun, eines der erdölreichsten
Staaten Afrikas. Omar Bongo ist so etwas wie dem Kassenwart
der Françafrique, jenes geradezu mafiösen Netzwerks,
mittels dessen der französische Postkolonialismus Teile des
afrikanischen Kontinents kontrolliert. Bongo kann politische
Karrieren nicht nur in Afrika, sondern selbst in Frankreich
fördern oder zerstören: In seiner vierzigjährigen Laufbahn hat
er so viel Wissen über Korruptionsnetze, Finanzierungsquellen
und geheime Waffenlieferungen angehäuft, dass er für viele
Akteure der französischen Politik unumgänglich geworden ist.
Er habe „genug Wissen, um die Fünfte Republik zehn mal in die
Luft gehen zu lassen“, drohte er im Januar 2001, als
französische Ermittler den Spuren der „Affaire Falcone“ – es
ging um einen Waffendeal mit beiden Bürgerkriegsparteien in
Angola – folgten und ihm bedrohlich auf die Pelle zu rücken
drohten. Seine Tochter zum UMP-„Krönungskongress“, wie viele
Beobachter den Nominierungsparteitag im Januar spöttisch
nannten, einzuladen, zeigt besser als alles andere, wie ernst
es Nicolas Sarkozy tatsächlich mit dem bekundeten Willen zu
einer „Erneuerung“ der französisch-afrikanischen Politik ist:
Es handelt sich um Lippenbekenntnisse, nichts weiter. Anders
als Ségolène Royal verspricht er auch nicht die Offenlegung
der militärischen Geheimabkommen mit afrikanischen Staaten.
Bei
alledem versuchte Sarkozy sich im Wahlkampf, offenkundig
erfolgreich, auch als Schutzherr der bedrohten Nation
gegenüber den Stürmen und Winden draußen in der Welt und den
Mächten der Globalisierung aufzuführen. In mehreren Reden,
etwa in Caen und Besancenon, beschwor er die „nationale
Identität“ und gar die Nationalheilige Jeanne d’Arc – die bis
dahin nur die extreme Rechte bemüht hatte - oder versprach,
die französische Sprache vor der „Uniformierung der Welt durch
die Vorherrschaft des Englischen“ zu schützen. Sarkozy
kombinierte so auf eigenartige Weise das Neoliberale und das
Nationale, das Versprechen auf Aufbrechen des „überkommenen
französischen Sozialmodells“ – da es bessere gebe, etwa das
britische – und die Pose eines Beschützers der Nation. Statt
gegen die „Uniformierung der Welt“ durch die englische Sprache
hätte er freilich mal besser gegen die US-Militärpolitik
Stellung genommen. Das aber ist, auch in Zukunft, wohl nicht
von ihm zu erwarten. Verbal fordert er die USA hingegen schon
mal gern heraus, so forderte er sie am Wahlabend dazu auf,
zukünftig „die Führung beim Kampf gegen den Klimawandel zu
übernehmen“.
Editorische Anmerkungen
Der Artikel uns am 13. Mai 2007 vom Autor zur Veröffentlichung gegeben.
Eine deutlich gekürzte Fassung
erschien am Dienstag, 08. Mai 07 in der ‚taz’.