Nach den Bombenanschlägen vom 11. März in Casablanca, 10. und 11. April (Casablanca /Algier) und vom 14. April (Casablanca)

Bewaffneter Islamismus in Nordafrika
(Teil 2 und Schluss):
Djihadismus in Algerien heute: Jenseits des Bürgerkriegs


von
Bernard Schmid

05/07

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Am 11. April dieses Jahres gab es einen gewaltigen Knall um die Mittagszeit, infolgedessen Tausende von Menschen auf die Strabe strömten. Viele von ihnen hatten zunächst an ein Erdbeben geglaubt. Mit solchen und ähnlichen Worten schildern zahlreiche Augen- und Ohrenzeugen die mächtige Explosion, die an jenem Mittwoch den Regierungspalast  in Algier, Amtssitz von Premierminister Abelaziz Belkhadem, auf acht Etagen beschädigte und teilweise zum Einsturz brachte. Seitdem war tagelang eine ganze Heerschar von Arbeitern Tag und Nacht im Einsatz, um die zerstörten Gebäudeteile wieder instand zu setzen. Eine zweite Explosion ereignete sich fast gleichzeitig in Bab Ezzouar, einem Stadtbezirk im Osten der algerischen Hauptstadt, die in der Nähe des internationalen Flughafens liegt und die naturwissenschaftliche Universität von Algier beherbergt. Dieses Mal galt der Anschlag einem Polizeikommissariat. Insgesamt wurden bei beiden Attentaten 33 Personen getötet und insgesamt 222 verletzt, fast ausschlieblich Zivilisten. Inzwischen sind an beiden Anschlagsorten alle sichtbaren Spuren beseitigt, und die zerstörten oder beschädigten Gebäude wurden in Windeseile repariert oder  wieder errichtet. Darin hat Algerien ja seit dem Bürgerkrieg  der 1990er Erfahrungen gesammelt...

Noch am Abend des Mittwoch, 11. April bekannte sich die Gruppe „Al-Qaïda im islamischen Maghreb“ zu den Attentaten. Ein Anrufer beim Fernsehsender Al-Jazira übernahm in ihrem Namen die Verantwortung für die Anschläge. Ferner publizierte die Gruppe im Internet die Fotos der drei Selbstmordattentäter, die am 11. April die mit Sprengstof gefüllten Autos ins Ziel gesteuert hatten. Zwei, deren Gesichter mit Turbanen verhüllt sind, bleiben bisher unbekannt. Aber der dritte konnte inzwischen als der 28jährige Merouane Boudina, ein ehemaliger Strabenverkäufer und Kleinkrimineller aus dem Stadtteil Bach Djarrah, identifiziert werden. In diesem Viertel im Osten der Hauptstadt Algier waren die radikalen Islamisten in den letzten 15 Jahren traditionell stark gewesen. Boudina wurde von Familienmitrgliedern und Freunden als traditionell unreligiös beschrieben. Nach familiären Problemen habe das verstörte und agressive Kind einer elfköpfigen Familie jedoch das Elternhaus vorübergehend verlassen, wobei er in Kontakt mit einer organisierten Gruppe befindlich gewesen sein muss. Nach seiner Rückkehr sei er wie verwandelt gewesen, und er habe der Familie schwere Vorwürfe darüber gemacht, dass eine Schwester in einem Gesundheitszentrum arbeiten durfte.

Spätere Reaktionen

Am  darauffolgenden Samstag, 16. April hielt die algerische Hauptstadt nochmals den Atem an: Die US-amerikanische Botschaft in Algier hatte zuvor einen „Hinweis“  öffentlich  gemacht, wonach  „aus sicherer Quelle“ Informationen vorlägen, wonach die Stadt an jenem Tag nochmals zum Opfer gezielter, schwerer Anschläge  werden würde. Doch nichts dergleichen passierte. In den folgenden Tagen kam es  deswegen kurzfristig zu einer scharfen Polemik zwischen dem algerischen Staat, u.a. vertreten durch Premierminister Abdelaziz Belkhadem, und den US-Vertretern in dem nordafrikanischen Land. Tatsächlich stimmt der Vorwurf, dass die US-Botschaft die Souveränität  Algeriens missachtet  habe, indem sie die entsprechenden  (angeblichen)  Hinweise unmittelbar selbst in der nationalen und internationalen Öffentlichkeit bekannt machte – und nicht den zuständigen  Behörden übergab oder mitteilte, damit diese über die zu treffenden Mabnahmen und  Reaktionen zu entscheiden hätten. Nicht ohne Einfluss, sowohl auf  das Verhalten der US-Repräsentanten selbst als auch die Reaktion von algerischer Seite,  blieb dabei wohl auch die Tatsache, dass der  amtierende Botschafter in Algier niemand  anders als  der ehemalige Botschafter im besetzten Iraq ist. Dies dürfte sowohl die Gleichgültigkeit des Nordamerikaners  gegenüber der Souveränität  eines anderen (zumal arabischen) Landes, als auch die Empfindlichkeit auf Seiten der Algerier noch ein bisschen erhöht haben. Tatsächlich lässt sich der algerische Staat, vor dem Hintergrund gefüllter Kassen durch den gestiegenen Rohölpreis im  Moment nicht mehr ganz so sehr zum Lackaffen nordamerikanischer (und anderer „westlicher“) Interessen machen, wie dies etwa  noch vor zwei, drei Jahren der Fall gewesen ist. Die Wünsche der USA, eine dauerhafte Militärbasis im Süden Algeriens mitten in der Sahara einzurichten, werden im Augenblick abschlägig beschieden (nur eine vorübergehende, mobile Basis soll es geben), und auch die 2005 per Gesetz beschlossene Privatisierung des algerischen  Erdöls  als quasi einzige Devisenquelle des Landes ist doch wieder eingeschränkt worden. Aufgrund eines Präsidentendekrets dürfen ausländische Firmen nunmehr doch nicht 70 % (oder in bestimmten Fällen gar 100 %, wie zuvor geplant) von algerischen Rohölfeldern besitzen, sondern die öffentliche algerische Erdölgesellschaft Sonatrach muss mindestens 51 Prozent der Anteile daran halten. Derzeit behauptet der algerische Staat also seine Souveränität etwas besser als noch zu Beginn der derzeitigen zweiten Amtszeit von Präsident Abdelaziz Boutefliqa; und dies lieb er auch anlässlich der  Ankündigung neuer Bombenanschläge durch die US-Vertretung wissen.   

Später hat Algeriens Innenminister Yazid Zerhouni nochmals Zweifel am Hergang der beiden Attentate vom 11. April geweckt, was die vermutete Verwicklung  von  Selbstmordattentätern betrifft. Bis dahin konnte die Beteiligung dreier Suizid-Attentäter daran als Beleg für eine qualititative Veränderung der islamistischen Gewalt gegenüber dem Bürgerkrieg gewertet werden (siehe unten). Fünf Tage nach den Bombenanschlägen behauptete Innenminister Zerhouni nun aber, in den verwendeten Autos seien Fernzünder gefunden worden. Er vertrat die Auffassung, die Fahrer der beiden Autos seien ohne ihr Wissen aus der Ferne mit in die Luft gesprengt worden. Algerische Journalisten blieben aber höchst skeptisch bezüglich dieser Version.

Am 16. und 17. April nahmen mehrere Hunderttausend Menschen in Algerien an Kundgebungen gegen den Terrorismus teil. Dazu hatten regierungsnahe Organisationen und der staatsnahe Gewerkschaftsbund UGTA aufgerufen. Sie benutzen die Mobilisierung, um Propaganda für Präsident Abdelaziz Bouteflika und seine „Politik der nationalen Aussöhnung“ zu betreiben. Zahlreiche Menschen nahmen aber auch spontanem Abscheu über die Attentate teil, ohne die Absichten der Organisatoren zu teilen. In Algier, wo Strabenmärsche seit der Protestdemonstration von einer Million Menschen am 14. Juni 2001 generell verboten sind, fand die Kundgebung in einer Halle statt. Die UGTA schickte zahlreiche Menschen in Bussen dorthin.

Rückkehr der Bürgerkriegsgewalt?

Die Attentate vom 11. April haben zahllose Algerier dazu veranlasst, ihrer Furcht vor einer „Rückkehr in das schwarze Jahrzehnt“ Ausdruck zu verleihen. Dieser Begriff bezieht sich auf den Bürgerkrieg der neunziger Jahre, in dessen Verlauf ebenfalls zahlose Bombenanschläge sowie gezielte und ungezielte Kollektivmassaker an Zivilisten stattfanden.

In Wirklichkeit kann die derzeitige Gewalt, die in Algerien von radikalislamistischen Untergrundgruppen verübt wird, aber kaum annähernd mit jener des Bürgerkriegs verglichen werden. Obwohl die Gruppierung „Al-Qaïda im islamischen Maghreb“ - über mehrere Brüche hinweg - aus einer der Kampfparteien des Bürgerkriegs hervorging, kann sie weder in ihrem Aktionsmodus noch in ihrer politischen Perspektive mit dem bewaffneten Islamismus im Bürgerkrieg verglichen werden. Auch wenn ihre Ideologie jener der einstmaligen „Bewaffneten islamischen Gruppen“ GIA (Groupes islamiques armés) höchst ähnlich ist, so verbirgt sich doch hinter den jeweils benutzten identischen Phrasen eine unterschiedliche gesellschaftliche Realität. Für eine tiefgreifende Änderung spricht bereits der Aktionsmodus, denn der Einsatz von Selbstmordattentätern war bis dahin in Algerien eine absolute Seltenheit gewesen. Die Mitglieder der GIA im algerischen Bürgerkrieg metztelten zwar Andere nieder, töteten sich aber in der Regle nicht selbst, ebenso wenig wie die Kader der Islamischen Rettungsfront (FIS). In der damaligen Phase war ihr Agieren nicht vom Willen zur Selbst-Aufopferung, sondern eher von Siegesgewissheit geprägt worden.  

Unterschiedliche Gewaltpraxis 

 Auch wenn beide ihre Wahrnehmung der heutigen Realität aus ähnlichen historischen Bildern ableiten, so ähnelt sich doch ihre eigene Wirklichkeit und Praxis nicht. Die Glaubenskrieger aus der Zeit der Ausbreitung des Islam, im 7. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung, sollen beiden als vermeintliche Vorbilder für aktuelle Akteure dienen; die damaligen Religionskriege sollen sich angeblich in modernisierter Form nochmals abspielen. Der ideologische Bezugspunkt ist also derselbe. Aber die Kräftekonstellationen und aktuellen politischen Konflikte, zu deren Interpretation er dienen soll, ähneln sich deshalb nicht tatsächlich.

Im algerischen Bürgerkrieg diente diese Selbstwahrnehmung als Gotteskrieger des späten 20. Jahrhunderts vor allem zwei Akteuren. Zum Einen existierte eine strukturierte politische Partei, die Islamische Rettungsfront (FIS), die durch den Abbruch der Parlamentswahlen im Januar 1992 ihres gesichert geglaubten Wahlsiegs beraubt worden war. Vor diesem Hintergrund versuchte sie, die politische Macht auf gewaltsamem Wege zu übernehmen, um doch noch ihr ideologisches Programm umsetzen zu können: Von der Wiederherstellung der Moral, dem Wiederanknüpfen an eine beschädigte „kulturelle Identität“, der Beseitigung von Laster und Korruption versprachen die Kader sich selbst und ihren Anhänger eine „gesundete“ Gesellschaft. Sicherlich gehörte dazu notfalls auch die, je nach Radikalität der Ausdrucksformen dieser Ideologie, Ausmerzung oder erzwungene „Besserung“ der – demzufolge – ungesunden Elemente im Land. Aber im Bürgerkrieg betrachteten die Parteigänger des organisierten politischen Islam vor allem die Staatsfunktionäre, die Angehörigen der Sicherheitskräfte und die Profiteure des bestehenden Regimes als ihre Hauptgegner. Denn ihnen ging es in erster Linie darum, einen politischen Umsturz herbeizuführen. Diese Orientierung fand ihren Ausdruck vor allem in der „Islamisischen Rettungsarmee“ AIS, dem bewaffneten Arm des FIS, der von 1994 bis 2000 existierte. 

Daneben hatten sich aber schon früh autonom handelnde Gruppen und Grüppchen auberhalb der Kontrolle des FIS formiert, die auf eigene Faust ihren „heiligen Krieg“ begannen. In ihren Reihen kämpften vor allem junge Männer, die nach einer sozialen Revanche strebten und die sich unter dem Vorwand des Djihad selbst bereichterten oder durch die Bevölkerung in den zeitweilig bestehenden „befreiten Zonen“ aushalten lieben. Bei ihnen mischte sich ein extrem gewalttätiges Sektierertum alsbald mit einem schlicht kriminellen Desperadowesen. Die GIA wurden zum hauptsächlichen Ausdruck dieser Tendenz. Sie fingen ab etwa 1995 an, auch die Zivilbevölkerung systematisch zu terrorisieren, die ihnen ihre anfängliche Unterstützung – aus der Zeit, als man sie noch für Widerstandskämpfer gegen das Regime hielt – zunehmend entzog.

Die GIA sind seit 2004 restlos zerschlagen. Aber fünf Jahre zuvor hatte sich von ihrem „harten Kern“ eine Gruppe mit einigen hundert Kämpfern abgespalten und unter dem Namen „Salafistische Gruppe für die Predigt und den Kampf“ (GPSC) neu formiert. Der Salafismus ist eine ideologisch besonders kompromisslose Variante des politischen Islam, der – anders als manche anderen Strömungen – keine Vermischung seiner Ziele mit dem Nationalismus oder anderen gesellschaftlichen Bestrebungen hinnimmt. Ihren Anhängern geht es nicht Wirklichkeit um einen Regimewechsel in Algerien oder einem anderen Land, vielmehr werden die bestehenden Nationalstaaten als dem Islam äuberliche Fremdkörper verworfen. Den Salafisten geht es um einen internationalen „heiligen Krieg“ an allen Fronten, der keine Zwischenetappen und auch keine, realpolitisch fassbaren, nationalen Ziele kennt. Das unterscheidet ihn sowohl von Bewegungen wie der Hizbollah mit vorwiegend nationalem Bezugsrahmen als auch von der Mehrheitsströmung der algerischen Islamisten, den „Djazairisten“ – vom arabischen Landesnamen, al-djezair – die in den frühen neunziger Jahren noch absolut dominierend waren.

Der GSPC, eine Abspaltung von den Bürgerkriegs-GIA

Die Gründer des GSPC warfen den GIA-Gruppen, von denen sie sich 1998/99 abspalteten, eine weitgehend den ideologischen Ansprüchen entfremdete Praxis und eine ziellose Gewalt vor. Dagegen propagierten sie, man müsse sich wieder auf politisch-ideologische Ziele besinnen und den Kampf gegen „die gottlosen Machthaber“ wieder in den Vordergrund rücken. Da aber auch sie von der allgemeinen Niederlage des bewaffneten Islamismus betroffen waren, reagierten sie mit einer Veränderung ihres politischen Horizont. Statt der Machtübernahme innerhalb Algeriens, die auf unabsehbare Sicht hin gescheitert erschien, bezog der  GSPC sich nunmehr auf einen internationalen Bezugsrahmen. Dies kann man auch als Flucht nach vorne werten, verspricht ihm jedoch zugleich eine erhöhte Wahrnehmung weltweit. 

Am 26. Januar dieses Jahres hat der ehemalige GSPC nun offiziell durch ein Kommuniqué, das in Dubai der Presse bekannt wurde, verkündet, sich in „Al-Qaïda im islamischen Maghreb“ umzubennen. Dabei benutzt er einen Namen, der international wie ein rotes Tuch wirkt. Dagegen halten Spezialisten es für unwahrscheinlich, dass die algerischen Salafisten tatsächlich vom „harten Kern“ von Al-Qaïda in Afghanistan oder Pakistan aus mit Geld und Waffen versorgt werden. Die algerischen Kämpfer halten sich in Rückzugsräumen in den Bergen des algerischen Nordostens und zum Teil – dank der Kooperation mit Schmugglergruppen und von der „Parallelökonomie“ lebenden Nomaden – in der Sahara auf. Entlang der traditionellen Schmuggelrouten versorgen sie sich mit Waffen und finanzieren sich dabei selbst dank des Handels mit Gewehren, Mobiltelefonen oder anderem. Die fünf Millionen Euro, die der deutsche Staat mutmablich für die Freilassung deutscher Geiseln im Jahr 2003 – die durch mit dem GPSC kooperierende Schmuggler in der Sahara entführt worden waren – bezahlt hat, kommen noch hinzu. Aber die Benutzung des Namens von Al-Qaïda soll dabei den weltweiten Reizwert ihrer Auftritte erhöhen.

Flucht nach vorn 

Die Pariser Tageszeitung Le Figaro schreibt zu Recht: „Ohne wirkliche Unterstützung in der Bevölkerung ist der GSPC nicht in der Lage, dem Staatsapparat (in Algerien) gefährlich zu werden. Um zu überleben, muss er seine Isolierung durchbrechen. Er holt sich bei Gruppen im Umfeld von Al-Qaïda Inspiration und sucht eine Präsenz im Internet. Dies erlaubt ihm, sich zu spektakulären Aktionen zu bekennen, wie zu den Attentaten der letzten Monate im Raum Algier, und Propagandabilder zu zeigen. Er rekrutiert Marokkaner, Tunesier und Mauritanier.“ Die Passage über Attentate in der Nähe der algerischen Hauptstadt bezieht sich vor allem auf einen Angriff auf einen Bus mit Mitarbeitern einer US-amerikanischen Ölfirma, der sich am 10. Dezember 2006 in der Nähe von Algier ereignete. Dabei wurde der Chauffeur getötet, neun Personen wurden verletzt. Die US-amerikanischen, kanadischen, britischen, libanesischen und algerischen Beschäftigten waren auf dem Weg zum Sheraton-Hotel im Nobelvorort Club des Pins. In dieser Luxusresidenz halten sich üblicherweise algerische Generäle und hohe Würdenträger auf. Auch während des Bürgerkriegs war der Club des Pins weitgehend unberührt – da hervorragend abgeschirmt – geblieben. Auch waren im Bürgerkrieg der neunziger Jahre nie US-Interessen angegriffen worden - was auch damit zusammenhing, dass die US-Administration von 1992 bis circa 1995 noch die „Islamische Rettungsfront“ (FIS) unterstützte, in der (falschen) Annahme, diese werde es schaffen, in Algier die Macht zu übernehmen.  

Das Attentat vom Dezember 2006 markiert vor allem den endgültigen Übergang der algerischen Salafisten von Kampfformen des früheren Bürgerkriegs – gegen politische Gegner, oder auch zum Zweck der Einschüchterung von Teilen der Bevölkerung – zu solchen des internationalen Terrorismus. Ein Anschlag wie dieser hätte mit identischem Ziel auch in Südostasien, Saudi-Arabien, in Paris oder anderswo stattfinden können. Die Reste des algerischen bewaffneten Islamismus sind damit offenbar im transnationalen Terrorismus aufgegangen.           

Der frühere GSPC sucht sich nunmehr vor allem spektakuläre Ziele, wie den Sitz des Premierministers, oder aber Ziele mit internationaler Dimension. Nach den Angriffe auf Mitarbeiter einer US-Firma vom im Dezember folgte eine Attacke gegen russische Erdgasspezialisten in Aïn Defla im Atlasgebirge Anfang März. Die Gruppe zählt nur noch wenige hundert bewaffnete Kämpfer, die jedoch Ende März in den Bergen der Kabylei durch über 5.000 Mann der Gendarmie und der Armee eingekreist wurden. Zuvor waren in den ersten beiden Jahresmonaten bereits über 50 Personen, Zivilisten und Militärs, bewaffneten Aktionen der Gruppe zum Opfer gefallen. In den letzten Wochen scheinen aber ihre eigenen Verluste zu steigen, eine Groboffensive der Armee gegen ihre Rückzugszonen im Atlas, in der Kabylei und in Nordostalgerien ist in vollem Gange. Höchstwahrscheinlich sollten die Anschläge von Algier die Rückkehr der bewaffneten Islamisten in städtische Gebiete, wo sie seit mehreren Jahren kaum noch agieren konnten, aber offenkundig einige „schlafende Netzwerke“ rekonstituiert haben, demonstrieren. Zugleich sollten sie wohl eine neue Front eröffnen und den eingekreisten ländlichen Guerilla-Restgruppen eine Atempause oder Entlastung verschaffen. 

Infolge des Attentats von Anfang Dezember 06 zeigte sich auch die französische Politik zum Jahreswechsel 2006/07 besorgt über die Umtriebe der Salafistengruppe im algerischen Untergrund. Die Pariser Abendzeitung Le Monde widmete diesem Thema und den Unmutsäuberungen aus französischen Regierungskreisen über die Freilassung ehemaliger bewaffneter Islamisten aus dem Bürgerkrieg, im Rahmen der „nationalen Aussöhnungspolitik“ im Laufe des Jahres 2006, breiten Raum.  Inzwischen äubern sich auch Teile der algerischen politischen Klasse in ganz ähnlichem Sinne. Allerdings besteht, auch wenn man die von oben angeordnete „nationale Aussöhnung“ und das Ausbleiben von Strafverfolgungen gegen Verbrechen im Bürgerkrieg – sowohl Angehörigen der islamistischen Gruppen als auch Angehörigen der Sicherheitskräfte wird Straffreiheit nahezu garantiert – kritisch sehen mag, kein Zusammenhang ziwschen ihr und dem Wirken der Salafisten. Letztere haben nicht von der Amnestie ehemaliger Bürgerkriegsteilnehmer profitiert, vielmehr haben sie ihre bewaffneten Aktivitäten zu keinem Zeitpunkt eingestellt. Dabei haben sie einen kleinen Teil der ehemaligen islamistischen Aktivisten früherer Perioden, die jede „Kapitulation“ im Austausch für ihre Amnestie ablehnten und in den ländlichen Rückzugsräumen der früheren Guerilla blieben, auf ihre Seite ziehen können. 

Zudem wird die Rekrutierung von Kandidaten für Selbstmordattentate auf dem Kriegsschauplatz Iraq zu einem der Hauptbetätigungsfelder des algerischen GSPC. Die französische Tageszeitung gibt an, derzeit befänden sich 600 Algerier im besetzten Irak, das sei ein Fünftel der dort aktiven internationalen Djihadisten. Dagegen spricht die algerische Tageszeitung Liberté vom 09. Januar von 3.000 dort kämpfenden Algeriern.  

Post scriptum 

Am 17. April desavouierte Hassan Hattab, der dereinst (1998/99) den GSPC gründete und anführte, die durch die in „Al-Qaïda im Maghreb“ umbenannte Strategie. In einem Brief, den eine algerische Tageszeitung an jenem Montag publizierte, denunziert Hassan Hattab „jene, die Algerien in einen zweiten Iraq umwandeln möchten“. Un fordert die Angehörigen seiner ehemaligen Truppe dazu auf, „den Kampf aufzugeben und sich der Politik der nationalen Aussöhnung von Präsident Boutefliqa anzuschlieben“. Auch ehemalige Führungsmitglieder des FIS, wie Rabah Kébir und der in Qatar im Exil lebende frühere Parteivorsitzende Abassi Madani, haben die jüngsten Attentate scharf kritisiert. Selbst jene ehemaligen Chefs des FIS, die zum bewaffneten Arm des Islamismus ein besonders inniges Verhältnis unterhielten, wie Ali Belhadj (in Algier) oder Anouar Haddam (noch im US-amerikanischen Exil) verurteilten die jüngsten Attentate, die laut Worten von Ali Belhadj „Unschuldige töteten“. (Vgl. http://www.albayane.ma/Detail.asp?article_id=63326

Am Donnerstag, den 27. April wurde die „Nummer Zwei“ in der Hierarchie der algerischen Salafistentruppe, „Samir Moussaab“, mit richtigem Namen Samir Saioud, bei einem Zusammenstob mit der Armee im Bezirk Boumerdès (rund 40 Kilometer östlich von Algier) getötet. Seine Liquidierung gilt als schwerer Schlag für den GSPC bzw. „Al-Qaïda im Maghreb“. Samir Moussaab galt als einer der Köpfe einer Strategie der Infiltration im grobstädtischen Raum, also der Neubildung von („schlafenden“) Zellen im Raum Algier.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel uns am 13. Mai 2007 vom Autor zur Veröffentlichung gegeben.

Teil 1 erschien in der Nr. 4-07