Grundsätzliche Bemerkungen
Reformismus und revolutionärer Sozialismus


von Ennio Modotti
05/07

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onlinezeitung

Grundsätzliche Bemerkungen zum Reformismus und revolutionären Sozialismus, zu zweierlei Sorten von Linken und ihrem Grundverhältnis, zur revolutionär-sozialistischen Übergangsmethode zu dem, was sich günstigstenfalls daraus machen läßt

Zu den Grundzügen des Reformismus

Der Reformismus ist eine politisch-ideologische Strömung innerhalb der Arbeiterbewegung, die sich um die Jahrhundertwende herausbildete und bis zu Beginn des 1. Weltkrieges die beherrschende Grundrichtung in ihr wurde. Die Sozialdemokratie und die von ihr bestimmten Mehrheitsgewerkschaften waren der Hauptteil der damaligen organisierten Arbeiterbewegung, woran sich bislang nichts geändert hat. Noch immer dominieren nominell sozialdemokratische und „sozialistische“ Parteien die Arbeiterbewegung, und heutzutage sind auch die meisten sogenannten kommunistischen Parteien faktisch reformsozialistisch, wenn nicht linkssozialdemokratisch ausgerichtet.

Der Reformismus ist noch immer der beherrschende Flügel der Arbeiterorganisationen, seien sie nun Parteien oder Gewerkschaften. Der Reformismus stellte ab dem frühen zwanzigsten Jahrhundert den rechten Mehrheitsflügel der Arbeiterbewegung. Revolutionär-sozialistische Strömungen gerieten bereits vor Ausbruch des 1. Weltkriegs in die Minderheit ; zwischen beiden Flügeln schälte sich ein zum Reformismus hinneigendes, zwischen pseudomarxistischer Theorie und eindeutig reformistischer Praxis hin-und herschwankendes „marxistisches Zentrum“ heraus, daß letztlich als „linker“, rhetorisch kaschierter Fortsatz des rechten Flügels mit seinem offenen Reformismus fungierte. Der zumeist marxistisch bestimmte revolutionäre Sozialismus konnte sich nur noch bei einem Teil des linken Flügels halten.

Soziale Basis dieser schon vor 1914 dominanten Strömung innerhalb der sozialistischen Arbeiterbewegung, die sich damals in der 2. Arbeiterinternationale organisierte, war die Partei-und Gewerkschaftsbürokratie, ein hauptamtlicher Funktionärskörper, welcher den sozialdemokratischen Partei-und Gewerkschaftsapparat ab der Jahrhundertwende beherrschte. Sie verwaltete von oben die Arbeiterorganisationen, monopolisierte die Leitungsmacht in ihnen und versorgte sich mit Macht-und Einkommensprivilegien. Sie lebte weitgehend von der Arbeiterbewegung, nicht für sie und nutzte das Organisationswesen als ihren Lebensraum und ihre Machtbasis, wobei sie eine routiniert betriebene selbstzweckhafte Betriebsamkeit entwickelte.

Das hat sie bis heute immer mehr perfektioniert. Sie befestigte ihre besondere organisatorische und soziale Stellung und entwickelte soziale Sonderinteressen. Es handelt sich um eine von der Arbeiterbasis abgehobene, auf ihre sozialen und politische Kosten lebende kleinbürgerliche Funktionärskaste, die staatstragend und im Zweifelsfall eindeutig systemkonform agiert und den bürgerlich-reformistischen Arbeiterparteien und Gewerkschaften ihre sozialpartnerschaftliche Linie der Klassenzusammenarbeit aufzwingt, wobei sie sich auf das rückständige Klassenbewußtsein und die mangelnde Kritik und Opposition der Partei-und Gewerkschaftsbasis stützt. Diese bürokratische Führungsschicht verwuchs über ihre Beteiligung an der Rekrutierung des Staatspersonals (-der Besetzung von Lokal-, Regional -und Zentralbürokratien, Parlamentarierposten, exekutiver und justizieller Ämter-) mit dem bürgerlichen Staatsapparat und passte sich bis zu einem gewissen Grad materiell und ideell an ihn an.

Seinerseits begann der Staatsapparat mit diesem Prozeß, der um die Jahrhundertwende voll im Gang war, in die organisierte Arbeiterbewegung hineinzuwachsen. Mit der Machtübernahme dieser abgehobenen, kleinbürgerlichen Partei-und Gewerk-schaftsbürokratie innerhalb der Sozialdemokratie etablierte sich auf den Leitungsebenen der Arbeiterorganisationen eine letzt-endlich staatstragende, tendenziell systemkonforme, zwischen Bürgertum und Arbeiterklasse zugunsten der kapitalistischen Machteliten und ihres Staates „moderierende“, systemstützende Agentur innerhalb der Arbeiterbewegung.

Sie verwaltet seither die Arbeiterbasis in Partei und Gewerkschaft -bei aller oberflächlichen Verbal-und Scheinkritik an der Politik offen bürgerlicher oder (aus Sicht der Gewerkschaftsspitzen) „eigener“, sozialdemokratischer (bzw. „sozialistischer“) Regierungen- letztendlich im Interesse der Kapitalherrschaft und des bürgerlichen Staates. Ihrer Arbeiterbais hält sie im Zweifelsfall, wenn es im Klassenkampfgeschehen ernst und die Arbeiterbewegung praktisch vor die Frage des Siegs oder der Niederlage der eigenen Kämpfe -oder gar einer Systemalternative- gestellt wird, die Treue. Sie verrät - wenn es auf den Einsatz von Gewerkschaftsfunktionären für deren Arbeiterbasis eigentlich besonders ankommt - mit verläßlicher Sicherheit ihre nominelle Arbeiterklientel, weil sie dem kapitalistischen Gesamtsystem und der ihr darin zugewiesenen Rolle – als offizieller „Interessenvertreter“ der ArbeiterInnenklasse - die Quelle ihrer Macht-und Einkommensprivilegien, ihrer „sozialen Akzeptanz“ für das bürgerlich definierte „Gemeinwohl“ verdankt.

Sie bringt daher letztlich größere Konsequenz bei der Verteidigung des Kapitalismus und seiner Überlebensfähigkeit als bei ihrem Einsatz für die Grundinteressen ihrer Arbeiterbasis auf. Dabei beruft sie sich unter der Flagge der „demokratischen“ Zuverlässigkeit, Verfassungstreue und „Verantwortung“ für das „Gemeinwohl“ auf die parteipolitisch „neutrale“ Konsensfindung im Rahmen einer Einheits-oder Richtungsgewerkschaft. Zugleich ergreift sie rhetorisch scheinbar (mehr oder weniger) Partei für ihre Arbeiterbasis. Sie bekämpft im Namen der parteipolitischen „Neutralität“, der „Gewerkschaftseinheit“ (-also einer auf verstetigten faulen Kompromissen gegründeten falschen „Einheit“ von reformistischen Opportunisten und radikalen Systemkritikern !-) der „politischen Vernunft“ und der „Demokratie“ die oppositionelle Tätigkeit antikapitalistischer Kräfte innerhalb der Gewerkschaften, die sich gegen die bürokratische Bevormundung und deren Gewerkschaftspolitik der Klassenzusammenarbeit wenden.

Moderne, besonders unkaschierte und dreiste Form der reformistisch-sozialpartnerschaftlichen Praxis der sozialdemokratischen Partei-und Gewerkschaftsbürokratie ist das sogenn. „Co-Management“ im Interesse des „Unternehmens“, der „Region“ oder des nationalstaatlichen „Standortes“. Die sozialdemokratischen Parteien betreiben es machtbeteiligt in Staatsverwaltungen, Parlamenten und Regierungen gemeinsam mit offenen Kapitalparteien oder auf volkswirtschaftlicher, branchenbezogener und betrieblicher Ebene durch co-managende Betriebsräte. Ihre Sonderinteressen und ihre Vermittlungsposition als Verhandlungsführer zwischen den beiden sozialen Hauptklassen brachten sie gewissermaßen in die Rolle eines seinem Klienten nachhaltig entfremdeten „Anwalts“, der systematisch dazu neigt, diesen nicht zu vertreten, sondern zu verraten und mit der Kapitalistenklasse zu kollaborieren. Ihre abgehobene Zwischenstellung als Vermittler der Hauptklassen und „Verhandlungsführer“ der Arbeiterbasis ermächtigt sie dazu, diese in den reformistischen Arbeiterparteien und Gewerkschaften systematisch zugunsten der Kapitalherrschaft zu verwalten, um sie bei möglichen Arbeitskämpfen und anderen Sozialprotesten zu demobilisieren und politisch irrezuführen.

Diese „berufsopportunistische“ Verwaltungs-und Verhandlungspraxis geht mit einer bestimmten politischen Ideologie, dem Reformismus (-sowie mit einer dazu passenden opportunistischen und kleinkrämerischen Mentalität-) einher, wobei sich diese beim Gros der Gewerkschaftsfunktionäre in einer eher rechten, besonders angepassten und handzahmen Ausprägung findet. Der Reformismus erstrebt in seiner klassischen, auf den ideellen Gründungsvater Eduard Bernstein zurückgehenden linken Variante eine schritt-und stufenweise, sehr langfristig angelegte, evolutionäre Umwandlung des Kapitalismus in eine Art von „Sozialismus“, wie er in reformistischen Modellen umrissen wird.
Dieser wird in reformistischen Konzepten meißt als eine Form von „demokratischem“ Staatskapitalismus mit marktwirtschaftlichen und genossenschaftlichen Einschlägen, als eine Art „gemischter Wirtschaftsordnung“ ausgemalt.

Der klassische (-und heute der linke-) Reformismus will also unter Umgehung einer sozialen Revolution den Kapitalismus schrittweise durch eine Aneinanderreihung von wirtschafts-und sozialpolitischen Reformen nach langjähriger Kleinarbeit überwinden. Eine Abfolge vieler langfristig durchgesetzter und angelegter gradueller Strukturreformen soll schließlich einen qualitativen, grundlegenden Umschlag der Gesellschaftsverhältnisse bewirken und das reformistische Modell von „Sozialismus“ herbeiführen.

Der Kapitalismus soll nach klassisch-reformistischer Vorstellung bruchlos und friedlich in diesen „Sozialismus“ hineinwachsen. Tatsächlich geht um eine langfristige evolutionäre Umgestaltung des Kapitalismus in eine Form von Pseudo-Sozialismus, wobei dieses pseudo-sozialistische Endziel von der Weise bestimmt wird, auf welcher der klassische bzw. linke Reformismus es verwirklichen will. Die ist aus revolutionär-sozialistischer Sicht untauglich. Sozialismus läßt sich nach revolutionär-sozialis-tischer Überzeugung nicht auf reformistische Art durchsetzen. Daher gibt es nicht nur einen „methodischen“ Unterschied zum revolutionären Sozialismus, sondern es geht auch ein anderes angestrebtes Modell. Weg und Ziel bedingen sich dabei wechselseitig.

Der Kapitalismus wird vom Reformismus aber vor allem als Wirtschafts-und Sozialordnung betrachtet, nicht auch als Staatssystem. Ggf. soll auch der Staatsapparat, jedoch nur partiell, reformpolitisch erneuert, aber nicht demontiert und durch eine neue proletarische Staatlichkeit, also eine sozialistische Arbeiterdemokratie, ersetzt werden. Aufbau, Funktion und Klas-sencharakter des Staatsapparates wird vom Kapitalismus als Gesamtsystem abgetrennt und dieser letztlich auf eine Wirt-schaftsweise reduziert. Die eben angedeutete angeblich „sozialistische“ Alternativwirtschaft soll durch kontinuierliche Reform-arbeit schrittweise verwirklicht werden.

Umgesetzt werden sollen diese Reformschritte durch eine reformpolitische Praxis von Betriebsräten, Gewerkschaftsgremien, Anwohner-und Bürgerbeiräten, Bürgerinitiativen und Staatsverwaltungen, vor allem aber von Parlamentsfraktionen und Regierungskabinetten. Laut Reformismus liegen die Machtzentren im bürgerlichen System in den Parlamentsmehrheiten, den zentralen Ministerialbürokratien und den Regierungsgremien. Würden diese angeblichen Machtzentren von reformistischen, also sozialdemokratischen, „sozialistischen“ oder „kommunistischen“ Wahl-, Parlaments-und Regierungsparteien oder deren Koalitionsblöcken politisch erobert, könnte man mittels Regierunsgmacht anfangen, die Gesellschaft, d. h. vor allem die Wirtschafts-und Sozialordnung, durch eine wirtschafts-, arbeits-und sozialpolitische Reformpolitik mehr oder weniger umzu-gestalten.

Dabei würde sich dann auf die politische Zuarbeit von eine solche Linksregierung mittragenden Betriebsräten, Gewerkschaftern, Initiativen, Vereinen und der Basis der reformistischen Regierungspartei (en) -evtl. zusammengeschlossen in einer reformistischen Massenbewegung- gestützt. Diese dürften dann die Regierungsarbeit nach der reformistischen Theorie flankieren, sie gegen Angriffe von rechts verteidigen und ggf. anspornenden Druck auf sie auszuüben, um ihr den Rücken zu stärken. (Was für das reformistische Führungspersonal aufgrund seiner Nähe und letztendlichen (Mindest-) Loyalität gegenüber der Kapitalseite besonders heikel wäre, weil es sie in ein besonderes Dilemma zwischen ihren (schein-) linken Ansprüchen und ihrer faktischen Kapitaltreue brächte und vor einen Offenbarungseid stellte.) Reformbestrebungen sollen im reformistischen Grundverständnis nicht in erster Linie Betätigungsfeld einer selbstaktiven Basis von Arbeiterorganisationen sein, sondern reformistischen Parteipolitikern, Staatsbürokratien und Gewerkschaftsfunktionären obliegen.

Der bestehende Staatsapparat wird nicht zufällig vom Kapitalismus als Ökonomie abgegrenzt. Er soll nämlich letztlich das Hauptinstrument der reformistischen Veränderungsstrategie sein. Der Reformismus will den Staatsapparat übernehmen und regieren, um mittels einer sozialdemokratisch, „sozialistisch“ oder „kommunistisch“ angeleiteten Staatsbürokratie eine reformerische Regierungspolitik durchzuführen, um den Kapitalismus als Wirtschaftssystem friedlich und evolutionär zu überwinden. Der Klassencharakter der Staatsmacht wird geleugnet. Statt dessen wird sich zum bestehenden Staat bekannt und für ihn Partei ergriffen, auf seine Position gestellt, um ihn politisch zu erobern und dabei zu einem Werkzeug linker Reformpolitik umzufunktionieren.

Der Linksreformismus anerkennt zwar bisweilen in Worten die Unterordnung des Staatsapparates unter Großkapitalinteressen, aber auch er bestreitet seinen bürgerlichen Grundcharakter, der sich in seinen quasi militärischen, hochgradig zentralisierten und bürokratischen Organisationsstrukturen manifestiert. Im Zuge des Reformprozesses soll unter der Leitung einer linksreformistischen Regierung durch Unterstützung einer Massenbewegung -und begleitet von partiell selbstorganisierten Teilen ihrer Unterstützerbasis- der rhetorisch halbwegs eingeräumte Grundeinfluß der Kapitalseite auf den Staatsapparat geschmälert werden.

Daher ist die Sozialdemokratie auf strikt verfassungskonformes Handeln, also Legalismus, bürokratisch-hierarchische Stellvertreterpolitk von oben und Parlamentarismus festgelegt und dezidiert staatstragend. Sie ist letztlich auf ihre Art nationalistisch, genauer: sozialchauvinistisch. Der linkssozialdemokratische Reformismus vertritt eine an seine Arbeiterbasis gerichtete Variante des Verfassungspatriotismus und eines bürgerlichen Nationalismus, der mit Demokratie-und Sozialstaatsversprechen, aber zugleich auch mit nationalen und sozialchauvinistischen Ressentiments gegen „Fremdarbeiter“ einhergeht.

Dabei wird auch die nationalistische Standortrhetorik der herrschenden Kapitalistenklasse dahingehend abgewandelt, daß der gegen die ausländische Staatenkonkurrenz zu verteidigende nationale Standort, der „eigene“ Nationalstaat, eben auch ein Sozialstaat im angeblichen Interesse einer angeblich national verorteten und fokussierten „einheimischen“ Arbeiterklasse sei -oder zumindest sein solle. Die Arbeitswelt-und Sozialstandards des „eigenen“ Landes werden den „Standortbedingungen“ hinzugerechnet und der Staatenkonkurrenz untergeordnet. Sie sollen in die Verteidigung des „Standorts“ und seiner „Faktoren“, zu denen angeblich auch arbeits-und sozialrechtliche Mindestnormen gehören, gegen Konzerne und Staaten, die sie unterlaufen wollen, einbezogen werden.

Das ist die sozialdemokratische Wendung der bürgerlichen Standortlogik, an der sich der organisierte Reformismus, vor allem die rechte und linke Sozialdemokratie, auf ihre Weise beteiligt. Der klassische Reformismus Bernsteins und seiner Anhänger, die Tradition des ursprünglichen Reformsozialismus, wird heute nur noch von den linkesten Rändern der modernen Sozialdemokratie und in Gestalt sogenn. linkssozialistischer und pseudo-kommunistischer Parteien fortgeführt und vertreten. Unter den heutigen Realbedingungen gibt es allerdings mehr denn je praktische Hindernisse in Form kapitalistischer Sachzwänge, ökonomisch-politischer Strukturen und Krisenerfordernisse, solche reformsozialistischen Bestrebungen erfolgreich umzusetzen.

Nicht einmal zu linkskeynesianischer Politik sehen sich die Hauptflügel und Führungsmehrheiten der sozialdemokratischen und „sozialistischen“ Parteien daher mehr in der Lage. Deren politische Praxis fällt mehr oder weniger prokapitalistisch aus. Sie streben nur noch eine etwas „sozialverträgliche“ Ausgestaltung und Verwaltung des Kapitalismus an, geben aber auch in ihrer Theorie und Programmatik weitgehend den Anforderungen des globalisierten Kapitalismus nach –und fallen daher in ihrer Praxis hinter ihre gelegentliche Sozialverträglichkeits-und Gerechtigkeits-Rhetorik zurück, betreiben als Regierungsparteien neoliberale und repressiv-sozialstaatliche Konterreformen und reines sparkommissarisches Krisenmanagement. Der heutige rechte Reformismus wird, übt er unter den Rahmenbedingungen der kapitalistischen Globalisierung politische Macht aus, als Regierungspolitik zur praktischen Form des Konterreformismus. Politische Unterschiede innerhalb dieser reformistischen Parteien und Gewerkschaften spielen eigentlich nur noch auf der ideologisch-programmatischen und rhetorischen Ebene eine Rolle.

Zum Grundcharakter des Linksreformismus

Der Linksreformismus will die klassischen Traditionen des Reformismus in der einen oder anderen Weise aktualisiert fortführen. Er ist entweder -in seiner „gemäßigten“ Variante- auf die Schaffung eines „Alternativkapitalismus“, einer „sozialeren“, „demokratischeren“ Marktwirtschaft (-ein schwedisches Modell-) oder auf eine (reformistische Variante) des Sozialismus, d.h. eine „gemischte Wirtschaftsordnung“ aus staatskapitalistischen, genossenschaftlichen und privatwirtschaftlichen Elementen, aus. Wobei dieser „Sozialismus“ im Grunde auch nur eine linkere Ausprägung des „schwedischen Alternativkapitalismus“ ist, welcher der „gemäßigte“ Linksreformismus anstrebt. Für beide Nuancen des Linksreformismus gilt die lyrische Phrase eines sozialdemokratischen Parteilieds: „Das weiche Wasser höhlt den Stein“.

Beide Varianten des Linksreformismus gehen unmittelbar ineinander über. Es geht beiden faktisch um die weitgehende „Humanisierung“, dabei öfters auch um eine partielle „Demokratisierung“ und „Sozialisierung“ des von ihm (wie vom Reformismus überhaupt) zuvorderst als ein Wirtschaftssystem definierten, auf dieses reduzierten Kapitalismus. Ggf. soll sogar der Staatsapparat, sofern es als unumgänglich erachtet wird, teilreformiert, etwa durch plebiszitäre Reglements, Wahlrechtsreformen und Bürgerbeiräte ergänzt, und „bürgernäher“ verwaltet werden. Das zeichnet besonders den radikalen Linksreformismus aus, wie er derzeit in der Regierung und der von ihr getragenen Massenbewegung Venezuelas auftritt.

Seit Ende der fünfziger Jahre sind die einer -ab Chruschtschows politischer Wende 1956- spät-und halbstalinistischen Tradition folgenden (pseudo-) kommunistischen Parteien, die aus der Ende der zwanziger Jahre stalinisierten Komintern hervorgingen, zum Linksreformismus übergegangen, den sie in verschiedenen Nuancierungen vertreten. Sie geben ihn –typisch für Revisionisten –als modernisierten revolutionären Sozialismus bzw. Kommunismus aus und erliegen damit einer Autosuggestion. Nachdem der bürokratisch-oligarchische Stalinismus als „Sozialismus“ oder „Kommunismus“ durchging, wird der Linksreformismus bzw. Rechtszentrismus der meisten der am früheren RGW-Block orientierten „kommunistischen“ Parteien als der vermeintliche aktuelle Entwicklungsstand des „Kommunismus“ angeboten. (Authentischer revolutionärer Sozialismus / Kommunismus beschränkt sich heute nur noch auf einige maoistische, trotzkistische und auf die sogenannten „links“-oder „räte“-kommunistischen Parteien. Alle übrigen „K“P´s vertreten unterschiedliche Amalgame linksreformistischer sowie neo-und altstalinistischer Konzepte oder die eine oder andere Variante des „orthodoxen“ klassischen Stalinismus, wie er bis zu Chruschtschows politischer Wende 1956 bestand, ggf. versetzt mit Maoismus oder Hoxhaismus.)

Der Linksreformismus konzentriert sich auf diese Pseudo-KP´s und die linkesten Flügel der sozialdemokratischen und „sozialistischen“ (d.h. mainstream- sozialdemokratischen und linkssozialdemokratisch-reformsozialistischen) Parteien.

Der Linksreformismus kennt seine eigenen besonderen Ausprägungen der Standortlogik: Die Arbeits-und Sozialnormen des eigenen Landes sollen zum „Vorbild“ konkurrierender Staaten und nicht auf deren geringeres Niveau abgesenkt, sondern deren schlechtere Bedingungen auf das „einheimische“ Standards angehoben werden. Europäische oder gar weltweit geltende Sozial-, Arbeitsrecht –und Mindestlohnstandards sollen auf ein verbindliches einheitliches Mindestniveau festgelegt und staatlicherseits und durch parteipolitisches sowie gewerkschaftliches Engagement durchgesetzt werden. Man erhofft sich eine kontinental und letztendlich global geltende, zwischen reformistischen Regierungen, Gewerkschaften, Erwerbslosenorganisationen, Sozialverbänden und anderen Teilen der Arbeiter-und Linksbewegungen ausgehandelten, erzwungenen und parlamentarisch initiierten Sozialcharta, in der arbeits-und sozialrechtliche Mindeststandards festgeschrieben sind.

Dafür stehen u. a. auch (moderat-) reformistische Organisationen wie Attac. Die bestehende Staatlichkeit soll für deren praktische Geltung beansprucht werden und für ihre juristische Verbindlichkeit sorgen. Dieselbe Staatlichkeit, die bei manchen Formen des Linksreformismus in ferner Zukunft eine Art „Sozialismus“ einführen soll, bislang aber weltweit ihre eigenen bisherigen arbeitsrechtlichen, sozialstaatlichen und bürgerlich-demokratischen Regelungen, die ihr im wesentlichen durch linke Massenbewegungen abgetrotzt und gegen die hinter den Staatskulissen agierende Kapitalseite durchgesetzt wurden, abbaut. Diese Staatlichkeit ist ein Machtblock aus Staats-und Kapitaleliten, der noch jede linke Reformbewegung, welche ernsthaft gegen ihn vorzugehen antrat, in die Knie zwang oder notfalls, wie etwa in Chile im September 1973, wegputschte.

Zum Grundcharakter des heutigen Rechtsreformismus :

Die „Modernisierung“ der Sozialdemokratie Die rechte, moderate, moderne, besonders opportunistische und konformistische, mutlose Ausprägung von Reformismus hat sich seit dem Godesberger Programm der SPD von 1959 in Theorie und Praxis der parteipolitischen und gewerkschaftlichen Organisationsformen der Sozialdemokratie etabliert. Dieser modernisierten Variante geht es um die wirtschafts-und sozialpolitische „Regulierung“, „Zivilisierung“ und „sozialverträgliche Ausgestaltung“ der kapitalistischen Ökonomie angeblich zugunsten gesamtwirtschaftlichen Erfolgs und dynamischen Wachstums, sozialer Stabilität, sozialen Ausgleichs und einer gewissen sozialen Teilhabe an Einflußnahme-, Mitwirkungs-und Beteiligungsmöglichkeiten auf dem Feld des Wirtschafts-,Sozial-und Arbeitsrechts, der Wertschöpfung und bei der gesamtgesellschaftlichen Verteilung des Sozialprodukts.

Die neueste, übelste Variante dieses rechten Reformismus, der seit den späten fünfziger Jahren Einzug hielt, geht auf der betrieblich-gewerkschaftlichen Ebene mit dem sogenn. Co-Management von Betriebsräten und Vertrauensleuten im Dienste einer systemkonformen, im Sinne der kapitalistischen Unternehmensleitung funktionalen Unternehmens-und Belegschaftsverwaltung durch eine gegenüber der Kapitalseite und ihrer Logik hörige Anpassungspolitik unter der Maskerade gewerkschaftlicher Interessenvertretung.

Die neueste Ausformung des rechten Reformismus verkörpert sich seit einigen Jahren in der offiziellen Politik der sozialdemokratischen Regierungsparteien, besonders konsequent z. B. unter Blair und Schröder. Die Mehrheit der jetzige SPD-Führung setzt diese Politik fort. Ihre profilierteste und vehementeste Version ist in Anspruch und Praxis der Blair-Regierung und des rechten Flügels der Labour-Party zu sehen. Diese neueste und rechteste Variante des modernen Reformismus, welche auch als „neue Mitte“, „neue Sozialdemokratie“ und vermeintlich „dritter Weg“ zwischen Liberal-Konservativismus und konventioneller Sozialdemokratie bezeichnet wird, weist starke neoliberale und restriktiv-sozialstaatliche Tendenzen auf, womit eine Art formierter (Erwerbsarbeits-) Gesellschaft, Sozialpolitik und Arbeitswelt zur Modernisierung des Kapitalismus der führenden Staaten bei gleichzeitiger Formal-Erhalt einer Minimal-Sozialstaatlichkeit und eines Klassenkonsenses zur Aufrechterhaltung einer Kontrolle der Arbeiterklasse angestrebt wird.

Diese neu-rechtssozialdemokratischen Konzepte stellen eine Verbindung und Modernisierung liberal-konservativer, wirtschaftsliberaler, etatistisch-staatsnationalistischer und alt-sozialdemokratischer Traditionslinien dar. Die neu- rechte Sozialdemokratie ist eine „gemäßigte“, abgeschwächte Abart des modernen Liberal-Konservativismus der offen bürgerlichen Parteien, die in sozialdemokratische Rhetorik und Argumentationsformen gehüllt und mit einigen alt-sozialdemokratischen Zusätzen drapiert gegenüber der Mitglieder-und Wählerbasis innerhalb der Arbeiterklasse popularisiert wird.

Formal werden die sozialdemokratischen Grundwerte „Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität“-welche übrigens sogar anhand der gleichen Begriffswahl von den liberalen und liberal-konservativen, offen bürgerlichen Parteien geteilt werden und in ihrer dieser abstrakten Formulierung nicht einmal genuin sozialistisch sind- aufrechterhalten. Bei der „neuen Sozialdemokratie“, der „neuen Mitte“ -also dem heutigen Rechtsreformismus- werden diese klassischen Grundwerte der Godesberger Rechtswende von 1959, die zum offen prokapitalistischen Reformismus der sozialdemokratischen „Volkspartei“ überleiteten, beibehalten - aber letztlich ideologisch umdefiniert.

Als „Freiheit“ wird in neuester rechtssozialdemokratischer Sicht die berufliche, schichtbezogene und lebensräumliche Mobilität, die Bereitschaft zum „lebenslangen Lernen“, zur Annahme von schlechter bezahlter, arbeitszeitlich ungünstiger gestalteter und arbeitsrechtlich abgesicherter Arbeitsplatzangebote auch ausserhalb des eigenen Heimatgebiets und zur affirmativen Unterwerfung unter die angeblich hinzunehmende Grundsätzlichkeit kapitalistischer Grundverhältnisse, deren „freiheitlicher“ Lebens-, Wirtschafts-und Arbeitsweise man für sich „frei“ von „destruktiver“ Grundsatzkritik chancen-und leistungsorientiert und „eigenverantwortlich-innovativ“ hochmotiviert „mitgestaltet“ und „produktiv“ macht und sich unter der sanften Gewalt ihrer „freiheitlichen“ Vorgaben „freiwillig“ für das vermeintliche Eigen-und Gemeinwohl vernutzen läßt.

Als „Gerechtigkeit“ wird in der neu-rechtssozialdemokratischen Lesart die „Chancen-und Leistungsgerechtigkeit“ verstanden: Jeder solle unter den gleichen staatlich geregelten, wirtschafts-und sozialpolitisch eingerahmten „Startbedingun-gen“ seinen Überlebens-oder Karrieretrip unter den nicht in Frage zu stellenden marktwirtschaftlichen Grundbedingungen beginnen. Jeder hat sich dabei den „gleichen“ bürgerlichen Staats-, Wirtschafts-und Sozialstrukturen, den „gleichen“ ideolo-gischen Grundmustern (Selbst-und Gruppenprofilierungen, Konkurrenz- und ´Effizienz´denken, Leistungswut, Hierarchisie-rungen, egomanischer Individualismus, Nationalismus, Rassismus und Sexismus) zu unterwerfen, und sich zu bewähren und seinen sozialen Erfolg oder Mißerfolg, sein Wohl und Wehe anhand vorgegebener, systemimmanenter Erfolgs-und Gütekrite-rien zu bemessen.

Ausmaß und Art der jeweils gerade verfügbaren Ausbildungs-und Arbeitsplätze sind –unter den unwägbaren Wechselfällen der angeblich alternativlosen chaotischen Marktwirtschaft und ihrer politischen Zurichtungen seitens des sie verwaltenden prokapitalistischen Staates- für alle konkurrenzhaft vereinzelten Arbeitskraftanbietern „gleich“, die alle „gleichermaßen“ willigen, kämpferischen Einsatz bei der Jagd nach einer Ausbildungsstelle oder Anstellung, nach einer Erwerbsquelle als Lohnabhängige beweisen müssen –wollen sie nicht auf Hartz 4 gesetzt und ggf. mit Leistungskürzungen für Verweigerungen belangt werden.

Verweigerungshaltungen angesichts arbeitszeitlich verschärfter, vom Wohnort weit entfernter, besonders strapaziösen, unter schlechten Bedingungen ablaufenden und niedrig bezahlten (Ersatz-) Jobs oder Umschulungs-angeboten verletzt diese für alle „gleich“ geltenden, „gerechten“, gesellschaftlich von der Kapitalseite und ihren Handlangern diktierten, staatlicherseits organisierten und vollstreckten Spielregeln, die als „Sachzwänge“ vom Staat bedient und gegen deren (mehrheitliche) Opfer durchgedrückt werden. Verweigerung gegen repressiv zurichtende und verarmende Zumutungen ist dann „ungerecht“.

„Gerecht“ sind dann im neu-rechtssozialdemokratischen Konzept des restrikten ´Sozial´staats zur kapital-und marktgerechten Verwaltung der Erwerbslosen die Verhängung angedrohter Sanktionen gegen die „Sozialschmarotzer“, die lieber in der elendsromantischen, armseligen „sozialen Hängematte“ schaukeln, statt für kaum mehr, das gleiche oder sogar noch weniger Geld ihre Arbeitskraft, Nerven, Gesundheit und Lebenszeit aufzuwenden, um sich für die Gewinne umsichtiger Kleinunternehmer, Leiharbeitsfirmen und Beschäftigungsgesellschaften zu verdingen, um arm zu bleiben, zusätzlich aber auch noch die Lebenszeitverluste sowie Belastungen des Minilohnarbeitsdaseins auf sich zu nehmen und als arbeitssame Billiglöhner auf der Trauerspielbühne dieser Gesellschaftsordnung vorgeführt zu werden.

Die neue rechte Sozialdemokratie parodiert und pervertiert ihre eigenen angeblichen Grundwerte, macht sie zur Farce –und trampelt auf ihrem eigentlichen traditionellen Sinngehalt herum. Sie verkehrt sie selber in ihr reaktionäres, antiemanzipatorisches Gegenteil und treibt mit ihnen einen demagogischen Etikettenschwindel, indem sie nicht den Wortlaut ihrer Grundwerte verändert, ihre klassischen Wertbegriffe fallen läßt und sie durch andere ersetzt, sondern neu deutet und umbesetzt. Es ist dann im Sinne einer fast orwellschen Begriffsverdrehung vermeintlich immer noch von „Freiheit, Gleichheit und Solidarität“ die Rede, aber letztlich eher deren Gegenteil gemeint. Demagogischer Begriffs-mißbrauch und der manipulative Ausnutzung re-konstruierter Politphrasen und reformistisch umdefinierter sozialistischer Positionen ist aber der reformistisch-sozialdemokratischen Tradition seit drei Generationen wesenseigen.

Das neu-rechtssozialdemokratische Sozialstaatsmodell bedeutet letztlich eine Zwangsverwaltung der beschäftigten und erwerbslosen LohnarbeiterInnen im Sinne einer optimalen Funktions-und Leistungsfähigkeit zum Nutzen der modernen Marktwirtschaft unter globalkapitalistischen Rahmenbedingungen - bei reduzierten sozialstaatlichen Einnahmequellen und Lohnersatzleistungen sowie nach Maßgabe einer minimierten Hilfsbereitschaft gegenüber Arbeitslosen, die überhaupt nur gewährt wird, wenn diese sich nicht den autoritär von oben gegen sie verfügten Billigjobangeboten zu entziehen versuchen.

Dabei werden die weit verbreiteten Ressentiments gegen eine angeblich ausgedehnte Arbeitsscheu unter Arbeitslosen aufgegriffen und sozialpolitisch ausgespielt, um sie im Sinne einer Sozialausgabensenkung durch Leistungskürzungen in Billigjobs zu pressen, sie als Lohndrückerschicht arbeitsmarktpolitisch zu formieren und als Lohndumpinghammer gegen die Gruppen regulär Beschäftigter und des tarifrechtlich verregelten, standardisierten Arbeitsrechts-und Lohnniveaus der voll sozialversicherten NormalarbeiterInnen zu schwingen.

Die neu-rechtssozialdemokratische Wirtschafts-, Sozial-und Arbeits-marktpolitik ist eine Mischung kapitalfreundlicher Steuersenkungen und Kombilohn-und Ich-AG-Projekte, der Einführung von unter Ortstariflohn betriebenen Billigjobs unter verstärkter Einbeziehung von staats-und privatwirtschaftlichen Arbeitsvermittlern, Unterschreitung von „normaler“ Billig-Lohnarbeit durch De facto-Zwangsarbeitsmaßnahmen wie den 1 Euro-Jobs, wirtschafts-politischem Einsatz zur Attraktivitätssteigerung des Nationalstaats für auswärtiges Kapital, verbesserten Investitions-und Anlagechancen für das „eigene“ Kapital im Ausland, einer bildungs-und wissenschaftspolitischen Offensive und einer größeren außen-, welt-und militärpolitischen Rolle und Gewichtung des deutschen Imperialismus in der Staatenwelt.

Gegen ein weit verbreitetes Mißverständnis: Zum tagespolitischen Grundverhältnis von (links-) reformistischen und revolutionären Linken

Reformen sind Einzel-und Teilveränderungen innerhalb des bestehenden kapitalistischen Systems im Interesse der Arbeiterklasse und signalisieren einen progressiven Veränderungswillen zu ihren Gunsten. Man will kleinere oder ggf. wesentliche Bestandteile des Kapitalismus oder sogar diesen insgesamt umgestalten, im radikalen Fall auch auf reformpolitischen Weg abschaffen. Zumindest soll er im fortschrittlichen Sinne teilverändert oder wenigstens in seinen sozialökonomischen Hauptauswirkungen für die Arbeiterklasse entschärft werden.

Als Revolutionär ist einem daran gelegen, den Kapitalismus als solchen abzuschaffen, nicht nur mehr oder weniger umzugestalten oder in seinen Folgewirkungen durch arbeitsmarkt-und sozialpolitische Regularien und Pufferungen abzumildern. Es geht einem letztendlich nicht um Gesamt-erneuerung, Teilveränderung oder eine Abfederung des Kapitalismus, nicht um Teilreparaturen oder seine „Generalüber-holung“, sondern um seine grundlegende Überwindung. Er soll insgesamt ausgehebelt werden.

Dazu ist eine soziale Umwälzung durch einen bewußten Großteil der lohnarbeitenden Bevölkerungsmehrheit unter politischer Meinungsführerschaft programmatisch einheitlicher, effektiv organisierter, klassenkämpferisch und zielklar vorgehender revolutionärer Kräfte, die sich auf eine Massenbasis stützen, notwendig. Wer so etwas will, sieht in reformpolitischen Teilveränderungen an sich keinerlei Problem, sondern im Fall ihres Gelingens einen begrüßenswerten Fortschritt. Revolutionäre bejahen jede progressive Reform im Interesse der lohnarbeitenden Bevölkerungsmehrheit und reden sie nicht klein.

Sie sind die eifrigsten Fürsprecher linker Reformen zum Vorteil lohnarbeitenden Bevölkerungsmehrheiten und aller von den Kapital-und Staatseliten beherrschten Menschen. Der Wert von Reformideen, ihrer Vertretung und darauf gerichteter politischer Bestrebungen wird von ihnen nicht abgetan und verkannt. Revolutionäre polemisieren nicht gegen dieses Reformengagement und die dabei vertretenen Reformen an sich, sondern gegen den oft damit verbundenen reformistischen Irrglauben, eine Reformbewegung von Gruppen, Parteien und Gewerkschaften und eine ggf. von ihnen mit an die Macht gebrachte und getragene Regierung könne den Kapitalismus dauerhaft auf nationaler, kontinentaler oder weltweiter Ebene zugunsten der ArbeiterInnen weitgehend bändigen und entschärfen oder sogar beseitigen, wobei sie alle, die sich dafür einsetzen, würdigen und gegen pseudo-linke Diffamierungen und rechte Attacken entschieden und mit offensiver Konsequenz verteidigen und ihnen dankbare und brüderliche praktische Solidarität erweisen.

Revolutionäre wenden sich nicht gegen Reformforderungen und Reformbestrebungen, sondern gegen ihnen oft, aber nicht immer und notwendigerweise zugrundeliegenden reformistischen Politikkonzepte und daran orientierter reformistischer Veränderungsstrategien. Wer sich nicht einmal für den Erhalt der grundlegendsten demokratischen und sozialpolitischen Errungenschaften und den offensiven Kampf für die Durchsetzung elementarer Verbesserungen und unspektakulärer, aber von ihrer Grundtendenz her progressiven Reformen auf Betriebs-, Gewerkschafts-, Wirtschafts-und Staatsebene, für die Verteidigung, die Erlangung und den Ausbau von Freiheits-und Beteiligungsrechten, Mitwirkungsmöglichkeiten und arbeitsmarkt-und sozialpolitischen Absicherungen engagieren vermag, wird auch niemals eine soziale Umwälzung zustandebringen und anführen können.

Schon aufgrund dieser grundlegenden politisch-strategischen Logik sind Revolutionäre dazu verpflichtet, sich an jedem für Arbeiterinteressen relevanten Abwehrkampf und an jeder nach vorwärtsgericheteten Reformbestrebung zu beteiligen. Auf reformistische Art gelangt man zwar nicht zur Verwirklichung sozialistischer Endziele, nicht einmal zu einer wirklich der Kapitalherrschaft gefährlich werdenden, sie effektiv anfechtenden systemoppositionellen Massenbewegung, aber mit ultralinker Ignoranz und Arroganz gegenüber Reformfragen und Reformbestrebungen läßt sich ebensowenig ein zielführender Weg zur Initiierung einer sozialistischen Umwälzung einschlagen.

Auf Basis im marxistischen Sinne ultralinker Ansätze, gegen die Lenin 1920 eine ganze Abhandlung richtete, sind oftmals nicht einmal bescheidene Reformfortschritte oder sonstige Verbesserungen erzielbar. Manchmal verhalten sich tatsächliche oder vermeintliche Revolutionäre leider allerdings so, daß zum Schaden ihres Ansehens und zuungunsten der Anziehungskraft revolutionär-sozialistischer Positionen der falsche Eindruck bei „Außenstehenden“ zurückbleibt, sie würden den Wert von Reformforderungen und Reformbestrebungen herunterspielen oder deren Protagonisten nicht ernst nehmen und abwerten.

Damit werden aufgrund sektiererischen Verhaltens Irrtümer über das Wesen revolutionärer Theorie und Praxis gestreut und die Einflußnahmefähigkeit revolutionärer Bewegungen untergraben. Es geht bei der Ablehnung dieses Fehlverhaltens nicht um die Vermeidung eines unfreundlichen Umgangsstils oder die Abschwächung von Kritik am Reformismus, sondern um den Fakt, daß Reformisten und Revolutionäre bei gleichartigen Einzelbestrebungen, wenn auch aus unterschiedlichen konzeptionellen Gründen und mit abweichenden Endzielen, bis zu einem gewissen Grad „gemeinsame Sache“ machen und es zu einer sachlichen Reformismuskritik gehört, daß auch achtungsvoll anzuerkennen.

Zur Kritik (links-) reformistischer Politpraxis Um den Kapitalismus als Gesamtsystem zu beseitigen, bedarf es der Staatsmacht. Der bestehende Staatsapparat kann jedoch dafür nicht verwandt werden, denn er funktioniert letztendlich im Interesse der Kapitalherrschaft. Er ist ein abgehobene, intransparente, der Bevölkerungsmasse entftremdete, bürokratisch-zentralistischer Herrschaftsapparat zur Aufrechterhaltung der bestehenden Gesellschaftsordnung. Er ist auch nicht reformpolitisch zu „neutralisieren“ oder gar in ein Machtinstrument der LohnarbeiterInnen umzufunktionieren. Seine Leitungsspitzen sind mit Vertretern der Kapitalistenklasse identisch oder eng liiert und verfolgen die letztlich die gleichen Grundinteressen.

Er kann auch ebensowenig wie das kapitalistische Wirtschaftssystem wegreformiert werden. Der Kapitalismus als Gesamtsystem sozialökonomischer, soziopolitischer und soziokultureller Strukturen kann nach revolutionär-sozialistischer Ansicht nicht auf reformistische Weise überwunden werden, auch wenn revolutionäre SozialistInnen diesen reformistischen Weg vorzögen, wenn er zielführend und gangbar wäre. Ihre durch die lehrreichen katastrophalen Mißerfolge des reformistischen Systemveränderungskonzepts und der Niederlagen reformistischer Massen-parteien und Regierungen historisch immer wieder bestätigte materialistische Staatstheorie hält sie aber davon ab, einen solchen, ihrer Meinung nach ihr sozialistisches Endziel verfehlenden Weg einzuschlagen.

Letztendlich ist zur Abschaffung des Kapitalismus eine sozialistische Umwälzung notwendig. Es ist unmöglich, eine sozialistische Umwälzung durch einen reformistischen Weg zum Sozialismus zu ersetzen, wenn man diesen wirklich erreichen will. Das Ziel revolutionärer Sozialisten ist eine solche Umwälzung, wobei sie bestrebt sind, sie möglichst friedlich durchzuführen. Die bisherigen Revolutionsverläufe haben jedoch gezeigt, daß die Kapitalistenklasse gewaltsam gegen revolutionäre Bewegungen und Regime vorgeht und revolutionäre Gegengewalt erzwingen wird. Revolutionär-sozialistische Politik ist aber grundsätzlich darauf ausgerichtet, diese notwendig werdende Gegengewalt auf das unbedingt erforderliche Mindestmaß zu beschränken.

Die eigentliche Trennlinie verläuft daher nicht zwischen dem konkreten, einzelpunktbezogenen Engagement, nicht zwischen den tagespolitischen Einzelaktivitäten von Reformisten und Revolutionären. Oft genug arbeiten Reformisten und Revolutionäre hierbei an den gleichen konkreten tagespolitischen Fragen und Teilzielen, wenn auch nicht an den gleichen langfristigen gesellschaftspolitischen Projekten. Und sie sind, mögen sie sich auch immer wieder auf den gleichen Aktionsfeldern und bei den gleichen tagespolitischen Anlässen und nah-und mittelfristig angelegten Gelegenheiten treffen, auf unterschiedlichen programmatisch-methodischen Bahnen zu verschiedenartigen Endzielen unterwegs.

Revolutionäre greifen aber diese Einzelthemen und einzelnen Reformfragen als taktische Mittel, Hebel und Einzelglieder im Gesamtzusammenhang ihrer langfristigen Grundstrategie auf, um sie als Ansatzpunkte revolutionärer Politik auszunutzen. Sie sind solche ausnutzbaren Ansatzpunkte, weil sich das „große Ganze“, das Allgemeine des Kapitalismus als eines vielgestaltigen sozialen Gebildes in ihnen ausprägt, ausdrückt und konkretisiert. Das Gesamtsystem stellt sich abgehoben, undurchsichtig und unüberschaubar dar, aber nur, wenn man es in den Schemata abstrakt-theoretischer Modell-Gebilde und nicht aus der Perspektive der Alltagssymptome betrachtet, in denen es sich fortwährend hervortut und anschaulich greifbar wird.

Anhand ihrer kann man das Gesamtsystem und seine Funktions-und Wirkungsweise aufzeigen. An vielen Ecken und Enden stoßen sich die Leute an ihm, werden sie in ihrer alltäglichen Lebenswirklichkeit von ihm betroffen. Diese bieten viele Anlässe, auf ihre kapitalistischen Ursachen zu verweisen und Systemkritik anzubringen. Ihre Alltagsprobleme am Wohnort, am Arbeits-und Ausbildungsplatz und im privaten Bereich machen, hat man den systemkritischen Blick dafür, immer wieder auf deren kapitalistischen Systemhintergrund aufmerksam. Weil man diese Alltagsprobleme letztlich nicht von ihrem Systemhintergrund, aus dem sie hervorgehen, abkoppeln kann, sie sich auf der Basis des „großen Ganzen“, des Gesamtsystems abspielen, kann man im Grunde auch nicht die Tagespolitik und ihre Nahziele von politischen Grundverständnissen, hehren Grundsätzen und den programmatischen Endzielen mechanisch trennen.

Es gibt kein von den theoretischen Grundkonzepten und der Grundprogrammatik losgelöste, „niedrigschwelligere“, „tiefergehängte“ tagespolitische Reformpraxis im „Hier und Heute“, die „erst einmal noch nichts zu tun“ hätte mit den systemüberschreitenden sozialistischen Endzielen und Grundbestrebungen. Ebenso wenig ist es politisch zielführend, die Tagespraxis von den theoretischen Grundlagen sozialistischer Politik unvermittelt abzugrenzen. Es besteht jedoch ein Grundcharakteristikum reformistischer Theorie und Praxis, das die Art reformistischer Politik bestimmt und sie konzeptionell anleitet und ausdrückt:

Die desaströse, unstrategische Trennung der reformistischen Programmatik in ein „Minimalprogramm“ und ein „Maximalprogramm“, was auch zielführendes tagespolitisches Taktieren verhindert. Diese „Halbierung“ der politischen Zielagenda stellte sich mit dem Aufkommen des Reformismus zur beherrschenden Strömung innerhalb der sozialistischen bzw. klassisch-sozialdemokratischen Arbeiterbewegung um die Jahrhundertwende ein und beförderte dessen schließliche Dominanz in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg. Das „Minimalprogramm“ thematisiert die nah-und mittelfristigen, noch im Zeithorizont der von wenigen Jahrzehnten als erreichbar erachteten Ziele, deren Erreichung einigermaßen absehbar, erhoffbar und am ehesten praktikabel erscheinen.

Das sind Ziele solcher Art, wie sie die alltäglich ablaufende „Realpolitik“ und die Heerschar ihrer emsig für sie tätiger, in ihr geradezu aufgehender reformistischen Akteure aus der lokalen Mitgliederbasis sozialdemokratischer und pseudo-kommunistischer Parteien und Gewerkschaften, aus deren bürokratisierten Leitungsapparaten und den reformistischen Fraktionen bürgerlicher Parlamente bestimmen. Das „Minimalprogramm“ ist die Konzeptionalisierung dessen, woran diese Heerschar dann arbeitet, wenn sie nicht gerade mit der Mitverwaltung der aufgeblähten Organisationsapparate und Mitgliederbestände reformistischer Parteien und Gewerkschaften beschäftigt ist.

Das „Minimalprogramm“ ist noch als „realpolitisch glaubwürdig“ und bezüglich seines Umsetzungsaufwands und der Überwindung praktischer Hindernisse „realistischerweise“ vermittelbar. Es ist insofern faktisch das „Realprogramm“ reformistischer Organisationen. Deren letztendlich einzig wirklich praktisch gültige Programm. Deren „Maximalprogramm“, in dem es um die sozialistischen Endziele geht, auf welche die Organisationspraxis angeblich ausgerichtet ist, ist nur nomineller, „theoretischer“ Ausdruck ihres ideologischen Hintergrunds, eine formale Konzession an die sozialistische Tradition der jeweiligen reformistischen Vereinigung. Es spannt den ideellen Baldachin aus, unter dem sich die Mitglieder reformistischer Organisationen sammeln und politisch wiederfinden und stellt die „großen Überschriften“ bereit, unter denen das alltagspolitische Wirken der ReformistInnen vonstatten geht. Sie verleihen ihm einen „höheren Sinn“. Einen Sinn, den dieses Alltagswirken sich nicht selbst verleihen kann, weil es nicht dazu taugt, die ihm vom „Maximalprogramme“ vorangestellten, in abstrakten wie unverbindlichen Grundsatzerklärungen auf besonderen Parteifeiern beiläufig angedeuteten Endziele auch tatsächlich zu erreichen.

Diese Trennung in zwei programmatische Ebenen und der Tagespolitik von der Grundprogrammatik und langfristigen Gesamtperspektive bedeutet letztlich die Verunmöglichung einer einheitlichen, langfristigen, sich vom Heute in die Zukunft, von der Tagespolitik zu den sozialistischen Endzielen, von den nah-und mittelfristig ansetzenden Reformen zur sozialistischen Umgestaltung am Horizont des politischen Handlungsradius erstreckenden handlungsleitenden Strategie. Die reformistische Alltagspraxis hat daher keine sie programmatisch und kampfmethodisch einbindende, tragende und zielführende Langzeit-Reichweite, mit der es gelingen könnte, die Nahziele mit den Endzielen strategisch zu vermitteln. Reformisten begreifen jeden einzelnen Reformkampf, den sie zumeist in letztlich parlamentarische Bahnen kanalisieren und an die Stellvertretertätigkeit ihrer Abgeordneten delegieren, als vereinzelt auf sich beschränkte, selbstzweckhafte Akte.

Eine Grundstrategie, ein in die Zukunft gerichtetes, aber bei Tagesfragen ansetzendes Gesamtprogramm, das mit den Einzelschritten zielgerichetet abgearbeitet würde, ist nicht erkennbar. Die manchmal noch beschworenen „sozialistischen“ Endziele haben rein deklaratorischen Propaganda-Charakter. Tagespolitik und zukunftsorientierte „Grundsatzpolitik“ des Reformismus sind nicht durch strategisch verbundene taktische Einzelglieder abgestimmt. Sie sind perspektivisch unverbunden. Nah-und Endziele sind praktisch beziehungslos.

Im Grunde dominieren die Tagespolitik und ihre jeweiligen Anforderungen die gesamte Partei-oder Gewerkschaftspolitik. Diese Einzelschritte ordnen sich jegliche Strategie unter, lösen sie in sich auf und lassen sie im alltäglichen Kleinkram untergehen. Dieses strategielose Alltagstreiben des Reformismus ist seine (Pseudo-) „Strategie“- eine Politik ohne langfristige „Marschroute“. Die Zukunftsfragen, die Endziele werden dabei nicht oder nur im Rahmen für die alltagspolitische Praxis folgenloser Zukunftsdebatten aufgeworfen. Man kommt ihnen eigentlich nicht effektiv näher oder arbeitet keine strategische Zielperspektive schrittweise ab, sondern sich und seine Tatkraft nur an der Wirklichkeit, die man dabei stückweise zum „humanisierten“ Kapitalismus oder zu einem „schwedischen“ Pseudo-Sozialismus hin zu verändern glaubt – jedoch ohne sich dem wirklichen Sozialismus wirklich anzunähern.

Dafür verliert man sich aber in den tagespolitischen Niederungen, der Formalia, dem Ritualismus, dem Postengerangel und der selbstzweckhaften Alltagsgeschäftigkeit der reformistischen Tagespraxis. Auf Maikundgebungen und bei programmatischen Grundsatz-und Feiertagsreden versichert man sich dann seiner angeblichen politischen Stärke und ideologischen Identität und erklärt sich dann gegenseitig diese Tagespraxis, um ihr eine einen höheren politischen Wert und eine Art endzeitlich-heilsgeschichtliche Weihe zu verleihen.

Reformistische Politik besteht aufgrund dieser Ermangelung einer programmatischen, mit bestimmten kampfmethodischen Konzepten verbundenen Gesamtstrategie nur aus einer kurzatmigen tagespolitischen, oft defensiven, reagierenden, flickschusternden, stückwerkhaften Kleinarbeit, mit der man jahre-und jahrzehntelang improvisierend versucht, die ständig neu aufbrechenden „Löcher“ im tarif-und aussertariflichen Entgeltniveau, bei Lohn-, Arbeitsrechts-und Sozialstandards sowie demokratischen Freiheits-und Persönlichkeitsrechten und Mitwirkungsmöglichkeiten zu stopfen -und dabei nie wirklich hinterherkommt.

Die reformistische Bewegung ist stets als nachsorgender „Sozialarbeiter“ und „politische Feuerwehr“ der Schäden, die durch die Übergriffe des Kapitalismus hinterlassen werden, unterwegs und betreibt soziale Scherbenlese. Reformistische Alltagspraxis bedeutet somit improvisierendes, zielloses Voranstolpern auf den Politikfeldern, die sich einem jeweils eröffnen und charakterisiert den strategielosen politischen Weg des Reformismus, eine sich ein ganzes Reformistenleben dahinziehende Wegstrecke, die letztlich hinsichtlich irgendeines möglicherweise angestrebten „demokratischen Sozialismus“ ins Nirgendwo führt, weil man viel zu sehr mit ritualiserten Politaktivitäten als Selbstzwecken beschäftigt ist und einfach über keinen richtigen konzeptionellen „Plan“ verfügt, welches Endziel man mit welcher Strategie, d. h. also mit welcher Abfolge taktischer Einzelaktivitäten entlang eines programmatischen und methodischen Leitfadens man erreichen will.

Wie es schon der theoretische Gründervater des klassischen Reformismus, Eduard Bernstein, formulierte: „Die Bewegung ist alles, das Ziel ist nichts“. Nach etlichen Jahren solcher Art Engagements soll der Kapitalismus einige Stückchen weiter zum Sozialismus umgemodelt worden sein ; die eigene Praxis und die einen umgebende soziale Realität ist der reformistischen bzw. reformsozialistischen Theorie jedoch nicht näher gekommen. Die ist schmückendes rhetorisches Beiwerk für Grundsatzdeklarationen und Feiertagsreden zur Identitätsstiftung und Selbstvertröstung geblieben.

Auf die übliche reformistische Art kommt man einem authentischen Sozialismus, soll er denn angestrebt werden, nicht näher, sondern verliert sich in den Niederungen der Tagespolitik, durch die einen keine strategische Linie nach vorn und an seine „eigentlichen“ Endziele heranführt. Die sind in abstrakten programmatischen Erklärungen noch geläufig, spielen aber bei den reformistischen Partei-und Gewerkschaftsaktivitäten keine ziel-und handlungsleitende Rolle. Diese reformistische Praxis hat seit über drei Generationen keinen Sozialismus, aber nur viel Opportunismus, Verbürgerlichung, Defensivität, Demoralisierung und Massenaustritte erbracht. Was ist stattdessen anzustreben ?

Wie kann eine sozialistische Strategie zur Überwindung des Kapitalismus aussehen ?

Für eine konzeptionelle Alternative : Grundzüge der revolutionär-sozialistischen Übergangsmethode
Für sich stehende, parlamentarisch durchgesetzte Reformen und die Reformpolitik linker Regierungen und Massenbewegungen allein -ohne Anwendung der revolutionär-sozialistischen Übergangsmethode, ohne eine revolutionär-sozialistische strategische Fundierung- reichen nicht aus, um eine Umgestaltung hin zum Sozialismus durchzuführen.

Aus revolutionär-sozialistischer Sicht können aber Reformbestrebungen, Kämpfe um die Verteidigung bestehender Errungenschaften und solche um die Erzielung von Fortschritten im Interesse der arbeitenden Bevölkerungsmehrheit das Bewußtsein der an ihnen beteiligten KämpferInnen weiterbringen. Menschen können dadurch politisiert und radikalisiert werden und aus diesen Kämpfen, wenn sie um die richtigen Ziele und vor allem mit den angemessenen, selbstaktivierenden und selbstorganisierenden Kampfmethoden geführt werden, mit einem „linkerem Bewußtsein“, mit größerer Systemkritik und weitergehenden Ansprüchen und Zielen herauskommen.

Bewußtseinsschärfend und radikalisierend können Kämpfe auf die Beteiligten auch dann wirken, wenn reformistische Methoden und Führungen zu Mißerfolgen führen, die Erwartungen der Basis enttäuschen, wenn sie durch bürokratische Stellvertreterpolitik in ihrer Selbstaktivität ausgebremst und Abwehr-und Reformkämpfe von reformistischen Irreführern in Niederlagen geführt oder verraten werden, wenn sie mit der Kapital-und Staatsseite kungeln und gemeinsame Sache gegen die beschäftigten und erwerbslosen ArbeiterInnen machen.

Auch wenn der Staat politisch-juristisch oder polizeilich-repressiv gegen Kämpfende vorgeht, kann das diese über seinen Klassencharakter aufklären und etwaige Illusionen in die bürgerliche Pseudo-Demokratie zerstreuen. Von grundlegender Wichtigkeit ist, daß revolutionär-sozialistische Gruppen gezielt und methodisch in Bewegungen und Kämpfe eingreifen, um die richtigen politischen Ziele, Organisationsformen und Kampfmethoden in ihnen zu propagieren und durchsetzungsfähig zu machen, daß sie sich bemühen, die Meinungsführerschaft in ihnen zu erkämpfen und den Einfluß reformistisch-bürokratischer Irreführer zurückzudrängen.

Progressive soziale Kämpfe und Bewegungen können eine „Schule“ des Klassenkampfes für ArbeiterInnen und sozialistische AktivistInnen sein, sie politisch-ideologisch und bewußtseinsmäßig voranbringen. Wenn sie erfahren, wie sich die Irreführer -und Verräterrolle reformistisch-bürokratischer Gewerkschaftsfunktionäre und Vorreiter sozialer Proteste und Bewegungen entlarvt, wie sie sich als politische Scharlatane und Kapital-Kollaborateure, als Rückzügler und Kapitulanten entpuppen, und revolutionäre Sozialisten sie von vornherein vor ihnen und dem Begehen von programmatischen und methodischen Fehlern, schädlichen Taktiken etc. warnen und erfolgversprechende, zielführende Organisations-und Kampfmethoden sowie nach vorne weisende programmatische Forderungen dagegensetzten und vorschlagen.

Wichtig dafür ist, daß revolutionäre SozialistInnen eine strategisch jeweils gebotene, angemessene Taktik aufzeigen, welche ermöglicht, dem jeweils nächstliegenden strategischen Ziel näherzukommen, also die Strategie ein Stück weit weiter zu den weiterreichenden Zielen hin zu verfolgen. Sie haben in Kämpfe mit den richtigen Taktikvorschlägen und der jeweils passenden, strategiegemäßen Methoden-und Zielagitation einzugreifen. Es ist ihre Grundaufgabe, sie inhaltlich und quantitativ voranzutreiben. Darauf hin müssen Flugblätter und Redebeiträge angelegt sein. Wenn Kämpfe erfolgreich verlaufen, richtig geführt werden und revolutionäre SozialistInnen taktisch-strategisch korrekt in sie eingreifen, können sie dazu führen, daß die Beteiligten ihre Erfahrungen produktiv auswerten. Auch bei Kämpfen, die in Mißerfolgen enden, aber von revolutionären SozialistInnen agitatorisch richtig begleitet werden, können durch ihr Eingreifen aus der Fehleranalyse die richtigen Umkehrschlüsse gezogen werden, die dazu beitragen, „es das nächste Mal“ richtiger zu machen.

Dabei können revolutionäre SozialistInnen Hilfestellung geben. Im günstigsten Fall können solche wiederholten „Schulen“ bzw. Klassenkampferfahrungen, werden sie theoretisch richtig verarbeitet, aus AktivistInnen politisch bewußte Klassenkämpfer und sogar Revolutionäre machen. Anfänglich reformerisch ausgerichtete, mit reformistischen Illusionen unterlegte und an reformistischen Organisationen und Führungsgruppen orientierte Proteste und Kampfbewegungen können als Durchgangs-stadien der Entwicklung revolutionären Massenbewußtseins und Vorstufen der Entstehung einer revolutionären Situation in subjektiver Hinsicht sein. Diese Radikalisierung ist Grundvoraussetzung einer auch in objektiver Hinsicht revolutionären Situation, die, wenn es revolutionären SozialistInnen gelingt, eine Meinungsführerschaft zu erringen, in eine soziale Umwälzung übergeht.

Das zu erleichtern, zu befördern, ist die dauernde Grundaufgabe von revolutionären Mit-Kämpfern. Wenn das gelingt, können Klassenkämpfe zur Abwehr von Angriffen des Kapitals und zur Erringung von Reformen zur Herausbildung eines revolutionären Bewußtseins dienen, können sich reformerische zu revolutionären Klassenkämpfen auswachsen, reformerische in revolutionäre Bestrebungen übergehen, in sie umschlagen.

Revolutionäre Sozialisten arbeiten daran, dies zu ermöglichen und zu beschleunigen. Letztlich hängt die Erreichung einer sozialistischen Umgestaltung davon ab, daß sie dabei erfolgreich sind und sich währenddessen massenhaft vermehren. Notwendig ist dazu neben viel Glück und günstigen soziopolitischen Rahmenbedingungen das Bestehen sozialrevolutionärer Gruppen mit dem richtigen organisatorischen, methodischen und programmatischen Rüstzeug.

Auf strategisch-kampfmethodischer Ebene ist die sogenannte Übergangsmethode ein Versuch, Reformfragen und revolutionäre Endziele, reformerische und revolutionäre Klassenkämpfe / Kampfbewegungen langfristig politisch-programmatisch und methodisch miteinander zu verbinden. Schon Luxemburg stellte in einer gegen den um die Jahrhundertwende aufkommenden Reformismus gerichteten Abhandlung fest, daß der Kampf um Sozialreformen nur das Mittel, die Herbeiführung einer sozialen Revolution aber deren Endzweck ist. Es ist aus revolutionär-sozialistischer Sicht notwendig, Tages-und Einzelkämpfe seitens einer systemoppositionellen, sozialistischen Massenbewegung, die sich aus linken Teilen der Gewerkschaftsbasis und aus Parteien, Parteiaufbaugruppen, Vereinen, Initiativen und Zirkeln sowie unorganisierten Individuen zusammensetzt, als taktische Manöver einer revolutionären Übergangsstrategie aufzufassen und zu führen.

Diese Massenbewegung sollte als breites systemoppositionelles Bündnis, als Einheitsfront linker Teile der Gewerkschaften sowie sozialistischer Organisationen agieren und die hier skizzierte Übergangsmethode aufgreifen, propagieren und gemeinsam an deren systematischer praktischer Anwendung und –soweit möglich- erfolgreichen Umsetzung in den anstehenden Klassenkämpfen, in die sie übergangsmethodisch eingriffe, arbeiten. Wichtig ist, die Übergangsmethode gewissenhaft, planmäßig-konzeptionell und bündnispolitisch innerhalb einer breiten Einheitsfront zu propagieren und zu praktizieren –auf thematisch oder sektoral zersplitterter, auf soziopolitische Einzelfälle beschränkter oder linkssektiererisch –einzelorganisatorischer Ebene wird dieser strategische kampfmethodische Grundansatz revolutionär-sozialistischer Politik nicht
wirklich erfolgreich greifen und funktionieren.

Er gehört als theoretisch fundierte Vorgehensweise in ein revolutionär-sozialistisches Politik-und Bündniskonzept. Wie sehen die Grundzüge der Übergangsmethode aus ? Reformerische bzw. reformpolitische Einzelbestrebungen können Revolutionäre beim Anwenden ihrer „taktischen Manöver“ mit Reformisten praktisch zusammenführen, aber als taktische Einzelschritte sind sie ihrer revolutionär-sozialistischen Übergangsstrategie untergeordnet. Reformforderungen und Reformbestrebungen sind nicht jeweils für sich vereinzelt stehende, unvermittelt nacheinander angegangene und parallel auf verschiedenen Politikfeldern, stückweise durchgeführte Teilbelange, deren kumulative Anhäufung irgendwann einmal in ferner Zukunft irgendeinen angeblichen „Sozialismus“ oder links-sozialdemokratischen „Sozialkapitalismus“ herbeiführen sollen.

Sie dienen in diesem Kontext zur Politisierung und Radikalisierung des Klassenbewußtseins der Arbeiterbasis, um ihre politischen Ansprüche gegenüber ihren sozialen Arbeits-und Lebensverhältnissen und ihre politischen Zielsetzungen zu steigern, sie gegen das ihnen feindliche Gesellschaftssystem aufzubringen, zu radikalen Alternativvorstellungen und für selbsttätig durchgeführte Kampfmethoden -abseits jeglicher Stellvertreterpolitik- zu gewinnen, wie sie sich z. B. in selbstorganisierten Streikkomitees und betrieblichen und außerbe-trieblichen Arbeiterräten verwirklichen.

Reformengagement soll also in diesem revolutionären Konzept -indem man die für die Verteidigung bedrohter Errungenschaften oder Verbesserungen kämpfenden AktivistInnen an ihren politischen Grundfragen und Grundforderungen taktisch „abholt“- auf übergangsstrategische Weise an revolutionäre Sichtweisen, Ideen, Endziele und Organisations- und Kampf- Methoden heranführen. Eine etwaige revolutionäre Situation soll durch bestimmte, an einzelnen Reformfragen ansetzende Klassenkampfpolitik vorbereitet und dadurch mit herbeigeführt, nicht, wie im Fall reformistischer Politik, verhindert werden. Reformistische Politik ist letztendlich darauf aus, revolutionäre Zuspitzungen sich entwickelnder Klassenkämpfe zu verhindern, indem man die Arbeiterbasis bevormundet, durch von oben zugestandene Reformen / Fort

Klassenkämpferische Selbstaktivitäten oder eine gar revolutionäre Praxis seitens der Arbeiter sollen durch eben diese reformistische Politik der politischen Irreführung der ArbeiterInnen und ihrer Klassenkämpfe gar nicht erst zum Zuge kommen. Revolutionär-sozialistische Politik bezweckt das Gegenteil: Hierbei sollen Reformen nicht von „linksbürgerlichen“, refor-mistischen Partei-und Gewerkschaftsbürokratien, Parlamentsmehrheiten und Regierungen von oben zugestanden, sondern von unten durch die Arbeiterbasis der Gewerkschaften und revolutionär-sozialistischer Arbeiterparteien, durch die Arbeiterklasse selbst erkämpft werden.

Nicht die verstärkte Integration und Entpolitisierung der Arbeiter in die bestehende Gesellschaftsordnung und deren gesellschaftspolitische „Verbesserung“ und Befestigung durch einen kumulativen Reformprozeß ist das Grundanliegen revolutionär-sozialistischer Politik, sondern die Zurückdrängung, Schwächung und die Beseitigung des Kapitalismus durch die politisch unabhängige, selbsttätige Klassenkampfpolitik der lohnarbeitenden Bevölkerungsmehrheit. Revolutionär-sozialistische Politik baut auch nicht wie die reformistische Praxis auf möglichst weitgehende Wahlerfolge und die Gewinnung und Besetzung von Parlamentsmehrheiten und Regierungen sowie die Beherrschung (und allenfalls vielleicht reformpolitische Teilumgestaltung) von bürgerlichen Staatsapparaten, um sie als Instrumente reformistischer Regierungspolitik einzusetzen.

Im Zuge eines selbstaktiven, selbstorganisierten Klassenkampfes, der sich günstigenfalls inhaltlich-programmatisch und kampfmethodisch aufsteigend entwickelt, sich dabei von seinen Zielsetzungen und Ausdrucksformen her zuspitzt und auf Sturz der Kapitalherrschaft hinbewegt, sollen immer größere Teile der Arbeiterklasse in diese fortschreitende, sich offensiv aufschwingende Klassenkampfbewegung einbezogen, jeweils weiterreichende Zwischen-und Teilforderungen formuliert, von wachsenden Teilen der ArbeiterInnenklasse aufgegriffen und durchgekämpft werden, wobei sich jeweils auch die den Arbeiterkämpfen entgegengesetzten Widerstände durch Unternehmensleitungen, Betriebs-, Personal-und Gewerkschaftsbürokratien und den bürgerlichen Staates verstärken -und bei deren Zurückschlagung seitens kämpfender ArbeiterInnen bei diesen „Lerneffekte“ über den im Grunde feindlichen Charakter dieser Institutionen aufkommen sowie bisherige Illusionen zerstreut werden können.

Zumal, wenn es revolutionären Gruppen durch richtiges Eingreifen gelingt, für diese selbstaktiven Klassenkämpfe organisierend und mobilisierend tätig zu werden, richtige Kampfmethoden und politische Nahziele vorzuschlagen und populär zu machen und Mehrheiten innerhalb der Kampfbewegungen für eine über sie hinausweisende Zielrichtung zu gewinnen. Durch die möglichen „Lerneffekte“ und ggf. erfolgreich durchgefochtene Kämpfe kann es zu Radikalisierungen bei der Formulierung politischer Ziele und der Anwendung darauf zugeschnittener Kampfmethoden kommen.

Nebenbei kann auch die Attraktivität revolutionärer Ideen, Forderungen und Zielsetzungen erhöht werden. Im günstigen Fall kann sich eine sowohl inhaltlich als auch quantitativ eine langsam aufschaukelnde radikale, systemoppositionelle Massenbewegung formieren, die auf die Abschaffung des Kapitalismus zielt. Dabei ist bei allen taktischen Wendungen stets darauf zu achten, daß sie zielführend sind und die Strategie auf ihre Endziele hin schrittweise weiter abarbeiten, um den Endzielen effektiv näherzukommen. Dabei ist der direkteste Weg zu diesen Endzielen nicht immer geradlinig und schon gar nicht frei von Rückschlägen. Die Aufgabe revolutionärer SozialistInnen ist es aber, über alle „taktischen Wendemanöver“ hinweg „gerade“ auf diese Endziele hinzublicken und einzelne taktische Kampfschritte so auszurichten, das sie deren Realisierung nützen.

Wichtig ist dabei, alle Abwehr-und Offensivkämpfe programmatisch-inhaltlich und methodisch so zu gestalten und politisch anzuführen, daß sie auf eine inhaltliche und methodische Radikalisierung, eine regionale Ausweitung und Massenbeteiligung, letztlich auf die Formierung einer Massenbewegung mit antikapitalistischer Stoßrichtung hinauslaufen. Gemeint ist also, Reformforderungen und Reformbestrebungen in revolutionärer Absicht, auf selbsttätige, klassenkämpferische Weise aufzugreifen, zu entwickeln und anzuführen, um sie mit einer antikapitalistischen Spitze voranzutreiben und wenn möglich in eine sich vielleicht dabei herausbildende revolutionäre Situation münden zu lassen.

Diese hat dann durch die Vorhutschichten der Arbeiterklasse so ausgenutzt zu werden, daß sie in die Entstehung von Organen der Gegenmacht (Arbeiterkomitees, Arbeiterräte und Selbstschutzmilizen) führt, der es möglich ist, die Kapitalseite und den bürgerlichen Staat praktisch zu konfrontieren und zu schwächen. Dann entsteht eine Doppelmachtsituation, in die von revolutionärer Seite so einzugreifen ist, daß es gelingt, eine Massenerhebung herbeizuführen, der es möglich ist, den konfrontierten Staatsapparat zu zerbrechen, die Kapitalherrschaft zu stürzen und eine Arbeitermacht, d. h. einen authentischen, rätedemokratisch verfassten Arbeiterstaat zu errichten. Zudem muß diese sozialistische Umwälzung, soll sie nicht scheitern, letztlich auf die Nachbarländer übergreifen und international ausgeweitet werden. Mit dem Ausbruch einer Revolution, ihrer erfolgreichen Selbstbehauptung und Ausweitung kann, anfänglich in einzelnen Ländern und später weltweit, mit der Abschaffung des Kapitalismus und der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft begonnen werden.

Ein fiktives Anwendungsbeispiel für die Übergangsmethode: Was wäre, wenn...

Übergangsforderungen sollen Einzelschritte auf dem Weg zur Machteroberung der Arbeiterklasse darstellen: Beginnend mit defensiven Maßnahmen, übergehend zu offensiven Reformforderungen und diese überleitend zu revolutionären Maximal-forderungen / Endzielen, die auf die Herbeiführung einer sozialistischen Umwälzung abzielen. Einzelschritte müssen also richtig verkettet werden und auf das Endziel hin orientieren, eine Brücke von Abwehr-und Reformkämpfen zur sozialistischen Umwälzung und Errichtung der Arbeitermacht schlagen.

Jede einsichtige Einzelforderung und Einzelmaßnahme, auf die sich eingelassen wird, hilft den nächsten Schritt sichtbar und begreifbar zu machen, verweist auf ihn, rückt ihn perspektivisch näher. Jeder Schritt hat in sich den Übergang zum nächsten zu eröffnen, auf den nächsten logisch zu verweisen. Die nächstfolgende Position bzw. der nächste Kampfschritt ist dann bereits implizit in der ihr vorangehenden Forderung angelegt, direkt aus ihr ableitbar. Was in der einen Forderung implizit aufscheint, sich logisch direkt aus ihr ergibt, muß explizit in der nächstfolgenden Position ausgedrückt werden.

Lenin sprach in einem organisations-und staatspolitischen Zusammenhang metaphorisch davon, politische Einzelschritte beim Aufbau des russischen Rätestaates so anzugehen, als betrachte man sie als Glieder einer Kette, die es an der jeweils richtigen Stelle anzupacken gelte, um die ganze Kette stückweise einzuholen, und die Endglieder zu sich herüberzuziehen. Gemäß dieser sinnbildlichen Analogie heißt das also für den politischen Kampf, sich zu den politischen Endzielen schrittweise vorzuarbeiten. Die Übergangsmethode ist ein politisch-strategisches, eine bestimmte Kampfmethodik offerierendes Konzept, das den Versuch einer zielführenden Vorgehensweise für revolutionär-sozialistische Politik bedeutet.

Sie soll einen Brückenschlag von den tagespolitischen Einzelfragen und Nahzielen zu den revolutionären, systemsprengenden Endzielen ermöglichen, die Tagespolitik mit den Maximalforderungen und den Systemfragen „verketten“ und die wichtigsten Hauptkettenglieder (bzw. Zwischen-und Übergangsstufen) bei der Annäherung an die sozialistische Umwälzung anreissen. Taktische Einzelmanöver, einzelne Kampfschritte, also auch Übergangsforderungen, sind von ihren Nahzielen und der methodischen Durchführung her so aufzuziehen, daß sie dazu geeignet sind, den revolutionären Endzielen näherzukommen. Sie sollen dabei helfen, immer größere Teile der ArbeiterInnenklasse für sie zu gewinnen, zu mobilisieren und zu organisieren.

Übergangsforderungen sollen Übergangsschritte zur Annäherung an revolutionäre Endziele sein. Als taktische Zwischen-und Einzelschritte sind sie diesen Endzielen und der auf sie hin orientierten revolutionären Strategie zweckdienlich untergeordnet –und nicht thematisch vereinzelte, übergangsmethodisch unvermittelte, für sich stehende, selbstzweckhafte, von oben zuerkannte (und später wieder zurückgenommene) Reformakte wie bei reformistischer Politik. Darin besteht die innere logische Stringenz der Übergangsmethode.

Wenn z. B. Betriebe teilweise oder ganz stillgelegt, umstrukturiert oder ausgelagert werden sollen, kann ein Nahziel lauten, den Betriebsrat zum Abwehrstreik aufzufordern. Wenn der sich verweigert, bremst oder Hinhaltemanöver oder Kungeleien mit der Kapitalseite betreibt, sollte zur Bildung eines Streikkomitees aufgerufen und ein selbsttätig organisierter Streik angefangen werden, wobei er kampfmethodisch radikalisiert werden kann, indem der Betrieb besetzt wird und unter Kontrolle der Streikenden kommt. Eine Form der Arbeiterkontrolle wird daraus hervorgehen.

Form und Inhalt der Produktionsabläufe und des Betriebsgeschehens unterliegt dann der Aufsicht, Kontrolle und Regie der Belegschaft. Diese Arbeiterkontrolle kann auch Einsicht in alle Geschäftsbücher, Entscheidungen und Finanztransfers der Unternehmensleitung nehmen. Die Arbeiterkontrolle kann eine Art „Schule“ zum Erlernen der Selbstverwaltung des Betriebes seitens der Belegschaft und somit eine Vorstufe zur Enteignung und Vergenossenschaftlichung oder, radikaler, Vergesellschaftung des Betriebs unter Belegschaftsregie sein. (Solche Arbeiterverwaltungen von Betrieben wurden während der letzten Jahrzehnte schon vielfach erfolgreich praktiziert.

Das historisch erfolgreiche Kibbuz-Agargenossenschaftswesen linker Zionisten in Israel, bestreikte und besetzte Betriebe in den führenden Industriestaaten oder die Betriebe im frühen titoistischen Jugoslawien der fünfziger sowie ansatzweise auch im kulturrevolutionären China der späten sechziger Jahre im maoistisch regierten China illustrieren diese Klassenkampf-erfahrungen und können für die Zukunft der sozialistischen Bewegung produktiv ausgewertet werden.) Zugleich sollte an andere Betriebe der gleichen Branche appelliert werden, in Solidaritätsstreiks zu treten.

Wenn andere Betriebe derselben Branche in solche Solidaritätsstreiks treten, kann das als Initialzündung wirken, um die Streikbewegung auf andere Branchen auszuweiten und über die eigene Region hinauszutragen. Arbeitsgerichte werden Entscheidungen gegen solche „wilden“, quasi „aussergewerkschaftlichen“ Streiks treffen und Werkspolizei und Polizei gegen sie einschreiten. Zur Abwehr dieser Bedrohung kann zur Bildung von Selbstschutzgruppen übergegangen werden.

Diese sichern den besetzten, unter Arbeiterkontrolle stehenden Betrieb durch Menschenketten, Sitzblockaden und Barrikaden gegen Polizeiangriffe und Räumungsversuche seitens des Staates, der im Interesse der Unternehmensleitung eingreifen wird. Selbstschutzgruppen sollten alle relevanten Betriebsteile unter Mithilfe von Freiwilligen von außerhalb besetzen und absperren. Barrikaden können durch Auto-Pulks verstärkt werden. Es ist wichtig, Vertreter offizieller und alternativer Medien hinzuziehen, um vor Ort Interviews zu geben, Lageberichte und Solidaritätsappelle rauszugeben, um zu versuchen, Teile der Öffentlichkeit auf die Seite der Besetzer zu ziehen und weitere UnterstützerInnen aus der lohnarbeitenden Bevölkerung zu gewinnen.

In dieser zugespitzten Situation kann von der Arbeiterkontrolle zur Enteignung des Betriebes und -als dazu passende Übergangsforderung- die Verstaatlichung des Betriebs unter Arbeiterselbstverwaltung verlangt werden, wobei man sich bemüht, diese Forderung auch auf alle anderen Betriebe in einer vergleichbaren ökonomischen Lage anzuwenden, um eine Vorbild-und Signalwirkung auszuüben. Andere Betriebe, die ebenfalls aufgrund marktwirtschaftlicher Krisenprozesse und sich daraus ergebender ökonomischer Sachzwänge umstrukturiert, verlagert oder geschlossen und die marktchaotischen Kriseneffekte auf den Rücken der Beschäftigten abgewälzt werden sollen, können es dem bestreikten Werk gleichtun und zu Besetzungsstreiks einschließlich Arbeiterkontrolle vorwärtsschreiten. Die Verstaatlichung dieser „Krisenbetriebe“ zu verlangen ist dann die folgerichtig anstehende nächstliegende Übergangsforderung. Massenproteste und Massenstreiks können dem Nachdruck verleihen.

Würde man damit erfolgreich sein und tatsächlich eine Verstaatlichung bei Zugestehung von Arbeiterkontrolle erreicht, ließe sich für eine Zurückdrängung jeglicher staatlichen Einflußnahme auf die Betriebsinterna und um eine Neubestimmung von Formen und Inhalten des einzel-und zwischenbetrieblichen Wirtschaftens eintreten. Man könnte nach-kapitalistische, bedarfs-und gemeinwirtschaftliche Alternativen diskutieren und, soweit möglich, anfangen, sie zu verwirklichen. Dies könnte wiederum eine breite öffentliche Debatte und positive politische Resonanz sowie Nachahmeffekte auslösen, auf andere Betriebe und Branchen, ja letztlich sogar auf die ganze Volkswirtschaft ausstrahlen.

Der bürgerliche Staat wird sich in diesem Diskussions- und Meinungsbildungsprozess in den Augen der progressiven Bevölkerungsteile zunehmend parteilich auf Seiten der „öffentlichen Ordnung“ positionieren und propagandistisch und repressiv gegen die Linkskräfte und die von ihr kontrollierten Betriebe aktiv werden. Das kann helfen, ihn in seiner Rolle als prokapitalistischer Ordnungsmacht zu entlarven, sowie dabei, zur Verteidigung der eroberten Betriebe die Arbeiterbewegung zu mobilisieren. Der laufende Klassenkampfprozess kann inhaltlich-qualitativ und von seiner quantitativ Breitenwirkung und sozialen Durchschlagskraft her einen höheren Stufengrad erreichen und noch größere soziale „Schockwellen“ auslösen. Neue, direkt auf die sozialistischen Endziele hin zugespitzte Übergangsforderungen und sich direkt daraus ergebende revolutionären Maximalforderungen können propagiert und angegangen werden. Die Kampfperspektive öffnet sich so hin zu den sozialistischen Endzielen, die anzustreben Sache der sich auf sie einlassenden Massenbewegung sein wird. An dem Beispiel solcher Betriebs-und Branchenkämpfe mit system-oppositioneller Spitze kann eine praktische Anwendungsweise der Übergangsmethode verdeutlicht werden.

Das praktische Klassenkampfgeschehen stellt immer wieder vielfältige Anwendungsfälle und Umsetzungsbeispiele von Arbeiterkämpfen mit systemoppositioneller Ausrichtung bereit, in die sich mit Übergangsforderungen zielführend eingreifen und das erfolgreiche Funktionieren der Übergangsmethode demonstrieren ließe, wenn sie von den diese Kämpfe führenden Linkskräften bewußt und professionell angeeignet und zu ihrer politischen Veränderungsstrategie gemacht würde. Sie sollte das kampfmethodisch-strategische Rüstzeug einer anzustrebenden sozialistischen Massenbewegung und in der sozialistischen Linken allgemein diskutiert, popularisiert und schließlich bei anstehenden Streikkämpfen ansatz-und versuchsweise praktiziert werden.

Dafür zu wirken, ist eine der vordringlichsten Aufgaben revolutionär-sozialistischer Organisationen –nicht nur von parteiförmigen. Die Schaffung von revolutionär-sozialistisch ausgerichteten Arbeiterparteien, die sich auf eine Massenbasis stützen und Rückhalt in den Wohnvierteln, den Betrieben, und Ausbildungsstätten, bei einfachen Gewerkschaftern, Erwerbslosen, Auszubildenden, der Frauenbewegung, den Immigranten und anderen Minderheiten haben, ist jedoch notwendig. Parteiförmige Organisationen sind unersetzbar und hinsichtlich ihrer Fähigkeit, bestimmte politische Herausforderungen und Kampfaufgaben erfolgreich zu bewältigen, anderen Organisationstypen überlegen.

Das ist aber nur dann der Fall, wenn solche Parteien von ihrer Zusammensetzung und ihrer Grundprogrammatik her, bezüglich ihrer inneren Organisationsstrukturen und im Hinblick auf die von ihr angewandten Arbeits-und Kampfmethoden einen revolutionär-sozialistischen Charakter aufweisen und den inhaltlich-programmatischen, organisationsstrukturellen und parteimethodischen Fehlentwicklungen sowie Deformationen der über-kommenen sozialdemokratisch-reformistischen und stalinistischen Mißerfolgs-und Niedergangstraditionen verweigern. Über die Funktionen, die programmatische Grundausrichtung und innerorganisatorische Ausgestaltung solcher notwendiger Parteien als Kampfinstrumente des antikapitalistischen Flügels der Arbeiterbewegung wird ein zweiter, zum Glück wesentlich kürzerer Beitrag folgen.
 

Editorische Anmerkung

Der Artikel erschien am 25.04.2007 bei http://www.linkezeitung.de
Wir spiegelten.