Contrapunkt mit Mängeln
Die ehemalige Leiterin
der Rütlischule hat ein Buch geschrieben

von Peter Nowak

05/07

trend
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Die Rütlischule in Neukölln sorgte im letzten Jahr für Schlagzeilen.  Nachdem Lehrer der Schule in einem Offenen Brief erklärten, sie können ihren pädagogischen Auftrag nicht mehr nachkommen, setze eine mit rassistischen Untertönen unterfütterte Kampagne gegen eine multikulturelle Gesellschaft, gegen angebliche Parallelgesellschaften und „jugendliche Intensivtäter ein. Der kurz vor dem Brief mit großen Publikumserfolg angelaufene Film „Knallhart“ lieferte die Stichworte für eine Kampagne. Dabei wurden  Thesen Mitte der Gesellschaft getragen wurden, die vor Jahren noch im rechten Wochenblatt Junge Freiheit zu lesen waren. 

Da ist schon ein Buch zu begrüßen, dass diesen rechten Tönen  linkssozialdemokratische Akzente entgegensetzt. Die langjährige Rektorin der Rütlischule Brigitte Pick hat sich auf diese Weise in ihrem Buch Kopfschüsse geäußert.  In vielen kleine Episoden schildert sie die sozialen Verhältnisse, in denen viele ihrer Schüler leben. Sie beschreibt beispielsweise, wie aus den so gefährlich wirkenden arabischen Jungmännern, die Mitschüler bedrohen, schnell kleinlaute Jugendliche wurden, die auch mal auf eine Party gehen wollten. Pick hält in ihrem Buch einige nicht nur pädagogische Grundsätze hoch, die vor noch nicht allzu langer Zeit zu den Mindeststandards gewerkschaftlicher und selbst liberaler Bildungspolitik gehörten. Doch wer heute beispielsweise das Zeitgeistmagazin Tip durchblättert, wo die erfolgreichen jungen Kreativen gehypt, den Verlierer der Gesellschaft aber schon mal gesagt wird, dass sie gefälligst das Maul halten und  sich schämen sollten, weiß, dass Pick mit ihren Thesen heute schon eine lobenswerte Ausnahme ist.             

Daher  ist ihr Buch notwendig, aber trotzdem nicht gut.  Oft ist es zu episodenhaft gehalten. Was will uns Pick mit ihrer Nachricht mitteilen, dass sie sich  aus den roten Fahne ihrer Jugendzeit kürzlich Schwimmutensilien genäht hat? Und wer glaubt, dass sie jenen Oehmke, der Pick angeblich erst den Weg in den Schuldienst ebnete, rein zufällig über 30 Jahre später als Rentner in einer Neuköllner Lokalität trifft und nicht mal erkennt?

Auch inhaltlich bleiben viele Fragen offen. So lobt Pick die Hausordnung der Rütlischule, die unter ihrer Ägide aufgestellt wurde. Die besteht aber  hauptsächlich aus Verboten besteht und sich  hierin wohl kaum von anderen Schulen unterscheidet. Dass Pick auch noch ausdrücklich vermerkt, wie gut die Schule mit allen Behörden und der Polizei kooperiert hat,  ist eigentlich auch ein Bankrott aller Vorstellungen von emanzipatorischer Pädagogik, die Pick und andere einmal hatten. Doch gerade die sicher den Verhältnissen geschuldeten Differenzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit können zu Diskussionen anregen. Es ist allemal besser hierüber zu diskutieren, als über die Vorlagen wie sie Filme wie Knallhart und ähnliche Ergüsse  vorgeben.

 

Brigitte Pick
Kopfschüsse.
Wer PISA nicht versteht, muß mit
Rütli rechnen.
VSA-Verlag,
Hamburg 2007.
14,80 Euro.

Und dazu Exklusivwerbung mit Leseauszügen durch die BILD-Zeitung als Serie: "Die Ex-Rektorin der berüchtigten Berliner Rütli-Schule packt aus! Es ist die Abrechnung einer verzweifelten Lehrerin." Teil 1 Teil 2 & Teil 3 & Teil 4

 

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor.