Am 1.Mai entschloss ich
mich mal wieder nicht zu der DGB-Trauerveranstaltung in Bochum
zu gehen. Stattdessen fuhr ich nach Dortmund, wo die Neo-Nazis
eine „Groß-Demo“ geplant hatten. Straßenkämpfer bin ich nicht,
also kamen die Autonomen nicht in Frage. Wohin also gehen, zur
Dortmunder DGB-Trauerveranstaltung? Nein! Was blieb noch? Die
antifaschistischen Mahnwachen in Dortmund Brakel. Also auf zum
jüdischen und Ausländerfriedhof, wo eine Start-Kundgebung
stattfinden sollte. Auf dem Friedhof war ich noch nicht, und die
Idee, die sogenannten „Stolpersteine“ abzulaufen und den Nazis
hier den Weg zu versperren fand ich gut. Kein
Nazi-Springerstiefel auf einen Stolperstein!
(„Stolpersteine“ sind
kleine in den Fußweg eingelassene Gedenktafeln für Opfer des
Nationalsozialismus, die in Dortmund-Brakel lebten.)
Auf den Friedhof stand
ich staunend und erfreut vor einem Denkmal, auf dem eine
Schriftzug in russischer Sprache stand. Oben drauf prankt der
bekannte fünfzackige Stern mit Hammer und Sichel. Gut so, dachte
ich und fühlte mich an den Friedhof für russische
Kriegsgefangene in Bergen-Belsen erinnert, den ich vor gar nicht
langer Zeit besucht hatte.
„High noon“ sollte die
Auftakt-Kundgebung beginnen. Nein, man kann wirklich nicht
behaupten, dass viele gekommen waren. Ein bisschen VVN, ein
bisschen DKP. Aus dieser Ecke kam auch die kurze Rede eines
älteren Herren, der ich teils mit Wohlwollen, teils mit Grausen
folgte, nämlich spätestens von da ab, als es
„antikapitalistisch“ wurde. Unter Beifall vernahm ich mit
Erstaunen, dass „die Gewerkschaften“ mehr und mehr den Kampf
gegen das Kapital aufnehmen würden. Das macht schon sprachlos,
aber später sollte es noch besser kommen.
Ok! Mit leichter
Verspätung hatten sich so rund 200 Leute (gut geschätzt) aus
allen Generationen eingefunden und wir „marschierten“ los,
Richtung „Stolpersteine“. Bullen waren natürlich auch nicht weit
und wollten sich noch einmal vergewissern, dass wir wirklich
nicht störten, was wir denn auch taten.
Auf dem Brakeler Hellweg
wurde eine andere Truppe gesichtet, etwa in der gleichen
Größenordnung, mit der wir uns vereinigen sollten. Meine erste
Freude darüber wich schnell einiger Skepsis, als ich mich
plötzlich mit allerhand MLPD-Fahnen und –Transparenten umringt
sah. Aber wir waren jetzt doppelt so viele und es ging auf zum
nächsten „Stolperstein“, wo wieder eine Kundgebung abgehalten
werden sollte.
Wo dieser
„revolutionäre“ Trachtenverein namens MLPD auch auftritt, umgibt
er sich natürlich vornehmlich mit IGM- oder Verdi-Fahnen und
reden tun vorzugsweise Betriebsräte und Vertrauensleute, wo
immer möglich. (Von MLPD war wirklich nie die Rede, nur von
Kollegen der IGM etc) Vorsitzende des Vertrauensleute-Körpers
einer Betriebes. Das mochte peinlich werden ... und wurde es!
Der nächste „Stolperstein“ bzw. die dort abgehaltene Kundgebung
wurde für mich zum sehr realen Stolperstein.
Erst sprach ein
Hoesch-Betriebsrat, dann – na sag ich doch – der Vorsitzende des
Vertrauenskörpers. Von der Belegschaft war allerdings weit und
breit nichts zu sehen.
Es kam, wie es kommen
musste: mit wachsendem Erstaunen vernahm ich, dass die Nazis
hauptsächlich Sozialisten und Kommunisten bekämpften. Die
Hauptkritik am DGB bestand darin, dass er die Einheit mit
Sozialisten und Kommunisten verhindere. Da unsere Freunde vom
„revolutionären“ Trachtenverein alles im Griff hatten, waren sie
großzügig, und boten jedermann/frau das Mikrofon an. Es meldete
sich aber nur eine Frau zu Wort, offensichtlich vom
„Trachtenverein“, die noch einen drauf setzte: Der Faschismus
richte sich in erster Linie gegen die „revolutionäre
Arbeiterbewegung“ und last but not least: „Wir sind das Volk“!
(Schade, das „Wir“ so klein geworden sind!?) Jetzt war ich fast
so weit und wollte mir das Mikro greifen, was ich mir aber
verkniff, weil ich keine Lust hatte mich zum Gespött der hier
versammelten zu machen. (Das hatte ich in jungen Jahren genug
getan!)
Was hätte ich wohl sagen
wollen? Z.B.:
Welche „revolutionäre
Arbeiterbewegung“ meint ihr denn? Tatsächlich hat es die frührer
gegeben und die Nazis haben alles daran gesetzt, sie zuerst zu
zerschlagen. Aber heute? Wollt Ihr Euch vielleicht selbst als
„revolutionäre Arbeiterbewegung“ bezeichnen? Ihr gestattet, dass
ich lache. Die Neo-Nazis bedrohen heute vor allem Menschen
anderer Hautfarbe, Schwule, Juden und Behinderte. Nicht Euch,
nicht die MLPD und andere „Trachtenvereine“! Nein, diese von den
Neo-Nazis hauptsächlich bedrohten Menschen haben unmittelbar
keine Gemeinsamkeit, aber die Neo-Nazis setzen sie alle gleich
und betrachten sie als minderwertig und dass es gerechtfertigt
sei, sie zu töten. Was denn auch, wo möglich, schon reichlich
ins Werk gesetzt wird. Warum sprecht Ihr hier nie über den
Skandal dieser Morde und Verfolgungen, ihrer geduldeten
Ankündigung in Liedern und Ansprachen?
Auch die alten Nazis
waren vor allem Rassisten und haben Sozialdemokraten,
Kommunisten, bürgerliche Demokraten und humanitär gesinnte
Christen aus dem Weg geräumt, um ihr rassistisches Werk
vollbringen zu können. Die Zahlen des Holocaust, der Mord an
Millionen von „lebensunwerten“ Russen, Ostvölkern etc. sprechen
für sich! (Und was die Nazis noch alles vorhatten, schließlich
war der Krieg gegen die Sowjetunion für sie nur ein Auftakt für
den Kampf gegen die „Ostvölker“! Alles vergessen oder nicht
gewusst? Schaut Euch an, was die Neonazis in Gestalt von „White
Power“ international vorhaben!) Von wegen „Hauptziel“ etc! Die
Nazis hatten und haben eine Weltanschauung und wollen diese mit
allen Mitteln umsetzen! Diese Weltanschauung ist wesentlich
rassistisch und nicht kapitalistisch! Allein, wenn es passt,
kommen Kapitalisten und Rassisten zusammen, nämlich dann, wenn
das Kapital sich bedroht fühlt! Das Kapital ist sowenig
rassistisch, wie die Nazis kapitalistisch sind. Auch die Nazis
liebäugeln erst dann mit dem Kapital, wenn und in soweit dieses
ihren Rassismus akzeptiert! Wann wird man das je verstehen?
Für mich ist es eine
Beleidigung der alten und neuen Opfer des Nationalsozialismus,
wenn Ihr, in dieser Form des historischen Klitterung und des
Mummenschanzes einer angeblich existierenden „revolutionären
Arbeiterbewegung“, den Kampf gegen die Neonazis aufnehmen wollt.
Da lobe ich mir die Autonomen und wäre sicher bei ihnen, wenn
mein Alter nicht so „fortgeschritten“ wäre.
Das in etwa hätte ich
sagen wollen. Aber weil ich diese verbohrten Dumpfbacken a la
MLPD zur Genüge genossen habe, bin ich nun rasch nach Hause
gefahren!
Editorische Anmerkungen
Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen
Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.