Peter Trotzig
Kommentare zum Zeitgeschehen

Dortmunder Anti-Faschismus

05/07

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Am 1.Mai entschloss ich mich mal wieder nicht zu der DGB-Trauerveranstaltung in Bochum zu gehen. Stattdessen fuhr ich nach Dortmund, wo die Neo-Nazis eine „Groß-Demo“ geplant hatten. Straßenkämpfer bin ich nicht, also kamen die Autonomen nicht in Frage. Wohin also gehen, zur Dortmunder DGB-Trauerveranstaltung? Nein! Was blieb noch? Die antifaschistischen Mahnwachen in Dortmund Brakel. Also auf zum jüdischen und Ausländerfriedhof, wo eine Start-Kundgebung stattfinden sollte. Auf dem Friedhof war ich noch nicht, und die Idee, die sogenannten „Stolpersteine“ abzulaufen und den Nazis hier den Weg zu versperren fand ich gut. Kein Nazi-Springerstiefel auf einen Stolperstein!

(„Stolpersteine“ sind kleine in den Fußweg eingelassene Gedenktafeln für Opfer des Nationalsozialismus, die in Dortmund-Brakel lebten.)

Auf den Friedhof stand ich staunend und erfreut vor einem Denkmal, auf dem eine Schriftzug in russischer Sprache stand. Oben drauf prankt der bekannte fünfzackige Stern mit Hammer und Sichel. Gut so, dachte ich und fühlte mich an den Friedhof für russische Kriegsgefangene in Bergen-Belsen erinnert, den ich vor gar nicht langer Zeit besucht hatte.

„High noon“ sollte die Auftakt-Kundgebung beginnen. Nein, man kann wirklich nicht behaupten, dass viele gekommen waren. Ein bisschen VVN, ein bisschen DKP. Aus dieser Ecke kam auch die kurze Rede eines älteren Herren, der ich teils mit Wohlwollen, teils mit Grausen folgte, nämlich spätestens von da ab, als es „antikapitalistisch“ wurde. Unter Beifall vernahm ich mit Erstaunen, dass „die Gewerkschaften“ mehr und mehr den Kampf gegen das Kapital aufnehmen würden. Das macht schon sprachlos, aber später sollte es noch besser kommen.

Ok! Mit leichter Verspätung hatten sich so rund 200 Leute (gut geschätzt) aus allen Generationen eingefunden und wir „marschierten“ los, Richtung „Stolpersteine“. Bullen waren natürlich auch nicht weit und wollten sich noch einmal vergewissern, dass wir wirklich nicht störten, was wir denn auch taten.

Auf dem Brakeler Hellweg wurde eine andere Truppe gesichtet, etwa in der gleichen Größenordnung, mit der wir uns vereinigen sollten. Meine erste Freude darüber wich schnell einiger Skepsis, als ich mich plötzlich mit allerhand MLPD-Fahnen und –Transparenten umringt sah. Aber wir waren jetzt doppelt so viele und es ging auf zum nächsten „Stolperstein“, wo wieder eine Kundgebung abgehalten werden sollte.

Wo dieser „revolutionäre“ Trachtenverein namens MLPD auch auftritt, umgibt er sich natürlich vornehmlich mit IGM- oder Verdi-Fahnen und reden tun vorzugsweise Betriebsräte und Vertrauensleute, wo immer möglich. (Von MLPD war wirklich nie die Rede, nur von Kollegen der IGM etc) Vorsitzende des Vertrauensleute-Körpers einer Betriebes. Das mochte peinlich werden ... und wurde es! Der nächste „Stolperstein“ bzw. die dort abgehaltene Kundgebung wurde für mich zum sehr realen Stolperstein.

Erst sprach ein Hoesch-Betriebsrat, dann – na sag ich doch – der Vorsitzende des Vertrauenskörpers. Von der Belegschaft war allerdings weit und breit nichts zu sehen.

Es kam, wie es kommen musste: mit wachsendem Erstaunen vernahm ich, dass die Nazis hauptsächlich Sozialisten und Kommunisten bekämpften. Die Hauptkritik am DGB bestand darin, dass er die Einheit mit Sozialisten und Kommunisten verhindere. Da unsere Freunde vom „revolutionären“ Trachtenverein alles im Griff hatten, waren sie großzügig, und boten jedermann/frau das Mikrofon an. Es meldete sich aber nur eine Frau zu Wort, offensichtlich vom „Trachtenverein“, die noch einen drauf setzte: Der Faschismus richte sich in erster Linie gegen die „revolutionäre Arbeiterbewegung“ und last but not least: „Wir sind das Volk“! (Schade, das „Wir“ so klein geworden sind!?) Jetzt war ich fast so weit und wollte mir das Mikro greifen, was ich mir aber verkniff, weil ich keine Lust hatte mich zum Gespött der hier versammelten zu machen. (Das hatte ich in jungen Jahren genug getan!)

Was hätte ich wohl sagen wollen? Z.B.:

Welche „revolutionäre Arbeiterbewegung“ meint ihr denn? Tatsächlich hat es die frührer gegeben und die Nazis haben alles daran gesetzt, sie zuerst zu zerschlagen. Aber heute? Wollt Ihr Euch vielleicht selbst als „revolutionäre Arbeiterbewegung“ bezeichnen? Ihr gestattet, dass ich lache. Die Neo-Nazis bedrohen heute vor allem Menschen anderer Hautfarbe, Schwule, Juden und Behinderte. Nicht Euch, nicht die MLPD und andere „Trachtenvereine“! Nein, diese von den Neo-Nazis hauptsächlich bedrohten Menschen haben unmittelbar keine Gemeinsamkeit, aber die Neo-Nazis setzen sie alle gleich und betrachten sie als minderwertig und dass es gerechtfertigt sei, sie zu töten. Was denn auch, wo möglich, schon reichlich ins Werk gesetzt wird. Warum sprecht Ihr hier nie über den Skandal dieser Morde und Verfolgungen, ihrer geduldeten Ankündigung in Liedern und Ansprachen?

Auch die alten Nazis waren vor allem Rassisten und haben Sozialdemokraten, Kommunisten, bürgerliche Demokraten und humanitär gesinnte Christen aus dem Weg geräumt, um ihr rassistisches Werk vollbringen zu können. Die Zahlen des Holocaust, der Mord an Millionen von „lebensunwerten“ Russen, Ostvölkern etc. sprechen für sich! (Und was die Nazis noch alles vorhatten, schließlich war der Krieg gegen die Sowjetunion für sie nur ein Auftakt für den Kampf gegen die „Ostvölker“! Alles vergessen oder nicht gewusst? Schaut Euch an, was die Neonazis in Gestalt von „White Power“ international vorhaben!) Von wegen „Hauptziel“ etc! Die Nazis hatten und haben eine Weltanschauung und wollen diese mit allen Mitteln umsetzen! Diese Weltanschauung ist wesentlich rassistisch und nicht kapitalistisch! Allein, wenn es passt, kommen Kapitalisten und Rassisten zusammen, nämlich dann, wenn das Kapital sich bedroht fühlt! Das Kapital ist sowenig rassistisch, wie die Nazis kapitalistisch sind. Auch die Nazis liebäugeln erst dann mit dem Kapital, wenn und in soweit dieses ihren Rassismus akzeptiert! Wann wird man das je verstehen? 

Für mich ist es eine Beleidigung der alten und neuen Opfer des Nationalsozialismus, wenn Ihr, in dieser Form des historischen Klitterung und des Mummenschanzes einer angeblich existierenden „revolutionären Arbeiterbewegung“, den Kampf gegen die Neonazis aufnehmen wollt. Da lobe ich mir die Autonomen und wäre sicher bei ihnen, wenn mein Alter nicht so „fortgeschritten“ wäre.

Das in etwa hätte ich sagen wollen. Aber weil ich diese verbohrten Dumpfbacken a la MLPD zur Genüge genossen habe, bin ich nun rasch nach Hause gefahren!

 

Editorische Anmerkungen

Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.