Bündnis zwischen Wischmob und Laptop?

von Peter Nowak

05/07

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Die Initiativen, die den Begriff Prekariat in die Diskussion gebracht haben, sind gar nicht so glücklich darüber, dass alle Welt darüber redet. Sie befürchten, dass der Begriff an Schärfe verliert

Der Begriff Prekariat hat in den letzten Jahren eine Blitzkarriere gemacht. So wird eine größer werdende Gruppe von Menschen bezeichnet, die sich in ungeregelten und unsicheren Arbeits- und Lebensverhältnisse befinden. Mittlerweile organisieren die Gewerkschaften regelmäßig Seminare über das Prekariat und die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlichte letztes Jahr darüber eine Studie (1). Spätestens danach hatte das Prekariat Eingang in den Medien gefunden.

Doch Vor einigen Jahren wurde der Begriff des Prekariats von der Euromarschbewegung (2) und dem Mayday-Netzwerk (3) verwendet und fand so Eingang in die politische Debatte. Schon von Anfang aber wurde über die Tauglichkeit des Begriffs für die politische Arbeit gestritten. Manche wollten gleich das Prekariat ausrufen, das die Stelle des mit dem Fordismus verabschiedeten Proletariats übernehmen sollte.

Solche Vorstellungen wurden befördert durch das viel diskutierte Buch "Empire" von Michael Hardt und Antonio Negri, wo flexible, mobile und eben prekäre Arbeitskräfte ein wichtiger Bestandteil jener Multitude sein sollten, die nach der Ansicht der Autoren zentraler Bestandteil einer Gesellschaftsveränderung werden soll ( Eine andere Welt ist möglich (4)). Doch schnell geriet der Begriff auch in die Kritik. Wird hier nicht zusammengefasst, was eigentlich nicht zusammengehört. Oder was haben studentische Praktikanten, Putzleute aus Osteuropa und der deutsche Hartz-Empfänger eigentlich gemeinsam, außer dass sie in unsicheren Arbeits- und Lebensverhältnissen leben?

Warnung vor romantischen Vorstellungen

Der Kölner Kulturwissenschafter und Publizist Mark Terkessidis etwa wies (5) unlängst auf die prekären Lebensverhältnisse vieler Beschäftigter im Kulturbereich hin. Während sich kulturelle Aktivitäten zumindest in den Großstädten immer weiter ausbreiteten und auch zu einem Standortfaktor würden, werde über die schlechten Arbeitsbedingungen in dem Bereich nicht gesprochen. Oft könnten sich junge Kulturschaffende nur mit finanzieller Unterstützung von Eltern und Verwandten über Wasser halten. Gleichzeitig betont der Autor, dass prekäre Kulturschaffende nicht zu den Verlierern der Gesellschaft gehören, und warnt vor romantischen Vorstellungen einer Multitude aller Prekären, weil die Interessen zu unterschiedlich seien.

Wie schwierig das Bündnis zwischen Laptop und Wischmob ist, zeigte sich auch bei einer Podiumsdiskussion in Berlin, auf der über die Frage diskutiert wurde, ob und wie sich Prekarisierte organisieren können. Holm Friebe, Autor des Bestsellers Wir nennen es Arbeit (6), setzt vor allem auf die digitale Boheme, die in Kleinunternehmen den Zwängen des 8-Stunden-Tages entfliehen zu können hofft. Seine Devise lautet: "Etwas Besseres als die Festanstellung finden wir allemal." Friebe betont allerdings, dass es keine Lösung für viele Menschen ist. Deshalb plädiert er auch für starke Gewerkschaften und einen funktionierenden Sozialstaat.

Veronika Mirschel ist bei der Dienstleistungsgewerkschaft verdi für das Referat Selbstständige (7) zuständig. Dabei handelt es sich noch immer um eine verschwindende Minderheit in den Gewerkschaften. Allerdings wächst der Anteil in der Mitgliedschaft beharrlich. Es gab auch schon einige Erfolge. Nach einer Emailkampagne wurden die Pläne von Politikern, die Künstlerkrankenkasse einzuschränken (8), vorläufig ad acta gelegt. Allerdings blieben auch die Probleme von gewerkschaftlicher Organisierung von Selbstständigen bei der Diskussion nicht ausgespart. Welche Druckmittel haben sie überhaupt, wenn sie als Selbstständige nicht streiken können? Selbstständige treten in erster Linie als Konkurrenten auf den Markt gegeneinander an. Wie ist unter diesen Umständen eine Solidarität herzustellen?

Anne Allex von der Kampagne gegen Zwangsumzüge nach Hartz IV (9) sprach für den Bevölkerungsteil, der vielleicht gar nicht so falsch als abgehängtes Prekariat bezeichnet wurde. Sie haben oft nicht keinen Internetanschluss und ein Zeitungsabonnement ist im schmalen Budget eines Hartz IV-Empfängers auch meist nicht vorgesehen.

Für sie sind Worte wie Flexibilität und Kreativität eher Drohungen, die ihnen auch von den Fallmanagern ihrer Jobcenter immer wieder nahe gebracht werden Auch ein Wechsel in den Status eines Kleinunternehmers, der dann oft eher als Scheinselbständiger firmiert, ist für die wenigsten von ihnen attraktiv, so Allex. Mit Verweis auf Schriften von Peter Hartz erinnerte sie daran, dass die Bildung vieler Kleinunternehmen durchaus erklärtes Ziel der nach ihm benannten Reformen ist. Allex betonte, dass Orte der Begegnung und des Austausches für Menschen wichtig sind, die mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes auch ihr soziales Umfeld verloren haben. Bei den DGB-Demonstrationen zum 1. Mai sehen sie ihre Interessen oft nicht vertreten. Deshalb sah es Allex als positiv an, dass in diesem Jahr auch in verschiedenen Städten in Deutschland Mayday-Paraden gegen Prekarisierung (10) vorbereitet werden. Den positiven Moment sieht sie darin, dass dort die soziale Verschlechterung nicht als individuelles Schicksal oder sogar als persönliche Schuld abgetan wird. Die Betroffenen machen die Erfahrung, dass es vielen so geht und das kann ihnen Mut geben, ihre Situation auch zu verändern. Die Frage der Organisierung sei damit aber nicht gelöst, so Allex.

Kulturelle Barrieren

Einem Bündnis aller Prekarisierten stehen auch kulturelle Barrieren entgegen, die nicht einfach zu überwinden sind. Das wurde kürzlich bei einer der Mobilisierungsveranstaltung zum Mayday in Berlin deutlich. In einem Veranstaltungsraum im Stadtteil Neukölln wurde das Hörspiel "Prekarisierung die alte Ficksau" von Rene Pollesch aufgeführt. Die Kulturprekären, die Mark Terkessidis beschrieben hat, blieben dabei weitgehend unter sich. Dabei ist in der Umgebung des Veranstaltungsraumes der Anteil des abgehängten Prekariats, viele mit arabischem und türkischem Hintergrund, besonders groß Der in den letzten Jahren erfolgte Zuzug vieler Junger, Kreativer wird von den bisher dort lebenden Menschen durchaus auch mit Ängsten vor einer Gentrifizierung des Stadtteils, teueren Mieten und höheren Preisen verbunden. Das sind keine guten Zeiten für das Bündnis zwischen Laptop, Wischmob und Dönerspieß.

Editorische Anmerkung

Der Artikel wurde uns vom Autor zur Verfügung gestellt. Die Erstveröffentlichung erfolgte bei http://www.heise.de/tp/r4/artikel/25/25174/1.html