Marxistische Lehrbriefe
Das Problem der Freiheit in marxistischer Sicht Teil 2
05/07

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Freiheit im Sozialismus

Der große deutsche Philosoph Hegel schrieb einmal: „Über keine Idee weiß man es so allgemein, daß sie unbestimmt, vieldeutig und der größten Mißverständnisse fähig und ihnen deswegen wirklich unterworfen ist, als (über) die Idee der Freiheit." Solche Mißverständnisse seien „von den ungeheuersten praktischen Folgen. . ., wenn die Individuen und Völker den abstrakten Begriff der für sich seienden Freiheit einmal in ihre Vorstellungen gefaßt haben. ...", also über das nicht gründlich forschen, was denn nun Freiheit wirklich, konkret bedeutet. (G.W.F.Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, Berlin 1966, S. 387). Um dieser Gefahr in der Diskussion des Freiheitsproblems nicht zu erliegen, wurden im Lehrbrief „Freiheit in marxistischer Sicht" Teil I, (Serie E Nr. 4), die grundlegenden Auffassungen des Marxismus zum Freiheitsproblem dargelegt. Hier eine kurze Zusammenfassung:

Allgemeine Kennzeichnung der Freiheit

Freiheit bedeutet unseren Besitz an geistigen und materiellen Mitteln, mit denen wir auf die natürlichen und gesellschaftlichen Bedingungen unseres Lebens einwirken, um diese entsprechend unseren Bedürfnissen zu verändern. Dieser Besitz wurde im Laufe der Geschichte, in der Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur - in der Arbeit, in der Produktion — erworben. Dabei lernen die Menschen die objektiven Gesetze in Natur und Gesellschaft kennen und eignen sich die Fähigkeit an, unter Berücksichtigung dieser Gesetze sachgemäß zu entscheiden, zielbewußt zu handeln.

Hierbei kommt den ökonomischen Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens entscheidende Bedeutung zu. Einmal kann unsere Freiheit gegenüber den natürlichen Lebensbedingungen nie höher entwickelt sein, nie weiter reichen, als unsere Produktivkräfte - also unsere Arbeitsinstrumente, unsere Technik, unsere Arbeitserfahrung, unser exaktes Wissen -es gestatten.

Zweitens ist Freiheit davon abhängig, in welchem Verhältnis sich Menschen und Menschengruppen zu den Brot-, zu den Lebensquellen (Grund und Boden, Produktionsinstrumente) befinden. Die Klasse, die die wichtigen Produktionsmittel besitzt, hat damit zugleich die materiellen Bedingungen der jeweils möglichen Entwicklungsstufe der Freiheit unter Kontrolle. Diese Klasse kann also die Freiheit der anderen Klassen beschränken. Wenn einige wenige Großkapitalisten die Masse der Produktionsmittel besitzen oder kontrollieren, so kann das Volk nicht wirklich frei sein. Es ist dann materiell von diesen Großeigentürnern abhängig. Seine Möglichkeiten, die Früchte seiner Arbeit zu ernten, Kenntnisse zu erwerben, seine Fähigkeiten zu entfalten, sind beschränkt. Die herrschenden Ideen sind die Ideen der Herrschenden.

Mit anderen Worten, in der Klassengesellschaft ist die ökonomische, politische, geistige Freiheit klassenbedingt, ist die Freiheit der einen die Unfreiheit der anderen, die Macht der einen Ohnmacht der anderen, die Herrschaft der einen Knechtschaft der anderen, die Bildung der einen Unbildung der anderen.

Es findet ein Klassenkampf der Beherrschten und Abhängigen um die Ausdehnung ihrer Freiheit, der Freiheit des arbeitenden Volkes statt.

Freiheit ist unser Verhältnis zur Notwendigkeit, unsere bewußte Beherrschung der in Natur und Gesellschaft wirkenden objektiven Gesetze durch unser gemeinsames Handeln. Freiheit ist folglich nicht nur Erkenntnis, sondern auch Fähigkeit, Macht, um die Gesellschaft unseren Interessen entsprechend gestalten zu können.

Seit der russischen Oktoberrevolution des Jahres 1917 üben Sozialisten in einem ständig größer werdenden Teil der Welt die Macht aus. Damit stellt sich nicht mehr nur die Frage, wie Sozialisten das Freiheitsproblem philosophisch klären und wie sie die Unfreiheit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung kritisieren, sondern wie sie selbst das Problem einer wachsenden Freiheit für das Volk dort zu lösen suchen, wo sie an der Macht sind.

Welche grundlegenden Freiheiten bringt der Sozialismus dem arbeitenden Volk?

Frei von Ausbeutern - gesellschaftlich Erzeugtes wird gesellschaftlich angeeignet

Die materielle Grundlage für die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft ist die Trennung der produzierenden Klassen vom Besitz an Produktionsmitteln. Im Sozialismus ändert sich das, weil der Sozialismus wirtschaftlich auf dem Volkseigentum an allen wichtigen Produktionsmitteln beruht. Damit verschwinden die Grundlagen für die Existenz jener Klassen, die bislang - ohne selbst zu produzieren - sich das von den arbeitenden Volksschichten erzeugte Mehrprodukt aneignen konnten.

Das bedeutet, daß im Sozialismus das, was gesellschaftlich erarbeitet, auch gesellschaftlich angeeignet, daß die Ausbeutung überwunden wird. Damit verschwinden die kapitalistischen Überproduktionskrisen, die Nichtauslastung von Produktionskapazitäten, die Vergeudung menschlicher Arbeitskraft, die Sorge um den Arbeitsplatz. Freiheit im Sozialismus bedeutet darum soziale Sicherheit. Jeder Arbeiter hat das Recht auf Arbeit und bei einem bestimmten Produktionsniveau auch einen gesicherten Arbeitsplatz. Im Kapitalismus besteht selbst in den höchst entwickelten und reichsten Ländern keine soziale Sicherheit.

Mit dem privatkapitalistischen Eigentum an den Produktionsmitteln, den daraus entspringenden Klassenunterschieden und -Gegensätzen werden auch die sozialen und materiellen Schranken überwunden, die einer allseitigen Ausbildung der Fähigkeiten und Talente der Angehörigen der arbeitenden Volksschichten im Wege standen. Das ist die Grundlage, auf der sich die wichtigste produktive Kraft, der arbeitende Mensch, frei entfalten kann. Ohne das Vorrecht der Herkunft oder des Geldbeutels kann im Sozialismus jeder seine Talente frei entwickeln. Die Bildungseinrichtungen stehen allen offen. Jeder kann, entsprechend seiner Leistung, seinen Platz in der Gesellschaft einnehmen. So ist gerade der Sozialismus die einzig offene Gesellschaft.

Im Sozialismus wird die durch die wissenschaftlich-technische Revolution eingesparte lebendige Arbeit - da es kein Profitprinzip mehr gibt, — zugunsten einer verlängerten Freizeit der arbeitenden Menschen genutzt. Da aber keine vom Profitstreben beherrschte Freizeitindustrie den Menschen manipulieren kann, wird es möglich, diese Freizeit sinnvoller zu gestalten als im Kapitalismus, sie auf ein qualitativ neues Niveau zu bringen.

Frei von politischer Ohmacht — zur Mitentscheidung seines Lebens

Im Sozialismus erst erlangt der Produzent eine menschenwürdige Stellung im Produktionsprozeß. Das ist aber der Bereich, in dem die meisten Menschen nicht nur den längsten Teil ihres bewußten, sondern vor allem ihres schöpferischen Lebens zubringen.

Alle arbeitenden Menschen sind gesetzlich gleichberechtigt. Kein Arbeiter ist mehr bloßer Befehlsempfänger oder Untergebener. Kein Direktor kann mehr selbstherrliche Entscheidungen über einen Arbeiter treffen. Er weiß stets - oder das Betriebskollektiv bringt es ihm bei - daß keine Unterschiede der betrieblichen Position die grundsätzliche gesellschaftliche Gleichberechtigung aufheben oder verletzen können. Der Arbeiter hat auf allen Ebenen der Entwicklung des Betriebes, seiner Produktion, von der Produktionsberatung über die Betriebsgewerkschaftsleitung, die gesellschaftlichen Räte, über die Parteien und Staatsorgane aller Ebenen das Recht zur Mitentscheidung. Kein wichtiger Plan, kein wichtiges Gesetz kommt ohne unmittelbare Mitwirkung des Volkes zustande, auf dessen „Rücken" die Entscheidungen durchgeführt werden. Der Arbeiter hat das Recht der Beschwerde in jeder ihn betreffenden Angelegenheit. (In der DDR kann er sich zum Beispiel bis zum Staatsrat hinauf beschweren, und ein Staatsratserlaß verlangt, daß innerhalb von vierzehn Tagen jeder Beschwerde nachgegangen wird).

Solange es im nationalen und internationalen Rahmen Klassen und Klassenkampf gibt, gibt es auch die politische Macht, den Staat. Der Sozialismus kann ohne die politische Macht der Arbeiterklasse und der anderen werktätigen Schichten nicht aufgebaut werden - das wußten die Parteiprogramme der alten Sozialdemokratie, so wie die der Kommunistischen Parteien. Aber dieser Staat ist ein Instrument der Werktätigen, und er dient ihren Interessen. Im Kapitalismus, selbst in der bürgerlich-demokratischen - erst recht in der faschistischen Form seiner Machtausübung — sind die Massen von wirklicher Einflußnahme auf die wichtigen Entscheidungen ausgeschlossen, trotz der Wahlen und Parlamente, weil die wirtschaftliche Macht des Großkapitals es diesem auch ermöglicht, politische Macht (Parteien, Abgeordnete, Presse usw.) nach dem Motto zu beherrschen: wer die Kapelle bezahlt, bestimmt, was gespielt wird. In der sozialistischen Gesellschaft fallen diese Schranken, und der arbeitende Mensch hat die reale Möglichkeit, mitzuplanen und mitzuregieren.

Frei von Krieg, Kriegspropaganda, Chauvinismus und Rassismus

Im Sozialismus ist der Mensch frei von der Politik des Rüstungskapitals, das alle Gesellschaftsprozesse seinen Profitinteressen unterwirft. Das Profitmotiv und damit das Streben nach Herrschaft über Märkte, Rohstoffquellen, „Einflußgebiete" usw. ist die Hauptursache der Kriege, die untrennbar mit dem System der Ausbeutung verbunden sind. Von dieser furchtbaren Bürde kann nur der Sozialismus die Völker befreien. Soweit auch in sozialistischen Ländern gerüstet werden muß, entspringt der Zwang dazu nicht dem System, sondern der feindlichen, imperialistischen Umwelt, einer bitteren historischen Erfahrung.

Von 1917 — 1921 mußte das junge Sowjetrußland um sein Leben gegen die Intervention von 14 kapitalistischen Staaten kämpfen, die „den Sozialismus in der Wiege erwürgen" wollten (Churchill). Der barbarische Überfall des deutschen Faschismus kostete die Sowjetunion zwanzig Millionen Menschen. Oder denken wir an die imperialistischen Überfälle auf Korea, Vietnam und andere Länder. Es gibt keine Klasse, die im Sozialismus aus der Rüstung Profit schlagen könnte. Im Gegenteil: die ganze Gesellschaft leidet darunter, muß ihren Fortschritt verlangsamen. Rüstungspolitik, Militarismus, kapitalistisches Profitinteresse, diese Triebkräfte zum Krieg, sind dem Sozialismus fremd. Damit verschwinden auch die materiellen Grundlagen für die menschenfeindlichen Ideen zur Motivierung der Kriege und zur Spaltung des Volkes: für Chauvinismus, Rassenhaß, neofaschistische Hetze. Es gibt keine Ver-„Bild"-ung der Massen, keine Bewußtseins-Deformation mehr.

Frei zur Aneignung der wesentlichen Informationen

Da die sozialistische Gesellschaft zu ihrer Entfaltung die Mitentscheidung des Volkes auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens braucht, entwickelt sie eine entsprechende Informations-, Bildungs- und Erziehungspolitik: Die herrschende Kapitalistenklasse ist sorgfälig darauf bedacht, das ganze Bildungssystem in Schranken zu pressen, die den Kapitalismus verewigen sollen: Keine Vermittlung von Kenntnissen über den tatsächlichen Zusammenhang der gesellschaftlichen Grundprozesse, Heranzüchtung bestenfalls von unpolitischen Spezialisten („Fachidioten"), Verweigerung einer gründlichen wissenschaftlichen und kulturellen Bildung für das Volk. Dabei unterschlägt er vor allem jene historisch erhärteten Grundtatsachen und Entwicklungsgesetze des gesellschaftlichen Lebens, deren Kenntnis es ermöglicht, sich in der verwirrenden Vielfalt der Erscheinungen des Lebens zurechtzufinden. In der Bundesrepublik gibt es eine solche Auswahl des Informationsstoffes, daß die Masse des Volkes den grundlegenden Zusammenhang zwischen Imperialismus, Faschismus und Krieg nicht mehr kennt, von dem sie nach dem Kriegsende so viel wußte, daß selbst das Ahlener Programm der CDU demagogisch davon sprechen mußte. Unsere „Informationsfreiheit" ermöglicht ein Anwachsen der neofaschistischen Ideologie und Bewegung. In den sozialistischen Ländern gibt es so etwas nicht. Dort wird das Volk gerade über die geschichtlich erhärteten Wahrheiten unterrichtet, wird es mit einem wissenschaftlich begründeten Natur- und Gesellschaftsbild vertraut gemacht.

Persönliches und gesellschaftliches Interesse stimmen überein

Das wichtigste für die Freiheit des Menschen ist wohl, daß der Sozialismus die Möglichkeit schafft, persönliches und gesellschaftliches Interesse zur Übereinstimmung zu bringen.

Selbstverständlich ist das Handeln eines jeden Menschen zunächst eine individuelle Tat. Aber sie erwächst aus gesellschaftlichen Bedingungen und hat gesellschaftliche Folgen. Entscheidend ist, ob der Mensch fähig ist, diese gesellschaftlichen Bedingungen und Folgen seines Handelns richtig zu erkennen.

Die Vergesellschaftung der wichtigsten Produktionsmittel ermöglicht den Menschen, erstmals in ihrer Geschichte die grundlegenden gesellschaftlichen Bedingungen ihres eigenen Lebens in den Griff zu bekommen. Damit werden sie nicht nur fähig, deren Entwicklungsrichtung zu erkennen, sondern erlangen auch die Macht, planvoll zu handeln. Darum gehören Freiheit und Planung untrennbar zusammen.

Da die Menschen im Sozialismus die gesellschaftlichen Bedingungen und Folgen ihres Handelns immer besser erkennen können, tritt ein weiteres wichtiges Ergebnis ein: In dem Maße, wie sie sich dessen bewußt werden, daß in der sozialistischen Gesellschaft das, was der Gesellschaft am meisten nützt, auch immer mehr dem Individuum nützt, verwandeln sich die voraussehbaren gesellschaftlichen Folgen des Handelns in geistige Triebkräfte des Individuums, stellt sich die Einheit von individuellem und gesellschaftlichem Interesse her. Freilich ist dies nur in einem längeren und auch widerspruchsvollen Prozeß möglich, der weder Fehler noch Entstellungen ausschließt.

Frei von der Wolfsmoral - zu solidarischen zwischenmenschlichen Beziehungen

Die kapitalistischen Produktions- und Eigentumsverhältnisse, die Jagd nach dem Geld, nach Eigentum, das „Jeder ist sich selbst der Nächste", jeder ist

des anderen Konkurrent oder Feind bewirken, daß eine Art Wolfsmoral weitgehend die zwischenmenschlichen Beziehungen prägt. Auch davon befreit der Sozialismus die Menschen. Immer mehr bildet sich in dieser neuen Gesellschaft eine Gemeinschaft von Menschen gleicher Ausgangslage heraus, die sich von den geistigen und moralischen Mißbildungen der jahrhundertelangen Wirkung des Konkurrenzprinzips befreit und sie durch Beziehungen der Kameradschaft und Solidarität ersetzt.

Der Mensch ist im Sozialismus also frei zur Ausbildung seiner Talente und Fähigkeiten, zur Entfaltung seiner Persönlichkeit, zur Entwicklung brüderlich-genossenschaftlicher Beziehungen zum Mitmenschen, zur Einsicht in die tatsächlichen Bedingungen seines Lebens, zur Aneignung des Wissens und der Kultur, zur politischen Mitgestaltung, zur gesellschaftlichen Selbsttätigkeit.

Diese freie Menschengemeinschaft des Sozialismus wird bewußt, planmäßig, errichtet. Maßstab des jeweils erreichten Entwicklungsstandes ist der Grad dessen, was objektiv möglich ist, nicht eine subjektive Wunschvorstellung. Zum objektiv Möglichen gehört dabei nicht nur der erreichte Stand der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse, sondern auch das politische Kräfteverhältnis, die internationale Lage und die Reife des gesellschaftlichen Bewußtseins.

Persönliche Freiheit im Sozialismus besteht folglich darin, daß jeder in dem bewußten und sachkundigen, planmäßig und gemeinsam vorangetriebenen Prozeß, die natürlichen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen in den Griff zu bekommen und so für alle die besten Bedingungen der eigenen Entfaltung zu schaffen, seinen Platz findet und wahrnimmt.

Zur bürgerlichen Kritik am Sozialismus

Bürgerliche Kritiker behaupten, im Sozialismus gäbe es keine Freiheit, weil man nicht zwischen verschiedenen Gruppen, Verbänden, Parteien wählen könne und die Macht nicht zwischen verschiedenen Gewalten geteilt sei. Auch mancher, der sich für einen Linken, oder gar für einen Sozialisten hält, schließt sich dieser Kritik an. Er sieht vielleicht, daß es im ökonomischen Bereich Klassen, Klassengegensätze und Klassenkampf gibt, daß hier keine Lösung des „sowohl als auch" möglich ist. Aber den politischen Bereich trennt er davon ab. Auf der wirtschaftlichen und sozialen Ebene möchte er den Sozialismus, auf der politischen die „pluralistische Freiheit" des „Westens".

Worum geht es in Wahrheit?

Was bedeutet diese „pluralistische" Freiheit? Sie ist in Wahrheit und letzten Endes die „Freiheit", das großkapitalistische Eigentum und die großkapitalistische Herrschaft unter lediglich verschiedenem Etikett („Republikaner" und „Demokraten" in den USA, CDU/CSU und rechte SPD-Führer in der BRD) zu verteidigen. Sie bedeutet bestenfalls, daß das durch die Kämpfe der Arbeiter in Jahrzehnten errungene Recht, ihre eigenen anti-kapitalistischen Ansichten zu verfechten, stets größten Schwierigkeiten, Bedrohungen, reaktionären, faschistischen Tendenzen ausgesetzt ist, besonders dann, wenn das Kapital fürchtet, daß das arbeitende Volk Ernst machen will mit der Demokratie.

Es wurde im ersten Lehrbrief zum Problem der Freiheit gezeigt, daß wir es in dieser „pluralistischen" Argumentation tatsächlich mit einem Mißbrauch des Begriffs der Freiheit zu tun haben.

Wir müssen das Problem offensichtlich tiefer untersuchen: Wirklich antagonistische, grundsätzlich gegnerische Parteien sind nur politische Ausdrucksformen antagonistischer Gesellschaftsklassen. Folglich gibt es in jeder auf Ausbeutung beruhenden Ordnung antagonistische politische Kräfte. Aber im Sozialismus, wenn mit der Vergesellschaftung der Produktionsmittel die Grundlagen der Ausbeutung und der Existenz antagonistischer Klassen verschwinden, sterben — nicht sofort, nicht mit einem Male — auch die Bedingungen für die Fortexistenz antagonistischer Parteien ab. Es ist also im Kapitalismus, einer Ausbeuterordnung, selbst für die kapitalistisch beschränkte Freiheit des Volkes notwendig, darum zu kämpfen, daß sich jene Kräfte entfalten können, die auch zum kapitalistischen System in einem unversöhnlichen feindlichen Verhältnis stehen. Aber es wäre falsch, die inneren Lebensgesetze des Kapitalismus einfach auf die völlig andere sozialistische Gesellschaftsordnung zu übertragen. Der Sozialismus ist die Ordnung, in welcher die feindlichen Klassengegensätze überwunden werden. Darum bedeutet Freiheit im Sozialismus gerade die Abwesenheit von Kapitalismus, kapitalistischer Ausbeuterklassen und ihrer Parteien. Freiheit für das Kapital im Sozialismus fordern, das hieße ungefähr dasselbe, wie Freiheit für die Leibeigenschaft oder für die Sklaverei in der kapitalistischen Demokratie fordern.

Der historische Charakter der Freiheit im Sozialismus

Freiheit ist im Sozialismus, wie stets in der Gesellschaft, konkret, geschichtlich zu beurteilen. Auch im Sozialismus entwickelt sich die Freiheit. In der unmittelbar auf die Revolution folgenden Zeit, da der Sozialismus noch eine schwache Pflanze in feindlicher Umwelt war, mußte diese Freiheit von anderer Art sein als heute, da sich der Sozialismus schon festigen konnte. Sie wird sich morgen abermals wesentlich weiterentwickelt haben. Freiheit ist stets ein sich änderndes Verhältnis, dem die Entwicklung objektiver, insbesondere ökonomischer Bedingungen, zugrundeliegt. Sie erweitert sich. Durch den Prozeß des sozialistischen Aufbaus, der Beseitigung der feindlichen Klassengegensätze, des Abbaus des Gegensatzes von Stadt und Land, von Industrie- und Landarbeit und vor allem mit der gesamten wissenschaftlich-technischen und ökonomischen Entwicklung auf der Basis des gesellschaftlichen Eigentums.

Das alles erweitert die Freiheitsspielräume des Menschen im Sozialismus, die ursprünglich durch den vom Kapitalismus ererbten Stand der Produktivkräfte und der überkommenen Sozialstruktur beeinträchtigt waren.

In dem Maße, wie der Sozialismus , sich auf eigenen Grundlagen entwickelt, wie die aus jahrtausendelanger Unterdrückung in Klassengesellschaften stammende Kluft zwischen Macht und Volk schwindet, wie sich die Führungskräfte mehr und mehr aus dem ganzen Volk rekrutieren, dehnt sich die Mitwirkung des Volkes an der gesamtgesellschaftlichen Leitungstätigkeit immer mehr aus. Der Fortschritt zu immer größerer Freiheit wird sich auf der Grundlage der wissenschaftlich-technischen Revolution und ihrer vollen Nutzung zum WohJe des Volkes vollziehen. Er wird neue, rationale, von Verantwortungsbewußtsein gegenüber der ganzen Gesellschaft getragene Anschauungs- und Verhaltensweisen zur Grundlage haben. Im Ergebnis alles dessen werden, wie Marx 1875, in der Kritik am Gothaer Programm der SPD, sagte - allmählich alle Springquellen des gesellschaftlichen Reichtums voller fließen und die Gesellschaft Schritt für Schritt zum kommunistischen Verteilungsprinzip nach den Bedürfnissen übergehen können. Damit entwickelt sich eine höhere Qualität der Freiheit.

Wenn diese zukünftige kommunistische Welt nicht mehr einer machtvollen, hochgerüsteten imperialistischen gegenübersteht, wird dann der Prozeß des Absterbens des Staates einsetzen. Polizei, Armee, Justiz und die anderen Instrumente des Staates werden überflüssig werden. Das Volk selbst wird die Aufgaben, die zuvor von staatlichen Instrumenten vollzogen wurden, unmittelbar durch allgemeine gesellschaftliche Organe regeln. Es gibt, schon unter sozialistischen Bedingungen, hierfürinteressante Beispiele. Erinnert sei etwa an die Konfliktkommissionen der DDR, die Aufgaben der Justiz übernehmen, an freiwillige Milizen, die bestimmte Polizeifunktionen übernehmen. Immer mehr werden Organe verschwinden, absterben, deren Zweck es war, Macht über Menschen auszuüben. Dann wird ein Maß menschlicher Freiheit erreicht sein, das vielen heute eher als Utopie, denn als ein zwar fernes, aber durchaus erreichbares Ziel erscheint.

Erst wenn wir diese Grundmerkmale sozialistischer und kommunistischer Freiheit, ihren lebendigen, historischen Prozeß erfaßt haben, können wir richtig zu jenen Freiheitsbegrenzungen Stellung nehmen, die aus den zeitgebundenen, geschichtlichen Bedingungen des Klassenkampfes, aus dem äußerst komplizierten und harten Kampf gegen das hochorganisierte, erfahrene ausländische Großkapital, aus der komplizierten Ausgangsposition und dem kapitalistischen Erbe sich heute ergeben.

Freiheit und sozialistische Revolution

Es wäre also falsch, die Verwirklichung der Freiheit auch im Sozialismus statt unter einem historisch-gesellschaftlichen, konkreten Blickwinkel irgendwie idealisiert zu behandeln. Absolute Freiheit gibt es nicht. Notwendig hat Freiheit auch im Sozialismus Grenzen und Schranken.

Das Verständnis des Problems der Freiheit im Sozialismus wird dadurch erschwert, daß viele meinen, die sozialistische Revolution bestehe in dem verhältnismäßig kurzen Akt der politischen Machteroberung. Auch Sozialisten unterschätzen nicht selten die Schwierigkeit der Aufgabe, den Ballast einer jahrtausendelangen Entwicklung abzuwerfen, in der eine kleine Minderheit von der Arbeit der Mehrheit lebte und die das materielle sowie geistige Leben der Menschen tiefgreifend beeinflußte. Aber der Aufbau des Sozialismus ist Klassenkampf - und zwar über eine ganze geschichtliche Periode - gegen die früher herrschende Klasse der Kapitalisten und der mit ihr verbundenen Gruppen. Er ist ein oft schwerer Kampf gegen alte Gewohnheiten, Traditionen und Ideen. Er ist überdies heute ein Kampf gegen die ausländischen imperialistischen Mächte, die seit 1917 (wenn auch mit unterschiedlichen Mitteln) nur ein Ziel haben, den Sozialismus wieder aus der Welt zu schaffen. Das Freiheitsproblem wird nur allzu oft außerhalb dieser konkreten, sozialökonomischen, inneren und internationalen Prozesse der Klassen und Klassenkampfbeziehungen behandelt und darum nicht richtig verstanden.

Die sozialistische Revolution unterscheidet sich darin von der bürgerlichen, daß sich zwar im Schöße des Feudalismus schon die kapitalistischen, nicht aber im Schöße des Kapitalismus schon die sozialistischen Produktionsverhältnisse entwickeln. Darum ist zwar die bürgerliche, nicht jedoch die sozialistische Revolution mit dem verhältnismäßig kurzen Akt des staatlichen politischen Umschwungs vollendet. Bürgerliche Revolution bedeutet im wesentlichen nur, den bereits real existierenden materiellen bürgerlichen Verhältnissen einen entsprechenden bürgerlichen staatlich-politischen Überbau, einen bürgerlichen juristisch-gesetzlichen Rahmen zu geben. Sozialistische Revolution bedeutet, daß mit der Schaffung der neuen Macht die Hauptaufgabe erst beginnt: Bildung sozialistischer Produktionsverhältnisse und gesellschaftlicher Beziehungen überhaupt. Das ist keine Aufgabe für Tage und Monate, sondern - wie die geschichtliche Praxis zeigt - für Jahre und einige Jahrzehnte. Während die bürgerliche Revolution das Privateigentum an den Produktionsmitteln bestehen läßt, greift die sozialistische Revolution das seit Jahrtausenden hindurch herrschende private Produktionsmitteleigentum an. Damit löst sie die Furien des Besitzinteresses aus, das in diesen Tausenden von Jahren eine Art „zweiter Natur" der Menschheit geworden ist, den ganzen ideologischen Bereich, die Lebenspraxis der Menschheit durchdringt. Und das alles geschieht unter ganz bestimmten historisch-konkreten Verhältnissen.

Viele verstehen durchaus, daß Freiheit im Kapitalismus ein Problem des Klassenkampfes darstellt. Leider schwindet bei nicht wenigen dieses Verständnis, wenn über Freiheit im Sozialismus diskutiert wird. Sie übersehen dann die harte internationale Klassenauseinandersetzung, bemerken nicht mehr die schwere Erbschaft einer jahrtausende alten Klassengesellschaft, die der Sozialismus angetreten hat, übersehen die konkrete historische Lage, in welcher in jedem einzelnen Lande der Sozialismus aufgebaut wurde und wird. Sie nehmen nicht wahr, daß solche schwierigen Probleme sich nicht von selbst lösen, sondern daß es dazu des Kampfes, der Anspannung aller Kräfte bedarf.

Besondere Probleme in Deutschland

Für uns in Deutschland kompliziert sich das noch durch unsere besondere historische, nationale Problematik. Hier vollziehen sich Dinge, für die es kein Vorbild gibt. Erstmals wurde und wird in der DDR - einem hochindustrialisierten Land — der Sozialismus aufgebaut (vgl. Marxistischer Lehrbrief, Serie B, Nr. 5, Die Wirtschaft der DDR, Tei I, S. 1/2).

Man darf auch nicht vergessen, daß Deutschland von außen befreit wurde. Große Teile des deutschen Volkes waren Hitler gefolgt und hatten die Eroberungen des nazistischen Großdeutschlands bejubelt. Die sozialistischen Anhänger nationaler Selbstkritik und einer grundsätzlichen Umkehr erschienen vielen als „Nestbeschmutzer" oder gar als Vertreter („Agenten") einer ausländischen Macht. Die wirtschaftlich weit bessere Ausgangsposition Westdeutschlands erzeugte neue Illusionen über die Möglichkeiten des kapitalistischen Systems. Alles das erleichterte den ökonomischen, politischen und ideologischen Druck auf Ostdeutschland, die spätere DDR.

Dazu kamen auch hier wieder in hohem Maße internationale Faktoren: Der kalte Krieg, das Wettrüsten, ständige Kämpfe zwischen Imperialismus und demokratischen oder sozialistischen Kräften (Kuba, Vietnam, Griechenland usw.) Die Fortexistenz des Kapitalismus im Zentrum Europas ist für den gesamten Kapitalismus von großer Bedeutung, denn die Front des Klassenkampfes ist international.

Selbstverständlich müssen wir auch die unvermeidlichen Mängel, Schwächen, Fehler der neuen, sozialistischen Macht und ihrer Träger sehen. Denn da wird etwas aufgebaut, das es bisher noch nicht gab, für das es kein Vorbild gibt. Den Weg muß man erst mühselig suchen und freilegen. Die neuen Führungskräfte müssen sich die Kenntnisse und Erfahrungen erst aneignen. Jeder Schritt voran führt in Neuland. Da sind Fehler unvermeidlich, da muß mühsam gelernt werden. Da wird mancher Schritt vorwärts zu früh getan, muß er rückgängig gemacht, unter anderen Bedingungen wiederholt werden. Da gilt nicht die Devise: „Keine Experimente!", da wird experimentiert, verworfen, korrigiert, auf höherer Ebene erneut experimentiert, bis der richtige Weg gefunden ist. Denken wir an den Spott und den Hohn und die Verleumdung, die den Aufbau der LPG in der DDR begleiteten. Heute sind die Herren still geworden. Sie wissen, daß die genossenschaftliche Landwirtschaft ein großer Erfolg ist, daß sie so rasche Fortschritte macht und auch für die Bauern der Bundesrepublik immer interessanter wird.

Die oben skizzierten, vielfältigen, im wesentlichen dem Sozialismus aufgezwungenen, Probleme verursachen Begrenzungen der Freiheit im Sozialismus, die unvermeidlich sind, denen gegenüber die eigenen Fehler und vermeidbaren Begrenzungen, so sehr es auch gilt, sie in rücksichtsloser Selbstkritik zu überwinden, weniger ins Gewicht fallen.

Freiheitsbegrenzungen — Erbe des Kapitalismus

Aus unseren Darlegungen folgt, daß es ganz konkrete Freiheitsbegrenzungen im Sozialismus gibt, die nicht der Natur, nicht der Idee, nicht dem Wesen des Sozialismus entspringen, sondern der eben überwundenen alten Ordnung, der Stärke der alten gesellschaftlichen Kräfte, ihrem Widerstand, der internationalen Lage u.a. Das sind Begrenzungen, die mit wachsender Reife und Stärke des Sozialismus abgebaut werden können.

Zitieren wir zu dieser Frage einmal ausführlicher Lenin:

„Die Ausbeuter kann man bei einem gelungenen Aufstand im Zentrum oder bei einer Empörung des Heeres mit einem Male niederschlagen. Aber abgesehen vielleicht von ganz seltenen und besonderen Fällen kann man die Ausbeuter nicht mit einem Male vernichten. Man kann nicht alle Gutsbesitzer und Kapitalisten eines halbwegs größeren Landes auf einmal expropriieren, "(enteignen) „Ferner, die Expropriation allein, als juristischer oder politischer Akt, entscheidet bei weitem nicht die Sache, denn es ist notwendig, die Gutsbesitzer und Kapitalisten tatsächlich abzusetzen, sie tatsächlich durch eine andere, von Arbeitern ausgeübte Verwaltung der Fabriken und Güter zu ersetzen. Es kann keine Gleichheit geben zwischen den Ausbeutern, die im Laufe vieler Generationen sowohl durch Bildung als auch durch die Bedingungen eines reichen Lebens sowie durch Routine eine Sonderstellung einnahmen, und den Ausgebeuteten, deren Masse selbst in den fortgeschrittensten und demokratischsten bürgerlichen Republiken geduckt, unwissend, ungebildet, verängstigt, zersplittert ist. Die Ausbeuter behalten noch lange Zeit nach dem Umsturz unvermeidlich eine Reihe gewaltiger tatsächlicher Vorteile: es bleibt ihnen das Geld (die sofortige Abschaffung des Geldes ist unmöglich), es bleiben ihnen gewisse, oft bedeutende Mobilien, die Beziehungen, die Routine der Organisation und Verwaltung, die Kenntnis aller .Geheimnisse' (Gebräuche, Methoden, Mittel, Möglichkeiten) der Verwaltung, es bleibt ihnen die höhere Bildung, die nahe Fühlung mit dem (bürgerlich lebenden und denkenden) höheren technischen Personal, es bleibt ihnen die unvergleichlich größere Routine im Militärwesen (das ist sehr wichtig) und so weiter und so weiter. Wenn die Ausbeuter nur in einem Lande geschlagen sind - und das ist natürlich der typische Fall, denn eine gleichzeitige Revolution in einer Reihe von Ländern ist eine seltene Ausnahme - so bleiben sie doch stärker als die Ausgebeuteten, denn die internationalen Verbindungen der Ausbeuter sind außerordentlich groß. Daß ein Teil der ausgebeuteten oder am wenigsten entwickelten Massen der mittleren Bauernschaft, der Handwerker u.a.m. den Ausbeutern Gefolgschaft leistet und fähig ist, ihnen Gefolgschaft zu leisten — das haben bisher alle Revolutionen, einschließlich der Kommune, gezeigt (denn unter den Versailler Truppen gab es auch Proletarier ...).

Bei einer solchen Sachlage anzunehmen, daß bei einer auch nur einigermaßen tiefgehenden und ernsten Revolution die Dinge ganz einfach durch das Verhältnis von Mehrheit und Minderheit entschieden werden, ist der größte Stumpfsinn, ist das höchst einfältige Vorurteil eines Dutzendliberalen, ist ein Betrug an den Massen, eine Verheimlichung der offenkundigen geschichtlichen Wahrheit vor ihnen. Diese geschichtliche Wahrheit besteht darin, daß in jeder tiefgehenden Revolution ein langer, hartnäckiger, verzweifelter Widerstand der Ausbeuter, die im Laufe einer Reihe von Jahren große, tatsächliche Vorteile gegenüber den Ausgebeuteten bewahren, die Regel ist. Niemals — es sei denn, in der biederen Phantasie des biederen Narren Kautsky - werden sich die Ausbeuter den Beschlüssen der Mehrheit der Ausgebeuteten unterwerfen, ohne im letzten, verzweifelten Kampf, in einer Reihe von Kämpfen ihre Vorteile erprobt zu haben. Der Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus umfaßt eine ganze geschichtliche Epoche. Solange sie nicht abgeschlossen ist, behalten die Ausbeuter unvermeidlich die Hoffnung auf eine Restauration, und diese Hoffnung verwandelt sich in Versuche der Restauration. Und nach der ersten ernsten Niederlage werfen sich die gestürzten Ausbeuter, die ihren Sturz nicht erwartet, an ihn nicht geglaubt, keinen Gedanken an ihn zugelassen haben, mit verzehnfachter Energie, mit rasender Leidenschaft, mit hundertfachem Haß in den Kampf für die Wiedererlangung des ihnen weggenommenen .Paradieses' für ihre Familien, die ein so schönes Leben geführt haben und die jetzt von dem .gemeinen Pack' zu Ruin und Elend (oder zu .einfacher' Arbeit....) verurteilt werden. Und hinter den kapitalistischen Ausbeutern trottet die ganze Masse des Kleinbürgertums einher, von dem Jahrzehnte geschichtlicher Erfahrungen in allen Ländern bezeugen, daß es schwankt und wankt, daß es heute dem Proletariat folgt, morgen vor den Schwierigkeiten der Umwälzung zurückschreckt, bei der ersten Niederlage oder halben Niederlage der Arbeiter in Panik gerät, die Nerven verliert, sich hin und her wirft, flennt, aus einem Lager in das andere überläuft... wie unsere Menschewiki und Sozialrevolutionäre.

Und bei einer solchen Sachlage, in der Epoche des verzweifelten.verschärf-ten. Kampfes, da die Geschichte Fragen des Seins oder Nichtseins Jahrhunderte- und jahrtausendealter Privilegien auf die Tagesordnung setzt, von Mehrheit und Minderheit, von reiner Demokratie, von der Entbehrlichkeit der Diktatur, von Gleichheit des Ausbeuters mit den Ausgebeuteten zu reden - welch bodenlose Borniertheit, welcher Abgrund von Philistertum gehört dazu!"

(W.I. Lenin, aus: Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky, zitiert nach W.I. Lenin, Ausgewählte Werke in zwei Bänden, Bd. 2, S. 433-35)

Der Sozialismus wurde also nicht auf seinen eigenen Grundlagen errichtet — weder national noch international gesehen. Er tritt das schreckliche Erbe des gesamten Kapitalismus an, das in den jeweiligen Ländern zu berücksichtigen ist, wenn das Freiheitsproblem im Sozialismus konkret untersucht werden soll. Diese Diskussion darf auch nicht außer acht lassen, welche schrecklichen Kriege der Imperialismus dem Sozialismus bereits aufzwang (Interventionskrieg gegen die Sowjetunion, zweiter Weltkrieg, Krieg gegen die Volksrepublik Korea, Krieg gegen die Völker Vietnams). Es ist doch kein Zufall, daß der schrecklichste Aggressionskrieg der Geschichte gegen das erste sozialistische Land gerichtet war. Die Ausbeuter sind sich völlig darüber klar, was der Sozialismus für ihre Zukunft bedeutet!

Wir haben es hier also mit Freiheitsbegrenzungen zu tun, die nicht dem sozialistischen Ziel entspringen, sondern den konkreten historischen Bedingungen der imperialistischen Umwelt, in der er aufgebaut werden muß. Diese Freiheitsbegrenzungen sind von ökonomischer, sozialer, politischer und ideologischer Art.

Die Bevölkerung der sozialistischen Länder, so der DDR, besitzt grundlegende Freiheiten, wie sie den Bewohnern der Bundesrepublik nicht zugestanden werden: zum Beispiel Freiheit von Ausbeutung, das Recht auf Arbeit, das Recht auf Bildung, das Recht auf Freiheit von Rassenhaß, nazistischer und Kriegspropaganda.

Warum aber dann, so wird gefragt, die „Mauer"?

Zunächst deshalb, weil vor der „Mauer" die ökonomisch noch schwächere, ärmere DDR im Sinne des Alleinvertretungsanspruchs und der offen verkündeten „Befreiungs"-Politik Adenauers durch die offene Grenze in Westberlin nach allen Regeln kapitalistischer Kunst ausgeplündert, ausgesogen, ausgeblutet wurde. Damit sollte bewiesen werden, daß der Sozialismus auf deutschem Boden nicht lebensfähig sei. Zweitens darum, weil die Herrscher der Bundesrepublik nicht bereit waren,' die DDR als gleichberechtigten Staat anzuerkennen und ihre annexionistische Theorie der Interventionsfreiheit gegen die DDR aufzugeben. Drittens auch deshalb, weil in diesem härtesten Kampf der beiden Systeme (in einer Nation) die DDR, die — aus Gründen der geschichtlich schwierigeren Ausgangsposition noch schwächer war — durchaus auch bestimmte rückständige Gruppen ihrer eigenen Bevölkerung gewissermaßen vor den Folgen dieser Rückständigkeit schützen mußte. Die DDR mußte eine Stärkung des Kapitalismus durch mit teuren Mitteln ausgebildete, aus der DDR stammende, Fachkräfte verhindern.

Ähnliches gilt für die angebliche absolute „Informationsfreiheit" westlicher Art, die doch in Wahrheit darin besteht, daß Millionen einfacher Menschen von Kindesbeinen an für die „Bildzeitung" u.a. Organe bürgerlicher Massenverdummung vorgeformt werden. „Freiheit" bedeutet hier doch, Millionen Menschen mit Nationalismus zu vergiften, sie zu ohnmächtigen, manipulierten Opfern des Kapitals zu deformieren, während die grundlegenden geschichtlichen Erfahrungen verfälscht und unterschlagen werden.

Diese Art von Informationsfreiheit wird noch ergänzt durch zügellosen Antikommunismus sowie „sex and crime". Solche Bewußtseinsmanipulierung stellt den ideologischen Boden für die Herausbildung des Neonazismus dar. Indem die DDR solche „Freiheit" unterbindet, das Volk zu vergiften, indem sie der Kriegshetze, dem Rassenhaß und Nationalismus keine Freiheit gibt, handelt sie im Sinne der wahren Freiheit des Volkes.

Es gibt im Sozialismus auch Freiheitsbegrenzungen, die mit dem geschichtlichen Platz des Sozialismus selbst, Übergangsstufe vom Kapitalismus zum Kommunismus zu sein, zusammenhängen.

Es darf nicht übersehen werden, daß auch für die sozialistische Gesellschaft, als Ganzes gesehen, Freiheit notwendig begrenzt ist durch den erreichten Stand der Produktivkräfte, d.h. vor allem der Technik und der Wissenschaften. Da die vom Kapitalismus ererbten Produktivkräfte noch nicht ausreichen, die volle Bedürfnisbefriedigung der Gesellschaft zu sichern, gibt es unter sozialistischen Bedingungen kein anderes Prinzip der Verteilung der erzeugten Güter als das entsprechend der Leistung für die Gesellschaft. Aber unter den Bedingungen einer Gesellschaftsordnung, die unmittelbar aus dem Kapitalismus hervorgegangen und noch mit dessen Muttermalen versehen ist, bedeutet das notwendig Unterschiede, Ungleichheiten in der vollbrachten Leistung und folglich in dem, was der einzelne von der Gesellschaft erhält. Natürlich bedeutet das eine Differenzierung auch in der Freiheit. Auch im Sozialismus sind schon darum nicht alle auf gleiche Weise frei.

Sozialismus bedeutet, die alte Freiheit der Ausbeuter zu beseitigen. Aber damit verändern sich auch bestimmte Verhältnisse, die unter den Bedingungen kapitalistischer Ausbeutung entstanden sind. Unter kapitalistischen Bedingungen hat der eigentumslose unmittelbare Produzent, der Arbeiter, in den meisten Fällen gar keine Möglichkeit, seinen Forderungen selbst nur für bescheidene Verbesserungen und Reformen Nachdruck zu verleihen, als durch den Streik.

Mit der Aufhebung des kapitalistischen Eigentums, mit dessen Ersetzung durch sozialistisches Eigentum, verändert sich die Stellung der Werktätigen in der Gesellschaft. Was kann unter den Bedingungen, daß die Ergebnisse der Produktion nicht mehr in die Taschen von Privateigentümern fließen, sondern direkt oder indirekt allen Gesellschaftsmitgliedern zukommen, die Einstellung der Arbeit, der Streik, für einen Sinn haben? Ein solches Kampfmittel schädigt letzten Endes nur den unmittelbaren Produzenten selbst, da der Streik die Menge der gesamtgesellschaftlich angeeigneten Güter verringert. Der Streik verliert hier seinen gesellschaftlichen Sinn. Das schließt nicht aus, daß es Mißstände gibt, mit denen sich die Arbeiter auseinandersetzen müssen. Dazu gibt es Möglichkeiten in den gewerkschaftlichen Organen sowie der Beschwerde, der Mitbestimmung, der Mitplanung, des Mitregierens, wie sie im Westen nicht einmal im Ansatz vorhanden sind. Freilich ist die Praxis des Lebens, mit ihren konkreten Widersprüchen, reicher als alle Theorie. Das gilt auch für die geeigneten und wirkungsvollsten Formen der Durchsetzung von Rechten im Sozialismus und damit unter Umständen auch für das Streikproblem.

Dieses Beispiel zeigt, daß der Sozialismus nicht nur neue Freiheiten schafft, sondern auch alte Freiheiten überholt bzw., daß solche alten Freiheiten ihren Sinn, ihre Funktionen verlieren.

Vom Recht, Freiheitsbegrenzungen zu verhängen

Ein wichtiger Punkt hierbei ist folgender: Während Freiheitsbegrenzungen elementarster Art im Kapitalismus anfangs mehr durch ökonomische Mittel und Wege erreicht werden und weitergehende Freiheitsbegrenzungen durch den politischen Apparat (Notstandsgesetze usw.) auf „Ausnahmesituationen" abgestellt waren — allerdings ändert sich das im Spätkapitalismus, indem immer mehr der reaktionäre Staat zugunsten des Großkapitals die Volksfreiheiten abbaut - wurden vor allem anfangs die genannten Freiheitsbegrenzungen im Sozialismus oft durch politische Akte der Staatsführung vorgenommen. Damit stellen sich einige ernste Fragen:

Mit welchem Recht greift die staatliche Führung des Sozialismus in die Persönlichkeitssphäre von Bürgern ein?

Kann man die Beschränkung der Freiheit im Namen der Freiheit rechtfertigen? Sind nicht beide, Sozialismus und Kapitalismus, freiheitsfeindlich?

Wo liegen, wenn es solche gibt, die objektiven Maßstäbe für die Berechtigung von Freiheitsbegrenzungen?

Wie können Übergriffe, „Personenkult", „Parteiabsolutismus" vermieden werden?

Wie soll aus alledem schließlich eine neue, höhere Form der Freiheit hervorgehen?

Welche Anhaltspunkte einer wissenschaftlichen Antwort auf diese Fragen sind uns gegeben?

Die inneren Gesetze des Kapitalismus haben zu einer immer größeren Zusammenballung des Produktionsmitteleigentums in den Händen von immer weniger, aber mächtigeren Großkapitalisten geführt. Die Produktion wird dadurch immer mehr vergesellschaftet. Dem widerspricht die private Aneignungsweise so sehr, daß der Kapitalismus immer mehr zu eigentlich nicht privaten, nicht kapitalistischen Methoden wie staatlicher Regulierung, staatlicher Wirtschaftspolitik größten Ausmaßes übergehen muß. Der Kapitalismus krankt „nur" an der Tatsache der privaten Aneignung des gesellschaftlich Erzeugten. Von hier aus kann nur in der Richtung des Gemeineigentums an den Produktionsmitteln, das heißt: zum Sozialismus, vorwärtsgeschritten werden. Es ist weder möglich, für ewig auf kapitalistischem Standpunkt zu verharren, also zu leugnen, daß es weiterhin Geschichte gibt, noch gibt es einen anderen Weg nach vorwärts. Diese Entwicklung ist der Grund dafür, daß es in unserer Zeit nur zwei Grundklassen, zwei grundlegende Gesellschaftsordnungen, zwei Grundideologien, keine „dritte" Ideologie und keinen „dritten" Weg gibt: Kapitalismus oder Sozialismus. Dies muß darum der objektive Maßstab zur Beurteilung aller gesellschaftlichen Prozesse des Sozialismus sein. Was in der Richtung auf den Sozialismus hinwirkt, ist zu bejahen, was ihn verzögern soll, ist gegen den Fortschritt der Geschichte gerichtet, und damit reaktionär.

Die wesentlichen Maßnahmen, mit denen die sozialistische Staatsmacht konkrete Freiheitsbegrenzungen vornimmt, richten sich gegen restaurative und reaktionäre Kräfte, gegen alte, historisch überholte, kapitalistische Vorstellungen und Praktiken. Und zwar handelt es sich nicht einfach um veraltete Verhältnisse, sondern um solche, die im Laufe der Geschichte der Menschheit außerordentlich viel Not und Elend auferlegt, Blut und Tränen abverlangt haben. Indem die sozialistische Staatsmacht den arbeitenden Menschen, allem, was dem Sozialismus dient, freie Entfaltung gewährt und sie den alten, unheilvollen Kräften des Kapitalismus versagt, entspricht sie der Notwendigkeit, den sozialen Grundinteressen der überwiegenden Volksmehrheit, handelt sie humanistisch.

Daß es sich hier nicht um subjektive Wunschvorstellungen handelt, ist durch die Geschichte bewiesen. Hat nicht der Kapitalismus gezeigt, daß der verhängnisvolle Kreislauf von Krisen und Krieg sein Lebensgesetz ist? Hat nicht demgegenüber der Sozialismus in den wenigen Jahrzehnten seiner Existenz bewiesen, daß er eine Gesellschaftsordnung ohne Krisen, Ausbeutung und Krieg aufbauen kann? Ist die Wahrheit der marxistischen Gesellschaftstheorie und damit auch der marxistischen Lösung des Problems der Freiheit nicht dadurch erwiesen, daß von marxistischer Position aus an allen wesentlichen Wendepunkten der Geschichte in den Grundfragen richtige Urteile und Voraussagen getroffen wurden?

Die Marxisten hatten auf internationalen Konferenzen lange vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges darauf hingewiesen, welche Kräfte und welche Politik auf einen solchen Krieg hinwirkt. Wenn man die entsprechenden Beschlüsse der zweiten Internationale liest, und sie im Lichte unserer heutigen Geschichtskenntnisse prüft, so trifft man auf eine Bestätigung des Vorausgesagten, die sich nur aus der grundsätzlichen Richtigkeit der marxistischen Gesellschaftstheorie erklären läßt. Darum auch waren solche Sätze, die marxistischer Gesellschaftsanalyse entsprangen, und den Kernpunkt grundlegender Geschichtsentscheidungen zusammenfaßten, richtig: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!" (Karl Liebknecht), „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg!" (Ernst Thälmann). Solche Beispiele ließen sich in großer Zahl anführen. Sie belegen, daß sowohl von der Seite der Theorie als auch von ihrer praktischpolitischen Betätigung her die Arbeiterbewegung historisch berechtigt ist, gegen die Feinde der Freiheit des Volkes zu kämpfen und bestimmte Grenzen als notwendig zu bezeichnen und deren Einhaltung zu sichern. Gerade darin ist sie Vollstreckerin des Humanismus in unserer Zeit. Das schließt Fehler und Irrtümer im einzelnen nicht aus und ist dennoch, unter historischem Gesichtspunkt beurteilt, notwendig und berechtigt. Es steht hier also nicht Freiheit gegen Freiheit oder Unfreiheit gegen Unfreiheit. Hier stehen sich nicht zwei gleichwertige Größen gegenüber. Der Sozialismus ist eine höhere Form der Freiheit, nicht mehr Klassenfreiheit einer ausbeutenden Minderheit, sondern objektiv, auch wenn manche das nicht begreifen, die Freiheit der ungeheuren Mehrheit des Volkes. Der Sozialismus ist die nächste notwendige Stufe in dem langen Entwicklungsprozeß der menschlichen Geschichte als einer Geschichte der Freiheit. Übergriffe, „Personenkult" und „Parteiabsolutismus" werden am ehesten durch die politische Reife des Volkes, insbesondere seiner führenden Kraft, der kommunistischen und Arbeiterparteien, ihrer Mitglieder, vermieden. Selbstverständlich ist das, wie alles im gesellschaftlichen Leben, ein Prozeß. Es bedeutet auch, daß die Handelnden nicht nur aus der Theorie, sondern ebenso aus den eigenen Erfahrungen und Fehlern lernen müssen. Der Sozialismus bietet die Voraussetzungen für das Wachstum der politischen Reife: Die Möglichkeit, daß sich die Massen die fortgeschrittenste Gesellschaftswissenschaft, den Marxismus, aneignen und damit die Fähigkeit erwerben, die gesellschaftlichen Prozesse in ihren Ursachen und Folgen zu durchschauen.

Selbstverständlich ist das auch ein Problem der Institutionen, ihrer demokratischen Gestaltung, des Einbaus aller möglichen und nötigen demokratischen Sicherungen. Auch dieses Problem ist im Sozialismus lösbar, von innen her, aus eigener Kraft, wie die rücksichtslose und historisch gesehen beispiellose Selbstkritik des XX. Parteitages der KPdSU gezeigt hat. Das ist der Beweis dafür, daß der Sozialismus alle Voraussetzungen und auch alle gesellschaftlichen Kräfte entwickelt, um seinen Prinzipien widersprechende Verzerrungen und Erscheinungen zu überwinden und Hindernisse zu beseitigen, die der ständigen Weiterentwicklung der sozialistischen Demokratie entgegenstehen.

Keinerlei historisch-konkrete, aus systemfremden, äußeren oder inneren Gründen bewirkte Begrenzung der Freiheit im Sozialismus kann die Tatsache aus der Welt schaffen, daß Sozialismus nicht einfach mehr, sondern eine grundsätzlich neue Qualität der Freiheit für das arbeitende Volk bedeutet.

Editorische Anmerkungen

Marxistische Lehrbriefe, Serie E. Das moderne Weltbild, Nr. 5, Frankfurt a. M.  1968; Herausgeber: August-Bebel-Gesellschaft e. V.

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