Fußball-Kapitalismus (reloaded)

von Wal Buchenberg
05/06

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Ein symptomatisches Signal für die kommende Fußballweltmeisterschaft setzte das WM-Maskottchen "Goleo". Gleich um 20 Prozent oder 40 Millionen wollte der Spielwarenhersteller Nici mit dem blöden Plüschlöwen seinen Umsatz steigern. Nun musste die Unternehmensführung Konkurs anmelden. Gleichzeitig läuft gegen das Unternehmen ein Verfahren wegen Betrugs bzw. Bilanzfälschung.

Die kommende Fußballweltmeisterschaft sagt uns Einiges über den aktuellen Zustand des Kapitalismus. Allerdings hält sich immer noch hartnäckig die Legende, Fußball sei eine Arbeitersportart. Richtig ist daran soviel, dass die sportliche Kooperation einer Fußballmannschaft der Arbeitskooperation einer kapitalistischen Fabrik nachgebildet ist.

Die Leute, die sich auf dem Spielfeld abrackern, haben unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen. Ihr Erfolg hängt weniger von kunstvollen Einzelleistungen ab als vom sinnvollen Zusammenwirken des ganzen Teams. Der Kapitän der Mannschaft ist der Vorarbeiter. Darüber steht der Trainer als Meister und Einpeitscher, der vor allem über Disziplin und Leistungswillen wacht. Darüber steht das Vereinsmanagement, das dem Trainer und der Mannschaft die Ziele vorgibt. Hinter dem Management stehen die Eigentümer, die (möglichst) Gewinne einstreichen ohne selber was von der Sache verstehen zu müssen und ohne sich je schmutzig machen zu müssen. Jeder Fußballverein ist ein wirklichkeitsgetreues Abbild einer kapitalistischen Fabrik.

Fußball ist keine proletarische, sondern eine kapitalistische Sportart. Dass immer mehr Vereine in finanzielle Schieflage kommen und die Profite nicht so sprudeln wie erhofft, dass Gewinne auf dem Spielfeld wie in der Vereinskasse zunehmend durch Schieberei, Betrug und Bestechung erzielt werden, - auch hier ist der Fußball ein wirklichkeitsgetreues Abbild des heutigen Kapitalismus.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag erwartet durch die WM einen Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts von 0,33 Prozentpunkten. Berechnet auf das BIP von 2.244 Mrd. Euro (2005) wären das ein volkswirtschaftliches Umsatzplus von 7,4 Mrd. Euro. Bei einer (niedrig angesetzten) Profitrate von 5 Prozent würden da 400 Mio. Euro Profit für die Kapitalisten herausspringen.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist schon vorsichtig geworden und warnte vor "übertriebenen Konjunkturhoffnungen" im Zusammenhang mit der Fußball-WM. "Ein Anstieg des privaten Konsums insgesamt ist nicht zu erwarten", schreiben sie in ihrer am Mittwoch veröffentlichten Studie. Die Wirtschaftsforscher verweisen darauf, dass frühere Sport-Großereignisse in Deutschland ebenfalls keine besondere Konjunktureffekte auslösten.

Jede Olympiade und jedes andere Sport-Großereignis zeigen vielmehr, dass die Regierungen solche Veranstaltungen sowohl zum hemmungslosen Schuldenmachen nutzen als auch als staatliches Probetraining für Bürgerkrieg und Revolution.

Rund hunderttausend PolizistInnen, zehntausend Leute von privaten Sicherheitsdiensten, siebentausend Bundeswehrsoldaten und eine ungenannte Zahl ausländischer "Sicherheitskräfte" nutzen die WM für ein riesiges Bürgerkriegsmanöver gegen das Volk. Als Rechtfertigung für diese Demonstration der Staatsgewalt sind die Verantwortlichen nicht um die dümmsten Begründungen verlegen. Auf mögliche Terroranschläge wird verwiesen oder darauf, dass während des Confederations Cups 2005 in Köln bei einer Großveranstaltung 20 Menschen verletzt wurden, als Bierflaschen durch die Luft flogen. Die Staatsgewalt will uns vor uns selber schützen oder, wie es Mielke für alle Staatsschützer klassisch formulierte: "Wir lieben euch doch alle!"

Die "Arbeitsgemeinschaft WM-Städte" bezifferte ihre bisherigen öffentlichen Ausgaben mit 1,2 Mrd. Euro. Für ein das einmalige Monatsereignis WM macht das immerhin 40 Millionen Euro zusätzliche Staatsausgaben pro Tag. Die Sicherheitskosten sind da noch nicht berechnet.

Die Profit-Erwartungen an die WM sind riesig, was bis jetzt erfüllt wurde, ist lachhaft.

Die Eigentümer der WM, die FIFA, hatte vor, aus der Verwendung von gebräuchlichen Wörtern der deutschen Sprache wie "Fußball WM 2006" Profit zu schlagen - und andernfalls ihre Verwendung zu verbieten - und ist damit vor dem Bundesgerichtshof gescheitert. Daran hängen insgesamt 13 Millionen Euro allein von deutschen Sponsoren-Firmen der WM.

Immerhin bleiben der FIFA noch fünf Klingeltöne von Grönemeyers "Turnier-Hymne", mit denen soll auf dem 300 Millionen Euro schweren Handy-Markt den Kids kräftig das Taschengeld abgezapft werden. "Die WM-Melodie hat das Potenzial, zum weitest verbreiteten Klingelton aller Zeiten zu werden", schwärmt Willard Ahdritz, dessen Firma Kobalt Music garantieren soll, dass weltweit Lizenzgebühren für den Song eingetrieben werden. (FTD)

Die geplante Eröffnungsfeier der WM in Berlin mit Eintrittspreisen um die 700 Euro musste wegen mangelnder Nachfrage von der FIFA abgeblasen werden.
Nach Angaben der "Süddeutschen Zeitung wurden für rund 70.000 exklusive WM-Karten, für die 170 Millionen Euro gezahlt werden sollten (pro Karte also über 2400 Euro!), noch keine Abnehmer gefunden. Vielleicht werden die Stadien noch mit Schulkindern gefüllt, wie das in Ländern mit starkem Staat üblich ist.

In Berlin hatte die FIFA 8000 Hotelzimmer für VIPs reserviert und davon wieder 5000 zurückgegeben. Das Jammern unter den Vier- und Fünf-Sterne-Hoteliers in Berlin ist groß. Jetzt hoffen die feinen Herren auf kurzfristige Buchungen. Die mögen ja noch kommen, aber zu deutlich niedrigeren als den bisher kalkulierten Preisen. Die feine Berliner Hotelzunft mit rund 84.000 Hotelbetten im Vier- und Fünfsterne-Bereich klagt darüber, dass der Durchschnittspreis gerade einmal bei schlappen 127 Euro pro Nacht liege, während vergleichbare Hotels in Mailand, Paris und London 275 bis 290 pro Nacht herausschlügen.
Ein paar Fußballspiele machen aus Berlin halt keine Glamourstadt - erst recht nicht, solange in und um Berlin Nazis Jagd auf "Nigger" machen.

Was die Masse nicht bringt, muss das Luxus-Geschäft bringen: Die "Präsidentensuiten" im Hotel Adlon für stolze 22.000 Euro pro Nacht sind jedenfalls während der WM ausgebucht, und "höchsten Sicherheitsstandard" für Dunkelhäutige haben sie auch.

Die bisherige Liste der WM-Pleiten ist schon lang. Natürlich machen unsere Medien weiter in Optimismus. Eine schlechte Presse würde ja die schlechte aktuelle Lage noch beschissener werden lassen. Die Medien-Macher sind unsere Musiker auf der Fußball-Titanic. Hört man das Knirschen des Eisbergs, müssen sie lauter spielen.

Derweil zeigen die Börsenkurse in Richtung Süden. Am gestrigen Tag verlor der deutsche Dax-Index mit 200 Punkten so stark "wie seit fast vier Jahren nicht mehr an einem einzigen Tag".

Die Fußballweltmeisterschaft 2006 ist ein großes Spekulationsunternehmen. Wenn es nicht strafbar wäre, würde ich sagen, es ist ein großes Schwindelunternehmen. Da ist nicht einmal ausgeschlossen, dass die DFB-Auswahl das Turnier gewinnt. Beim letzten Turnier kam ein Gastgeberland, das im internationalen Fußball noch nie was gerissen hatte, bis ins Halbfinale.

Richtig, ich hatte bisher versäumt, die Schiedsrichter zu erwähnen. Sie verkörpern auf dem Fußballfeld die Staatsgewalt. Schiedsrichter sind Regierung, Richter und Polizist in einer Person. Wo immer die "unsichtbare Hand des Marktes" - sprich die Spielstärke einer Mannschaft - nicht ausreicht, da greifen die Schiedsrichter ein und entscheiden nach ihrem Gutdünken. Darauf ruhen alle "deutschen Fußballhoffnungen".
 

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien am 18.5.2006 bei Indymedia.