Eine riesige schwarze Rauchsäule kündigt das Ende des Konflikts
an. Nach neun Tagen Blockade der Reifenfabrik von Michelin in
Roanne (Département Loire, auf halbem Wege zwischen Lyon und
Clermont-Ferrand) stimmte am Freitag abend eine Vollversammlung
der streikenden Lohnabhängigen für das Ende ihres Ausstands, der
landesweit für Schlagzeile in der Presse gesorgt hatte.
Seit Dienstag Abend (9. Mai) hatten sie die Eingänge zur Fabrik
blockiert und davor Autoreifen in Brand gesetzt, um ein
symbolisches, beeindruckendes Hindernis zu schaffen. Am Freitag
abend um 20 Uhr nun setzten die den Rest der gebrauchten Reifen,
die sie vor der Halle aufgestapelt hatten, in Brand. Nicht weiber
Rauch wie bei der Papstwahl, sondern eine ätzende schwarze
Rauchkolonne kündete also von der soeben erzielten Einigung.
Intensivierte Arbeitshetze und Stellenabbau
Aber worum ging es bei dem Streik?
In
der Fabrik in Roanne arbeiten 930 Beschäftigte, davon rund 600
in der Produktion. Sie produzieren Reifen für grobkalibrige
Luxusautos vom Typ Ferrari, Porsche, Audi u.a. Ungefähr 30
Prozent der Produktion werden exportiert, «vor allem nach
Deutschland» (so die Wirtschaftszeitung ‘La Tribune’ vom 09.
Mai).
Bei «ihrer» Fabrik handelt es sich um eine Pilotanlage, die
angeblich «vorbildliche» und supermoderne Produktionstechniken
erproben soll. Seit nunmehr drei Jahren wurde eine neue
Arbeitsorganisation eingerichtet, die den Lohnabhängigen mehr
Abwechslung und anspruchsvollere Tätigkeit bringen soll –
allerdings ohne höheren Lohn. Im Namen des Interesses der
Lohanbhängigen, nicht mehr allein repetitive und monotone
Tätigkeiten zu verrichten, erhöhte die Direktion auf diesem Wege
die Produktivität. Im Rahmen einer Just-in-Time-Produktion
übernehmen die Produktionsarbeiter so vor allem Wartungs- und
Reparaturarbeiten und sind für den reibungslosen
Produktionsablauf verantwortlich, wobei sie bisherige Aufgaben
von Gruppenchefs mit übernehmen. Die Produktion läuft an 7 Tagen
pro Woche.
Die Fabrik in Roanne produzierte im zurückliegenden Jahr 2005
insgesamt 4,28 Millionen Reifen. Für das laufende Jahr hatte die
Direktion nun das Ziel vorgegeben, die Zahl auf fast 4,6
Millionen zu erhöhen. Dieses höher gesteckte Ziel sollte
allerdings mit einem niedrigeren Personalstand erreicht werden,
denn gleichzeitig war die Streichung von 46 Arbeitsplätzen
geplant (vor allem durch Nichtersetzung altersbedingter u.a.
Abgänge).
Die Direktion dagegen berief sich darauf, dass es sich ja nicht
um Entlassungen handele, sondern «nur» um die Nicht-Vornahme von
Einstellungen auf frei gewordene Stellen. Die entsprechende,
vorhandene Arbeit wäre freilich auf die verbleibenden
Produktionsarbeiter aufgeteilt worden. Ferner beruft sich die
Firmeneleitung zugleich darauf, sie sei «die einzige Firma im
Département Loire, die (mehrere) Neueinstellungen vornimmt», da
sie nämlich die Umwandlung von 20 befristeten Arbeitsverträgen
in unbefristete Verträge in Aussicht gestellt hatte. Das ist
erfreulich für diejenigen, die es betrifft - aber es handelte
sich dabei um Personal, das bereits (bisher befristet) in der
Fabrik arbeitete, also keineswegs um zusätzliche
Mitarbeiter(innen).
Die Gewinne des Reifenherstellers Michelin, dessen Hauptsitz in
Clermont-Ferrand ansässig ist, erreichten im Jahr 2005 einen
neuen Rekord: 889 Millionen Euro (plus 35,9 % gegenüber dem
Vorjahr). Dennoch hatte die Zentrale in Clermont-Ferrand, seit
Dezember 05, für das laufende Jahr 2006 nur eine Lohnerhöhung
von 01,6 % für das gesamte Personal genehmigt (knapp über dem
Inflationsausgleich). In Roanne hieb
es, dass es nicht in Frage komme, über die am Hauptsitz
beschlossene «zentrale Lohnerhöhung» hinaus zu gehen. Deshalb
nahmen die streikenden Beschäftigten auch die Erhöhung der Löhne
in ihre Forderungen auf.
Der Konflikt war seit zwei Monaten ausgebrochen
Gegen die sich verschärfende Arbeitshetze und Intensivierung der
Tätigkeit traten einige Beschäftigte, die Rede ist von ungefähr
30, bereits im März dieses Jahres in den Streik. Der offene
Konflikt schwelte also bereits seit zwei Monaten. Am Donnerstag,
04. Mai traten erneut Lohnabhängige der Fabrik in Roanne in den
Streik, doch dieses Mal in gröberer
Zahl. Seitens der Gewerkschaften (SUD Michelin und die CGT
riefen zu dem Ausstand auf, nicht dagegen die sozialliberale
CFDT) und in den Zeitungen war die Rede von 200 bis 250
Streikenden unter insgesamt circa 600 Produktionsarbeitern.
Dagegen sprach die Direktion, die um das Herunterspielen der
Situation bemüht war, von 120 bis 130 Streikenden.
Ab
Dienstag, den 09. Mai verschärfte sich der Streik. Während es
sich bisher um einen rotierenden Streik handelte (jeweils ein
Teil der Belegschaft legte die Arbeit nieder), die Produktion
aber noch weiter lief, gingen die Ausständischen nunmehr zum
Lahmlegen der gesamten Produktion über. Ab Dienstag abend fingen
sie ferner an, alle Eingänge zu blockieren, so dass die Fabrik
nicht mehr beliefert werden konnte. Dort gingen alle Vorräte an
Rohstoffen (Kautschuk, Reifengummi) zu Ende, so dass die
Fabrikleitung die gesamte Anlage ab Mittwoch – zunächst für drei
Tage – schloss, weil nicht weiter produziert werden konnte. Die
Direktion ordnete technische Arbeitslosigkeit an und kündigte
an, auch den Nichtstreikenden drei Urlaubstage abzuziehen, um
diese gegen die Ausständischen aufzuwiegeln.
Veränderung der Gewerkschaftslandschaft bei Michelin ermöglichte
den kämpferischen Streik
Die gewerkschaftliche Landschaft bei Michelin in Roanne hat sich
in den letzten Jahren spürbar verändert. Früher existierte in
dem Grobbetrieb
allein die CFDT, die auf nationaler Ebene einen
rechtssozialdemokratischen und pro-neoliberalen
Gewerkschafts-Dachverband darstellt. Doch seit dem Jahr 2001 hat
die CFDT im Betrieb sich nachhaltig diskreditert: Damals schloss
die CFDT bei Michelin mit der Direktion ein Abkommen zur
Arbeitszeit (zur 35-Stunden-Woche), das durch die Basis grobenteils
als Skandal betrachtet wurde. Im «Gegenzug» zur Verkürzung der
Arbeitswoche nahm die CFDT mit ihrer Unterschrift nicht nur (wie
auch in vielen anderen Unternehmen, im Zuge der damaligen
Einführung der 35-Stunden-Woche unter einer sozialdemokratischen
Regierung, aber unverändert neoliberalen Vorzeichen) «flexible»,
variable Arbeitszeiten hin. Sie akzeptierte durch ihre
Unterschrift auch eine enorme Ausweitung von Samstagsarbeit (an
fast jedem zweiten Samstag im Jahr) und Wochenendarbeit.
Daraufhin spaltete sich die gesamte CFDT-Sektion.
Heute erhält die CFDT bei Michelin in Roanne, wo sie früher alle
Sitze im Comité d’entreprise (CE, ungefähre Entsprechung zum
deutschen Betriebsrat) besetzte, noch rund 20 Prozent der
Stimmen. Und diese erhält sie auch nicht unbedingt bei den
Produktionsarbeitern, sondern eher bei den ‘weiben
Kragen’... Aus einer Abspaltung der CFDT entstand SUD Michelin,
ein Ableger des linksalternativen Zusammenschlusses von
Basisgewerkschaften SUD-Solidaires. Heute erhält SUD Michelin in
Roanne 70 Prozent der Stimmen. SUD leitet das Betriebsäquivalent
(Comité d’entreprise) unter dem neuen CE-Sekretär Jérôme Lorton.
Gleichzeitig enstand bei Michelin Roanne auch die CGT neu.
Am
jüngsten Streik waren SUD und die CGT aktiv beteiligt. Die CFDT
dagegen rief nicht zur Arbeitsniederlegung auf, und spielte in
ihren verbalen Stellungnahmen das Weltkind in der Mitten – denn
die Lage ist vertrackt und kompliziert: «Wir sind eingekeilt
zwischen zwei Extrempositionen: Solange die Direktion nicht über
die Forderungen diskutiert, will SUD die Fabrik weiterhin
blockieren. Und so lange SUD blockiert, will die Direktion nicht
diskutieren.» (Originalton Jacky Banse, CFDT-Vertreter im CE,
laut ‘Libération’ vom 11. Mai.) Hach, was ist doch alles so
schrecklich kompliziert, da weib
man ja gar nicht ein noch aus... Im Übrigen müsse man ja auch
die Leute von der Unternehmensleitung verstehen, denn für die
seien die Dinge ja auch nicht einfach: «Der Direktor wurde vor
zwei Monaten ausgewechselt, der Leiter der Personalabteilung
Anfang Mai. Man muss ihnen ein wenig Zeit lassen. Wir haben dem
Dialog den Vorzug gegeben.» (Originalton Jean-Daniel Beal,
CFDT)
Und was kam dabei ‘raus?
Und was kam nun bei dem Streik heraus? Zunächst rief die
Direktion die Richter an, und erhielt am Mittwoch ein ihr
wohlgefälliges Urteil (im Eilverfahren) des Zivilgerichts von
Roanne. Darin wird die Blockade für illegal erklärt und «allen
unbefugten Personen untersagt, das Herein- oder Herausfahren der
Schwerlastwagen der Fabrik zu verhindern, unter Androhung eines
Ordnungsgeldes von 200 Euro pro festgestellte
Ordnungswidrigkeit». Doch zugleich wollte die Direktion, wohl
aus Furcht vor einer Eskalation oder weiteren Radikalisierung,
nicht die Polizei herbei rufen. Am Donnerstag stimmten die
Streikenden ihrerseits in einer Vollversammlung für die
Fortführung der Blockade.
Am
Freitag dann wollte die Direktion zu einem raschen Abschluss
kommen, um eine Störung der im (nicht weit entfernten)
zentralfranzösischen Clermont-Ferrand tangenden
Aktionärsversammlung zu verhindern. Die Gewerkschaften
ihrerseits führten eine Kundgebung in Clermont-Ferrand durch.
Im
Laufe des Freitag wurde ein «Kompromissvorschlag» der Direktion
bekannt. Die blockierten Löhne sollen örtlich erhöht werden,
indem die bisher an einzelne Beschäftigte ausgezahlten
Leistungsprämien an das gesamte Personal bezahlt werden. Die
Lohnerhöhung soll also indirekt durch die Prämien aufgefangen
werden. Und was «die Fragen der Arbeitsbedingungen»
(Produktivität, Leistungshetze usw.) betrifft, sollen
«Reflexionsgruppen» eingerichtet werden, in denen alle
Forderungen der abhängig Beschäftigten im Hinblick auf ihre
Arbeitsbedingungen aufgelistet und untersucht werden sollen.
Das ist (was den zweiteren Punkt betrifft) noch nichts wirklich
Greifbares, auch wenn die Firmenleitung die Lohnabhängigen wohl
kaum total leer wird ausgehen lassen können. Aber angesichts der
Drohung, die technische Arbeitslosigkeit am Produktionsstandort
Roanne auch in der kommenden Woche fortzuführen und allen
Beschäftigten (ob Streikenden oder nicht) ihren Lohn zu
verweigern, lenkten die Gewerkschaften auf diesem Stand
schlussendlich ein. Eine Vollversammlung, an der rund 100
Beschäftigte teilnahmen, stimmte der Einigung am Freitag zu.
Gleichzeitig verkündete der Firmenerbe Edouard Michelin auf der
Aktionärsversammlung in Clermont-Ferrand, bei der Erreichung der
Profitziele («eine steigende Umsatzzahl und eine Gewinnspanne
in gleicher Höhe wie in 2005») könnten sich die Dinge im
laufenden Jahr schwieriger gestalten. Explizit führte er dabei
vor allem die gestiegenden Erdöl- und Treibstoffkosten an. Am
Freitag abend verlor die Michelin-Aktie, bei Abschluss der
Pariser Börse, dort um 8,40 Euro an Wert und fiel auf 54,55
Euro.
Am
Samstag früh um 5 Uhr, zum Ende der durch die Direktion
angeordneten «Zwangsurlaubs»periode, öffnete die Fabrike ihre
Tore wieder.
Editorische Anmerkungen
Der Artikel wurde
uns am 16.5.2006 vom Autor am zur Veröffentlichung überlassen.
|