Buchbesprechung
Spanische Erinnerungskultur

von Peter Nowak
05/06

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Walther L. Bernecker/Sören Brinkmann:
Kampf der Erinnerungen. Der Spanische Bürgerkrieg in Politik und Gesellschaft 1936-2006, 378 Seiten, Graswurzel Buchverlag, 20,50 Euro

In unserer so jubiläenreichen Zeit dürfte auch der Beginn des spanischen Bürgerkriegs vor nun mehr 70 Jahren im Jahr 2006 nicht ganz ohne öffentliches Interesse über die Bühne gehen. Im Rückblick war es das kollektive entschlossene Aufbäumen gegen die  Barbarei des Faschismus und Nationalsozialismus, dass die Menschen in die spanischen Schützengräben führte. Doch es war mehr, als ein antifaschistischer Kampf. Spanien war auch ein Experimentierfeld für sozialrevolutionäre Ideen und Vorstellungen. Eine Linke, die mit Schrecken die Etablierung des Stalinismus in der Sowjetunion wahrnahm, hoffte auf neue revolutionäre Impulse aus Spanien.

Ist das 70 Jahre später alles nur noch Vergangenheit? In Wirklichkeit hat der Kampf um die Erinnerung an diese Zeit gerade erst begonnen. Das ist zumindest das Fazit eines rechtzeitig vor dem Jubiläum im Graswurzel-Verlag erschienenen Buches mit dem bezeichnenden Titel „Kampf der Erinnerungen".

Im ersten Teil hat der Erlanger Hispanistik-Professor Walther Bernecker noch einmal in knapper Form die geschichtlichen Hintergründe der Auseinandersetzung skizziert. „Es war die Konfrontation zwischen der grundbesitzenden und in archaischen Strukturen verwurzelten Oligarchie mit ihren Verbündeten, die zu keinerlei Veränderung ihrer aus dem 19. Jahrhundert überkommenden privilegierten Stellung bereit waren, und den Sektoren der Land- und Industriearbeiter, die in der Republik das Vehikel zur Überwindung ihrer überkommenden Benachteiligung erblickten und sich, nachdem sie in ihrer Hoffnung auf schnelle Veränderungen ihrer Situation enttäuscht waren, von der bürgerlich-demokratischen Republik ebenso abwandten, wie ihre „Klassenfeinde" dies bereits getan hatten."

Das Dilemma der Anarchosyndikalisten

Bernecker hat auch sehr prägnant die Entwicklung des Anarchosyndikalismus beschrieben, der an den Weg vieler grüner und alternativer Parteien im Westeuropa der letzten Jahrzehnte erinnert. Nach ihrer Beteiligung an der Regierung gaben sie ihre radikale Programmatik in kürzester Zeit auf. „Ihre Entscheidung, mit der Regierung und den politischen Parteien – ihren bisherigen ärgsten Gegnern - zusammen zu arbeiten, war der Anfang einer politischen Entwicklung, die nicht nur zur Akzeptierung des Staatsapparates und der Regierung, sondern konsequenterweise zur Teilhabe an der Macht führte."

Im Gegensatz zu vielen anarchistischen und anarchosyndikalistischen Geschichtsschreiben legt Bernecker mehr Wert auf die Auseinandersetzungen im libertären Lager als auf die Kämpfe mit der stalinisierten KP und kommt damit der realen historischen Bedeutung wohl wesentlich näher.

Der größte Teil des Buches wurde von dem Erlanger Nachwuchswissenschaftler Sören Brinkmann verfasst, der gut herausarbeitet, wie es der Franco-Herrschaft gelungen ist, sich nach der Niederlage der faschistischen Achsen-Mächte an der Macht zu halten und bald als zwar nicht ganz koscherer aber wichtiger Bündnispartner gegen den Kommunismus im kalten Krieg auf Seiten des Westens galt. Franco und seiner Herrschaftsclique gelang das, was deutsche Altnazis bis in die höchste Führungsebene der NSDAP erträumten.

Den Ausbruch des kalten Krieges abzuwarten und sich dann auf Seiten des Westens zu positionieren. Deswegen konnte das von Franco und Mussolini etablierte Regime bis Mitte der 90er Jahre an der Macht bleiben und seinen Terror ausüben. Nach Francos Tod gab es dann auch nicht mal einen formalen Bruch. Die durch das Regime aufgezwungene Monarchie übernahm den Staat und leitete die langsame Anpassung an das westeuropäische kapitalistische Modell ein. Schließlich boomte auch in Spanien die Wirtschaft seit Mitte der 60er Jahre. Das Kapital hatte in dem faschistischen Staat ohne unabhängige Gewerkschaften und mit einer zerschlagenen und illegalisierten Arbeiterbewegung geradezu paradiesische Bedingungen.

Partner des Westens

Jede Erinnerung an die Republik stand auch nach Francos Tod unter einem Tabu. Dazu haben die Terrormaßnahmen des Regimes wesentlich beigetragen. Die Republikaner galten in den Augen der Sieger als „Anti-Spanier", die in Konzentrationslagern durch Zwangsarbeit wieder auf den rechten Weg zurück gebracht werden mussten. Brinkmann beschreibt, wie diese Zwangsarbeiter nicht nur zahlreiche Monumente, mit denen sich das Regime feierte, sondern auch Kanäle, die Madrider Universitätsstadt und industrielle Infrastruktur aufbauen mussten. Davor aber hatte das Regime Zigtausende Republikaner hinrichten lassen. Schon während die Kämpfe noch im Gange waren, wütete der braune Terror, anfangs noch mit Unterstützung der Gestapo, die manchen republikanischen Flüchtling in den von Deutschland eroberten Ländern einfing und an die spanischen Häscher auslieferte. Aber der Terror ging auch nach 1945 weiter und die neuen Bündnispartner nahmen daran keinen großen Anstoß.

Nur in der Selbstdarstellung des Regimes wurden nach dem Ende des zweiten Weltkrieges manche Retuschen vorgenommen. Man erwähnte jetzt diskreter, dass man für die „spanische Rasse" und gegen das „internationale Freimaurertum" angetreten war und strich dafür die Todfeindschaft mit dem Bolschewismus heraus. Auch der Beteiligung am Krieg der Achsenmächte gegen die Sowjetunion wollte man sich nicht schämen. Die Angehörigen der sogenannten Blauen Divisionen, überzeugte Faschisten, die an der Seite der deutschen Mordkommandos in der Sowjetunion aktiv waren, wurden von der rechtskonservativen Regierungspartei Partido Popular (PP), wie sich die Nachfolgeformation der Franco-Partei nannte, noch in den 90er Jahren geehrt. Da hatten es die verfolgten und verfemten Republikaner schon schwerer. Sie konnten überhaupt nur auf eine bescheidene Versöhnungsgeste rechnen, wenn sie sich als Teils eines schicksalhaften Kampfes, der Spanien befiel, sahen. Sobald sie ihre politischen Inhalte, seien sie republikanischer oder gar sozialrevolutionärer Natur weiterhin verteidigen, mussten sie mit heftigen Reaktionen rechnen. Sei würden den Prozess der Versöhnung stören, war noch eine der harmloseren Vorwürfe.

Es ist umso bedauerlicher, dass Sören Brinkmann sich diese Einschätzung implizit zu eigen macht. Sein fast penetranter Verweis auf die westliche Demokratie als einzig mögliche Herrschaftsform führt sogar zu Geschichtsklitterungen. So bezeichnet Brinkmann den Eintritt Spaniens in die Nato im Jahr 1986 als Anschluss an den Westen. Dabei wird in dem Buch an vielen Stellen deutlich, dass Spanien unter Franco schon den Anschluss an den Westen, den die Nato repräsentiert, gefunden hatte. Gar nicht erwähnt wird die breite Bewegung der spanischen Zivilgesellschaft, die unter der Parole „Otan no" die Mitgliedschaft im westlichen Kriegsbündnis vehement ablehnte. Anders als Brinkmann sahen sie in dem Kampf gegen Nato und die Hinterlassenschaften der Francoherrschaft einen Zusammenhang und in der westlichen Demokratie nicht der Weisheit letzter Schluss.

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde uns vom Autor am 19.5.2006 zur Verfügung gestellt.