Tschad und Sudan: Neue Spannungen in der ostafrikanischen Krisenregion
Im Hintergrund ringen internationale Akteure um neu erschlossene Ölquellen. Mit dabei: Frankreich, die USA, die VR China und die Weltbank...

von Bernhard Schmid
05/06

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Wird es dem tschadischen Präsidenten Idriss Déby gelingen, seiner Legitimation noch einmal eine frische Tünche zu verpassen? Kaum zwei Wochen nach den blutigen Kämpfen, die sich vor kurzem in der Hauptstadt N'Djamena abspielten und die zum Abbruch aller offiziellen zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen den Nachbarländern Tschad und Sudan führten, möchte der Staatschef in dieser Woche, am 3. Mai, die nächsten Präsidentschaftswahlen abhalten lassen. An ihrem Ausgang, unter gegebenen Bedingungen, hegen Freund und Feind keinerlei Zweifel. Sorgen dagegen machen sich viele Beobachter um die kurz- oder längerfristige Stabilität in der Region, nachdem die zwischenstaatlichen Spannungen zwischen Tschad und Sudan stark zugenommen haben und am 30. April zudem noch die Friedensgepräche für die westsudanesische Kriegsprovinz Darfur für gescheitert erklärt worden sind. Im Hintergrund steht die Rivalität internationaler Groβmächte und wirtschaftlicher global players um die frisch erschlossenen Erdölvorkommen der Region: Der Sudan konnte im August 1999 dem Club der Ölförderländer neu beitreten, der Tschad seinerseits gehört seit 2003 dazu. Im Inland wie im Ausland wuchsen seitdem die Begehrlichkeiten...

Am Sonntag, 30. April haben die Wahlvorgänge bei den nomadisch lebenden Bevölkerungsgruppen im Nordtschad – die mehrere Tage Zeit für die Stimmabgabe haben – und den im Ausland lebenden tschadischen Staatsangehörigen bereits begonnen. Bisher, so hieβ es am Sonntag im französischsprachigen Radiosender “Radio Africa Numéro 1”, seien die Wahloperationen dort ohne Zwischenfälle verlaufen. Die bewaffneten Rebellen hatten ebenso wie die zivile, demokratische Opposition eine Verschiebung der Urnengänge gefordert.

Bereits die vorangegangenen Wahlen, an denen der 1990 durch militärische Gewalt an die Macht gekommene Idriss Déby (1996 und 2001) teilnahm, konnte nicht eben als Musterbeispiele für praktizierte Demokratie gelten und wurden damals durch die Opposition wie durch internationale Wahlbeobachter kritisiert. Mindestens einer der drei jetzigen Mitkandidaten des Staatsoberhaupts, deren Bewerbung als “Sparringspartner” von Präsident Déby selbst finanziert worden ist, mit Namen Kassiré Delwa Coumakoye hat inzwischen allerdings Abstand zu dem Ansinnen genommen, die Wahlen zum vorgesehenen Termin abzuhalten. Die offiziellen Staatsorgane wollen dagegen von einer Verschiebung, so kurz nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen mit mehreren hundert Toten, nichts wissen. Sie berufen sich darauf, dass im Falle eines Aufschubs ein juristisches Vakuum an der Staatsspitze entstünde. Abzuwarten bleibt, ob die Wahl tatsächlich durchgeführt werden kann, oder ob die - selbst vielfach zersplitterten - Rebellen ihre Ankündigung wahr machen können, einen neuen Sturm auf die Hauptstadt zu starten und die Abhaltung der Wahlen zu verhindern. Letztere Variante scheint allerdings im Moment eher unwahrscheinlich, und die Durchsetzungschancen der Rebellen sind seit den jüngsten blutigen Zwischenfällen erheblich gesunken. Die postkoloniale “Schutzmacht” Frankreich ihrerseits hat bereits politisch Aufstellung hinter den Machthabern in N ' Djamena genommen.

Doch beginnen wir mit einer kurzen Rückblende.

Unter der prallen Sonne, bei 41 Grad, werden die Kriegsgefangenen der schaulustigen Menge vor dem Präsidentenpalast präsentiert. 257 barfübige Gefangene, in Militärklamotten oder Lumpen, unter ihnen auch einige Heranwachsende, sind so den Blicken der Hauptstädter ausgesetzt. 
 
Die Szene stammt nicht aus einem Triumphzug im antiken Rom, sondern vom Freitag vorletzter Woche, dem 14. April. Sie spielte sich in der tschadischen Hauptstadt N¹Djamena ab. Nicht erbeutete Schwerter und Schilde wurden auf dem glühenden Asphalt aufgereiht, sondern von Kugeln durchlöcherte Pick-ups, also Lastwagen mit Ladeflächen, auf denen ein Maschinengewehr aufgepflanzt ist. Am Boden liegen Kalaschnikows ausgebreitet, die den besiegten Rebellen gehörten. Am Sonntag dann heben Bagger am Stadtrand von N’Djamena zwei Gruben für Massengräber aus, dann werden die aus dem Zentrum herbeigeschafften Leichen abgeladen. Augenzeugen sprechen gegenüber dem Figaro-Korrespondenten Patrick de Saint-Exupéry davon, dass auch die Leichname von Frauen und Kindern neben denen von uniformierten Soldaten und Rebellen in die Gruben geworfen worden seien. Neben den beiden Massengräbern erblickt der Afrikaexperte (der 1994 durch seine kritischen Berichte über Frankreichs Agieren gegenüber dem Völkermord in Ruanda bekannt wurde) auch mindestens acht Kindergräber, die abseits ausgehoben wurden ­ für die Opfer von ‘verirrten Kugeln’ und Querschlägern.   

Die offizielle Bilanz der tschadischen Behörden spricht zunächst von «400 Toten, darunter 370 Rebellen» in der Hauptstadt. Andere Quellen fügen hinzu, dass es schätzungsweise 1000 im gesamten Land gegeben habe. Staatspräsident Idriss Déby gibt auf einer Pressekonferenz am vorigen Dienstag an, die Regierungsarmee des Tschad, ANT, verzeichne 40 getötete Soldaten in ihren Reihen.

Präsident “ITI”, wie ihn seine Anhänger nennen, als Abkürzung seines vollen Namens Idriss Déby Itno, spricht auch von 60 bis 70 getöteten Zivilisten landesweit. Die Hilfsorganisation Médecins sans frontières hat darüber hinaus mindestens 100 verletzte Zivilpersonen behandeln müssen. 

Eine vorbereitete Falle?

Was Präsident Déby nicht sagt, ist, dass die Regierungstruppen ­ die auch nach eigenen Angaben des Präsidenten auf das nächtliche Einrücken der Rebellen in der N¹Djamena vorbereitet waren ­ mitten in der Stadt Artillerie und Panzer einsetzten - ohne Rücksicht auf Verluste. Der Sonderberichterstatter der Pariser Abendzeitung Le Monde Philippe Bernard spricht davon, dass verletzte und kampfunfähige Rebellen durch die Regierungstruppen umgebracht worden seien, und dass ­(lebende oder tote?)­ Leiber in den Fluss Chari geworfen seien. Einen Augenzeugen zitiert er mit den Worten, was am Donnerstag, den 14. April passiert sei, müsse man als «Schlächterei» beschreiben.
 
In der Nacht vom 13. zum 14. April war es im Südosten des Landes operierenden Rebellenverbänden der «Vereinigten Kräfte für die Veränderung» (FUC), die mit rund 1.000 Mann von der sudanesischen Grenze her vorrückten, zunächst gelungen, in Au
benbezirke von N¹Djamena einzudringen. Am frühen Morgen erreichten sie das Zentrum der Hauptstadt. Davon waren sie anscheinend selbst überrascht, und alles deutet darauf hin, dass die Rebellen völlig unvorbereitet auf die neue Situation waren. Augenzeugen berichten, dass sie Einwohner nach «dem Palast» gefragt hätten, dabei den Amtssitz des Präsidenten meinend. Überraschte und den Ausdruck «Palast» falsch interpretierende Anwohner hätten sie vor die Nationalversammlung geschickt. Tatsächlich ereigneten sich die entscheiden Kämpfe vor dem tschadischen Parlament, auf dessen Treppenstufen die Rebellen schnell aufgerieben wurden. 
 
Die Regierungstruppen waren keineswegs überrumpelt. So sagt auch Staatspräsident Idriss Déby im Interview mit dem Figaro vom vorigen Mittwoch: «Als die Söldnerkolonne in N¹Djamena ankam, wurde sie erwartet. Unsere Kräfte waren da. Der Hinterhalt stand bereit. Wir haben ihnen die Croissants und den Café hei
b serviert, sehr heib.» Dass die Staatsmacht über das Vorrücken der lockeren Rebellenverbände informiert war, das verdankt sie ­(wie der Präsident auch keineswegs verschweigt, sondern in dem Figaro-Gespräch explizit affirmiert) der im Tschad stationierten französischen Armee.

Mindestens einen Teil ihrer Fahrzeuge und mutmaßlich auch ihrer Waffen konnten die Rebellen, obwohl sie in der Hauptstadt zusammen geschossen wurden, jedoch allem Anschein nach retten. Ob es sich bei ihrer Ankündigung, demnächst erneut auf die Hauptstadt vorzustoßen und die "Wahlfarce" vom 03. Mai "verhindern" zu wollen, nicht doch eher um Großsprecherei handelt, bleibt dennoch abzuwarten. Zweifellos dürften die Rebellen militärisch spürbar geschwächt worden sein. 

Frankreich hält den Sturz des Regimes auf

Normalerweise besteht die Stärke der Rebelleneinheiten darin, dass sie mit ihren Pick-Ups aus dem Nichts auftauchen und hoch mobil agieren können.  Doch die französischen Soldaten, deren Luftaufklärungs-Kapazitäten denen der nationalen Streitkräfte weitaus überlegen sind ­-- die ANT verfügte bislang über einen einzigen Hubschrauber, der bei den jüngsten Kämpfen auch noch abgeschossen wurde -- hatten dem Regime unter Idriss Déby genaue Informationen über das Vorrücken der Rebellen geliefert. Die französischen Soldaten der «Operation Epervier (Sperber)» sind seit 1986 im Rahmen eines permanent-provisorischen «Manövers» im Tschad stationiert, wo Frankreich offiziell keine Militärbasis unterhält. Ihre Truppenstärke war zu Beginn der jüngsten Krise durch Nachschub vom Stationierungsort Libreville (Gabun) von 1.200 auf 1.350 Mann aufgestockt worden. Die Franzosen übernahmen auch den Truppentransport für die tschadische Regierungsarmee, etwa nach Worten von Präsident Déby «an die Grenze zur Zentralafrikanischen Republik, um Fliehenden nachzusetzen».

Diese Hilfsdienste wurden am 13. April auch durch einen Sprecher des französischen Verteidigungsministers vor der Presse bestätigt. Lediglich ein direktes Eingreifen der französischen Armee in Kämpfe mit den Rebellen dementierte er, ebenso wie die zuvor in manchen Quellen behauptete Bombardierung der Städte Adré und Moudeina an der sudanesischen Grenze durch die französische Luftwaffe. Dagegen spricht auch das Pariser Ministerium offiziell von einem «Warnschuss», den ein französisches Mirage F1-Kampfflugzeug anlässlich eines Aufklärungsflugs im Osten des Tschad abgegeben habe. Der Sprecher wollte die Dinge allerdings so verstanden wissen, dass der Abschuss einer 30-Millimeter-Granate nicht gegen die Rebellen gerichtet gewesen sei, sondern «ein Signal an die kriegführenden Parteien» dargestellt habe. Eine der beiden kriegsführenden Parteien, jene der Rebellen, beklagte in einem Kommuniqué vom 19. April, dass die französische Regierung jede Kontaktaufnahme mit ihnen verweigert habe. Der Pariser Auβenminister Philippe Douste-Blazy lieβ am selben Tag erklären, er habe “nicht vor”, die Rebellen zu empfangen, da diese “die Macht gewaltsam übernehmen” wollten.

Auf internationaler Ebene stützt Paris das tschadische Regime ebenfalls. So hat Paris dem tschadischen Präsidenten dazu geraten, die Affäre um die “ausländische Aggression” - die sich laut N ' Djamena als Aggression durch den Nachbarstaat Sudan darstellt - vor den UN-Sicherheitsrat sowie die Gremien der Afrikanischen Union (AU) zu bringen. Und tatsächlich konnte, im Zusammenspiel mit Frankreich und anderen verbündeten Regierungen aus dem ehemaligen französischen "Hinterhof" (pré carré)  in Afrika, eine Erklärung des UN-Sicherheitsrats gegen “jeden Versuch einer gewaltsamen Machtüberhahme" erwirkt werden, die de facto die Legitimität des derzeitigen tschadischen Regimes anerkennt und unterstützt.

Bereits am 15. und 16. März dieses Jahres hatten Frankreichs Truppen im Lande dem diktatorisch regierenden tschadischen Präsidenten das Amt gerettet. Damals entging Idriss Déby nur knapp einem Putschversuch, während er sich auf Staatsbesuch im afrikanischen Ölförderland Äquatorialguinea aufhielt. Aus Angst vor Entmachtung beschloss Déby, den Aufenthalt dort vorzeitig abzubrechen, und kehre übereilt nach N’Djamena zurück. Dort erwartete ihn die französische Armee am Flughafen der Hauptstadt “seines” Landes und gewährte ihm Geleitschutz bis zu seinem Amtssitz. Unter ihrem Schutz konnte er die Putschgelüste seiner nationalen Truppen nochmals zügeln. Jene führenden Offiziere der tschadischen Armee, die am Putschversuch mitgewirkt hatten und daraufhin in die Nachbarländer Sudan und Kamerun flüchteten, gehörten zuvor dem inner circel der Machthaber und zusätzlich der (besonders privilegierten) eigenen Ethnie des Präsidenten, des Zaghawa, an. Dass sie den Staatsstreich probten, zeigt, dass die Grundlagen des Regimes auβerordentlich morsch geworden zu sein scheinen: Die seit kurzem sprudelnden Erdöleinnahmen haben Begehrlichkeiten geweckt, die dazu führen, dass einige Teilhaber der Macht sich untereinander bis aufs Messer bekämpfen. Aufgrund dieser Rivalitäten lieβ Staatschef Idriss Déby jüngst sogar die Präsidialgarde, die Prätorianertruppe seines Regimes, auflösen. Ihm und seinem Clan wird vorgeworfen, zu begehrlich zu sein und den anderen Clans und ihren räuberischen Begehrlichkeiten nicht genügend Brosamen zu überlassen.

Eine von der französischen, zu Afrika tätigen Solidaritätsvereinigung Survie (Überleben) Mitte April ausgearbeitete, und zusammen mit einer Reihe weiterer Iniativen und Bürgergruppen unterzeichnete Erklärung prangert aus all diesen Gründen die französische Politik gegenüber dem Tschad hart an. Ihr Dokument erschien unter dem Titel: “Ist Frankreich reif dafür, die Demokratie im Tschad zu akzeptieren?” Die Gruppen sprechen sich für eine Unterstützung der zivilen und demokratischen Opposition aus. Letztere wurde vom französischen Botschafterin N’Djamena, Jean-Pierre Berçot, bisher mit äuβerster Arroganz und herablassend behandelt. Er konfrontierte die Oppositionsvertreter immer wieder mit der Frage: “Wen schlagen Sie denn vor, wen schlagen Sie denn vor?” – gemeint ist: um ihn an die Spitze des Regimes zu setzen. Anscheinend beschränkt sich die Wahrnehmung der Geschehnisse im Tschad aus offizieller Pariser Sicht auf die Frage, welchen Clan oder welche Bande man mit der Machtausübung betraut, um die eigenen Interessen gewahrt zu sehen – anstatt über demokratische und sonstige Mindeststandards bekümmer zu sein. 

Rivalitäten zwischen internationalen Mächten im Hintergrund

Die Kämpfe im Tschad geben auch die Kulissen für internationale machtpolitische Rivalitäten ab, die durch die jetzt akut werdende Krise zwischen dem Tschad und dem Nachbarland Sudan ­ das von N¹Djamena als Drahtzieher der Rebellion bezichtigt wird ­ verschärft werden. Dabei wählte Frankreich offenkundig das Lager des amtierenden Präsidenten Ibriss Déby und entschloss sich schon vorab, dessen von Kräften der tschadischen Zivilgesellschaft bereits als «erneute Komödie und Wahlfarce» bezeichnete Wiederwahl am 3. Mai dieses Jahres zu legitimieren. Zuvor hatte Déby sich im Juni 2005 eine Verfassungsänderung auf den Leib schneidern lassen, die es ihm erlaubte, entgegen den bisherigen Regeln für eine weitere Amtszeit zu kandidieren.

Ähnlich wie bei seine vorherigen «Wiederwahl» im Juni 1996 und im Mai 2001 ging es dabei, gelinde ausgedrückt, nicht ganz mit rechten demokratischen Dingen zu. Zusätzliche Wählerausweise wurden massenweise an Déby-Anhänger und Angehörige seiner «Ethnie» verteilt, es kam zu Stimmenkauf und zu Eintragungen ins Wählerregister aufgrund bloβer mündlicher Versicherungen von “Zeugen”, dass die Betroffenen nicht schon woanders eingeschrieben seien. Unterdessen konnten sich zahlreiche Einwohner in dem Präsidenten nicht wohl gesonnenen Regionen nicht ins Wählerregister eintragen. Bei der Wahl von 2001 betrug die Wahlbeteiligung nach offiziellen Angaben... 104 Prozent der eingeschriebenen Wähler im Inland, und stolze 278 Prozent unter den im Ausland (vor allem in Libyen, im Sudan und in Saud-Arabien) lebenden, circa 500.000 tschadischen Bürgern. - Dieses Mal, Anfang Mai 2006, hat Déby drei Gegenkandidaten, damit es auch richtig demokratisch aussieht. Doch es handelt sich um ehemalige Minister oder Mitstreiter, deren Kandidatur er selbst finanziert hat und die kaum im «Wahlkampf» auftauchen.
 
Idriss Déby war nach den heftigen Kämpfen, die die gesamten 80er Jahre hindurch den Tschad erschütterten, im Dezember 1990 mit französischer Hilfe an die Macht gekommen. Voraus ging ein Wechsel der Allianzen: Paris hatte den seit 1982 amtierenden, und infolge eines Militärputschs an die Macht gekommenen, Präsidenten Hissène Habré unterstützt ­ gegen die im Norden des Landes stehende Libyer, die auf Idriss Déby setzten. Franzosen und Libyer bekämpften sich damals militärisch im Tschad. Die Libyer mussten sich zurückziehen, Paris schloss eine Vereinbarung mit Idriss Déby und seinem Clan und lie
ben ihn die Macht übernehmen. Immerhin hatte Déby 1985 die französische Militärakademie "Ecole de Guerre" absolviert.  Hissène Habré lebt derzeit im senegalesischen Exil, internationale Klagen wegen Kriegsverbrechen und Massakern sind gegen ihn anhängig. Doch Idriss Déby erwies sich als sein «würdiger» Nachfolger in jeglicher Hinsicht.  
 
Sicherlich ist Paris auch froh darüber, im Kontext der wachsenden Rivalität zwischen Frankreich und den USA auf dem afrikanischen Kontinent durch seine aktuelle Position ­ scheinbar - wieder ein Stück Autorität in seinem traditionellen «Hinterhof» zu gewinnen. Auch im Tschad macht sich dieses Ringen um Einflusssphären bemerkbar, und während Paris eine wichtige Stütze des Regimes bleibt, konnten vorwiegend US-Konzerne wie ExxonMobil das Rennen machen, was die Ausbeutung der erst seit 2003 genutzten Ölquellen des Landes betrifft. 
 

Machtkampf zwischen Staatsmacht und Weltbank

 Die Verwendung der daraus resultierenden Öleinnahmen bildet den Gegenstand eines Machtkampfs zwischen dem Regime von Idriss Déby und den internationalen Finanzinstitutionen. Dabei steht auf der einen Seite die Weltbank, als Hauptfinanzierin bei der jüngst erfolgten Erschliebung der neu entdeckten Ölvorräte: Sie finanzierte den Bau der über 1.000 Kilometer langen Pipeline von der tschadischen Förderderstätte Doba in den kamerunischen Ölhafen Kribi zu 90 Prozent.

Die Weltbank möchte die tschadische Staatsmacht darauf verpflichten, selbst Gelder für die Armutsbekämpfung und die «künftigen Generationen» zur Seite zu legen; dies entspricht den von Weltbankpräsident Paul Wolfowitz definierten Ansprüchen einer good governance. Dabei soll die Verteilung der Ölgewinne zwischen den im Tschad operierenden westlichen Konzernen, die den Löwenanteil einstreichen, und dem örtlichen Regime nicht angetastet werden: Seit 2003 nahmen die am Konsortium für das tschadische Öl beteiligten internationale Konzernen (es handelt sich um die beiden US-Firmen ExxonMobil und Chevron sowie die malysische Firma Petronas)  6 Milliarden Dollar im Tschad durch das Ölgeschäft ein. Allein für Exxon handelt es sich um 4,7 Milliarden. Dagegen nahm der tschadische Staat laut Idriss Déby in einem Interview für Le Monde in den letzten drei Jahren nur 90 Millionen Dollar, nach Angaben des Figaro hingegen insgesamt 307 Millionen Dollar daraus ein. Aus diesem Geld soll der tschadische Staat nach Dafürhalten der Weltbank die Bewältigung der Zukunftsaufgaben wie Armutsbekämpfung und Bildung finanzieren. Hingegen haben haben die im Tschad operierenden, internationalen Ölkonzerne ihrerseits keines ihrer Versprechen wahrgemacht, was den Bau von Gesundheits- und Bildungseinrichtungen betrifft; und sie profitierten von entschädigungslosen Enteignungen und Vertreibungsaktionen, die durch die Regimetruppen vorgenommen wurden.

Auf der anderen Seite möchte der tschadische Präsident aber über «seine» Öleinnahmen verfügen können, um die Armee aufzustocken und Waffen kaufen zu können, anstatt die Gelder für die vorschriftsmäβigen noblen Zwecke aufzuwenden. Dazu bekennt er sich völlig offen. Im Interview mit dem Figaro bestätigt er diese Darstellung: «Genau. Welches Land der Welt, das Ressourcen besit zt, würde nicht Waffen kaufen, um sich zu verteidigen? Warum sollte man dies dem Tschad verweigern? Wir werden Waffen kaufen. In aller Transparenz», womit er das Drängen der Verfechter einer good governance in einer rhetorischer Wendung aufgreift. Im Interview mit Le Monde beruft Déby sich zudem auf die Kriegskosten der USA im Irak und die Rüstungsausgaben der EU, um zu betonen, sein Land werde diskriminiert ­- die fraglichen Ausgaben für Waffenkäufe seien «niedriger als die Summe, die die Weltbank pro Tag für ihre Kommunikationszwecke aufwendet».   
 
Ein Gesetz, dem das tschadische Parlament im Januar 1999 zugestimmt hatte, sah vor, dass 15 Prozent der ­ (damals noch zukünftigen) Öleinnahmen in einen Fonds für die kommenden Generationen flie
ben sollten. Von der übrigbleibenden Summe sollten 80 Prozent bestimmten «prioritären» Sektoren wie dem Bildungs- und Gesundheitswesen zukommen. Doch Ende Dezember 2005 lieb das Parlament diesen Beschluss rückgängig machen und erlaubte dem Regime den Griff in den «Fonds für die künftigen Generationen». Im Januar 2006 wurden daraufhin Waffenkäufe mit den Geldern getätigt. Die Weltbank reagierte, indem sie tschadische Staatsguthaben einfrieren lieb. Präsident Idriss Déby seinerseits drohte als Reaktion damit, anderen Ländern «den Ölhahn abzudrehen», was zunächst für den 18. April angekündigt, aber zu diesem Datum nicht durchgeführt wurde. Gegenüber Le Monde vom übernächsten Tag spricht er sich hingegen für einen «Kompromiss» aus, «der unsere legitimen Interessen wahrt».
 
Dieser Machtkampf zwischen N’Djamena und der Weltbank ist der Hintergrund für die aktuelle Krise des Regimes, dem es an flüssigen Geldmitteln fehlt. Idriss Déby seinerseits kann sich bequem darauf herausreden, dass «die einzige Verantwortliche für unsere Schwierigkeiten die Weltbank ist» (Le Monde), welche die Guthaben eingefroren hatte. Innerhalb der tschadischen Gesellschaft jedoch nimmt der Hass auf das Regime offenkundig zu, das eine Anhebung des allgemeinen Lebensstandards infolge des Beginns der Ölförderung im Land versprochen hat und nun mit einer Verschlechterung der sozialen Bedigungen idenfiziert wird. Von 176 Staaten steht der Tschad derzeit auf dem 173. Platz, was den durch die UN durch mehrere Indikatoren definierten «Index für menschliche Entwicklung» betrifft. 80 Prozent der rund acht Millionen Einwohnerinnen und Einwohner des Tschad muss nach wie vor mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen. Und selbst in der Hauptstadt N’Djamena gibt es kaum sanitäre Infrastrukturen wie eine Kanalisation, es fehlt an Schulen und einer funktionierenden Straβenbeleuchtung, und drei Viertel ihrer Hauptstadt haben keinen eigenen Zugang zu Trinkwasser. Auβerhalb der Hauptstadt sieht es natürlich noch weit schlimmer aus, und vor allem im Süden des Landes terrorisiert die Soldateska von Präsident Déby die bäuerliche Bevölkerung (wie auch die Einwohner der ärmeren Stadtbezirke von N’Djamena selbst), nimmt am Wegelagertum auf den Überlandstraβen teil oder verdient an ihm mit.
 
Zahlreiche Berichte von vor Ort sprechen davon, dass es Sympathiebekundungen aus der Bevölkerung verschiedener Stadtviertel von N’Djamena für die vorrückenden Rebellen gegeben habe. Aufgrund dieser Tatsache kam es nach der Niederschlagung des Rebellenangriffs auf die Hauptstadt auch zu Verhaftungen von «Sympathisanten», unter ihnen auch Militärs oder der Generalsekretärs des Landwirtschaftsministeriums, der allerdings kurz darauf wieder freigelassen wurde. Allem Anschein nach haben sich auch Sektoren der zivilen Opposition mit den bewaffneten Rebellengruppen zumindest auf ein lockeres Bündnis verständigt. Am Tag des Vorrückens der Rebellen auf N¹Djamena kündigte etwa der ehemalige Au
benminister Laona Gong ­ - der zur Opposition übergelaufen ist und inzwischen als Sprecher der heterogen zusammengesetzten “Front für die Veränderung” (FUC) wirkt -, die bewaffneten Rebellen wollten sich «in den nächsten Stunden mit Vertretern der Opposition und der Zivilgesellschaft sowie Stammesältesten» treffen, um an einem Szenario für eine «demokratische Transition» zu basteln. Aufgrund der militärischen Entwicklung kam es dazu jedoch nicht. Die Rebellen bilden augenscheinlich ein höchst heterogenes, loses Bündnis aus unterschiedlichen politischen und militärischen Gruppen. 

Einmischung des Sudan?

Noch nicht genau geklärt ist die Rolle des Nachbarlands Sudan, das den tschadischen Regierungsquellen zufolge unmittelbar hinter der Rebellion stehen soll. Das Regime in N¹Djamena behauptet, «60 Prozent der rund 500 gefangenen Rebellen seien Sudanesen, darunter 50 Polizisten aus Khartum».  Dies mag eine Verschwörungstheorie darstellen, die über die innenpolitischen Widersprüche im Tschad selbst hinweg täuschen soll  - aber dennoch steht fest, dass das Regime im Sudan eine Destabilisierung seines Nachbarlands im Moment nicht ungern sähe. 
 
Die Zusammensetzung der Bevölkerungsgruppen im Westsudan und im Tschad, von denen die einen als «Schwarze» und die anderen als «Araber» definiert werden ­ was eine mindestens äu
berst vergröberende Einteilung bildet ­ ist eine ähnliche. Mit einem wichtigen Unterschied: Die unterlegenen Bevölkerungsgruppen in der westsudanesischen Kriegsprovinz Darfur, die dort durch die Djandjawid-Milizen terrorisiert werden, sind eng mit den Bevölkerungsgruppen verwandt, die im Tschad an der Macht sind. Umgekehrt werden im Tschad die «arabischen» Bevölkerungsgruppen drangsaliert, von denen einige Angehörige sich im Nachbarland für die Djandjawid rekrutieren lassen. Hintergrund der ethnisierten Konflikte ist in beiden Fällen die Verarmung der Bevölkerung, ihr zahlenmäβiges Anwachsen und das Vorrücken der Wüste bzw. der Dürrezonen. Letztere sorgt dafür, dass der alte soziale Interessengegensatz zwischen fest ansässigen Ackerbauern und umher ziehenden Viehzüchtern mit neuer Gewalt aufbricht: Während die Viehzüchter den Zugang zu den vorhandenen (und knapper werdenden) Wasserquellen anstreben, wollen die Bauern vor allem ihre Anbauflächen und deren Bewässerung schützen. In früheren Zeiten konnten immer wieder Arrangements zwischen beiden Gruppen zur Lösung solcher Konflikte gefunden werden. Aber die ökonomische, soziale und ökologische Situation verschärft diese Widersprüche, die nunmehr auf “ethnisierte” Weise ausgetragen werden: Die Bauern werden in beiden Ländern, im Tschad und im Sudan, als “schwarzafrikanische” Bevölkerungen betrachtet - die Viehzüchter, die ursprünglich aus weiter nördlich gelegenen Landesteilen stammen, dagegen als “arabische”, obwohl nur eine Minderheit unter ihnen Arabisch als Muttersprache spricht.
 
Präsident Idriss Déby versuchte, im Konflikt im benachbarten Sudan zunächst halbwegs neutral zu bleiben. Doch wurde ihm dies innerhalb seiner «Ethnie», de Zaghawa, und auch in der eigenen Familie ­- ein leiblicher Bruder des Präsidenten führte vor dem Hintergrund einen Putschversuch gegen ihn an -­ als Verrat an den “ethnischen Brüdern” vorgeworfen. Ab 2004 wurde die tschadische Regierung zwangsläufig immer tiefer in die ethnisierte Frontstellung hinein gezogen.

Auf die jüngste Krise im Inneren des Landes reagierte das tschadische Regime, indem es ab dem 14. April sämtliche diplomatischen Beziehungen zum Sudan abbrach, der von Auβenminister Ahmat Allami sofort als Aggressor beschuldigt worden war. Ebenso hat die verbündete Regierung im Nachbarland Zentralafrikanische Republik (ZAR) ihre Grenzen zum Sudan inzwischen geschlossen.

Aber auch aus den Darfur-Friedensgesprächen im nigerianischen Abuja, wo dem Tschad anfänglich eine Vermittlerrolle hatte einnehmen wollen, zog das Land sich vollständig zurück. Ferner droht das Regime in N’Djamena jetzt damit, die 200.000 aus dem sudanesischen Darfur stammenden Kriegsflüchte im Tschad auszuweisen ­ auch wenn dies weniger den Machthabern in Khartum als den Opfern des sudanesischen Krieges schaden würde. Eine weitere Eskalation im zwischenstaatlichen Verhältnis ist nicht ausgeschlossen, auch wenn der Rebellenangriff vorläufig zurückgeschlagen scheint. Dadurch könnte freilich die gesamte Region im Zentrum Afrikas in Mitleidenschaft gezogen werden.

Scheitern der Friedensgespräche für Darfur

Am 30. April wurde dann auch just bekannt, dass die Friedensgepräche unter der für die westsudanesische Provinz Darfur als gescheitert zu betrachtet seien. Diese wurden seit zwei Jahren unter der Schirmherrschaft der Afrikanischen Union (AU) in Abuja geführt, der neuen adminstrativen Hauptstadt Nigerias, die in Bau genommen wurde, um die riesige Wirtschaftsmetropole Lagos zu entlasten. Ursprünglich hätten diese Gespräche, so war es jedenfalls geplant, bis zum 30. April dieses Jahres zum Abschluss kommen sollen. Nunmehr stehen die Verhandler vorläufig vor einem Scherbenhaufen.

Eine Einigung scheiterte daran, dass beide Rebellenbewegungen, die im Westsudan aktiv sind – die “Befreiungsbewegung/-armee des Sudan” sowie die islamistisch angehauchte “Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit” (JEM) – eine Unterschrift unter den Entwurf für ein Friedensabkommen, den die AU-Verhandlungsführer am 23. April vorgelegt hatten, verweigerten. Dies erklärten ihre Sprecher, Saisaledin Harun (Befreiungsbewegung/armee) und Ahmed Hussain (JEM), am Sonntag. In dem Abkommensentwurf wird den Rebellen, neben einigen Sicherheitsgarantieren für die Bevölkerung in Darfur und namentlich dem Versprechen einer Entwaffnung der mit dem Regime verbündeten Djandjawid-Milizen, auch der Posten eines “Beraters des Präsidenten” angeboten. Dieser Posten wäre aber nur der vierte in der Rangfolge der staatlichen Hierarchie des Landes gewesen, während die Rebellenbewegungen das Amt eines Vizepräsidenten – auf dem zweiten Rang in der offiziellen Hierarchie – forderten. Eine Einigung blieb aus. Die Unterhändler der Afrikanischen Union dagegen erklärten, es komme nicht in Betracht, Änderungen an ihrem Dokument vorzunehmen; ihre Verhandlungsstrategie bleibe auch über das nunmehr geplatzte Stichdatum 30. April hinaus bestehen.

Die Rebellen hatten sich das Abkommen vom 20. Juli 2002 zum Vorbild genommen, das damals zwischen dem sich islamistisch legitimierenden Militärregime in Sudans Hauptstadt Khartum und der christlichen Rebellenbewegung “Befreiungsarmee der Völker des Sudan” unter ihrem Chef John Garang geschlossen worden war. Dieses Friedensabkommen, das eine Teilung der Einkommen aus den im Süden des Landes lagernden Ölreichtümern sowie eine Teilhabe der ehemaligen Rebellen an wichtigen Posten und Funktionen im Staat vorsah, bildete den Abschluss eines mehrere Jahrzehnte hindurch währenden Bürgerkriegs. Bereits 1955, ein Jahr vor der Unabhängigkeit des Sudan von Groβbritannien, hatte der Bürgerkrieg im Süden begonnen: Die britische Kolonialmacht wollte damals Beamte aus dem moslemischen Landesnorden überall im christlichen Süden ein- und durchsetzen. Denn in London war man damals zu der Auffassung gelangt, man müsse strategisch auf eine “arabische” und moslemische Elite in der Nordhälfte des Sudan setzen, um das Land auch über die Unabhängigkeit hinaus zusammenzuhalten – der Sudan war durch eine Grenzziehung durch die britische Kolonialmacht entstanden und aus sehr heterogenen Bevölkerungsgruppen zusammengesetzt. Daraufhin trat der christliche Süden in die Rebellion ein, die langjährig am Schwelen blieb. Infolge von gröβeren Massakern durch das Regime flammte dann 1983 der offene Bürgerkrieg auf. Beide Seiten machten darin durch eine gewisse Grausamkeit auf sich aufmerksam, die christliche “Befreiungsarmee” etwa zeichnete sich durch das Rekrutieren von Kindersoldaten aus.  Hunderttausende Menschen starben.

Doch die Situation in der westsudanesischen Krisenprovinz Darfur, wo der Konflikt seit 2003 (je nach Angaben) zwischen 180.000 und 300.000 Tote gefordert und zwei Millionen Menschen aus ihren Dörfern vertrieben hat, dürfte mit dem nunmehr beendeten im Südsudan nur schwer vergleichbar sein. Denn es war erheblicher internationaler Druck, der die Konfliktparteien im Südsudan hatte zum Einlenken bewegen können. Im umkämpften Süden des Landes befanden sich auch die Ölfelder, die nunmehr seit 1999 ausgebeutet werden. In einer ersten Phase benutzte das Regime seine Kriegsführung gegen die Rebellen im Süden des Landes, um den Druck auf die lokalen Bevölkerungen zu erhöhen und dadurch den Interessen der Ölförderung zu dienen. So schrieb ein offizieller kanadischer Untersuchungsbericht zu Anfang dieses Jahrzehnts, dass “man kaum bestreiten (könne), dass der erzwungene Exodus der lokalen Bevölkerung (im Bezirk Ruweng) durch die Erdölförderung ursächlich bedingt wurde”. Oder in der Region von Pariang wurde damals eine streifenförmige Zone von 100 Kilometer rund um die Erdöllagerstatten von ihren sämtlichen Einwohnern gesäubert. Doch auf die Dauer war es den international operierenden Erdölkonzernen nicht wohl mit dieser Situation - mutmaβlich nicht hauptsächlich aufgrund befürchteter Imageschäden (British Petroleum, BP, trat damals im Sudan noch versteckt hinter einer chinesischen Tochterfirma auf), sondern vor allem auch aufgrund der negativen Auswirkungen der “Instabilität” auf den Abtransport des neu gegründeten Erdöls. Damals war eine Ölpipeline von 1.610 Kilometern Länge in Betrieb genommen worden, die von den Erdölfeldern in der Region Abyei zum Raffinierie- und Hafenstandort Beshair am Roten Meer führte. Der Bau dieser Pipeline kostete rund eine Milliarde US-Dollar. Die Befürchtung, aufgrund des tobenden Bürgerkriegs oder durch Angriffe der Rebellen auf die Öltransportlinie Schäden und immense Kosten zu verzeichnen, überwog deshalb gegenüber den “Diensten”, die das autoritäre Regime des Sudan hätte anbieten können.

In diesem Kontext näherte sich die US-Administration an das Regime unter dem General Omar Hassan Al-Baschir an, der sich 1989 in Khartum an die Macht geputscht hatte und einige Jahre lang mit der islamistischen Strömung unter dem vorübergehend als Chefideologe des Regimes wirkenden (doch später unter Hausarrest gestellten) Hassan al-Turabi kooperierte. Noch kurz zuvor war das Regime als Unterstützerin des internationalen Terrorismus gehandelt worden, auch nachdem es Ussama Bin Laden infolge der 1998 durch US-Präsident Clinton angeordneten Bombardierung einer pharmazeutischen Fabrik im Sudan auβer Landes gewiesen hatte – Bin Laden war daraufhin nach Afghanistan gegangen. Seit 1996 waren internationale Wirtschaftssanktionen über den Sudan verhängt worden. Doch im Mai 2001 hatte der damalige US-Auβenminister Colin Powell anlässlich einer Afrikareise die Aufnahme einer “humanitären Hilfe” für den Sudan angekündigt, und am 06. September 2001 wurde in Washington ein ehemaliger US-Senator zum Sonderbeauftragter für den Sudan ernannt, der zwischen den Bürgerkriegsparteien in dem ostafrikanischen Land vermitteln solle. Bis dahin hatten die USA und Groβbritannien die christlichen Rebellen im Südsudan unterstützt und wohl auch bewaffnet (was seitens der US-Administration auch als Geste an die schwarzen Wähler im eigenen Land präsentiert wurde), während Frankreich zur wichtigen Stütze für das Regime im Nordsudan avanciert war. Doch dann kam der groβe Kurswechsel der US-Auβenpolitik, und das Regime in Khartum seinerseits verstand es glänzend, sich in der neuen internationalen Situation nach den Attentaten vom 11. September zu positionieren und sich der neuen internationalen Hauptfeinddefinition der US-Auβenpolitik anzupassen. Das Regime von Khartum suchte sich, ähnlich wie die Regierungen in Algier und anderwo, als guter, gelehriger Schüler im antiterroristischen Kampfs zu profilieren und lud die US-amerikanischen Staatsorgane CIA und FBI sogar dazu ein, vor Ort auf sudanesischem Boden tätig zu werden und Ermittlungen durchzuführen. Am 28. September 2001 hob dann der UN-Sicherheitsrat die Sanktionen gegen den Sudan auf, unter tatkräftiger Mithilfe der USA und ebenso aktiver Mitwirkung Frankreichs, das zu dem Zeitpunkt den Vorsitz im Rat inne hatte.

Dies alles bildete den Hintergrund für das, unter massivem internationalem Druck zustande gekommene, Friedensabkommen für den Südsudan. Es ist alles andere als gesichert, dass sich diese Konstellation auf die überwiegend agrarisch geprägte Westprovinz Darfur übertragen lässt. Im Moment dürfte zumindest der politische Preis, den die sudanesischen Machthaber für einen Waffenstillstand mit den Rebellenbewegungen im Darfur zu bezahlen bereit sind, bei weitem nicht so hoch sein wie damals gegenüber den südsudanesischen christlichen Rebellen. Abzuwarten bleibt, ob die momentane Eskalation in den Beziehungen zum Nachbarland Tschad das Auftreten des sudanesischen Regimes gegenüber der Krisenprovinz eher abschwächt oder, im Gegenteil, eher radikalisiert. 

Schaden für die französische Afrikapolitik, Neuverteilung der Karten unter den Global players?

Die Machthaber in Khartum ihrerseits sähen eine Schwächung ihrer Amtskollegen in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena im Moment durchaus gerne, da sie sich davon eine Schwächung der (militärischen oder Verhandlungs-)Position der dortigen Rebellen erhoffen. Angesichts des jüngsten Scheiterns der Friedensgespräche über die Darfur-Provinz dürfte dies eher für eine weitere Eskalation im zwischenstaatlichen Verhältnis sprechen, als dass die neue Situation eine Deseskalation auf dieser Ebene implizieren würde.

Hinzu kommt, dass der Sudan von einem dritten Global Player (neben Frankreich und den USA)­ unterstützt wird, der in der Region gewisse Ansprüche anmeldet. China hätte es nach einer Analyse des Figaro gerne, wenn der Sudan seinen Einfluss im Tschad und in Zentralafrika vergröbern könnte. Das Öl aus der Region könnte dann bevorzugt über den sudanesischen Hafen Port Sudan in Richtung Ostasien abflieben, statt über die Tschad-Kamerun-Pipeline und den kamerunischen Ölhafen Kibri am Atlantik in Richtung Westen transportiert zu werden. 

Aber auch die USA sehen es möglicherweise nicht gar so ungern, wenn die zwischenstaatlichen Widersprüche zwischen den beiden Nachbarländern Sudan und Tschad sich verschärfen. Hatten doch beide bisher beide Länder zur post- oder neo-kolonialen französischen Einflusssphäre gehört, solange jedenfalls die politischen Widersprüche und Spannungen zwischen beiden Nachbarstaaten nicht unüberbrückbar zu werden schienen.

Vor der Kehrtwendung in der US-Auβenpolitik zu Anfang dieses Jahrzehnts hatte Paris den westlichen Hauptverbündeten des sudanesischen Regimes in Khartum gebildet. Auch während das ostafrikanische Land auf internationaler Ebene einer pro-terroristischen Position gezichtigt wurde, konnte der damalige französische Innenminister Charles Pasqua 1994 mit Khartum die überraschende Verhaftung und Auslieferung des in den Sudan geflüchteten internationalen Topterroristen “Carlos” (alias Illich Ramirez Sanchez) aushandeln. Der französische Auslandsgeheimdienst CST konnte den bewaffneten Kämpfer, der sich für einen Weltrevolutionär hielt und de facto Söldnerdienste für mehrere autoritäre Regime im Nahen und Mittleren Osten verrichtet hatte, im August 1994 in Khartum in ihren Gewahrsam nehmen. Im Gegenzug gab es Waffen und Militärberater für den Sudan. Das damalige (inzwischen eingegangene) linksliberale Wochenmagazin “L’événement du jeudi” hatte am 25. August desselben Jahres bereits detailliert die Listen der französischen Waffenlieferungen an den Sudan enthüllt. Und die auf ‘Dritte-Welt’-Themen spezialisierte, in Paris erscheinende Zeitschrift “Afrique – Asie” schrieb im September 1994 ihrerseits: “Dank der Pariser Intervention bereitet die (sudanesische) Regierung sich darauf vor, eine Groβoffensive gegen die Rebellen des Südsudan vom benachbarten Zaire aus zu lancieren.”

Schon seit damals hat auch Frankreich massive wirtschaftliche Interessen im Sudan: Der französische Ölkonzern Total besitzt ein Konzessionsgebiet im Südsudan, dessen Fläche allein so groβ ist wie ein Viertel des französischen Staatsterritoriums. Der Automobilkonzern Renault erwarb ein Quasi-Monopolrecht auf die Lieferung von Überlandbussen. Deshalb hat Frankreich auch politisch lange Zeit, noch vor den USA und auch nach deren Kehrtwende in der Sudanpolitik im Jahr 2001, dem Militärregime in Khartum Unterstützung zukommen lassen. Im August 2004 startete die im östlichen Tschad stationierte französische Armee eine “humanitäre Operation” an der tschadisch-sudanesischen Grenze, die eine notdürftige Versorgung der im Westsudan lebenden Flüchtlinge aus Dörfern im Darfur zum Gegenstand hatte – in Wirklichkeit aber vor allem auch darauf abzielte, dass die Rebellenbewegung des Darfur nicht mehr über die Grenze hinweg operieren konnten. Es ging ferner auch darum, ein Übergreifen der Konflikte zwischen Bevölkerungsgruppen auf den Tschad selbst, wo dieselben “ethnischen” Gruppen in unterschiedlicher Zusammensetzung wohnen, zu verhindren. Paris konnte sich so gleichzeitig als “Stabilisierungsmacht” für das Regime des Tschad und jenes im benachbarten Sudan profilieren.

Sollten die Spannungen zwischen dem Sudan und dem Tschad und die Versuche ihrer Regimes, wechselseitig die Rebellion im jeweils benachbarten Land zu unterstützen und zu eigenen Zwecken zu instrumentalisieren (oder auch die darob lautenden Vorwürfe, selbst falls sie unbegründet sein sollten), zunehmen, fällt Frankreich diese Rolle aber künftig immer schwieriger. Dann wird die französische Auβenpolitik einen Spagat durchführen müssen, der ihr immer schwerer fallen wird. In Peking und wohl auch in Washington dürfte man dabei zufrieden zugucken. Sofern nicht in absehbarer Zeit Washinghton selbst in die unkomfortable Lage kommt, selbst einen solchen Spagat zwischen Khartum und N’Djamena durchführen zu müssen, da US-Konzerne ja im Tschad führend an der Ölförderung beteiligt sind und die Regierung sich zugleich politisch an die sudanesische Regierung angenähert hat. Allerdings scheint die US-Administration im Moment zu signalisieren, dass sie auf politischer Ebene vom tschadischen Regime eher abrückt oder es zumindest in der jüngst aufgebrochenen Krise nicht so vorbehaltlos unterstützt, wie Paris dies tat. Der stellvertretender US-Auβenminister Robert Zoellick (ehemaliger Chefunterhändler der USA bei der WTO) erklärte am Tag der Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Rebellen in N’Djamena, seine Regierung trete für einen “anders gearteten politischen Prozess” ein. Und sie “bedauere”, dass kein “zufrieden stellendes politisches Arrangement” zwischen dem tschadischen Regime und der Opposition gefunden worden sein. Insofern bleibt Paris zumindest der Trost, politisch – aber nicht unbedingt wirtschaftlich – im Tschad noch die Nase vorn zu haben. Stimmt dieser Eindruck, dürfte die französische Wirtschaft dann aber im Sudan absehbar an Terrain verlieren.  
 

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir am 30.4.2006 vom Autor.