Antisemitismus, Zionismus, und die Palästinenser

von Noam Chomsky
05/06

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Es wäre nützlich, sich folgendes moralisches Prinzip einmal vor Augen zu führen - ein Prinzip, so selbstverständlich, dass es eigentlich schon beschämend ist. Der Grund, weshalb ich es dennoch erwähne, ist, dieses Prinzip wird fast zur Gänze ignoriert. Es lautet: Es ist einfach (und nicht einmal sonderlich verdienstvoll), die Verbrechen anderer zu kritisieren und zu verurteilen, viel schwieriger ist es, in den Spiegel zu schauen und sich zu fragen, was wir selbst angerichtet haben. Denn das Bild, das sich einem dort bietet, ist normalerweise unangenehm und besäßen wir nur einen Funken Anstand, würden wir versuchen, etwas dagegen zu unternehmen. Sollten wir uns jedoch entscheiden, etwas zu tun, bedeutet das – abhängig davon, wo auf der Welt wir leben –, dass wir uns unterschiedlichen Problemen gegenübersehen. In manchen Ländern bedeutet es Gefängnis, brutale Folter oder dass dir das Gehirn weggeschossen wird, in Ländern wie dem unsrigen bedeutet es, dass einem Verachtung entgegenschlägt, dass man weniger Chancen auf einen guten Job hat oder etwas anderes relativ Harmloses (im internationalen Vergleich). Dennoch ist etwas zu unternehmen weit schwieriger, als sich nur darüber zu unterhalten, wie schlimm doch die anderen sind. In den USA gibt es ein ganzes Literaturgenre, das sich in zahlreichen Büchern, Artikeln und leidenschaftlichen Debatten mit einem unserer Makel befasst: “Wir reagieren nicht angemessen, wenn die anderen ein Verbrechen begehen”, "was hindert uns daran, angemessen zu reagieren?” Doch es existieren noch weit größere Probleme, wie zum Beispiel: “Warum beteiligen wir uns nach wie vor an massiven Gräueltaten, Repression und Terror, warum tun wir nichts dagegen?” Es gibt keine Literatur, die sich mit dieser Frage befassen würde. Eigentlich sollte das alles ja selbstverständlich sein, ich erwähne es trotzdem.

Beginnen wir mit dem Thema Antisemitismus. Als ich aufwuchs, war der Antisemitismus in Amerika noch ein ernsthaftes Problem. Als mein Vater während der Depressionsjahre in den Dreißigern endlich genug Geld beisammen hatte, um einen Gebrauchtwagen zu kaufen und uns auf einen Ausflug in die Berge mitnahm, mussten wir, bevor wir an einem Motel Halt machten, erst einmal nachsehen, ob sie kein Schild draußen hatten, auf dem stand: “restricted”. “Restricted” bedeutete, keine Juden erwünscht, also nichts für uns; natürlich bedeutete es auch, keine Schwarzen. Selbst, als ich vor 50 Jahren nach Harvard kam, war der Antisemitismus noch mit Händen greifbar. Es gab dort so gut wie keine jüdischen Professoren. Ich glaube, der erste jüdische Mathematikprofessor wurde in Harvard irgendwann in den 50ern berufen. Einer der Gründe, warum das MIT (an dem ich heute lehre) eine so bekannte Universität wurde, ist, dass viele Leute auf dem Weg zu akademischen Ehren keinen Job in Harvard fanden – also gingen sie einfach nebenan zur Technischen Hochschule. Vor 30 Jahren (1960), als meine Frau und ich gerade unsere Kinder bekamen, entschieden wir uns, in einen Bostoner Vorort zu ziehen (wir konnten uns die Miete in der Nähe von Cambridge nicht mehr leisten). Wir befragten einen Grundstücksmakler zu einer Wohngegend, an der wir Interesse hatten, aber der sagte nur: “Sie würden dort nicht glücklich sein”. Damit meinte er, dass Juden dort nicht erwünscht sind. Das lässt sich natürlich nicht vergleichen damit, dass Menschen in Konzentrations- und Todeslager geschickt wurden, aber es ist eben doch Antisemitismus. Und so war das fast im gesamten Land.

Heute stellen die Juden in den USA den privilegiertesten und einflußreichsten Teil der Bevölkerung dar. Gelegentlich kommen noch Fälle von Antisemitismus vor, aber die sind selten. Es gibt jede Menge Rassismus, aber dieser Rassismus richtet sich gegen Schwarze, Latinos und Araber, sie sind die Opfer dieses enormen Rassismus - das sind wirklich sehr reale Probleme.

Glücklicherweise ist Antisemitismus heute kein Problem mehr. Zwar flammt die Antisemitismus-Debatte immer wieder auf, aber nur deshalb, weil priviligierte Leute sichergehen wollen, dass sie nicht nur 98 Prozent der Diskussion kontrollieren, sondern die totale Kontrolle über die Diskussion haben. Daher wird Antisemitismus immer wieder zum Thema - nicht etwa aufgrund einer Antisemitismusgefahr, sondern, weil diese Leute sicherstellen wollen, dass es zu keiner kritischen Berichterstattung über die Politik, welche die USA (und sie selbst) im Nahen Osten unterstützen, kommt.

In seinen Betrachtungen über den Antisemitismus führte der angesehene israelische Staatsmann Abba Eban aus, was für ihn die Hauptfunktion der israelischen Propaganda ist (diese Leute selbst würden natürlich von Erläuterungen sprechen, Propaganda ist es nur, wenn es von den anderen kommt): Es gehe darum, so Eban, der Welt klar zu machen, dass es keinen Unterschied zwischen Antisemitismus und Antizionismus gibt. Mit Antizionismus meint Eban Kritik an der jetzigen Politik des Staates Israel. Folglich besteht seiner Meinung nach auch kein Unterschied zwischen Kritik an der Politik des Staates Israel und Antisemitismus. Lässt sich "diese" Aufassung durchsetzen, so wäre man in der Lage, jede Kritik unter Hinweis auf die Nazis zu unterdrücken und die Menschen zum Schweigen zu bringen. Dies sollten wir im Hinterkopf behalten, bevor wir hier in den USA über Antisemitismus reden.

Bevor wir uns dem zuwenden, was das israelisch-palästinensische Konfliktproblem genannt wird, sollte noch erwähnt werden, dass es sich hierbei eigentlich um die falsche Bezeichnung handelt. Besser, man spricht vom Konflikt USA/Israel versus Palästina. Großbritannien ist, in üblicher Weise, ebenfalls beteiligt. Ein britischer Geheimdienstoffizier im Zweiten Weltkrieg hat es einmal so ausgedrückt: “Großbritannien ist von nun an kein unabhängiger Akteur der globalen Politik mehr, sondern wird nur noch der Juniorpartner der USA sein.” Im Wesentlichen war das korrekt. (Heute findet die britische Presse weniger schmeichelhafte Worte, aber das Bild ist praktisch das Gleiche). Großbritannien spielt in dem Konflikt keine führende, aktive, sondern eine passive Rolle, die im Wesentlichen darin besteht, die USA zu unterstützen. Die USA wiederum spielen eine überwältigende, eine entscheidende Rolle. Europa könnte eine unabhängige Rolle spielen; bislang hat es sich allerdings entschieden, nichts zu tun, um seinen Einfluss geltend zu machen. Damit unterstützt es faktisch das Vorgehen der USA. Ich werde nicht auf die ganze Geschichte des Konfliktes eingehen, sondern nur kurz auf die jetzige Intifada bzw. die damit verbundenen, sehr aufschlussreichen militärischen Aspekte.

Vor einigen Wochen erschien in der hebräischen Presse der Bericht eines bekannten, angesehenen Militärkorrespondenten, der bei einem Treffen hochrangiger israelischer Militäroffzieller anwesend war, die über die Militärstrategie während der Intifada diskutierten. Einer der Offiziere wollte Informationen über den militärischen Verbrauch: Wie viele Kugeln wurden abgefeuert? Die Information der IDF (israelische Armee) lautete, dass “in den ersten Tagen der Intifada [30. September 2000 und die folgenden Tage] eine Million Kugeln abgefeuert wurden.” Einige der Anwesenden waren erstaunt, mehr als erstaunt, denn die Zahl war sehr hoch, und ein Offizier sagte reichlich verbittert (auch Offiziere müssen Befehle, die sie bekommen, nicht unbedingt mögen): “Dies bedeutet ungefähr eine Kugel für jedes palästinensische Kind.” Erinnern sie sich, was zu jener Zeit passierte: Einige Jugendliche warfen Steine. Im selben Artikel berichtet ein anderer Militär in einer sehr anschaulichen Darstellung, wie so etwas abläuft. Er sagte, während der ersten Wochen der Intifada hätte ein PLO-Offizieller einem europäischen Besucher einmal zeigen wollen, wie die Sache funktioniert. Also sagte er seinem Bodyguard, er solle einen einzigen Schuss abfeuern. Auf diesen Schuss folgten zwei Stunden schweren Beschusses, gegen kein bestimmtes Ziel gerichtet. Das war die Antwort auf eine einzelne abgefeuerte Kugel. Im ersten Monat der Intifada betrug (israelischen Quellen zufolge) das Verhältnis der Toten in etwa 20 zu 1 (auf 75 tote Palästinenser kamen 4 getötete israelische Soldaten in den besetzten Gebieten).

Hier ein weiteres Beispiel aus den ersten Tagen der Intifada: Israel begann sofort mit dem Einsatz von etwas, was in der Presse der “israelische Hubschrauber” hieß. Es waren aber keine israelischen Hubschrauber, sondern amerikanische Helikopter mit israelischen Piloten - die dazu benutzt wurden, zivile Ziele anzugreifen und Dutzende Menschen zu töten und zu verletzen. Darüber wurde auch am Rande berichtet, es war kein Geheimnis. Das also war die Reaktion auf Steinewerfer, bestenfalls. Die USA reagierten offziellt: Am 3. Oktober 2000 schloss die Clinton-Administration den größten Deal des Jahrzehnts ab - über eine Lieferung von Militärhubschraubern an Israel, begleitet von weiteren Lieferungen mit Ersatzteilen für Apache-Kampfhubschrauber, den mordernsten Apachis, die das [amerikanische] Militärarsenal damals hatte und die bereits im September geliefert worden waren. Es war nicht so, dass sie nicht wussten, wofür sie benutzt wurden, man konnte es ja in der Zeitung lesen. Sie wurden dazu benutzt, Zivilisten anzugreifen und zu töten. Sie brauchten mehr, eine Million Kugeln in den ersten Tagen waren nicht genug, folglich mussten wir ihnen Angriffshubschrauber und Raketen liefern.

Sie haben von den Gräueltaten in Gaza (22. Juli 2002, 14 Zivilisten werden bei einem Raketenangriff durch einen Hubschrauber getötet) gehört? Das haben wir der US-Regierung und ihren Verbündeten zu verdanken - die keinen Finger dagegen rührten. Und wie reagierte die amerikanische Presse? Sie berichtete über den Hubschrauberangriff auf Zivilisten, aber über den Deal der Clinton-Administration (der größte in einem Jahrzehnt, was Militärhubschrauber angeht) wurde fast überhaupt nicht berichtet. Um präzise zu sein - eine Kommentatorenspalte in einer kleinen Zeitung in Virginia hatte es angemerkt. So viel zur “freien” Presse. Es ist nicht so, dass sie es nicht wussten. Es stand ja überall in der israelischen Presse, und es kam zu Anfragen von europäischen Reportern an das Pentagon, in denen diese nach den Bedingungen des Hubschrauberverkaufs fragten. Man teilte ihnen mit, es habe keine Bedingungen gegeben und dass wir israelischen Kommandeuren keine Ratschläge erteilen würden, diese benutzten diese Dinge eben in der Weise, in der sie wollten. Und diese Leute wussten genau, wofür die Kommandeure sie benutzten.

Zwei Wochen später wurde das alles in einem Bericht von Amnesty International verurteilt - worüber ebenfalls nicht berichtet wurde. Der Grund: Man hält es für das richtige Verhalten des Westens. Berücksichtigen Sie hier, dass Israel praktisch eine US-Militärbasis – ein Ableger des US-Militärs – ist. Derselbe Reporter zitierte einen General, der sagte: “Israel ist nicht länger ein Staat mit einer Armee, sondern eine Armee mit einem Staat.” Wenn man also von der israelischen Regierung spricht, spricht man vom Militär. Die hochrangigen politischen Akteure sind fast ausschließlich Ex-Generäle, Stabschefs oder Ähnliches. Und es ist keine kleine Armee. Laut Israelischer Armee bzw. laut Analysten sind die israelischen Luft-, Marine- und Panzerstreitkräfte größer und weiter etwickelt als die jeder NATO-Macht, mit Ausnahme der USA. Für einen Ableger des US-Militärs ist das schließlich selbstverständlich. Also haben wir es mit einer Armee mit einem Staat zu tun, die Armee ist faktisch eine Abteilung des Pentagon. So funktioniert das System: Es wird als okay empfunden, dass sie diese Strategie verfolgen – eine Million Kugeln in den ersten Tagen und US-Hubschrauber zur Ermordung von Zivilisten. Und weil das alles so normal ist, schickt man ihnen (den Israelis) noch mehr Helikopter. Und das Ganze hat eine lange Tradition.

Wenn Sie sich mit der Geschichte des Britischen Imperiums auskennen, finden Sie dort etliche Beispiele. Um einen Vertreter desselbigen – den angesehenen Staatsmann Lloyd George – zu zitieren, der 1932 in sein Tagebuch schrieb: “Wir [das Britische Empire] müssen uns das Recht vorbehalten, Nigger zu bombadieren.” Die Bemerkung bezog sich darauf, dass England soeben eine internationale Abrüstungskonferenz erfolgreich sabotiert hatte, mit der die Bombadierung von Zivilisten eingeschränkt werden sollte. Aber Großbritannien hatte schnell begriffen, dass der Einsatz von Luftstreitkräften zum Angriff auf Zivilisten weitaus kosteneffektiver und tödlicher war, als der Einsatz von Bodenstreitkräften. In Regionen, in denen das Empire nicht mehr über ausreichend Macht verfügte, um die Kontrolle am Boden zu gewährleisten, wurden eben Luftstreitkräfte eingesetzt – in der arabischen Welt, gegen Kurden, Afghanen, Irakis und andere Leute, die nicht auf die Titelseiten kommen. Der Einsatz der Luftwaffe stellte sich als ein sehr effektives Mittel zur Kontrolle und Unterdrückung von Zivilbevölkerungen dar. Aus diesem Grunde versuchte Großbritannien natürlich, Abrüstungskonventionen zu sabotieren, die solche Bombardements blockieren (so wurde ein Präzedensfall geschaffen, dem nun auch die Nachfolger der Briten - was die globale Herrschaft anbelangt -, nacheifern). Lloyd Georges Kommentar zu diesem Erfolg bzw. sein Lob für die britische Regierung, die das Abkommen hintertrieb, war jene Äußerung: “Wir müssen uns das Recht vorbehalten, Nigger zu bombadieren.” Es ist das wesentliche Prinzip der europäischen Zivilisation - und grundlegende Prinzipien dieser Art pflegen langlebig zu sein. Leute sagen solche Dinge normalerweise nicht in aller Öffentlichkeit, aber Lloyd George hat seine und deren innere Gedankengänge und die zugrundeliegende Gründe durchaus korrekt wiedergegeben. Was ich oben in Bezug auf die ersten Tage der Intifada umrissen habe, ist ein perfektes Beispiel dafür.

Wir könnten von hier aus weitergehen in der Geschichte - bis zum heutigen Tag bzw. zurück bis in die frühesten Tage jener Besatzung, die von Anfang an eine sehr harte und brutale war (wobei Israel innerhalb des eigenen Territoriums die meiste Zeit von Vergeltung verschont blieb). Israel hat eine brutale, unterdrückerische, oft mörderische Politik verfolgt – in erster Linie ist es die altbekannte Imperialtaktik: Demütigung, Erniedrigung und sicherstellen, dass die “Arabushi” (hebräischer Slang für “Nigger”) nicht aufmucken. Sollten sie es dennoch tun, werden sie niedergeschlagen, während man ihnen mit Hilfe der US-Armee ihr Land und ihre Ressourcen wegnimmt. Es ist eine amerikanisch-israelische Operation, und diese dauert bis heute an. All das ging in Ordnung - bis die "Arabushi" den Kopf erhoben, die "Nigger" anfingen, uns zu bombardieren. In diesem Moment war von einem schrecklichen Verbrechen die Rede. Es ist mit Sicherheit ein Verbrechen, aber es ist nicht das erste und nicht das größte. Das wäre uns auch völlig klar, wenn wir imstande wären, in den Spiegel zu schauen und uns und unser Tun zu hinterfragen.

Betrachten wir die Sache von der politischen Seite. Sind die "Arabushi" erst einmal geschlagen und hören auf, aufmüpfig zu sein, können wir reden und zu dem übergehen, was allgemein als “Diplomatie” bezeichnet wird. In der hebräischen Presse erschien vor kurzem ein weiterer Artikel - dieses Mal in unserer wichtigsten Tageszeitung, der New York Times. Der Artikel (von einem hochrangigen, ehemaligen Offiziellen des (israelischen) Außenministeriums und Vizepräsident der Universität von Tel Aviv) wurde ins Englische übersetzt. Darin weist der Autor die Ansicht zurück, der israelische Premierminister, General Ariel Scharon, verfolge keine Strategie, nein, er verfolge eine sehr alte Strategie: In den 70er und 80er Jahren habe das israelische Sicherheitspolitik-Establishment sehr genau beobachtet, was in Südafrika vor sich ging. Sie hätten Südafrika als Modell genommen, dem Israel nacheifern sollte.

Was sich zu jener Zeit in Südafrika abspielte, war der Versuch, sogenannte “Bantustans” zu errichten – unabhängige, von Schwarzen verwaltete Homelands. Auf dem Tiefpunkt der Apartheid buhlte die südafrikanische Regierung um internationale Unterstützung für die Vorstellung, diese, von Schwarzen verwalteten Staaten, könnten überlebensfähig sein: Die Führer waren schwarz, die Polizei war schwarz und die Bevölkerung war es zum größten Teil auch. Um internationale Unterstützung zu erhalten, unterstützte Südafrika die Homelands, es wurde sogar versucht, Industrien anzusiedeln, um die Homelands irgendwie überlebensfähig zu machen.

Gut, die Welt hat nicht mitgemacht, aber die Israelis und mit Sicherheit auch das US-Establishment hatten ein wachsames Auge auf diese Entwicklung. (Südafrika war zu jener Zeit ein Verbündeter der USA und Großbritanniens. Noch 1988 bezeichnete die US-Regierung Nelson Mandela und den ANC als “eine der berüchtigsten terroristischen Organisationen der Welt.” Der US-Kongress versuchte Sanktionen gegen Südafrika durchzusetzen, welche die Reagan-Administration am Ende schließlich genehmigen musste. Sie fand jedoch ein Hintertürchen, um den US-Handel mit Südafrika in den späten 80er Jahren sogar noch zu intensivieren. Ähnliche Spielchen spielte Großbritannien in Rhodesien und Südafrika).

1993 begannen die USA und Israel, die südafrikanische Lösung umzusetzen – das nannte man dann 'Friedensprozess von Oslo', ein Prozess, der von einer der führenden Tauben auf israelischer Seite, Schlomo Ben-Ami (Außenminister unter Ehud Barak und Chefunterhändler in Camp David) sehr treffend so beschrieben wurde: “Das Ziel des Osloer Prozesses ist es, eine neokoloniale Abhängigkeit der Palästinenser zu etablieren, die permanent sein wird.” Das bedeutet nichts anderes als Bantustans in den besetzten Gebieten. (Ben-Ami gehört zu den Tauben im (politischen) Spektrum des Landes - ein sehr eingeschränktes Spektrum, wie übrigens in den meisten Ländern). Während des Osloer Prozesses begannen Israel und die USA (man kann so etwas nicht ohne US-Erlaubnis oder -Unterstützung durchziehen), eine neokoloniale Abhängigkeit zu etablieren, die permanent sein sollte und deren Vorbild de facto die Bantustans waren.

Also ging der US-finanzierte Siedlungsbau während des Osloer Friedensprozesses munter weiter und fand seinen Höhepunkt in den letzten Jahren der Regierungen Clinton und Barak. Die Weiterverfolgung der Siedlungspläne wurde auch danach fortgesetzt – Scharon ließ die Sache eskalieren. Ja, es gibt ein politisches Spektrum, aber es ist alles dieselbe Politik.

Die israelischen Siedlungen wurden im Hinblick auf die Zukunft angelegt – Sie brauchen sich nur einmal die Karten anzusehen. Nehmen Sie die Karten, die in Camp David präsentiert wurden. Camp David wurde in den USA und im Westen größtenteils als ein fantastisches, großmütiges und großzügiges Angebot von Clinton und Barak bewertet - das die schrecklichen Palästinenser ausschlugen. Deshalb seien sie an ihrem Schicksal selber schuld. In den USA wurden die Karten nicht gezeigt. Dies wäre allerdings von Wichtigkeit gewesen, um selber entscheiden zu können, wie fantastisch und großzügig das Angebot ist. Dass die Karten nicht gezeigt wurden, hatte einen guten Grund: Sie hätten exakt gezeigt, wie fantastisch und großzügig das Angebot tatsächlich war (und es ist immer besser, wenn die Öffentlichkeit nichts über diese Dinge weiß, speziell, wenn von unseren großherzigen, tollen Führern die Rede ist).

In Israel wurden Karten veröffentlicht. Sieht man sich diese Karten einmal an, so merkt man, wie "großzügig" das Camp-David-Angebot wirklich war und was Ben-Ami damit meinte, als er von “permanenter neokolonialer Abhängigkeit” sprach. Die Karten spiegeln die Siedlungspolitik der Regierungszeit Peres/Rabin. Israel nimmt sich (laut Karten) zum Beispiel, was dort als "Jerusalem" bezeichnet ist. Das heutige Jerusalem ist aber ein gewaltiges Gebiet - nicht zu vergleichen mit dem Jerusalem von vor 1967 (das damals unter Verletzung von Entscheidungen des UN-Sicherheitsrats von Israel praktisch annektiert wurde). Im Osten von dem, was als "Jerusalem" bezeichnet ist, existiert eine israelische Siedlung (die eine Stadt umschließt, nämlich Ma' al Aduminm); diese erstreckt sich faktisch bis Jericho und wurde einzig mit der Absicht gegründet, die Westbank in zwei Teile zu zerschneiden. (Eine Stadt oder eine Siedlung bedeutet Infrastruktur, Straßen, Bauvorhaben an den Rändern der Straßen und so weiter). Ein weiteres Bauvorhaben im Norden reicht bis zur israelischen Siedlung Ariel und darüber hinaus und sollte die nördliche Hälfte in zwei Teile teilen. Daraus ergaben sich drei Haupt-Kantone: ein nördlicher, rund um Nablus, ein zentraler um Ramallah und ein südlicher, mit Teilen von Bethlehem. Diese drei Kantone wären abgetrennt von dem kleinen Restteil Ost-Jerusalem, welcher unter palästinensischer Kontrolle verbleiben sollte. (Jerusalem ist traditionell das kulturelle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Zentrum palästinensischen Lebens, tatsächlich sogar der ganzen Region.) Was das Westjordanland angeht, waren vier Kantone vorgesehen, abgetrennt von Gaza, dem fünften Kanton. Das Schicksal von Gaza stand damals noch nicht fest.

Das also war das großzügige Angebot. Sie sehen, warum man keine Karten präsentiert hat. Es sollte noch angemerkt werden, dass Clinton und Barak damals in Camp David die Situation tatsächlich etwas verbesserten. Vor Camp David, waren die Palästinenser im Westjordanland in über 200 getrennte Areale aufgeteilt (manche nur einige Quadratkilometer groß und umschlossen von Barrieren und Straßensperren, hauptsächlich mit der Absicht der Demütigung und Erniedrigung, sie hatten keine ernstzunehmende militärische Funktion). Man reduzierte die Anzahl dieser Areale von 227 auf 4. Das war ein Schritt vorwärts, ein Schritt in Richtung jener südafrikanischen Lösung. Erinnern Sie sich bitte an meine obigen Bemerkungen, denn die südafrikanischen Bantustans (was immer man davon hält) waren, im Gegensatz zu dem, was man den Palästinensern anbot, zumindest im Ansatz überlebensfähig.

Die Siedlungsprogramme stellten sicher, dass die wichtigsten Ressourcen (das beste Land im Westjordanland oder die netten Vororte von Tel Aviv und Jerusalem) größtenteils unter israelischer Kontrolle verblieben/verbleiben - mit dem Ergebnis, dass die Palästinenser weiter in neokolonialer Abhängigkeit leben.

Gemäß den Osloer Verträgen sollte der neu gegründeten Palästinensischen Autonomiebehörde dieselbe Rolle zukommen, die Südafrika einst den Führern der schwarzen Homelands zugedacht hatte. Das Wichtigste für Südafrika war die Sicherheit der weißen Bevölkerung - um jene notorische Terrororganisation des Nelson Mandela und des ANC davon abzuhalten, den Menschen, die zählten, Schaden zuzufügen. Gleichzeitig behielten sich die Menschen, die zählten, das Recht vor, die “Nigger zu bombadieren” - es ist quasi dasselbe.

Aber die Araber schießen nicht zurück, denn wenn sie's tun, gelten sie al berüchtigte Terroristen. Das Gleiche gilt für die palästinensischen Bantustans. Es war vorgesehen, dass die Palästinensische Autonomiebehörde brutal, repressiv und korrupt vorgeht. Das war exakt, was Israel und die USA wollten, und darum mochten sie Arafat. Ihre Kritik an ihm war berechtigt, er sollte ja brutal, korrupt und repressiv sein, um die Bevölkerung zu kontrollieren und deren neokoloniale Abhängigkeit zu unterstützen. Premierminister Rabin sprach kurz nach dem Osloer Prozess sehr offen darüber, er sagte in der hebräischen Presse “sehen Sie, wenn wir der Palästinensischen Autonomiebehörde die Sicherheitskontrolle überlassen, werden sie in der Lage sein, die Bevölkerung zu kontrollieren, ohne sich um den Obersten Gerichtshof, Menschenrechtsorganisationen oder Mütter oder Väter, die vielleicht nicht mögen, was ihre Kinder tun, scheren zu müssen.” Und falls Arafat europäische Gelder stiehlt oder seine Autonomiebehörde in Gaza in Villen lebt, während die Bevölkerung verhungert, geht das in Ordnung, solange sie nur ihren Job tun – die Bevölkerung kontrollieren und die etablierte neokoloniale Ordnung aufrecht erhalten bzw. sicherstellen, dass den Menschen, die zählen, kein Schaden zugefügt wird. Sie dürfen die "Nigger" bombardieren, aber sie selber werden nicht verletzt. Das war die Politik der Clinton-Administration, die solange weiterging, bis die "Nigger" sich erhoben. Dann bekamen sie eine Million Kugeln, Hubschrauber, zwei Stunden Feuer nach einem einzigen Pistolenschuss - und sie bekamen die Empörung des Westens zu spüren, wenn die falschen Menschen Opfer von Verbrechen wurden. Es sind ohne Zweifel Verbrechen, aber Gewehrschüsse sind der falsche Weg. Das ist es im Wesentlichen, wir können es ignorieren, aber rein technisch gesehen liegen die Fakten so ziemlich auf der Hand.

Anmerkungen

Der Text basiert auf einem überarbeiteten Transkript eines Live- Videovortrages vom Massachusetts Institute of Technologie für die schottische Palästina Solidatitätskampagne.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel ist eine Spiegelung von http://www.zmag.de/artikel.php?id=1786