Frankreich vor der Abstimmung über den EU-Verfassungsvertrag (Teil 2)
DAS LINKE, DAS RECHTE UND DAS GEWERKSCHAFTLICHE "NEIN"

Von Bernhard Schmid (Paris).
05/05

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Am 29. Mai stimmt Frankreich über den EU-Verfassungsvertrag ab, auf den sich die 28 Staatschefs der EU sowie der Beitrittskandidaten Rumänien, Bulgarien und Türkei am 18. Juni vergangenen Jahres in Rom geeinigt hatten. Seit einigen Wochen zeichnet sich ab, dass am Ende eine Mehrheit für die Ablehnung des Vertragswerk stimmen könnte. Die zu erwartenden Gegenstimmen kommen freilich aus unterschiedlichen politischen Richtungen und haben verschiedene Motive.

Am Anfang war...

Am Anfang stand die Arroganz der Macht. Würden sie in einer Abstimmung über den Verfassungsvertrag der Europäischen Union befragt, dann könnten sie überhaupt nur zustimmen ­ davon war Präsident Jacques Chirac überzeugt. Denn "Europa", so dachte und denkt man an der Staatsspitze und in der Regierung, ist gleichbedeutend mit unausweichlichen wirtschaftlichen Sachzwängen, mit einer notwendigen "Rolle in der Welt", aber auch mit "Frieden seit 1945". Dagegen zu sein bedeutet demnach die Absage an eine politische Existenz "zwischen den Großmächten", an die Vernunft schlechthin wie auch an den Frieden und andere hehre Ideale.

Kurzum: Die Frage der Annahme oder Ablehnung des Verfassungsvertrags zum Gegenstand einer Volksabstimmung zu machen, erschien Chirac als geeignetes Mittel, um sich ein Plebiszit zu gönnen. Das Ergebnis des Referendums, das unausweichlich positiv ausfallen müsse, würde auch als persönliche Bestätigung des Präsidenten erscheinen, der den Gegenstand zur Abstimmung vorlegte. Und so entschied Chirac sich im Sommer vorigen Jahres gegen eine parlamentarische Ratifizierung des Verfassungsvertrags und zugunsten eines Referendums. Eine solche Abstimmung war freilich auch von einem Teil der Linken verlangt worden, wo man die Bestimmungen des Verfassungsvertrags bis in die Reihen der Sozialistischen Partei hinein kritisch bewertete. Umso besser, dachte sich Jacques Chirac: Die Sozialisten gespalten zu sehen ­ das bleiben sie bis heute - und gleichzeitig den bürgerlich-konservativen Block hinter dem Vertragswerk vereint zu wissen, erschien ihm als eine umso angenehmere Aussicht.

Nicht einmal Argumente glaubten Chirac und seine Gefolgsleute zunächst nötig zu haben. Anlässlich eines Besuchs bei der jährlichen Landwirtschaftsmesse in Paris ­ einer der Lieblingsorte Chiracs, der seine Karriere dereinst in den 60er Jahren als Landwirtschaftsminister begann ­ fragte ein Mann im Februar den Präsidenten, was dieser denn dazu meine, falls er bei der Abstimmung mit Nein stimmen wolle. "Sie würden eine ordentliche Dummheit machen" lautete die einzige Antwort Chiracs. Opponenten sind Idioten: Die Replik des Staatschef machte alsbald Furore.

Und dann kam der saubere Herr Bolkestein dazwischen

Doch dann kam alles anders. Ab März kippte die Mehrheit in den Umfragen, die bis dahin bei stabilen Zustimmungswerten um die 60 Prozent zum Verfassungsvertrag gelegen hatten. Dazu trug die von Linken und Gewerkschaftern aufgebrachte Debatte um die Dienstleistungs-Richtlinie des ehemaligen EU-Kommissars Frits Bolkestein erheblich bei. Deshalb wurde die umstrittene Richtlinie ­ von der ein erhebliches Sozialdumping befürchtet wurde, da sie vorsieht, dass Dienstleister europaweit zu arbeits- und sozialrechtlichen Standards ihres jeweiligen Herkunftslands tätig werden können ­ in Brüssel zunächst bis nach dem französischen Abstimmungstermin auf Eis gelegt; sie soll jetzt im Sommer debattiert und im September verabschiedet werden. Präsident Jacques Chirac durfte das zu Hause als persönlichen Erfolg verkaufen, obwohl die gesamte EU-Spitze in Brüssel Mitte März beschlossen hatte, so zu verfahren, um die Annahme des Verfassungsvertrags in Frankreich nicht zu gefährden.  

Zwar ist der Richtlinien-Entwurf nicht vom Tisch, wie Chirac zunächst behauptete, sondern nur seine Annahme ist verzögert worden, und am Text werden einige Überarbeitungen vorgenommen werden. Aber Chirac behauptet einstweilen einfach mal drauf los: "Eine gründliche Überarbeitung ist identisch mit dem Rückzug der Richtlinie". Auch ansonsten versucht er die neoliberale Realität der EU vorerst zu kaschieren. Ein Auftritt des rechtsliberalen Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso im französischen öffentlichen Fernsehen, der am 21. April geplant war, musste auf persönliche Intervention des Präsidenten hin abgesagt werden: Chirac wollte nicht, dass der ungeschminkte marktfundamentalistische Diskurs des amtierenden Kommissionspräsidenten ihm alle Bemühungen, den Ausgang des Referendums zu beeinflussen, zunichte mache.  

Den Herrn Bolkestein konnte der Präsident dagegen nicht am Reden hindern, auch wenn er es besser getan hätte: Der niederländische ehemalige EU-Kommissar hat ein Haus in Nordfrankreich, nahe der belgischen Grenze. Er beschwerte sich jüngst lautstark darüber, es sei so schwierig, für die Instandhaltung seines Hauses in notwendiger Kürze Personal (er nannte Elektriker und Klemptner) zu bekommen, als ob er keine "Gelben Seiten" aufschlagen könnte. Allgemein wurde sein Herumpöbeln so verstanden, dass ihm das Personal nicht billig und willig genug sei. Die Elekrizitätsarbeiter der CGT Energie drehten dem feinen Herrn deswegen Anfang April kurzfristig den Saft ab.  

Die Gewerkschaften und das Referendum  

Zunächst hatte man seitens der Regierung geglaubt, zumindest auf das Stillhalten der Gewerkschaften hoffen zu dürfen. Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB), eine an die EU-Kommission angekoppelte Lobbyorganisation, hatte vorab den Entwurf des Verfassungsvertrags unterstützt. Nun stellt der EGB zwar nicht wirklich eine soziale Bewegung dar, sondern eher einen bürokratischen Wasserkopf mit etwa 40 Hauptamtlichen, der auf die Brüsseler Institutionen Einfluss zu nehmen versucht. Aber fast alle Gewerkschaften in Europa, die nicht von der Entwicklung abgehängt werden wollen, sind in ihm Mitglied oder streben eine Mitgliedschaft an. Die französische "postkommunistische" CGT ist, nach längeren Verhandlungen, 1999 aufgenommen worden. Deswegen wurde von ihr auch ein "konstruktives" Verhalten erwartet.  

Doch dann rebellierten bedeutende Teile die Basis sowie der mittleren Funktionärsebene, die beim neuen sozialpartnerschaftlichen "Modernisierungs"-Kurs der Verbandsspitze unter Bernard Thibault nicht mitziehen will. Am 2. Februar beschloss eine Verbandstagung der CGT mit einer Mehrheit von über 82 Prozent der Delegierten, zum "Nein" beim Referendum aufzurufen. Die "eigene" Führung unter Generalsekretär Thibault geißelte daraufhin wochenlang den Beschluss in allen bürgerlichen Medien als Vergewaltigung des Gewissens der "einfachen" Mitglieder, die nicht gefragt worden seien ­ als ob das bei anderen Entscheidungen eher der Fall wäre ­ und die von ihren Funktionären manipuliert würden. Dabei hatten viele der Delegierten bei der Abstimmung ein imperatives Mandat ihrer Branchen- oder Ortsverbände, und die Befürworter des Verfassungsvertrags kann man an der Basis der CGT mit der Lupe suchen.  

Doch das tat der Entschlossenheit keinen Abbruch. Bei der europaweiten Gewerkschafterdemo gegen die Bolkestein-Richtlinie, Mitte März in Brüssel, reisten 15.000 bis 20.000 Demonstranten der CGT an, die zahllose Transparente gegen den Verfassungsvertrag trugen. Aber seitens der rechtssozialdemokratischen CFDT, die auf dem Papier fast ebenso viele Mitglieder zählt, waren nur 700 bis 1000 Demonstranten ­ oft hauptamtliche Funktionäre - angereist, die unter Pfiffen und Buhrufen mit Aufklebern zugunsten des Verfassungsvertrags marschierten. Den diesjährigen Demonstrationen zum 1. Mai blieb die CFDT, als zweitgrößter Gewerkschaftsbund in Frankreich, gleich ganz fern: Sie wolle keine "Veranstaltung für das Nein zur EU-Verfassung" unterstützen, lautete die offizielle Begründung. Damit hatte ihr pro-neoliberaler Funktionärskader die Stimmung in den Straßenumzügen wohl richtig eingeschätzt.  

Das Jojo-Spiel der Umfragen  

Seit März lag das "Nein" in insgesamt dreißig aufeinander folgenden Umfragen zu den Abstimmungsabsichten in Führung, die Ablehnungswerte lagen wochenlang zwischen 52 und 58 Prozent der Befragten. Doch Anfang Mai trat erneut ein gewisser Umschwung ein, und in den letzten Wochen ließ sich kaum noch mit Sicherheit voraussagen, wie die Abstimmung ausgehen werde. In den Befragungen lag mal die eine und mal die andere Position vorne.  

Der leichte Aufschwung zugunsten der Befürworter hing damit zusammen, dass die großen staatstragenden Parteien und vor allem die beiden konservativ-liberalen Formationen ­ die Regierungspartei UMP und die christdemokratische UDF ­ ihre Anhängerschaft zu mobilisieren beginnen. Dabei zeigte sich eine starke soziale Polarisierung in den Umfrageergebnissen: Während 85 Prozent der leitenden und höheren Angestellten mit "Ja" zu stimmen beabsichtigen, tendieren drei Viertel der Arbeiter und eine deutliche Mehrheit "einfachen" Angestellten zur Ablehnung des Verfassungsvertrags. Die Wählerschaft der KP zeigt sich, neben jener der extremen Rechten, mit über 90 Prozent als stärkste Bastion des "Nein"-Lagers. Dagegen ist die sozialistische Wählerschaft in zwei genau gleich große Hälften gespalten.  

Auch die intensive Medienpropaganda spielte eine Rolle dabei, dass die Befürworter wieder an Terrain gewannen. Selbst nach offiziellen Angaben der Fernseh-Aufsichtsbehörde CSA haben in den letzten Wochen die Unterstützer des Verfassungsvertrags drei Viertel der Sendezeit eingenommen. Und dabei zählt der "Hohe Fernsehrat" CSA die Auftritte von Präsident Chirac nicht einmal mit, da dieser nach den Spielregeln der Aufsichtsbehörden als "über den politischen Lagern stehend" gilt.  

Dagegen hat der Streit um den Pfingstmontag, der in diesem Jahr erstmals in Frankreich als gesetzlicher Feiertag abgeschafft und zum Pflichtarbeitstag gemacht wurde, in den letzten Tagen den Pegel des sozialen Unmuts stark ansteigen lassen. Auch damit wird erklärt, dass der Anteil der Stimmabsichten für das "Nein" am vorigen Wochenende wieder auf 54 Prozent gestiegen war. Die Regierungspolitik, die sich bei antisozialen Maßnahmen gar zu gern auf "Druck aus Brüssel" beruft, und der Inhalt der EU-Politik werden von vielen Vertragsgegnern weitgehend miteinander identifiziert.  

Fortschritt für Grundrechte oder nicht?  

Die Anhänger des Vertragswerks stellen in ihrer Abstimmungskampagne vor allem darauf ab, dass der Vertragswerk eine Grundrechts-Charta enthalte und die Rechte des Europäischen Parlaments ausdehne. Dabei wird aber auch künftig das so genannte Europaparlament nicht das gesetzgeberische Initiativrecht besitzen: Entwürfe für Richtlinien und Verordnungen können weiterhin nur vom Ministerrat und der EU-Kommission, als Vertreter der nationalen Regierungen und der Brüsseler Exekutive, vorgelegt werden. Von einer Demokratie auf Unionsebene kann damit weiterhin keine Rede sein. Die Grundrechts-Charta fällt in weiten Teilen hinter den UN-Menschenrechtspakt und andere internationale Bestimmungen zurück und beschränkt sich an vielen Stellen auf wohlklingende Allgemeinplätze. So hat die Unionsbürgerin künftig zwar ein "Recht auf Zugang zu Gesundheitseinrichtungen", was die Frage offen lässt, ob sie die Versorgung dann bezahlen kann oder nicht ­ aber eben kein materielles "Recht auf Gesundheit", das die Politik zu garantieren hätte. Ähnlich sieht es in anderen Bereichen aus.  

Wovon die Befürworter hingegen in der Öffentlichkeit kaum reden, ist das dritte Kapitel der EU-Verfassung, das aber das bei weitem umfangsreichste ist und rund 70 Prozent des Vertragswerks ausmacht. Dieses enthält eine große Anzahl konkreter Bestimmungen, die dazu dienen, eine konkrete Politik festzuschreiben, die man als marktradikalen Wirtschaftsliberalismus beschreiben kann. Das Wort "Wettbewerb", das 174 mal vorkommt, ist eines der mit Abstand am häufigsten im Text vorkommenden. Kritiker wie der frühere hohe EU-Beamte Yves Salesse, der heute dem linken 'Think Thank' namens Fondation Copernic (Kopernikus-Stiftung) angehört, monieren, eine Verfassung habe normalerweise nur den institutionellen Rahmen einer Politik abzustecken. Aber sie habe eben nicht dazu zu dienen, die Inhalte der Politik selbst vorzugeben, also etwa, ob es sich um eine sozialistische oder marktliberale Politik zu handeln habe. Dies erscheine um so gravierender, als die so genannte Verfassung zwar in Wirklichkeit nur ein zwischenstaatlicher Vertrag sei, der aber nur bei Einstimmigkeit der Mitgliedsländer wieder abgeändert werden kann - bei 25 oder mehr Staaten quasi ein Ding der Unmöglichkeit.  

Damit fällt auch das Argument vieler Befürworter vor allem bei Sozialisten und Grünen in sich zusammen. Diese betonen in ihrem Abstimmungskampf häufig, der Verfassungsvertrag sei zwar in ihren Augen "nicht optimal", aber besser als keiner, und man könne ihn "als ersten Schritt betrachten, dessen Inhalt man später noch verbessern kann".  

Zwei grundverschiedene "Neins"  

Die Kritik an dem Vertragswerk kommt aber in Wirklichkeit aus zwei unterschiedlichen Richtungen, denn es gibt ein "Nein von links" ebenso wie ein "Nein von rechts", dessen Vertreter sich auch in der Öffentlichkeit nicht vermischen und getrennte Kampagnen betreiben. Letzteres wird vor allem von dem Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen und dem katholischen Nationalkonservativen Graf Philippe de Villiers vertreten. Beiden "Neins" liegt eine jeweils spezifische Fragestellung zugrunde.  

Die Frage, die hinter dem linken Nein steht, ließe sich so formulieren: "Nach welcher gesellschaftlichen Logik soll das Zusammenleben von 400 Millionen oder mehr Menschen funktionieren?" Dabei wird eine Logik des Wettbewerbs und der Anpassung sozialer Standards "nach unten" strikt abgelehnt, dagegen wird "eine Angleichung sozialer und demokratischer Standards nach oben" gefordert. Eine solche Anpassung nach oben habe noch bei der Aufnahme Spaniens und Portugals in die damalige EG 1986 stattgefunden, heute dagegen werde von offizieller Seite eher eine Logik des neoliberalen Sozialdumpings favorisiert.  

Dagegen lautet die Fragestellung der rechten Verfassungsgegner: "Wer darf in Europa sein, und wer muss draußen bleiben?" Eine absolut zentrale Stellung nimmt dabei die Frage eines künftigen EU-Beitritts der Türkei ein. Dessen Ablehnung macht einen großen Teil der rechten Nein-Kampagne aus, während auf der Linken etwa die KP, die trotzkistisch-undogmatische LCR und der linke Flügel der Grünen explizit eine Aufnahme der Türkei befürworten, falls diese demokratische Mindeststandards erfülle und den Genozid der Armenier endlich anerkenne. Beim Aufmarsch von 3 000 Le Pen-Anhängern am 1. Mai dieses Jahres war eines der beliebtesten Motive etwa das der russischen Puppe ­ mit Aufschrift "Verfassung" und den EU-Sternen -, aus der ein bärtiger Türke zum Vorschein kommt, begleitet von der Aufschrift "Islam raus aus Europa". Und in einem Flugblatt der Rechtsextremen, das am Pfingstmontag verteilt wurde, wird die Beitritt zum Front National mit folgenden Worten empfohlen: "Für ein Europa ohne Türkei: Werden Sie Mitglied." In eine ähnliche Kerbe schlägt auch der bürgerliche Rechtskatholik Graf de Villiers.  

Die rechten Gegner der EU-Verfassung können das Rennen auf jeden Fall nicht entscheiden. Denn in den letzten zwei Jahrzehnten gab es in Frankreich ein stabiles Wählerpotenzial von gut 15 Prozent rechter "Europa"-Gegner, das sich Le Pen und de Villiers teilten ­ wenn der eine erstarkte, ging der Anteil des anderen zurück und umgekehrt. Dieses Potenzial existiert, kann die Abstimmung aber nicht entscheiden. Entschieden wird die Niederlage oder Annahme des Vertrages mit den linken und gewerkschaftlichen Stimmen, vor allem aber durch die Verteilung des sozialistischen Wählerpotenzials, das zur Zeit in zwei gleich große Hälften gespalten zu sein scheint. Doch die konservative Regierung und mehr noch sozialdemokratische Parteiführung versuchen derzeit, Le Pen als Schreckgespenst zu instrumentalisieren, um vor allem das linksliberale und gebildete Publikum zur Zustimmung zu bewegen: Ein Sieg des Nein am 29. Mai stelle einen Erfolg des "Populismus" und damit Jean-Marie Le Pens dar, behaupten sie landauf landab. Dabei macht Le Pen noch nicht einmal sehr viel Wahlkampf, da er zu altern beginnt und seine Partei ­ die er streng monarchisch führt ­ in einer schweren Übergangskrise steckt, weil die Frage seiner offensichtlich anstehenden Nachfolge nicht geregelt ist.  

Für den offiziellen Fernsehwahlkampf in den letzten zwei Wochen vor der Abstimmung, der am Pfingstmontag begonnen hat, wählte die Regierung vier Parteien als offzielle Vertreter des "Nein" aus. Drei von ihnen sind national-autoritäre bis rechtsextreme Parteien, allein die KP soll von links her für die Ablehnung werben. Letztere will allerdings die Hälfte ihrer Sendezeit mit anderen progressiven Vertragsgegnern teilen, um wenigstens ein bisschen Pluralismus einkehren zu lassen.  

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ZUSATZ:  

AKTUELL IN BRÜSSEL:  "Europo" und die Arbeitszeit  

Vor dem französischen Referendum ziert man sich ein bisschen im Streit um die Richtlinie  

Es ist kein Geheimnis (für diejenigen, die es wissen wollen) dass mehrere Entwürfe für wirtschaftsliberale und antisoziale EU-Richtlinien derzeit in den Schubladen schlummern ­ und darauf warten, nach dem französischen und dem niederländischen Referendum ab Juni hervorgeholt zu werden. Die französische KP-nahe Tageszeitung "L¹Humanité" vom 12. Mai zitiert ihrer sechs. Es geht um die Privatisierung bzw. Wettbewerbs-Öffnung des Personentransports (nach der bereits begonnenen beim Gütertransport); um jene der Häfen; um das Patentrecht bei Computerprogrammen, wo den kostenlosen Programmen à la Linux der Garaus bereitet werden könnte... Und natürlich wartet die nur vorläufig zurückgenommene Dienstleistungs-Richtlinie des Herrn Frits Bolkestein darauf, nach den bevorstehenden Abstimmungen wieder auf den Tisch gelegt zu werden.  

Dagegen debattierte das Europäische "Parlament" in Brüssel (in Anführungszeichen deswegen, weil es keinerlei eigenes Gesetzgebungs-Initiativrecht besitzt, was ein Parlament normalerweise ausmacht) am Mittwoch, 11. Mai über die Arbeitszeit-Richtlinie.  

Es handelt sich um eine Überarbeitung der seit 1993 auf EU-Ebene geltenden Bestimmungen. Diese sehen bisher vor, dass die Arbeitszeit (sofern keine günstigeren nationalen Bestimmungen bestehen) nicht die durchschnittliche Dauer von 48 Stunden überschreiten darf. Dabei soll die Durchschnittsdauer über einen Zeitraum von 4 Monaten als Bewertungsgrundlage genommen werden. Gleichzeitig sieht das bisher geltende EU-Recht einen "opt-out" genannten Mechanismus vor: Demnach können abhängig Beschäftigte in ihrem Einzelarbeitsvertrag individuell auf die Einhaltung der Arbeitszeit-Obergrenze "verzichten". Das ist in mehreren EU-Ländern (darunter Deutschland, Frankreich und Spanien) derzeit im öffentlichen Krankenhauswesen vielfach der Fall.  

Insbesondere Großbritannien wendet diesen "Opt out"-Mechanismus exzessiv an. In vielen Sektoren haben die Lohnabhängigen natürlich nicht die Wahl, sofern sie einen Arbeitsplatz "erhalten" bzw. nicht verlieren wollen, und so arbeiten manche britischen Lohnabhängigen bis zu 70 Stunden pro Woche. Dies ist auf der Insel heute vor allem an den beiden entgegen gesetzten Enden des Lohnabhängigen-Spektrums der Fall: Einerseits bei den Brokern der Londoner City und den hoch bezahlten Angestellten von Marketing- und Werbeagenturen, andererseits bei Arbeitern auf dem Bau, Hotelangestellten und Saisonarbeitern in der Landwirtschaft. Insgesamt sind in Großbritannien 4 Millionen Menschen vom "Opt-out" betroffen.  

Das Votum vom Mittwoch  

Die Neuregelung, über die das Europa"parlament" am vorigen Mittwoch (11. Mai) abzustimmen hatte, wirkt in zweierlei Richtungen. Einerseits wird die Referenzperiode, für welche die durchschnittliche Wochenarbeitszeit berechnet werden soll, von derzeit 4 Monaten auf künftig 12 Monate ausgedehnt. Damit muss die Obergrenze von 48 Stunden nur noch "auf¹s Jahr" erreicht werden, was den Arbeitgebern bereits eine weitgehende Flexibilität im Umgang mit "ihren" Arbeitskräften ermöglicht.  

Andererseits soll, so lautete der von dem spanischen Sozialisten Alejandro Cercas vorgeschlagene "Kompromiss", der Opt out-Mechanismus bis zum 1. Januar 2010 verschwinden. Bis dahin wird eine neue Obergrenze festgelegt, die bei 65 Stunden Wochenarbeitszeit fixiert ist (für jene Beschäftigten, die von den "individuellen Ausnahmen" nach dem Opt out-Prinzip betroffen sind). Und schließlich enthält das "Kompromisspaket" auch die Einigung über die Bezahlung bon so genanntem Bereitschaftsdienst; das betrifft beispielsweise Ärzte, Krankenschwestern und manche Nachtwächter, die während dieser Periode zwar im Prinzip nicht aktiv arbeiten, aber jederzeit herbeigerufen oder wachgeklingelt werden können. Dieser Bereitschaftsdienst soll zwar künftig im Prinzip als Arbeitszeit gelten und auch bezahlt werden, aber nach einem Umrechnungsmodus, bei dem jedem EU-Land freigestellt ist, ob es einen zwölfstündigen Bereitschaftsdienst "als 10 Stunden, 5 Stunden oder auch 2 Stunden Arbeitszeit", so die französische sozialistische EU-Parlamentarierin Françoise Castex.  

Dieses "Kompromisspaket" erhielt am Mittwoch eine Mehrheit von 378 Stimmen gegen 262. Es ist offenkundig, dass das Zustandekommen eines solchen Mehrheitsblocks zumindest zum Teil dem Herannahen des französischen Referendums zu verdanken ist: Aus Frankreich stimmten ihm nicht nur Sozialisten und Grüne zu, sondern auch die christdemokratische UDF, die konservative Regierungspartei UMP und der rechtsextreme Front National. Die beiden bürgerlichen Parteien UMP und UDF treten normalerweise stärker zugunsten der "Flexibilität" der Arbeitskräfte ein, wollen aber ohne Zweifel den Ausgang des Referendums in Frankreich nicht gefährden. Der rechtsextreme FN seinerseits ist zwar (anders als UMP und UDF) gegen den Verfassungsvertrag. Aber gewöhnlich auch gegen Beschränkungen der Arbeitszeit, denn sein Chef Le Pen ist der festen Auffassung, dass "die Arbeit die Würde des Menschen darstellt" (so Jean-Marie Le Pen in seiner diesjährigen 1. Mai-Rede, wo er gleichermaßen gegen "Müßiggänger" und gegen "vom System, dem herrschenden Euro-Sozialdemokratismus, gewollte und erzeugte Arbeitslosigkeit" vom Leder zog). Sicherlich wollte auch der FN durch ein sozialdemagogisches Stimmverhalten die WählerInnen zugunsten seiner Position vor dem Referendum beeinflussen.  

So schien vorübergehend fast eitel Einigkeit zu herrschen ­ mal sehen, wie es nach dem Referendum darum stehen wird... Dagegen stimmte die Mehrheit der Europäischen Vereinigten Linken, in deren Fraktion auch die französische KP sitzt, gegen den "Kompromiss", weil dieser noch zu viel anti-soziale Bestimmungen enthalte. (Der Fraktionsvorsitzende, der französische Parteikommunist Francis Wurtz, enthielt sich dagegen der Stimme.)  

Auch die 19 britischen Labour-Abgeordneten im Europa"parlament" stimmten für den "Kompromiss". Dagegen hat die Regierung unter Premierminister Tony Blair angekündigt, europaweit eine Kampagne gegen ihn führen zu wollen, um ihn zu torpedieren und um die "Opt out"-Regelung beibehalten zu können. Unter den Ländern, die auf EU-Ebene mit der britischen Position übereinstimmen, nennt die Pariser Abendzeitung "Le Monde" in dieser Reihenfolge: "Deutschland (!!), Polen, aber auch die Slowakei, Lettland und Malta".  

Welche Konsequenzen?  

Welche Folgen wird das Votum vom Mittwoch haben? Der Beschluss ist auf jeden Fall nicht bindend. Die Änderungen, die das Europa"parlament" an der Vorlage der Kommission (also der Brüsseler Exekutive, des Technokratenorgans, das die EU anführt) vorgenommen hat, können vom Ministerrat wieder gekippt werden. Nun steht die Ausweitung der Referenzperiode von 4 auf 12 Monate im Entwurf der Kommission, dagegen ist die Streichung des "Opt out"-Mechanismus vom EP vorgenommen worden. Der amtierende EU-Kommissar für Arbeit und Beschäftigung, der Tscheche Wladimir Spidla, hat bereits angekündigt, dass die Brüsseler Kommission ihrerseits diese Initiative des Parlaments ­ die Streichung des "Opt out" ­ nicht akzpetieren wird.  

Nur, wenn der Ministerrat (als Vertretung der nationalen Regierungen) die Änderung durch das Europa"parlament" einstimmig unterstützt, gilt diese als angenommen. Widrigenfalls wird die Änderung gestrichen, kann aber in einer zweiten Lesung nochmals vom Europäischen "Parlament" angenommen werden, woraufhin sie vor einen Ermittlungsausschuss kommt. Im zweiten Anlauf trifft der Änderungsantrag des EP allerdings auf eine höhere Hürde: Die absolute Mehrheit der abstimmenden Mitglieder muss mit "Ja" votieren (während in der ersten Lesung die "Ja"-Stimmen nur die Zahl der "Nein"-Stimmen überwiegen muss, ungeachtet der Enthaltungen und eventuellen ungültigen Stimmen).  

Befürworter der EU-Verfassung unter den französischen Sozialdemokraten behaupten derzeit, sie vertrauten darauf, dass eine solche Mehrheit auch im zweiten Anlauf erreicht werde. Tatsächlich stimmten 378 Mitglieder des EP in erster Lesung dem "Kompromiss" zu, und 367 müssten es im zweiten Anlauf sein. Nur: Das zweite Mal wird nach dem Referendum abgestimmt werden. Ob die Mehrheitsverhältnisse dann noch so aussehen wie vorgestern... Abwarten und Wetten abschließen?

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde uns vom Autor am 17.5.2005 zur Verfügung gestellt. Eine Kurzfassung erschien in "Jungle World" vom 11. Mai 2005 und "Die Wochenzeitung" (WoZ) vom 19. Mai 2005.