Was linke Franzosen lesen - Übersicht über linke Medien in Frankreich

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on Bernhard Schmid (Paris)
05/05

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Andere Zeiten, andere Zeitungen? Es war eine bewegte Epoche, als der Philosoph Jean-Paul Sartre den Chefredakteursposten der neu gegründeten Tageszeitung Libération übernahm. Sein Engagement hatte er bereits zuvor unter Beweis gestellt, als kurzzeitiger Handverkäufer der maoistischen Zeitung La cause du peuple, die vom Verbot bedroht war.

Die heutige Tageszeitung, bekannt unter dem Kurznamen "Libé", geht auf das linksradikale Journalistenbüro »Agence Presse Libération« zurück. Es wurde 1971 nach einer Besetzungsaktion für die Inhaftierten der Organisation Gauche prolétarienne (GP) begründet, um zukünftig Kommuniqués besser veröffentlichen zu können. Zu einem der ersten größeren Erfolge der Agentur wurde die Berichterstattung über die Entführung eines Arbeitgeberfunktionärs, der 14 Tage lang im Pariser Nordosten festgehalten wurde ­ Kunststück, den hatten die eigenen Genossen entführt, die eifrig Erklärungen herüberschoben. Das Büro wurde ab Januar 1973 zum Zeitungsprojekt.

'Libération', dereinst Vorbild und große Cousine der "taz"

Mit ihren wilden Zeiten hat die heutige Libération freilich abgeschlossen. Bereits 1981, zur Zeit der Amtsübernahme des sozialistischen Staatspräsidenten François Mitterrand, wurden die Ecken und Kanten abgeschliffen. Die Macht der oftmals chaotischen Vollversammlungen wurde gebrochen, der ehemalige Maoist Serge July ernannte sich zum »richtigen« Chefredakteur mit allen Vollmachten, und statt staatsfeindlicher Agitation war Hoffnung auf »Reformen« unter Mitterrand angesagt. Libération besitzt heute ein unscharfes linksliberales Profil; lediglich die eine oder andere Reportage macht die Zeitung hin und wieder interessant. Serge July ist längst ein ganz normaler Chef und saturierter Bürger.

Die wirtschaftliche Rezession der Jahre 1992/93 erfasste auch Libération. Die Zeitung entpolitisierte sich zusehends und versuchte, zur endlich "normalen" Tageszeitung zu werden. Ab September 1994 erschien eine völlig neue Libération: bunter, billiger, unterhaltsamer - ein quotidien-encyclopédie, die Tageszeitung als Lexikon, das unter jedem Stichwort schnell und scheinbar objektiv informieren sollte. Die Auflage betrug zu dieser Zeit 170 000, das angepeilte Ziel von 200 000 aber erreichte das Blatt nicht. Wegen der Anzeigenverluste durch die Wirtschaftskrise verringerten sich die Werbeeinnahmen, 1994 und 1995 geriet das Blatt tief in die roten Zahlen. Serge July leitet daher einen neuen "Tabubruch" ein: das Fremdkapital. Im April 95 trat ein Großinvestor in das Stammkapital der Tageszeitung ein: die Konzerngruppe Chargeurs-Pathé, die einen Textilkonzern sowie ein großes Medienunternehmen (Eigentümer der Kinokette Pathé) umfasst. Seitdem haben einige Kapitelverschiebungen stattgefunden.

Aktuell ist der wichtigste Großaktionär, dem seit April dieses Jahres über 38 Prozent der Eigentumsanteile an Libération hält, der Finanzunternehmer Edouard de Rothschild. Dieser bezeichnet sich selbst als "aufgeklären Konservativen" und Freund des neuen Shooting Stars der politischen Rechten, Nicolas Sarkozy. Er will aber (anders als der Rüstungsindustrielle Serge Dassault, dem seit vorigem Jahr ein Drittel der französischen Zeitungslandschaft gehört, darunter der konservative Figaro) nicht direkt ins Redaktionsgeschäft eingreifen. Gut 18 % der Aktien gehören dem Personal von Libération und knapp 17 % der Pathé-Gruppe. Die Auflage ist in jüngerer Zeit auf knapp unter 150.000 abgesunken. Am Kiosk kostet das Blatt 1,20 Euro - ein durchschnittlicher Preis für eine Tageszeitung.

"Charlie Hebdo": Vom wüsten Satireblatt zur braven Postille mit Grünen-Nähe

In den frühen neunziger Jahren, mitten in der politischen Resignation, welche die Ära Mitterrand in weiten Teilen der Linken hinterließ, erfolgte die »zweite Geburt« der linken Wochen- und Satirezeitung Charlie Hebdo. Diese zur Hälfte aus Zeichnungen und zur anderen Hälfte aus Text bestehende antiautoritäre Zeitung hatte ihre erste große Zeit in den frühen siebziger Jahren gehabt. 1992 fanden sich einige der damaligen Blattmacher zwecks Wiederbelebung zusammen. Bis Mitte der neunziger Jahre gelang Charlie Hebdo ein rascher Wiederaufstieg. Mit einem kritischen und radikalen Profil zog die Zeitung sowohl ehemalige Leser an als auch ein jüngeres Publikum, das in Zeiten gesellschaftlichen Stillstands nach Bewegung Ausschau hielt. Zeitweise erreichte die Auflage 90 000 Exemplare.

Unvergessen bleibt das Engagement der Redaktion gegen religiöse Fanatiker aller Couleur. So traf es auch die rechtskatholischen Abtreibungsgegner, die so genannten »commandos anti-IVG«; IVG steht für »freiwilligen Schwangerschaftsabbruch«. Im Herbst 1995 kündigte der Chefredakteur Philippe Val in einer Fernsehsendung zum Thema an, seinerseits commandos anti-bon Dieu (Anti-Lieber Gott) aufzustellen. Im Anschluss an die Sendung wurde er auf dem Parkplatz vermöbelt, doch der Publikumserfolg war gesichert.

Dennoch stieß das Projekt in den folgenden Jahren an seine Grenzen. 1999 kam es zum heftigen Streit. Anlass dafür war einerseits die überdeutliche Annäherung Philippe Vals und eines Teils der Redaktion an die Grünen. Der damalige Spitzenkandidat der in Paris mitregierenden Ökopartei bei den Europawahlen 1999, der Neoliberale Daniel Cohn-Bendit, wurde im Blatt mit Gefälligkeitsinterviews hofiert. Das missfiel einem Teil der Mitarbeiter deutlich. Die zweite, heftig diskutierte Streitfrage betraf die Haltung zum Kosovo-Krieg. Die Positionen Cohn-Bendits teilend, unterstützte Chefredakteur Val den »Krieg für die Menschen- und Minderheitsrechte«. Das sorgte für Stress und Ärger.

Der Konflikt endete mit dem Abgang profilierter Redakteure. Die Auflage fiel von gut 70 000 auf circa 50 000. Im Frühjahr 2000 betrieb Philippe Val einen Relaunch der Zeitung, der weniger Text und mehr Zeichnungen zur Folge hatte. Seitdem ist das Blatt sehr viel harmloser geworden. Charlie Hebdo bleibt ein wirtschaftlich gut gehendes Kleinunternehmen, das auch Comicbände mit Zeichnungen mancher Autoren, T-Shirts u.a. vertreibt. Der Kioskpreis stieg mit der Euro-Einführung von vorher 10 Francs (1,52 Euro) auf nunmehr 2 Euro. Für eine Wochenzeitung ist das relativ preisgünstig, Charlie - im Zeitungsformat - kostet jedenfalls deutlich weniger als die anderen Wochenpublikationen, die meist im Magazinformat erscheinen.

Was sich weiter links so tummelt

Aus einer Abspaltung mehrerer Mitglieder der Pariser Redaktion entwickelte sich vor drei Jahren eine neue Zeitung, die radikale Gesellschaftskritik betreibt und in Marseille erscheint: die CQFD, was französischen Philosophie-Schülern als Kürzel für »Was zu beweisen war« (ce qui fut à démontrer) bekannt ist, aber in diesem Fall für das anspruchsvolle Programm steht: »Ce qu¹il faut dire, détruire, découvrir Š« (Was man sagen, zerstören, entdecken muss.) Damit bringt es die Monatszeitung heute auf eine Auflage von 20 000 Exemplaren. Sie begleitet intensiv die Bewegung der Arbeitslosen, Prekären und streikenden Kulturarbeiter, bietet Berichte vom prekären Alltag wie von laufenden Kämpfen.

Umstrittener als CQFD ist das medienkritische Projekt PLPL (»Pour lire pas lu« »Lesen, was nirgendwo zu lesen war«), dessen Publikation in etwa zweimonatigem Rhythmus erscheint. Der Anspruch besteht darin, das aufzudecken, was andere Medien verschweigen. So knöpft man sich gern den Jet-Set-Intellektuellen Bernard-Henri Lévy vor, der in Frankreich auf allen Kanälen präsent ist. Oder man arbeitet in einem langen Dossier zum Thema »Die Medien und der Streik« heraus, dass die großen bürgerlichen Tageszeitungen die Massenstreiks des Frühsommers 2003 manipulativ als Produkt »irrationaler Furcht und Demagogie« hinzustellen versuchten. Dennoch ist PLPL auch unter Linken wegen des scharfen Tonfalls und unter die Gürtellinie zielenden Attacken auf bürgerliche Medienstars nicht immer beliebt.

CQFD kann man für mindestens 15 Euro im Jahr (je nach Einkommen) abonnieren, die nur alle zwei Monate erscheinende PLPL für 20 Euro im Zwei-Jahres-Abo.

Schließlich verfügt in Frankreich noch jede linke Strömung oder Organisation über ihre eigenes Publikationsorgan. So die Anarchokommunisten mit Alternative libertaire oder die beiden trotzkistischen Parteien mit Rouge oder Lutte Ouvrière. Während letztere reichlich dröge erscheint, trotz mitunter interessanter Betriebs- und Gewerkschaftsinformationen, wird Rouge durch die frechen Karikaturen des Künstlers Faujour aufgelockert. Die Anarchisten verfügen mit Le Monde libertaire über eine eigene Wochenzeitung, die auch an einigen Kiosken zu haben ist.

Die KP verfügt de facto immer noch über ihre Tageszeitung L¹Humanité (circa 60.000 Auflage), die bereits im Jahre 1904 als Parteiorgan der damaligen Sozialisten gegründet wurde. Sie untersteht aber nicht mehr direkt der Parteiführung - bis vor einem Jahrzehnt prangte noch die Bezeichung "Organs des Zentralkomitees der Französischen Kommunistischen Partei" neben Hammer und Sichel auf dem Titelblatt, beides ist längst verschwunden.

Die Zeitung, die vor kurzem ihren 100. Geburtstag beging, hätte diesen beinahe nicht mehr erlebt. Seit dem Jahresende 2000 drohte ihr der finanzielle Tod, was die Erosion des traditionellen gesellschaftlichen Umfelds der KP widerspiegelte. Das Jahresdefizit von 29 Millionen Francs (rund 4,5 Milliarden Euro) für 1999 konnten nur durch den Verkauf des alten Redaktionssitzes in der Pariser Rue Poissonnière aufgefangen werden. Doch bereits im darauffolgenden Jahr überstieg das laufende Defizit die 30 Millionen Francs. Daraufhin zog die Partei die Notbremse - und bot der Zeitung an, ihr jährlich 500.000 Euro zuzuschießen, aber unter der Bedingung, dass diese ihre Bilanz in die schwarzen Zahlen befördere. Daraufhin setzten Entlassungen ein, die führenden Köpfe der Redaktion und des Verlags wurden ausgetauscht. Doch das konnte die Situtation nicht retten, und es wurde eine schmerzhafte Entscheidung gefasst.

Die Partei behielt noch eine Sperrminorität von 40 Prozent des Zeitungskapitals, weitere Anteile wurden durch eine Lesergesellschaft, durch die Mitarbeiter und eine Genossenschaft übernommen. Und schließlich wurden zunächst 10 Prozent über eine Investment-Gesellschaft Humanité Medienpluralismus" privaten Investoren angeboten, etwa Medienunternehmen. Heute halten privatwirtschaftliche Unternehmen 20 Prozent der Anteile an L'Humanité, darunter auch - besonders umstritten - der Medien-, Waser- und Rüstungskonzern Lagardère. Solche Konzerne akzptierten vor allem deswegen, die KP-nahe Zeitung finanziell zu unterstützen - woraus sie keinen unmittelbaren Gewinn ziehen -, da sie darauf hoffen konnten, künftig bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in KP-regierten Kommunen bessere Startposition zu haben.  

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde uns am 5.5.2005 vom Autor zur Veröffentlichung überlassen. Eine Kurzfassung erschien in der Wochenzeitung (WoZ)), Zürich, am 21. April 2005.