Andere Zeiten, andere Zeitungen? Es
war eine bewegte Epoche, als der
Philosoph Jean-Paul Sartre den Chefredakteursposten der neu
gegründeten
Tageszeitung Libération übernahm. Sein Engagement hatte er bereits
zuvor
unter Beweis gestellt, als kurzzeitiger Handverkäufer der
maoistischen
Zeitung La cause du peuple, die vom Verbot bedroht war.
Die heutige Tageszeitung, bekannt
unter dem Kurznamen "Libé", geht auf das
linksradikale Journalistenbüro »Agence Presse Libération« zurück. Es
wurde
1971 nach einer Besetzungsaktion für die Inhaftierten der
Organisation
Gauche prolétarienne (GP) begründet, um zukünftig Kommuniqués besser
veröffentlichen zu können. Zu einem der ersten größeren Erfolge der
Agentur
wurde die Berichterstattung über die Entführung eines
Arbeitgeberfunktionärs, der 14 Tage lang im Pariser Nordosten
festgehalten
wurde Kunststück, den hatten die eigenen Genossen entführt, die
eifrig
Erklärungen herüberschoben. Das Büro wurde ab Januar 1973 zum
Zeitungsprojekt.
'Libération', dereinst Vorbild und
große Cousine der "taz"
Mit ihren wilden Zeiten hat die
heutige Libération freilich abgeschlossen.
Bereits 1981, zur Zeit der Amtsübernahme des sozialistischen
Staatspräsidenten François Mitterrand, wurden die Ecken und Kanten
abgeschliffen. Die Macht der oftmals chaotischen Vollversammlungen
wurde
gebrochen, der ehemalige Maoist Serge July ernannte sich zum
»richtigen«
Chefredakteur mit allen Vollmachten, und statt staatsfeindlicher
Agitation
war Hoffnung auf »Reformen« unter Mitterrand angesagt. Libération
besitzt
heute ein unscharfes linksliberales Profil; lediglich die eine oder
andere
Reportage macht die Zeitung hin und wieder interessant. Serge July
ist
längst ein ganz normaler Chef und saturierter Bürger.
Die wirtschaftliche Rezession der
Jahre 1992/93 erfasste auch Libération.
Die Zeitung entpolitisierte sich zusehends und versuchte, zur
endlich
"normalen" Tageszeitung zu werden. Ab September 1994 erschien eine
völlig
neue Libération: bunter, billiger, unterhaltsamer - ein
quotidien-encyclopédie, die Tageszeitung als Lexikon, das unter
jedem
Stichwort schnell und scheinbar objektiv informieren sollte. Die
Auflage
betrug zu dieser Zeit 170 000, das angepeilte Ziel von 200 000 aber
erreichte das Blatt nicht. Wegen der Anzeigenverluste durch die
Wirtschaftskrise verringerten sich die Werbeeinnahmen, 1994 und 1995
geriet
das Blatt tief in die roten Zahlen. Serge July leitet daher einen
neuen
"Tabubruch" ein: das Fremdkapital. Im April 95 trat ein Großinvestor
in das
Stammkapital der Tageszeitung ein: die Konzerngruppe Chargeurs-Pathé,
die
einen Textilkonzern sowie ein großes Medienunternehmen (Eigentümer
der
Kinokette Pathé) umfasst. Seitdem haben einige Kapitelverschiebungen
stattgefunden.
Aktuell ist der wichtigste
Großaktionär, dem seit April dieses Jahres über
38 Prozent der Eigentumsanteile an Libération hält, der
Finanzunternehmer
Edouard de Rothschild. Dieser bezeichnet sich selbst als "aufgeklären
Konservativen" und Freund des neuen Shooting Stars der politischen
Rechten,
Nicolas Sarkozy. Er will aber (anders als der Rüstungsindustrielle
Serge
Dassault, dem seit vorigem Jahr ein Drittel der französischen
Zeitungslandschaft gehört, darunter der konservative Figaro) nicht
direkt
ins Redaktionsgeschäft eingreifen. Gut 18 % der Aktien gehören dem
Personal
von Libération und knapp 17 % der Pathé-Gruppe. Die Auflage ist in
jüngerer
Zeit auf knapp unter 150.000 abgesunken. Am Kiosk kostet das Blatt
1,20 Euro
- ein durchschnittlicher Preis für eine Tageszeitung.
"Charlie Hebdo": Vom wüsten
Satireblatt zur braven Postille mit Grünen-Nähe
In den frühen neunziger Jahren,
mitten in der politischen Resignation,
welche die Ära Mitterrand in weiten Teilen der Linken hinterließ,
erfolgte
die »zweite Geburt« der linken Wochen- und Satirezeitung Charlie
Hebdo.
Diese zur Hälfte aus Zeichnungen und zur anderen Hälfte aus Text
bestehende
antiautoritäre Zeitung hatte ihre erste große Zeit in den frühen
siebziger
Jahren gehabt. 1992 fanden sich einige der damaligen Blattmacher
zwecks
Wiederbelebung zusammen. Bis Mitte der neunziger Jahre gelang
Charlie Hebdo
ein rascher Wiederaufstieg. Mit einem kritischen und radikalen
Profil zog
die Zeitung sowohl ehemalige Leser an als auch ein jüngeres
Publikum, das in
Zeiten gesellschaftlichen Stillstands nach Bewegung Ausschau hielt.
Zeitweise erreichte die Auflage 90 000 Exemplare.
Unvergessen bleibt das Engagement der
Redaktion gegen religiöse Fanatiker
aller Couleur. So traf es auch die rechtskatholischen
Abtreibungsgegner, die
so genannten »commandos anti-IVG«; IVG steht für »freiwilligen
Schwangerschaftsabbruch«. Im Herbst 1995 kündigte der Chefredakteur
Philippe
Val in einer Fernsehsendung zum Thema an, seinerseits commandos
anti-bon
Dieu (Anti-Lieber Gott) aufzustellen. Im Anschluss an die Sendung
wurde er
auf dem Parkplatz vermöbelt, doch der Publikumserfolg war gesichert.
Dennoch stieß das Projekt in den
folgenden Jahren an seine Grenzen. 1999 kam
es zum heftigen Streit. Anlass dafür war einerseits die
überdeutliche
Annäherung Philippe Vals und eines Teils der Redaktion an die
Grünen. Der
damalige Spitzenkandidat der in Paris mitregierenden Ökopartei bei
den
Europawahlen 1999, der Neoliberale Daniel Cohn-Bendit, wurde im
Blatt mit
Gefälligkeitsinterviews hofiert. Das missfiel einem Teil der
Mitarbeiter
deutlich. Die zweite, heftig diskutierte Streitfrage betraf die
Haltung zum
Kosovo-Krieg. Die Positionen Cohn-Bendits teilend, unterstützte
Chefredakteur Val den »Krieg für die Menschen- und
Minderheitsrechte«. Das
sorgte für Stress und Ärger.
Der Konflikt endete mit dem Abgang
profilierter Redakteure. Die Auflage fiel
von gut 70 000 auf circa 50 000. Im Frühjahr 2000 betrieb Philippe
Val einen
Relaunch der Zeitung, der weniger Text und mehr Zeichnungen zur
Folge hatte.
Seitdem ist das Blatt sehr viel harmloser geworden. Charlie Hebdo
bleibt
ein wirtschaftlich gut gehendes Kleinunternehmen, das auch
Comicbände mit
Zeichnungen mancher Autoren, T-Shirts u.a. vertreibt. Der Kioskpreis
stieg
mit der Euro-Einführung von vorher 10 Francs (1,52 Euro) auf nunmehr
2 Euro.
Für eine Wochenzeitung ist das relativ preisgünstig, Charlie - im
Zeitungsformat - kostet jedenfalls deutlich weniger als die anderen
Wochenpublikationen, die meist im Magazinformat erscheinen.
Was sich weiter links so tummelt
Aus einer Abspaltung mehrerer
Mitglieder der Pariser Redaktion entwickelte
sich vor drei Jahren eine neue Zeitung, die radikale
Gesellschaftskritik
betreibt und in Marseille erscheint: die CQFD, was französischen
Philosophie-Schülern als Kürzel für »Was zu beweisen war« (ce qui
fut à
démontrer) bekannt ist, aber in diesem Fall für das anspruchsvolle
Programm
steht: »Ce qu¹il faut dire, détruire, découvrir Š« (Was man sagen,
zerstören, entdecken muss.) Damit bringt es die Monatszeitung heute
auf eine
Auflage von 20 000 Exemplaren. Sie begleitet intensiv die Bewegung
der
Arbeitslosen, Prekären und streikenden Kulturarbeiter, bietet
Berichte vom
prekären Alltag wie von laufenden Kämpfen.
Umstrittener als CQFD ist das
medienkritische Projekt PLPL (»Pour lire pas
lu« »Lesen, was nirgendwo zu lesen war«), dessen Publikation in etwa
zweimonatigem Rhythmus erscheint. Der Anspruch besteht darin, das
aufzudecken, was andere Medien verschweigen. So knöpft man sich gern
den
Jet-Set-Intellektuellen Bernard-Henri Lévy vor, der in Frankreich
auf allen
Kanälen präsent ist. Oder man arbeitet in einem langen Dossier zum
Thema
»Die Medien und der Streik« heraus, dass die großen bürgerlichen
Tageszeitungen die Massenstreiks des Frühsommers 2003 manipulativ
als
Produkt »irrationaler Furcht und Demagogie« hinzustellen versuchten.
Dennoch
ist PLPL auch unter Linken wegen des scharfen Tonfalls und unter die
Gürtellinie zielenden Attacken auf bürgerliche Medienstars nicht
immer
beliebt.
CQFD kann man für mindestens 15 Euro
im Jahr (je nach Einkommen) abonnieren,
die nur alle zwei Monate erscheinende PLPL für 20 Euro im
Zwei-Jahres-Abo.
Schließlich verfügt in Frankreich
noch jede linke Strömung oder Organisation
über ihre eigenes Publikationsorgan. So die Anarchokommunisten mit
Alternative libertaire oder die beiden trotzkistischen Parteien mit
Rouge
oder Lutte Ouvrière. Während letztere reichlich dröge erscheint,
trotz
mitunter interessanter Betriebs- und Gewerkschaftsinformationen,
wird Rouge
durch die frechen Karikaturen des Künstlers Faujour aufgelockert.
Die
Anarchisten verfügen mit Le Monde libertaire über eine eigene
Wochenzeitung,
die auch an einigen Kiosken zu haben ist.
Die KP verfügt de facto immer noch
über ihre Tageszeitung L¹Humanité (circa
60.000 Auflage), die bereits im Jahre 1904 als Parteiorgan der
damaligen
Sozialisten gegründet wurde. Sie untersteht aber nicht mehr direkt
der
Parteiführung - bis vor einem Jahrzehnt prangte noch die Bezeichung
"Organs
des Zentralkomitees der Französischen Kommunistischen Partei" neben
Hammer
und Sichel auf dem Titelblatt, beides ist längst verschwunden.
Die Zeitung, die vor kurzem ihren
100. Geburtstag beging, hätte diesen
beinahe nicht mehr erlebt. Seit dem Jahresende 2000 drohte ihr der
finanzielle Tod, was die Erosion des traditionellen
gesellschaftlichen
Umfelds der KP widerspiegelte. Das Jahresdefizit von 29 Millionen
Francs
(rund 4,5 Milliarden Euro) für 1999 konnten nur durch den Verkauf
des alten
Redaktionssitzes in der Pariser Rue Poissonnière aufgefangen werden.
Doch
bereits im darauffolgenden Jahr überstieg das laufende Defizit die
30
Millionen Francs. Daraufhin zog die Partei die Notbremse - und bot
der
Zeitung an, ihr jährlich 500.000 Euro zuzuschießen, aber unter der
Bedingung, dass diese ihre Bilanz in die schwarzen Zahlen befördere.
Daraufhin setzten Entlassungen ein, die führenden Köpfe der
Redaktion und
des Verlags wurden ausgetauscht. Doch das konnte die Situtation
nicht
retten, und es wurde eine schmerzhafte Entscheidung gefasst.
Die Partei behielt noch eine
Sperrminorität von 40 Prozent des
Zeitungskapitals, weitere Anteile wurden durch eine
Lesergesellschaft, durch
die Mitarbeiter und eine Genossenschaft übernommen. Und schließlich
wurden
zunächst 10 Prozent über eine Investment-Gesellschaft Humanité
Medienpluralismus" privaten Investoren angeboten, etwa
Medienunternehmen.
Heute halten privatwirtschaftliche Unternehmen 20 Prozent der
Anteile an
L'Humanité, darunter auch - besonders umstritten - der Medien-,
Waser- und
Rüstungskonzern Lagardère. Solche Konzerne akzptierten vor allem
deswegen,
die KP-nahe Zeitung finanziell zu unterstützen - woraus sie keinen
unmittelbaren Gewinn ziehen -, da sie darauf hoffen konnten, künftig
bei der
Vergabe öffentlicher Aufträge in KP-regierten Kommunen bessere
Startposition
zu haben.
Editorische
Anmerkungen
Der Text wurde uns am
5.5.2005 vom Autor zur Veröffentlichung überlassen.
Eine Kurzfassung erschien
in der Wochenzeitung (WoZ)), Zürich, am 21. April
2005.
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