Münteferings Kapitalistenschelte
Müntefering, der Papst und NRW

von Max Brym
05/05

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Seit Wochen beherrscht die sogenannte Kapitalismuskritik von Franz Müntefering die Medienlandschaft in der BRD. Allerdings ist das, was Franz Müntefering abliefert keine Kritik am kapitalistischen System, sondern eine Schelte gegenüber dem „Fehlverhalten“ einzelner Investoren und Manager. Die „Heuschreckenliste“, die die SPD-Bundestagsfraktion in ihr Intranet stellte, zeigt, worum es Müntefering geht. Unter dem Titel „Marktradikalismus statt sozialer Marktwirtschaft – Wie Private-Equity-Gesellschaften Unternehmen verwerten“, listet die Planungsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion Fälle auf, in denen ausländische Finanzinvestoren deutsche Unternehmen oder Teile davon erwarben. In der Liste der SPD-Fraktion werden die US-Beteiligungsgesellschaften KKR und Goldman-Sachs genannt. Sie hätten aus ihren Beteiligungen bei Wincor Nixdorf oder dem Dualen System Deutschland (DSD) überdurchschnittlich hohe Renditen erzielt. An der Liste der SPD-Bundestagsfraktion fällt auf, dass kein einziger deutscher Großkonzern attackiert wird und schon gar nicht das kapitalistische System als solches an den Pranger gestellt wird. Müntefering polemisiert gegen US-amerikanische Unternehmen, die er namentlich nennt, ansonsten spricht er noch scheinbar biblisch von anonymen „Heuschreckenschwärmen“, die das leidgeprüfte Deutschland heimsuchen. Die IG-Metall sprang in ihrer Maiausgabe der Zeitschrift „Metall“ auf diesen Zug. Auf dem Titelblatt erschien mit schwarzem Hintergrund eine US-amerikanische Flagge unter der großen Überschrift „Die Aussauger“.

Antiamerikanische Kapitalistenkritik

Was Müntefering und Co. umtreibt, sind sehr einfache Dinge. Die Herren geben sich antikapitalistisch um den in der Bevölkerung tatsächlich vorhandenen Antikapitalismus antiamerikanisch zu wenden und damit mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Die Bundesregierung unter Gerhard Schröder führte bekanntlich über die Agenda 2010 und die Hartz IV Gesetze eine nie gekannte Umverteilung von unten nach oben in der bundesdeutschen Gesellschaft durch. Mittels massiver Steuerentlastungsprogramme zugunsten der Kapitalgesellschaften und der Unternehmen, leisten diese nur noch einen Anteil am Gesamtsteueraufkommen von knapp 12%. Das ist der niedrigste Steuersatz, den die kapitalistische Klasse seit Gründung der BRD zu entrichten hatte. Und selbst diesen Steuersatz gilt es zu hinterfragen, wenn man an die Rüstungsaufträge zugunsten der Konzerne durch den Staat denkt. Rechnet man die Infrastrukturprogramme und die wissenschaftliche Förderung durch den Staat zusammen, so zahlen die Unternehmen, speziell die Großkonzerne, nur auf dem Papier einen immer geringer werdenden Steueranteil. Demgegenüber steht die Tatsache, dass über 80% der Steuereinnahmen des Staates von den Arbeitern und Konsumenten kommen. Auch dies ist ein historischer Höchststand. Die dreißig DAX-notierten Konzerne befanden sind im Jahr 2004 „im Profitrausch“, dass meldete „Das Handelsblatt“ am 12.11.04. Ein international führender Finanzdienstleister, Thomsen Financial, kommt auf einen Gesamtprofit aller DAX-Unternehmen in Höhe von 62 Mrd. Euro, was einer Gewinnsteigerung von über 100% entspricht. Zur Veranschaulichung: Das ist mehr als das 3-fache aller Investitionen von Städten und Gemeinden in Höhe von 20,1 Mrd. Euro. Das „Statistische Bundesamt in Wiesbaden“ klärt einen darüber auf, dass die Nettoprofite der Kapitalgesellschaften von 1991 bis 2004 um 113%
gewachsen sind. Dennoch hat das deutsche Kapital schwerwiegende Probleme. Nur 83% der Produktionskapazitäten sind ausgelastet. Der einfach Grund dafür ist, dass die Kaufkraft weltweit in keinem Verhältnis mehr zu den angebotenen Waren steht. In einer solchen Situation muß sich die Konkurrenz zwischen den großen Industrie- und Finanzgiganten extrem verschärfen. Besonders hervorzuheben ist dabei der Gegensatz zwischen US-amerikanischen Unternehmen und deutsch-europäischen Konzernen. Mit ihrer Politik des billigen Dollars versucht die US-Bourgeoisie die Waren- und Kapitalexporte aus Europa zu behindern, gleichzeitig versucht sie selbst ihre Exporte durch den billigen Dollar zu steigern. Wenn der ökonomischen Macht des US-Kapitals ökonomische Hindernisse im Weg stehen, wird die Ökonomie mit militärischen Mitteln ergänzt. Das alles gefällt Kerneuropa nicht und es wird an Gegenkonzepten (EU-Militärmacht) gebastelt. Münteferings Kapitalistenschelte gilt es in den Rahmen zwischenimperialer Konkurrenzverhältnisse einzuordnen. Müntefering wie sein Kanzler sorgen sich um das Heimatbiotop des deutschen Kapitals, dieses Biotop gedenken sie besser für die Schlacht um den Weltmarkt herzurichten. Die biblischen „Heuschreckenschwärme“, die Müntefering attackiert, sitzen in Amerika. Das deutsche Kapital ist von jeglicher Kritik ausgenommen, es sei denn, sie verhalten sich „unpatriotisch“ (Ackermann).

Müntefering, der Papst und NRW

Die antiamerikanische Kapitalistenschelte Münteferings zeigte am 1. Mai bereits nachhaltige Wirkungen. Gewerkschaftsbosse und Sozialdemokraten versuchen mit ihrer Polemik von ihrer unsozialen Politik zugunsten des deutschen Kapitals abzulenken. Die Polemik gegen irgendwelche US-Heuschrecken hat die Funktion jeden Widerstand gegen die Agenda 2010 außer Kraft zu setzen. Müde Gewerkschaftbürokraten, die bis dato jeglichen Widerstand gegen die Agenda 2010 blockierten, ergingen sich in scheinbar antikapitalistischer Rhetorik auf den Maikundgebungen. Natürlich hat die Kapitalistenschelte Münteferings das Ziel und die Presse tut ihm den Gefallen, die Sache als Kapitalismuskritik erscheinen zu lassen. Das ist populär und hat die „Schicksalswahl“ in NRW im Visier. Das Ganze läuft unter dem Motto „Kapitalismus ist böse, SPD ist gut, Wähler ist blöd“. Die Sozialdemokratie versucht ihren Niedergang bei den Wahlen aufzuhalten, indem sie das klassische Instrument des Betruges wieder aus dem Köcher holt. Man hofft auf die Dummheit der Angesprochenen und signalisiert gleichzeitig dem deutschen Kapital, dass es nichts zu befürchten hat. Während Müntefering den Polterer gibt, hält Schröder Reden über die „anständigen deutschen Unternehmen, die Moral besitzen“. Müntefering treibt nichts anderes um, nur ist er in seiner Wortwahl härter und sozialdemagogischer. Devise ist, „wir stehen auf der Seite des schaffenden und nicht des raffenden Kapitals“. In seinem Buch „Das Salz der Erde“ war Josef Ratzinger, der jetzige Papst Benedikt XVI., ein besserer Ankläger des Kapitals als Franz Müntefering. Er schrieb von dem Vorrang „der Arbeit gegenüber dem Kapital“ und er konnte in dem Buch dem „demokratischen Sozialismus“ durchaus etwas abgewinnen. Diese Kapitalismuskritik von Ratzinger geht wesentlich weiter, als die Kapitalistenschelte Münteferings. Auch würde es Müntefering auf keiner Versammlung wagen, vom demokratischen Sozialismus zu reden. Natürlich ist auch Ratzingers Kapitalismuskritik demagogisch, denn sie hat die reale Funktion, die Menschen auf das Jenseits zu vertrösten und zum Beten zu animieren. Dennoch gilt es festzuhalten, Ratzinger kritisiert nicht einzelne Kapitalisten, sondern als Vertreter einer internationalen Vereinigung, wie der römisch-katholischen Kirche, muß seine Kritik an der „Wüste der Armut“ sowie an der „Wüste des Hungers“ global sein. Die „Junge Welt“ machte es sich vor einigen Wochen zu einfach, die Kritik an der Position Münteferings, seine Kapialistenschelte sei antisemitisch, einfach abzutun. Selbstverständlich hat Müntefering keine antisemitischen Ambitionen und seine Reden sind nicht antisemitisch inspiriert. Dennoch ist der Weg zur Hölle bekanntermaßen mit guten Vorsätzen gepflastert. Die objektive Teilung in gute und böse Kapitalisten, wobei die bösen Kapitalisten in Amerika geoutet werden, kann antisemitisch unterlegt und ausgebaut werden. Ergo die SPD-Führung ist mit ihrer Propaganda der Wegbereiter für offene faschistische Positionierungen. Allerdings, nachdem einem die Presse den Gefallen tut, die Kapitalistenschelte Münteferings als Kapitalismuskritik zu apostrophieren, stellt sich die Frage, ob nicht auch die Linke von der „Kapitalismuskritik“ profitieren kann. Die Kritik am Kapitalismus ist gefragt und es kommt darauf an, eine ernsthafte und wissenschaftlich begründete Kapitalismuskritik von links her zu forcieren. Wenn das verständlich gelingen sollte, kann die Kapitalistenschelte Münteferings durchaus zum Bumerang geraten.

 

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien zuerst am 08.05.2005 bei Indymedia. Max Brym lebt als freier Journalist in München.