Aus Betrieb & Gewerkschaft 
Riesige Empörung unter den Bergleuten

von
Jörg Weidemann
05/04

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Zehntausende von Zechenschließung betroffen - Kumpels ringen um Klarheit

Am 17.5.04 haben SPD und Bündnis 90/Grüne ein so genanntes "Eckpunktepapier" zur weiteren Subventionierung der Profite der RAG/DSK beschlossen. Dies geschah in enger Einbindung der RAG-Konzernleitung unter Ex-Minister Werner Müller und des IG-BCE-Vorsitzenden Hubertus Schmoldt. Die Profite der RAG/DSK sind dabei garantiert. Während die Fördermenge von 2005 bis 2012 von 26 Millionen Tonnen Kohle im Jahr auf höchstens 16 Millionen Tonnen sinken soll, kann die Subventionierung pro Tonne sogar von durchschnittlich 104 Euro (2005) auf 114 Euro (2012) steigen. Eine einfache Rechnung: Je weniger Kumpels diese Kohle fördern, desto größer der Profit der RAG/DSK.

12000 Arbeitsplätze allein bei der DSK

Unmittelbar im Anschluss an das "Eckpunktepapier" nahm die RAG/DSK zwei weitere Zechen auf ihre Stilllegungsliste. Neben den Zechen Warndt/Luisenthal (2492 Mitarbeiter) und Lohberg/Osterfeld (3018 Mitarbeiter) will die DSK nun auch die Duisburger Zeche Walsum (3018 Mitarbeiter) Ende 2008 und die Gelsenkirchener Zeche Lippe (2892 Mitarbeiter) bis 2010 schließen. Das sind zusammen knapp 12000 Arbeitsplätze allein bei der DSK, hinzu kommen Subunternehmen und Zulieferer. Die Familien der Bergarbeiter sind betroffen, ebenso wie Einzelhandel, Gastronomie usw. Schätzungen gehen davon aus, dass an einem Arbeitsplatz der DSK noch drei bis vier weitere hängen.

Zehntausende von Menschen sind von dieser Entscheidung betroffen - gefragt wurde keiner von ihnen. Die Kumpel stehen nicht allein. Wenn sie sich zum Kampf entschließen, steht die breite Masse an Ruhr und Saar hinter ihnen. Die Menschen hier wissen, was die Vernichtung von zehntausenden Arbeitsplätzen bedeutet. In der MLPD haben die Bergleute einen verlässlichen Partner für den nötigen harten Kampf um die Arbeitsplätze. Verlassen sind die Kumpels nur von den bürgerlichen Parteien von SPD über Bündnis 90/ Grüne, CDU bis zur FDP. Aber die standen von jeher auf der Seite der RAG/DSK.

Empörung ist groß

Rund 600 Kumpel der Zeche Walsum protestierten am 18.5. vor dem Verwaltungsgebäude der RAG in Essen. Auf beiden Zechen fanden außerordentliche Betriebsversammlungen statt und die Förderung ruhte. Die Werksleitung der Zeche Lippe verkündete die Stilllegung bis 2010 auf der Betriebsversammlung in der Marler Vesthalle. Zynisch wurden die Bergleute aufgefordert, bis zur Stilllegung zu zeigen, was in ihnen steckt: "Meter und Tonnen heißt jetzt die Parole!" Ein Bergmann erklärte dazu nach der Versammlung: "Die Zechenleitung ist doch völlig bekloppt. In fünf Jahren will man uns schließen. So lange sollen wir noch raushauen, was geht."

Am 18.5. bekräftigten die Aufsichtsräte von RAG/DSK noch einmal die geplanten Stilllegungen. Sie tun so, als wäre damit schon alles gelaufen. Das Gegenteil ist der Fall. Die DSK rechnet mit jeder Tonne und Streik ist eine wirksame Waffe. Insbesondere die hochwertige Kokskohle, wie sie auf Walsum oder auch Lohberg/Osterfeld zu finden ist, erzielt derzeit Spitzenpreise auf dem Weltmarkt. Deshalb sollen die Kumpels bis zum letzten Tag fördern wie die Weltmeister. Doch das funktioniert nur, so lange die Kumpels das Spiel mitspielen.

Ein selbständiger Massenstreik im Bergbau kann die Stilllegungen verhindern. Jüngst zwangen die Arbeiter in Italien in einem sehr hart geführten Kampf sogar die Wiedereröffnung eines bereits geschlossen Fiat-Werkes in Terni.

Haushaltsanierung auf dem Rücken der Bergleute

Das "Eckpunktepapier" der Regierung fordert unter anderem, die Praxis der Frühverrentung zu stoppen. 120 Millionen Euro will die Schröder-Regierung damit einsparen. Das klärt die Fronten: Schröder und Co. wollen ihren maroden Haushalt auf dem Rücken der Bergleute sanieren. Die Frühverrentung ist ein Tribut an die besonders harte Arbeit unter Tage. Gleichzeitig wurde sie immer wieder genutzt, um auf einen individuellen Ausweg zu orientieren: Statt den Kampf um die Arbeitsplätze zu führen, sollen die Kumpels einzeln die Jahre bis zu ihrer Frührente zählen.

Die Lüge mit der Sozialverträglichkeit

Vom Standpunkt der Bergleute und ihrer Jugend muss jeder Arbeits- und Ausbildungsplatz verteidigt werden. Ebenso das Recht auf Frühverrentung. Hubertus Schmoldt, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE) will dagegen die Arbeitsplatzvernichtung kampflos hinnehmen. Er erklärt: "Wir haben nun Planungssicherheit bis 2012 und können die Anpassung sozialverträglich fortsetzen." (IG BCE, Presseerklärung vom 19.5.) Jeder vernichtete Arbeitsplatz - egal ob durch Kündigung oder Frühverrentung - fehlt aber der Jugend. Millionen sind heute schon arbeitslos. Es gibt keine "sozialverträgliche" Arbeitsplatzvernichtung.

Hintergrund der Zechenschließungen

Von derzeit rund acht Millionen Kohlekumpels weltweit sollen nach den Plänen der internationalen Bergbaumonopole in den nächsten Jahren fünf Millionen ihren Arbeitsplatz verlieren. 30000 in Deutschland, 70000 in Polen und in China sogar drei bis fünf Millionen.

Hintergrund ist die Neuorganisation der internationalen Produktion unter Federführung der RAG. Wichtigen Lesestoff bietet dazu das Buch von Stefan Engel, "Götterdämmerung über der ,neuen Weltordnung`", in einem eigenen Abschnitt zur staatlichen Subventionspolitik am Beispiel der RAG. Stefan Engel kommt zu dem Schluss: "Im Jahr 1999 wies der Konzern 169 Millionen Euro und im Jahr 2000 170 Millionen Euro als offizielle Gewinne aus. In der Öffentlichkeit wird aber nach wie vor so getan, als handele es sich bei der RAG um ein Not leidendes Unternehmen, das nur mit Milliarden an staatlichen Subventionen über Wasser gehalten werden könnte, deren hauptsächliche Nutznießer ohnehin die ,extrem begünstigten und privilegierten Kumpel` wären. In Wirklichkeit sorgten diese Milliarden dafür, dass der RAG-Konzern zu einem internationalen Übermonopol im Rohstoff-, Maschinenbau- und Chemiebereich wurde, das seinen Sitz in Deutschland hat und rücksichtslos in der ganzen Welt seinen Anspruch auf Vorherrschaft anmeldet." (S.346) Als Ausgangsbasis versucht die RAG/ DSK derzeit im Zuge der EU-Erweiterung, den gesamten europäischen Bergbau unter ihre Kontrolle zu bringen.

Mit modernster Bergbautechnik wurde allein von 1990 bis 2000 die Mann/Schicht-Leistung in Deutschland um 34 Prozent gesteigert. Wenn diese Technik nun von der RAG-Tochter DBT (Deutsche Bergbautechnik) auf den Zechen weltweit zum Standard wird, verlieren Millionen Kumpels ihre Arbeit.

Die DBT hat ihre Hauptmärkte derzeit in China, Australien und den USA. Die Expansion nach Russland beginnt gerade. Unter den kapitalistischen Profitgesetzen verdient die RAG gleich mehrfach an diesem Prozess: durch die Steigerung der Ausbeutung auf den Zechen und durch den Vertrieb der Technik dazu auf der ganzen Welt.

Eine Triebkraft für die Massenarbeitslosigkeit liegt in der sprunghaften Steigerung der Arbeitsproduktivität. Das einzige wirksame Mittel, die wachsende Arbeitslosigkeit unter den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen wirksam zu bekämpfen, ist der Kampf um eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Der Kampf um den 6-Stunden-Tag bei vollem Lohnausgleich muss zu einer weltweiten Forderung der Bergarbeiter werden.

Auslaufmodell Bergbau?

Das internationale Bergarbeiter-Seminar von "Kumpel für AUF" vom 20. bis 23. Mai mit Bergleuten aus mindestens acht Ländern von allen fünf Kontinenten und Berichten aus weiteren neun Ländern ist eine einmalige Gelegenheit, über die Zukunftsperspektive der internationalen Bergarbeiterbewegung zu beratschlagen (siehe auch S. 5*). Nicht der Bergbau, der Kapitalismus ist ein Auslaufmodell!

Editorische Anmerkungen:

Der Artikel erschien am 20.5.2004 in der Roten Fahne Nr.21/04 ist eine Spiegelung von http://www.mlpd.de/rf0421/rfart1.htm

*) gemeint ist hier Druckausgabe.