Bush in der spanischen Falle
Eine historische Analogie gegen aktuelle Blödeleien

von
Max Brym
05/04

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Geschichte ist geronnene Erfahrung. Wer aus historischen Erfahrungen nichts lernt, wird aktuell schwere praktische und ideologische Fehler begehen. In den Dokumenten der "Neokonservativen Denkfabriken" der USA ist konzeptionell die "Demokratisierung" des Nahen Ostens sowie die Permanenz der bürgerlichen Umgestaltung in der Region als Ziel benannt. Natürlich hat die "Revolution" durch militärische Gewalt von außen zu erfolgen. Nehmen wir für einen Moment an, die Sache mit der "Demokratisierung" wäre ernst gemeint und die militärische Annexion des Irak ist nur der erste Baustein um lautere "demokratische Wohltaten" abzuliefern. Wie steht es mit den Aussichten für dieses Vorhaben. Ein Blick in die Geschichte müßte genügen, um das politische Fiasko treffsicher vorauszusagen. Bush sitzt wie Napoleon ab 1808 in der spanischen Falle. Natürlich kann Bush nicht mit dem genialen Korsen Napoleon verglichen werden. Der Geschmack und der Intellekt verbietet eine solche Gleichsetzung. Dennoch ist eine bestimmte historische Analogie nützlich, ein historischer Vergleich ist ein Vergleich und keine Gleichstellung, wie es die deutsche Sprache oft nahelegt. Die Analogie kann helfen gegebene Realitäten besser zu begreifen sowie Prognosen treffsicherer zu machen.

Napoleon und Spanien

In seinen Memoiren schreibt Napoleon über sein spanisches Abenteuer ab 1808: "Ich habe diese Angelegenheit falsch angepackt, das gebe ich zu: die Sittenlosigkeit brach immer wieder durch, die Ungerechtigkeit war zu unverschämt und der Gang der Dinge war unschön, deshalb bin ich unterlegen." Napoleon schrieb seine Memoiren um seine Person zu mystifizieren. Während seiner aktiven Zeit wollte er mittels der Kontinentalsperre, die englische Industrie zugunsten der jungen französischen Industrie schwächen. Anfang 1808 wurde unter General Junot Portugal besetzt. Kurz darauf versuchte Napoleon die spanischen Wirren auszunützen und Bonaparte setzte unter großen Schwierigkeiten seinen Bruder Joseph auf den Thron Spaniens. Am 2. Mai erhob sich das Volk von Madrid, Murat schlug den Aufstand blutig nieder, unterstützt von der über die Ausschreitungen des Pöbels entsetzten Bourgeoisie. In Bayonne nutzte Napoleon die Meinungsverschiedenheiten seiner spanischen Gäste und erreichte auf diese Weise die Abdankung der spanischen Thronaspiranten. Durch das Dekret vom 10 Juli 1808 wurde Joseph zum König von Spanien ernannt. Eine nach Bayonne einberufene Kommission von spanischen Notabeln, die aufgeklärten Kreisen angehörten, machte sich daran eine Verfassung aufzusetzen. Der Verfassungsentwurf war stark an den Code Civil angelegt und stellte als Text einen ungeheuren Fortschritt gegenüber den damaligen spanischen Zuständen dar. Dennoch erhob sich das spanische Volk neuerlich unter Führung des Adels und der Geistlichkeit gegen die "ketzerischen Franzosen", die "Verfolger des Papstes" und gegen das politische und gesellschaftliche System, das sie einführen wollten. Spanien war eine Vendee, heroisch und reaktionär. Im ganzen Land bildeten sich Junten, um den Kräften der Rebellion einen gewissen Zusammenhalt zu geben. Napoleon sah sich zum ersten mal mit einer nationalen Widerstandsbewegung konfrontiert und mit einem Krieg, der sich den Regeln seiner Strategie entzog. Joseph mußte das in Aufruhr befindliche Madrid am 30. Juli, nach der Niederlage von General Dupont am 22. Juli bei Bailen verlassen. Die Revolte griff auf Portugal über, wo die Engländer unter General Wellesley landeten und Junot am 30.August in Sintra zur Kapitulation zwangen. Das waren die ersten militärischen Niederlagen Napoleons in Europa. Bonaparte war allerdings davon überzeugt, dass die Fehlschläge auf der iberischen Halbinsel, auf die Unfähigkeit seiner Untergebenen zurückzuführen seien. Persönlich versuchte er die Lage wiederherzustellen. Im November 1808 bezwang er mit 180.000 Soldaten und 30.000 Haudegen der alten Garde, den Paß von Somosierra und öffnete dadurch den Weg nach Madrid. Dort schaffte er die Feudalrechte und die Inquisition ab und löste zwei Drittel der Klöster auf. Joseph wurde wieder zum König ernannt. Spanien kam allerdings nie zur Ruhe, es war bis 1813 im permanenten Kriegszustand. Der Krieg war ein Guerillakrieg, die Bauern bildeten die Basis des Widerstandes. Objektiv handelten sie gegen ihre eigenen Interessen. Sie kämpften mit dem Klerus und dem Adel, ergo mit ihren Ausbeutern gegen die fortschrittlichen Besatzer. Aber Besatzung bleibt Besatzung, das Hauptinteresse der französischen Macht war der Kampf gegen England. Zudem bestand die Maxime der napolonischen Armee darin, sich aus dem eroberten Gebiet zu ernähren. Demzufolge war die französische Okkupationsarmee eine ausbeutende Kraft. Der Widerstand gegen Frankreich war legitim. Auch an Grausamkeiten gegen spanische Zivilisten mangelte es nicht. Die Bilder von Goya belegen dies hinreichend. Das französische Kaiserreich hatte damals einen Doppelcharakter, neben der fortschrittlichen Seite gab es eine ausgesprochen reaktionäre. Festzuhalten bleibt, was die progressive Tendenz angeht: " Es kann keine Revolution dauerhaft exportiert werden oder anders ausgedrückt, niemand kann gegen seinen Willen glücklich gemacht werden." Napoleon begreift das in seinen Memoiren, obwohl er natürlich noch seinem Bruder eine verabreicht mit der Bemerkung: "Joseph hat mich um Spanien gebracht". Letztendlich hat die Okkupation Spaniens dem Hauptkonkurrenten des französischen Kaiserreiches, England, genützt.


Bush erlebt sein Spanien.

Die Besatzung des Irak wird von der Mehrheit der Iraker nicht hingenommen. Es gibt gegen die Besatzung reaktionären und fortschrittlichen Widerstand. Der Imperialismus, hat im Gegensatz zum napoleonischen Kaiserreich, der Bevölkerung in sozialer und rechtlicher Hinsicht nichts positives anzubieten. Die Bush-Administration hat ein Bündnis mit den kooperationsbereiten Oberschichten des islamischen Fundamentalismus geschlossen. Neuerdings werden auch Kader des faschistoiden Saddam Regimes reaktiviert. Im Verfassungsentwurf für den Irak wird die Scharia als wichtige Quelle des Rechts genannt. Angriffe gegen Frauen, Frauenhandel sowie Übergriffe gegen autonome Frauenhäuser werden durch die US-Verwaltung toleriert. Jede Demonstration von Arbeitern und Gewerkschaftern wird von den US- Besatzern und islamischen Fundamentalisten attackiert. Gleichzeitig befindet sich die USA in einem permanenten Kriegszustand mit den barbarischen "antiwestlichen" Elementen des islamischen Fundamentalismus. Letztere werden von kleinbürgerlichen Kräften geführt, die nationale und religiöse Gefühle für ihre reaktionären Absichten instrumentalisieren. Das Ziel der USA, in der Region stabile Ausbeutungsverhältnisse zu schaffen, verflüchtigt sich zunehmend. Ihre Propaganda die "Moderne" in die arabische Welt zu bringen, ist ein Ammenmärchen. Ein Napoleon war noch wesentlich näher an der bürgerlichen Aufklärung und scheiterte. Vom faulenden Spätkapitalismus etwas anderes zu erwarten, als Chaos, Schmutz, versuchter Ausbeutung und Krieg, ist mehr als naiv. In Wahrheit ist klar, dass es dem Imperialismus nicht mehr gegeben ist, progressive Entwicklungen in der Welt anzustoßen ( Napoleon konnte das noch in Austerlitz und Jena). Rudolf Hilferding beschrieb 1910 in seinem Werk "Das Finanzkapital" und Lenin 1916 in dem Buch " Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus" die Weltlage wie folgt: "6 bis 7 imperialistische Räuberstaaten teilen die Welt unter sich auf und beuten sie schamlos aus" und weiter, "wenn die Aufteilung der Welt beendet ist, beginnt der Kampf um die Neuaufteilung". In der Tat, die USA sind im Irak nicht wegen irgendwelcher Menschenrechte, sondern wegen konkreter Profitinteressen und geostrategischer Ambitionen. In Konkurrenz zum EU- Imperialismus ( mit deutscher Dominanz), soll der arabische Raum für den US- Imperialismus gesichert werden. Die Rechnung wurde aber ohne den Wirt gemacht. Der Krieg hat die fundamentalistischen Elemente im Irak gestärkt. Ein Teil ist Kooperationsbereit und ein anderer Teil nicht. In jedem Fall steht die US Regierung gegen jede Art von linker Opposition im Irak. Die Kosten der Besatzung, die Opfer des "Nachkrieges" sowie die chaotischen Verhältnisse nützen den imperialen Konkurrenten der USA. Es ist kein Zufall, dass Gerhard Schröder kürzlich auf seiner "Arabienreise" vermelden konnte: "Die Deutsche Bank kann als erste ausländische Bank in Saudi- Arabien Filialen eröffnen". Weitere Kontrakte konnten im Nahen und Mittleren Osten für die deutsche Industrie unter Dach und Fach gebracht werden. Deutschland mit seinem vorläufigen "Frieden" profitiert von der Aggressionspolitik der Bush- Administration. Der "ehrliche Makler" Deutschland ist auf dem Vormarsch. Wie einst das "perfide Albion" im Kampf gegen Napoleon, profitiert heute Deutschland vom irakischen Fehler der amerikanischen "Möchtegernbonapartisten".
 

Editorische Anmerkungen:

Max Brym stellte uns diesen Artikel am 11.5.2004 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Er lebt als freier Journalist in München.