"Krisis" in der Krise
Zur Spaltung der Krisis-Gruppe
Erklärung ehemaliger Redaktions- und Trägerkreismitglieder
05/04

trend
onlinezeitung
Die Theoriezeitschrift "Krisis", in der BRD und international bekannt geworden durch ihren wertkritischen Ansatz, ist den Weg der Linken gegangen: Sie wurde gespalten. Gegen den Willen der Mehrheit von Redaktion und Koordinationskreis wurden Robert Kurz und Roswitha Scholz ausgeschlossen, und in der Folge die Redaktionsmehrheit mit ihnen. Möglich wurde ein solcher Putsch durch eine Instrumentalisierung des bislang passiven Fördervereins, der formaljuristisch als Herausgeber der Zeitschrift firmiert. Zwei von drei Vorstandsmitgliedern, vor Jahren ehrenamtlich bestimmt und außerhalb der theoretischen Debatte stehend, ließen sich zu Marionetten der Redaktionsminderheit machen und setzten sich über den aktiven Trägerkreis hinweg. Auch auf der anschließenden Mitgliederversammlung setzten sie sich gegen die Mehrheit der Anwesenden mit schriftlichen Blanko-Vollmachten von nicht erschienenen Leuten durch; eine Meisterleistung deutschen Vereins-Machiavellismus', wie neidlos anzuerkennen ist.

Begründet wurde dieses Vorgehen, unter ausdrücklicher Berufung auf den Nazi-Rechtstheoretiker Carl Schmitt, mit dem absurden Konstrukt eines "Ausnahmezustands", angeblich hervorgerufen durch Robert Kurz und Roswitha Scholz, die nach dem Muster von Polizeistrategien als Persönlichkeiten pathologisiert werden sollten. Die Redaktionsmehrheit, die das anders sah und sich dem "fürsorglichen Rausschmiss" widersetzte, wurde in dieser Frage für unzurechnungsfähig erklärt, da "in ihrer Mitschuld befangen".

In diesem Konflikt sind die Beziehungs- und die Inhaltsebene unauflöslich ineinander verschränkt. Auf der Beziehungsebene spielen persönlicher Ehrgeiz, Konkurrenzgefühle und Autoritätsprobleme einem allzu produktiven Mitglied der eigenen Gruppe gegenüber eine Rolle, dessen man, sich selbst als "Flasche" (so die vorliegenden Selbstzeugnisse) und ihn als Guru imaginierend, bloß noch durch "Vatermord" sich erwehren kann. Nur in der Lebensmitte sich befindende Linke können freilich auf die Idee kommen, eine derart klassische, spezifisch abendländische Konstellation als emanzipatorischen Akt (miss) zu verstehen.

Die Wurzel dieses Konflikts liegt, wo Beziehungs- und Inhaltsprobleme sich berühren: im Geschlechterverhältnis. Wie die Abspaltungstheorie seit 12 Jahren ein Fremdkörper in der Krisis-Wertkritik geblieben ist, so deren Urheberin Roswitha Scholz als Person bei etlichen Protagonisten der Krisis-Männerriege ein Ärgernis. Es ist kein Zufall, sondern durchaus willkommener Nebeneffekt, dass die Krisis-Redaktion, nach gerade mal einjährigem Interregnum, nunmehr wieder frauenlos ist. Und auch Robert Kurz hat man(n) es nie verziehen, dass er diesen Ansatz unterstützt hat, der den ableitungslogischen Objektivismus der alten Krisis-Theoriebildung in Frage stellt.

Zugespitzt hat sich dieser lange schwelende inhaltliche Konflikt in der Formulierung einer radikalen Kritik der bürgerlichen Aufklärungsphilosophie, wie sie von Robert Kurz in der Auseinandersetzung mit den Antideutschen entwickelt wurde. Die oberflächliche Gemeinsamkeit der Frontstellung konnte eine zeitlang über den bestehenden Dissens hinsichtlich der via Abspaltungstheorie bis zu Ende geführten Kritik an der männlich-weißen westlichen Subjektform hinwegtäuschen. Dieser Dissens dürfte jetzt aufgebrochen sein: Gewünscht wird eine "nettere" Kritik der Aufklärung, um Momente des androzentrischen Universalismus zu retten.

Enthält dieses Motiv eine gewisse Kompatibilität mit dem "prowestlichen" Basisideologem der Antideutschen, so verhält es sich genau umgekehrt in der Auseinandersetzung um den Stellenwert des Antisemitismus als Krisenideologie. Der Betonung der durchaus richtigen Aspekte bei den Antideutschen steht hier eine Tendenz zur objektivistischen Verharmlosung des antisemitischen Syndroms gegenüber. Auch in dieser Hinsicht verdeckte die oberflächlich gemeinsame Kampagne gegen den Bellizismus nur einen tiefer liegenden Dissens.

Die hier angesprochenen inhaltlichen Konflikte waren keineswegs ausgereift und hätten bis zu einem gewissen Grad im Rahmen von "Krisis" ausgetragen werden können. Dem wurde durch die Verlagerung auf Beziehungsprobleme und deren administrative "Lösung" ausgewichen. Was bleibt, ist das Gegeneinander auf nunmehr auch organisatorisch unterschiedenen Plattformen:

Die bisherige Redaktionsmehrheit inclusive Roswitha Scholz und Robert Kurz werden zusammen mit Teilen des aktiven Trägerkreises von Krisis ein anderes wertkritisches Projekt und eine neue Theoriezeitschrift mit veränderter Akzentsetzung auf den Weg bringen. Dabei sollen die letzten Eierschalen eines ableitungslogischen Objektivismus in der bisherigen "Krisis"-Theorie abgestreift und die Kritik der männlich-weißen westlichen Subjektform vorangetrieben werden; gerade in Zeiten einer "prowestlichen" Hurra-Ideologie bis in die Linke hinein. Über die weitere theoretische Fundierung einer Kritik der "abstrakten Arbeit" als Substanz des Kapitalverhältnisses wollen wir einen kritisch-solidarischen statt "linkspopulistischen", antisemitische Denkmuster bedienenden Bezug zu den aufkeimenden sozialen Bewegungen herstellen.

Wir bitten alle innerhalb und außerhalb von "Krisis", die mit dieser Absicht sympathisieren, uns dabei zu unterstützen.

Hanns von Bosse, Petra Haarmann, Brigitte Hausinger, Claus Peter Ortlieb

Editorische Anmerkungen:

Der Text ist eine Spiegelung von
http://www.giga.or.at/others/krisis/zur-spaltung.html