Humanwissenschaften als Säulen der "Vernichtung unwerten Lebens"
Biopolitik und Faschismus am Beispiel des Rassehygieneinstituts in Innsbruck

05/02
 
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Dort, wo sich der Mensch selbst zum Projekt hat, wird seine "Verbesserung" zum Programm, stehen einfaches Geborensein, Sterben und das Leben dazwischen zur Disposition, frei für die Prozeduren einer biopolitischen Macht der Selektion und Optimierung.
 
Sowenig sich die aktuelle Biopolitik der Neuen Rechten an den Rändern der Gesellschaft artikuliert, sondern sich vielmehr als Avantgarde einer Stimmung versteht, die in der Mitte der Gesellschaft wachgerufen wurde, so verfehlt auch jene Kritik, die auf deren Anachronismus und Irrationalität besteht, notwendig ihr Ziel. Vielmehr sind es gerade die Wissensdisziplinen einer modernen Verhaltensforschung, biologischen Anthropologie, Humangenetik und Soziobiologie, welche der Neuen Rechten hegemoniefähige politische und diskursive Einsätze liefern.

Ebenso sind Eugenik und Euthanasie in ihrer historischen Dimension, in der sie in der vorliegenden Arbeit und der ihr zugrunde liegenden Lehrveranstaltung [1] analysiert wurden und werden, nicht durch ihre Rand- und Rückständigkeit gekennzeichnet, sondern entwickelten sich aus der Mitte instrumenteller Rationalität [2], und der Nationalsozialismus stellte - trotz mörderischster Praxis - weder ihren Ausgangspunkt dar, noch markiert er ihr eindeutiges Ende.

Gerade die Humanwissenschaften haben historisch einen zentralen Beitrag zur Etablierung von Euthanasie und Eugenik geleistet - nicht nur im ehemaligen Reichsdeutschland, sondern auch hier vor Ort. Zentralstück des Aufsatzes ist so die Organisationsgeschichte des Innsbrucker Instituts für Rassehygiene und die Forschungspraxis und -karriere seines Leiters, Friedrich Stumpfl. Daß der Humanmedizin und -biologie im Kontext der "Optimierung des Lebens" und "Industrialisierung des Todes" vor und in der Zeit des Nationalsozialismus eine zentrale Bedeutung zukam, wissen wir spätestens seit den Arbeiten von Ernst Klee [3] und Robert Proctor [4], daß die Praxis der Euthanasie in den NS-Euthanasieanstalten als Vorläufer und als Erprobung der Massenvernichtung von Jüdinnen und Juden analysiert und begriffen werden kann, erhellt sich eindrücklich durch die Arbeiten von Henry Friedlander [5].

Die beiden Phänomene Eugenik und Euthanasie ließen sich auf zwei Achsen anordnen: einerseits auf der der "Optimierung des Lebens" durch die "Verhinderung erbkranken Nachwuchses" und die Errichtung eigener Zuchtanstalten, den Einrichtungen des Lebensborn e.V., andererseits auf der der "Industrialisierung des Todes" durch die organisierte Vernichtung sogenannten unwerten Lebens. Nicht nur die theoretischen Grundlagen dafür entstanden im Rahmen herkömmlicher Prozeduren der Wissensbildung: in wissenschaftlichen Gesellschaften, an Universitäten, in Kliniken, auf diversen Kongressen etc., auch die Entwicklung spezifischer Verfahren und Meßtechniken zur Auslese und Ausmerze und zuletzt die technische Konzeption der Mordzentren, die Anleitung und Überwachung der Tötung war von Ärzten und Wissenschaftlern getragen. So beschäftigen wir uns im nächsten Abschnitt mit der Institutionalisierung eugenischen Denkens in Form wissenschaftlicher Gesellschaften, Spezialabteilungen von Kliniken und schließlich der Errichtung eigener Universitätsinstitute für Erb- und Rassenbiologie.

Großzügige Ausstattung für die Institutionalisierung einer Wissenschaft im Dienste der NS-Gesundheitspolitik

Weder eugenisches Denken, noch operationalisierte Umsetzungsvorschläge und Teilpraxen waren genuin nationalsozialistische Erfindungen. Schon 1883 veröffentlicht Francis Galton, ein Vetter Darwins, eine Schrift über die Entwicklung der menschlichen Anlagen, in der er seine Überzeugung offenlegt, daß physische und psychische Merkmale vererbt würden. Da sich die Träger "minderwertigen" Erbgutes angeblich rascher fortpflanzten als jene "hochwertigen", hätten die Staaten die Aufgabe, durch eugenische Maßnahmen die Verschlechterung der Erbanlagen zu verhindern. Er fordert die Absonderung von Gewohnheitsverbrechern und Ehebeschränkung für geistig Behinderte und körperlich Kranke. Die Kenntnisse über die Vererbungslehre sollten verbreitet und erweitert werden, und so entstand in London ein erstes "laboratory for national eugenics", die "eugenic national society", und 1911 gelang schließlich die Institutionalisierung der Eugenik als Unterrichtsfach an der Universität. Die Vorschläge dieser Einrichtungen wurden in Großbritannien aber niemals in die Praxis umgesetzt. Anders in den USA, wo es zur Erlassung von Sterilisationsgesetzen in 30 Bundesstaaten kam, so daß ca. 60.000 Menschen sterilisiert wurden [6].

Am radikalsten aber wurde die Eugenik von den Protagonisten der deutschen "Rassenhygiene" vertreten. Um die Jahrhundertwende verbreiteten Naturwissenschafter Ideen zur Verbesserung der rassischen Zusammensetzung der Bevölkerung.1926 gelang es in Deutschland erstmals die rassenbiologische Lehre und Forschung in einem vorerst noch außeruniversitären Rahmen zu institutionalisieren und zwar unter dem Dach der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Berlin.

Der Leiter Eugen Fischer erläuterte die Aufgaben und Ziele des Rassenhygienischen Institutes wie folgt: "... ein rein theoretisches Institut zur Erforschung der Natur des Menschen, wo die Frage nach den menschlichen Rassen und Rassenunterschieden rein wissenschaftlich, ohne Rücksicht auf politische und andere Strömungen [7] " betrieben wird. Bereits 4 Jahre später verschiebt sich der Anspruch an die Rassenhygiene über die rein wissenschaftliche Datenerhebung hinaus in Richtung Gesundheitspolitik: "Ein erdrückender und ständig wachsender Ballast von untauglichen, lebensunwerten Menschen wird unterhalten und in Anstalten verpflegt - auf Kosten der Gesunden, von denen Hunderttausende ohne eigene Wohnung sind und Millionen ohne Arbeit darben. Mahnt die Not unserer Zeit nicht laut genug "Planwirtschaft", d.h. Eugenik auch in der Gesundheitspolitik zu treiben? [8] " , heißt es im Geleitwort der Zeitschrift "Eugenik. Erblehre. Erbpflege", deren Herausgeber Fischer, Lenz, Rüdin, v. Verschuer und Muckermann sind [9]. Ein Großteil der führenden Rassenhygieniker rechnet schon mit der neuen politischen Kraft der NSDAP, der ersten Partei, welche die Rassenhygiene als zentrale Forderung ihres Programmes vertritt.

1933 wird Rüdin zum Reichskommissar der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene (DGfRH) ernannt - der alte Vorstand, bestehend aus Fischer, v. Verschuer und Muckermann muß zurücktreten. Rüdin tauscht 50% der Vorsitzenden der verschiedenen Ortsgruppen der DGfRH gegen zuverlässige Nationalsozialisten aus. Rüdin selbst gehörte auch dem im Juni 1933 gegründeten Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik an, der an der Gesetzesformulierung zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und der Zwangssterilisierung der "Rheinlandbastarde" beteiligt war, 1935 wird er zum Promotor der Habilitationsschrift des Wissenschaftlers Friedrich Stumpfl.

"Das Kernproblem der ganzen Asozialenfrage lösen..."

Die Gründung des Rassehygieneinstituts an der Medizinischen Fakultät in Innsbruck

Rassenhygienisches Gedankengut war spätestens seit der Jahrhundertwende auch in Österreich vertreten, hatte jedoch noch keine institutionalisierte Form an Österreichs Universitäten erhalten. Im April 1938 (1 Monat nach dem Anschluß Österreichs an Deutschland) begannen in Wien Bemühungen, ein entsprechendes Institut an der Universität einzurichten. Schon 1939 stimmte der Finanzminister der Errichtung des Instituts zu und stellte 1 Mill. RM zur Verfügung, eine vergleichsweise "fürstliche" Ausstattung [10]. Am 1.10.1942 wird Lothar Löffler (bisher Leiter des Inst. für Erb- und Rassenbiologie an der Univ. Königsberg) zum Vorstand ernannt und erhält ein Gehalt von 11.600 RM, 1000 RM Unterrichtsgeld, sowie eine Zusage für 17 Assistenten, 3 Reinigungsfrauen und einen Tierwärter. Die Gründung verzögerte sich letztendlich jedoch bis in das Jahr 1942 aufgrund interner Machtkämpfe.

In Innsbruck stellte der Dekan der Medizinischen Fakultät im Juli 1938 ebenfalls einen Antrag zur Gründung einer Lehrkanzel für Erb- und Rassenbiologie [11] mitsamt Besetzungsvorschlag an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten. Als Begründung wurde u.a. angeführt: "Bei der großen Bedeutung, die der Erb- und Rassenlehre im nationalsozialistischen Staate zukommt, ist es eine dringliche Aufgabe, für die Studierenden der medizinischen Fakultät in Innsbruck die Möglichkeit der Ausbildung hierin zu schaffen sowie hiefür eine geeignete Forschungsstätte zu errichten." U.a. wird als eine der Aufgaben des geplanten Instituts genannt: "Das Institut wird sich in den Dienst der praktischen Erb- und Rassenpflege und der Bevölkerungspolitik stellen [12]." Im Besetzungsvorschlag wird der spätere Leiter des Instituts Friedrich Stumpfl an dritter Stelle genannt.

F. Stumpfl ist Facharzt für Psychiatrie und stammt ursprünglich aus Wien, sah dort jedoch keine Möglichkeit auf seinem Spezialgebiet weiterzukommen. Deshalb entschied er sich 1930 als Assistent zu oben genanntem Prof. Rüdin an das Kaiser-Wilhelm-Institut für Genealogie und Demographie in München zu gehen. Sein "freiwillig gewähltes engeres Fachgebiet, die Erforschung der Zusammenhänge zwischen Erbanlage und sozialem Verhalten im allgemeinen, zwischen Erbanlage und Verbrechen im besonderen" sollte, so Stumpfl "der wissenschaftlichen Unterbauung und der lebendigen Verbreitung des rassenhygienischen Gedankens" dienen [13]. Er betrieb Familienuntersuchungen an Verbrechern und veröffentlichte 1935 eine Monographie über "Erbanlagen und Verbrechen", die Rüdin im selben Jahr der medizinischen Fakultät München zur Annahme als Habilitationsschrift empfahl. Am 16. Januar 1936 wird seine Habilitation angenommen und im Dezember 1938 bewirbt sich Dr. med. habil. F. Stumpfl um eine Dozentur. In seinem Lebenslauf, den er für diese Bewerbung verfaßt, spiegelt sich der ideologische Hintergrund, vor dem er seine wissenschaftliche Tätigkeit in den letzten 8 Jahren ausgeübt hat. "Die neue völkische Gesetzgebung bedarf in rassenhygienischer, strafrechtlicher und erbgesundheitlicher Richtung dringend der Ergebnisse dieser Forschungen, somit ist meine gesamte Arbeit, die mir seit 1920 klar vor Augen steht, auch eine politische nationalsozialistische Tätigkeit." Die politische Gesinnung seiner Familie bezeichnet er als "großdeutsch und deutsch-völkisch, somit antisemitisch und antiklerikal [14] ".

Obwohl Stumpfl die Lehrbefugnis (Dozentur) noch nicht erteilt wurde, wird ihm im April 1939 per Erlaß des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung die vertretungsweise Übernahme der neu errichteten Professur für Erb- und Rassenbiologie in Innsbruck übertragen. Zur Ausübung seiner Tätigkeit wird ihm das bisherige Institut für allgemeine und experimentelle Pathologie zugewiesen, eben jenes Institut, dessen Vorstand Professor Gustav Bayer war, der als Jude unmittelbar nach dem Anschluß Österreichs von der Universität Innsbruck im Zuge der ersten "Säuberungen" entlassen wurde [15].
Stumpfl tritt seinen Dienst am 1.5.1939 in Innsbruck an. Erst im September des selben Jahres wird ihm durch den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung die Lehrbefugnis verliehen. Wenige Tage später wird er zum a.o. Professor ernannt und erhält die Planstelle Professor Bayers.

In einer Aufstellung vom März 1940 erläutert Stumpfl die Aufgaben und Ziele des Instituts für Erb- und Rassenbiologie. Das Ziel des Lehrbetriebes - eine Generation von Erbärzten heranzuziehen - kann seiner Meinung nach nur erreicht werden, wenn der reinen Forschung eine führende Stellung eingeräumt wird. Seinen Forschungsplan paßt er den geographischen Besonderheiten des Landes Tirol an. Er plant, die Bewohner eines Tiroler Tales in dem besonders viele Männer für den Wehrdienst nicht geeignet sind, ahnenkundlich genau zu erfassen und im weiteren einem anderen Tal, in dem sich die Bewohner durch besondere körperliche oder geistige Fähigkeiten auszeichnen, gegenüberzustellen. Hierbei sollen Anthropologie (um "normale" Rassenmerkmale festzuhalten), erbpathologisch-klinische Untersuchungen und erbpsychiatrisch-psychologische Methoden gemeinsam angewandt werden. Die Ergebnisse hätten lt. Stumpfl nicht nur wissenschaftliche Bedeutung, sondern "auch im Hinblick auf bevölkerungspolitische Probleme und Aufgaben, etwa Umsiedlungsfragen, eine große praktische Bedeutung". Ebenso praktische Anwendungsmöglichkeiten verspricht sich Stumpfl für Erbprognosen und Eheberatung. In einer weiteren Untersuchungsreihe plant er jugendliche Asoziale und Psychopathen einer Gruppe von normalen Kindern und Jugendlichen gegenüberzustellen, um "das Kernproblem der Asozialenfrage" nämlich die "Möglichkeit einer frühzeitigen sozialen Prognosestellung" zu lösen [16].

Beginnend mit der Habilitationsschrift, welche Friedrich Stumpfl unter Leitung von Ernst Rüdin, dem Reichskommissar der deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene, 1935 publizierte und endend mit einem seiner späten größeren Arbeiten, dem Aufsatz, "Motiv und Schuld" aus dem Jahre 1961 begegnen wir nun der Forschungspraxis und wissenschaftlichen Orientierung des Institutsvorstands.

"Heirate kein Mädchen, die die einzige Gute in ihrer Sippe ist"

Eine kursorische Sichtung der Publikationen des Psychiaters und biologischen Anthropologen Friedrich Stumpfl

Was für die NS-Ideologie im allgemeinen gilt, daß keines ihrer Elemente genuin faschistisch ist, sondern diese nur neu gegliedert und angeordnet sind - es also mehr um die faschistische Modifikation des Ideologischen geht [17] -, gilt im wesentlichen auch für die Wissensproduktion der NS-Zeit und ihre spezifische Modifikation als "Erkenntnispolitik des Natürlichen" und als wissensautoritäres Machtwort der Biologie, hier im Kontext der Disziplinen Psychiatrie, Erbbiologie, Psychopathologie und Konstitutionslehre.

Kontinuität und Bruch halten sich die Waage und zwar vielfach vor 1933 und nach 1945. Eben dieser Zusammenhang von Kontinuität und Bruch kennzeichnet auch die wissenschaftlichen Arbeiten von Friedrich Stumpfl bis zuletzt. In der Zeit des Faschismus erfolgt eine teilweise semantische Korrektur und Radikalisierung sowie eine eindeutige rassebiologische Akzentuierungen seiner Forschungen. "(Die Probleme zu lösen)... entspricht der Grundforderung unseres Staates, zuerst dem Ganzen zu dienen und ermöglicht es, daß die Pläne der Eindämmung der Kriminalität durch rassehygienische Maßnahmen Schritt für Schritt in die Tat umgesetzt werden.", steht im Vorwort seiner Habilitation "Erbanlage und Verbrechen [18] " 1935 nachzulesen. Bezeichnend ist eine in jeweiliger Staatsloyalität organisierte wissenspolitische Haltung. Daraus resultiert auch die spezifische Willfährigkeit seiner Wissenschaft und die spezifische Zuarbeit zu NS-Ideologie und -praxis: "... (eugenische) Maßnahmen sind zuallererst dort notwendig, wo eine Häufung verschiedenartiger Minderwertigkeiten und ein Mangel hochwertiger Eigenschaften in einer Sippe einwandfrei feststehen. [19] "

Auch die Gegenstandsbereiche des Psychiaters ändern sich wenig im Laufe der Zeit: Sie kreisen immer wieder um den Zusammenhang zwischen Pathologie und Kriminalität, Gesamtkörperkonstitution und Persönlichkeit, Abnormität/Asozialität und Anlage/Vererbung, sowie um Streuung und Häufung asozialen und kriminellen Verhaltens innerhalb enger und weiter Verwandtschaftsbeziehungen bzw. Bevölkerungsgruppen, z.B. der Tiroler Karrner.

Die Bearbeitung dieser Themen ist so neu nicht und selbst in den zwischen 1933 und 1945 verfaßten Publikationen weniger faschismusspezifisch, als sie auf den ersten Blick vermuten ließe. Die empirischen Ergebnisse erweisen sich als redundant und wenig aussagekräftig. Wesentlicher erscheint die theoretische Anordnung, innerhalb der die empirischen Studien erfolgen. Vier theoretische Bezüge kennzeichnen seine wissenschaftlichen Arbeiten:

  • Sie sind bezogen auf das Konzept der "Psychopathischen Persönlichkeit": "Alles weist darauf hin, daß der Begriff der abnormen Persönlichkeit ein Seinsbegriff ist, daß dem was wir abnorme Persönlichkeit nennen, eine qualitativ besondere, auch konstitutionsmäßig besonders unterbaute Wesensart zugrunde liegt [20] ",
  • gestützt auf die psychiatrische Typenlehre eines Kurt Schneider [21] "... So daß die Psychopathenlehre von Schneider den einzigen tragfähigen Boden für die Erbpathologie bietet [22],
  • der Kausalbeziehung von "Kriminalität" und abnormer Persönlichkeit durch den Kraeplin-Schüler Johannes Lange [23] und H. Kranz [24] weitgehend und mit einigen Einsprüchen verpflichtet und
  • der endogenen Ätiologie der Psychopathie als "Ergebnis einer defekten Anlage" durch S. Biran verbunden: "Über die Tatsache der Erbbedingtheit solcher Abnormität besteht nach Ergebnissen der Zwillingsforschung kein Zweifel [25] ", obschon immer von einer noch zu leistenden Verwissenschaftlichung der Erblehre in Zusammenarbeit mit der Psychopathologie und Psychiatrie die Rede ist und vor allzu raschen Annahmen gewarnt wird.

Wenngleich F. Stumpfl auch in den Arbeiten, die während der NS-Zeit verfaßt bzw. publiziert wurden, mit endgültigen Aussagen sparsam umgeht, immer wieder vor voreiligen Schlüssen warnt und es vorzieht, bestimmte Wissensbereiche als noch nicht ausreichend erforscht auszuweisen, operiert er unzweifelhaft mit einem Kategorialsystem, welches die nationalsozialistische Ideologie einer Aussonderungs- und Auslesenotwendigkeit sogenannter "Asozialer" nicht behindert, sondern entscheidend fördert. Er geht von einem statischen Persönlichkeitsmodell aus, beharrt auf der psychopathischen Minderwertigkeit bestimmter Personengruppen, favorisiert eine "natürliche Auslese", setzt mit Bezug auf und in Abgrenzung von der Konstitutionslehre die erbliche Gesamtkörperkonstitution als "Unterlage psychischer Erscheinungen" voraus und bevorzugt Forschungsanordnungen, welche zur empirischen Bestätigung der formulierten Annahmen führen.

Selbst noch in der erst 1950 publizierten Kurzmonografie "Über die Herkunft der Landfahrer in Tirol [26] ", welche auf einer mit seinem Assistenten Armand Mergen im Rahmen des Rassehygieneinstituts der Alpenuniversität durchgeführte Forschungsarbeit beruht, erfolgt keine entschiedene Distanzierung von rassebiologischen Positionen. Wenngleich die Entstehung des Landfahrertums beflissen soziographisch und sozioökonomisch erklärt und ein Gutteil des Verhalten dieser Bevölkerungsgruppe auf ihre Lebensverhältnisse zurückgeführt wird, gehören Begriffe und Erklärungsmuster wie "negative Auslese" durch Heiratsverhalten mit Minderwertigen, "Genverlust" durch Abtrennung von der Gesamtpopulation, "Sonderartung" als erbliche Fixierung, charakterliche Einförmigkeit etc. zum selbstverständlichen Repertoire des Psychiaters und Anthropologen. "Wir haben also, wenn wir rein rekonstruierend vorgehen, das Ergebnis, daß bei einer solchen Population eine große Einförmigkeit in psychischer Hinsicht, entsprechend einem Genverlust, und körperlich ein ausgesprochen vigiler Bewegungstypus, auf jeden Fall ein Verlust zahlreicher Differenzierungen zugunsten einer allgemeinen geistigen Primitivität und Triebsicherheit zu erwarten ist [27] ".

Noch 1961 stellt Stumpfl in seiner Publikation "Motiv und Schuld. Eine psychiatrische Studie über den Handlungsaufbau bei kriminellem Verhalten [28] die immer gleiche Frage nach den biologischen, sozialen und individuellen Ursachen verbrecherischen Handelns. Neu hinzukommt die Frage der Willensstruktur. Er bearbeitet die Modifikationen und Störungsgrade des Wollens als Maßstab der Schuldfähigkeit und beschreibt akribisch, wie viele verschiedene Einflußkräfte bis zum und im Tatgeschehen wirksam werden. Trotz der Zurkenntisnahme verschiedener aufeinander wirkender Bedingungsfaktoren verschiebt Stumpfl die Problemanordnung aber nicht derart, daß relevante neue Erkenntnisse gewonnen würden. Er beharrt letztlich auf dem Modell der Prädisposition, operiert in seinen Untersuchungen weiter mit klar voneinander abgrenzbaren Personengruppen, verallgemeinert aus der Perspektive der Psychopathologie und verneint letztlich die Existenz einer dynamischen und entwicklungsfähigen Persönlichkeit.

"Wenn ihn ein böses Geschick" und "die widrigsten Umstände" hinderten"

Kontinuität durch Bruch. Die Schließung des Instituts und der Fortgang einer Karriere

Nach Ende des Krieges im Mai 1945, wird das Institut für Erb- und Rassenbiologie in "Institut für Anthropologie und Erbbiologie" umbenannt [29]. Stumpfl bleibt vorerst in seiner Funktion als Leiter am Institut.

Im Jänner 1946 stellt Stumpfl einen Antrag auf Einleitung eines Verfahrens nach §§ 13 - 24 der 3. Durchführungsverordnung zum Verbotsgesetz St.G.Bl.Nr. 131/1945 an das Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kulturangelegenheiten. In diesem - sowie in späteren Schreiben - stellt er sein Leben und seine wissenschaftliche Tätigkeit als sowohl apolitisch, als auch der nationalsozialistischen Politik diametral entgegenwirkend dar.
Beispielhaft führt Stumpfl an, sein "Untersuchungsergebnis für die Karrner (Anmerkung: Tiroler Landfahrer) günstig gestaltet" zu haben, da er sich "vollkommen im Klaren war, daß eine nur annähernd wahrheitsgemäße Darstellung sofort als Handhabe benutzt worden wäre, um die Karrner (...) als 'Volksschädlinge' zu vergasen. Die soziale Minderwertigkeit der Karrner, besonders ihre allgemeine Neigung zu Diebstahl und Betrug, war allgemein bekannt."

In dieser Ausführung, die seiner politischen Entlastung dienen soll, wird die "Minderwertigkeit" der Karrner, die Rechtmäßigkeit einer "wissenschaftlich fundierten" Diskriminierung keineswegs in Frage gestellt. Diese und andere Zuschreibungen bleiben "wissenschaftlich" anerkannt. Der eugenische Gedanke erfährt keinen Bruch, lediglich die mörderische Praxis der nationalsozialistischen Politik wird zurückgewiesen.

"... Eugenische, (bzw. rassenhygienische) Bestrebungen (seien) keine nationalsozialistischen Erfindungen" rechtfertigt sich Stumpfl in einem Schreiben an eine Sonderkommission, und die Forderungen der Eugenik seien "von einem hohen Ethos getragen". Er habe in seinen Vorlesungen nie "nationalsozialistische Rassenlehre" vorgetragen, sondern nur "wissenschaftliche Ergebnisse aus der Genetik, aus der Erbpathologie, der Konstitutionsforschung und der Kriminalbiologie" gebracht. "Ich darf wohl hinzufügen, daß ich mich in der Zeit des nationalsozialistischen Staates nicht bereichert habe, sondern im Gegenteil, bei beschränktester Lebensführung nur meiner Wissenschaft und meinem Lehrberuf gelebt habe." Mit diesem Satz beschließt Stumpfl das erwähnte Schreiben [30].
Die "politische Überprüfung" von F. Stumpfl im März 1946 durch die Universität Innsbruck endet mit einer Einstellung des Verfahrens. Obwohl die Dekane der Medizinischen und Juridischen Fakultät an einer Weiterbeschäftigung Stumpfls interessiert sind, und der Dekan der Juridischen Fakultät (Prof. Dr. Rittler) sich für Stumpfl und sein Institut beim BM für Unterricht verwendet, kommt es im Juli 1947 zu einer Liquidierung des Instituts (als einer Einrichtung des Deutschen Reiches) und Stumpfl wird in diesem Zusammenhang seiner Funktionen enthoben.

In der Zeit von 1947 bis 1949 ist Stumpfl Leiter der kinderpsychiatrischen Beobachtungsstation am Institut für vergleichende Erziehungswissenschaft in Salzburg, ab 1949 bruchlos Nervenarzt für Gerichtspsychiatrie in Wien [31]. Im April 1953 schlägt ein Professorenkollegium der Medizinischen Fakultät der Universität Innsbruck (Prof.Dr. F.J. Holzer, Prof.Dr. F.J. Lang, Prof.Dr. R. Priesel, Prof.Dr. H. Urban) F. Stumpfl zur Wiederverleihung der Venia legendi für das Fach der Psychiatrie vor. Ab WS 53/54 bis ins hohe Alter hält Stumpfl wieder Vorlesungen zu forensischer Psychiatrie an der Universität Innsbruck [32].
Aufgrund eines Ausschußberichtes (Prof. Lang, Prof. Sauser, Prof. Tapfer) wird Stumpfl im Juli 1959 gemäß Kollegiumsbeschluß der Medizinischen Fakultät dem BM für Unterricht zur Verleihung des Titels eines a.o. Professors vorgeschlagen [33] und damit restlos rehabilitiert.

Der beinahe bruchlose Karriereverlauf von Friedrich Stumpfl und die vielfache institutionelle Unterstützung, auf die er bei seiner Rehabilitierung traf, zeigt beispielhaft, wie weitreichend die Negierung der politischen Verantwortung wissenschaftlichen Handelns auch vor Ort akzeptiert wurde. Die Rücksichtnahme gegenüber akademischen Kollegen und der Respekt vor männerbündischen Fördersystemen rangierte weit vor offener Kritik an der politischen und wissenschaftlichen Haltung von Universitätsangehörigen. Diese Kritik erst hätte eine Selbstreflexion der eigenen Disziplin, ihrer inneren Strukturen wissenschaftlichen Denkens und wissenschaftlicher Organisation, die sie so offensichtlich zum selbsttätigen Komplizen eines Terrorregimes werden ließ, ermöglicht, und eine weiterreichende Debatte um Wissenschaft und Verantwortung, Moral und Nützlichkeit, Willfährigkeit und Resistenz gegenüber totalitären Strukturen und Politiken forciert.

Gerade die Thematisierung der Unmöglichkeit einer "reinen", von gesellschaftlichen Implikationen losgelösten Wissenschaft, die Diskussion über die Abschottung der Methode vom realen (politischen und sozialen) Leben und eine Debatte um die Legitimation der Wissensproduktion durch weitgehend spontane Konventionen innerhalb der Wissenschaftlergemeinschaft wäre von Nöten gewesen, um zu verhindern, daß uns "rasse"biologische und sozialhygienische Gedanken heute in semantisch korrigierter Fassung und wissenschaftlich modernisiertem Aufputz entgegentreten und als biologische Wissenschaften vom Menschen neurechter Biopolitik brauchbare diskursive Einsätze liefern [34].

Die Aktion T4 - Ein historischer Nachtrag

Alfred Hoche (1865-1943) war nicht aus Berufung Psychiater, sondern "weil es sich gerade so fügte". 1920 publizierte er, gemeinsam mit dem Strafrechtsdogmatiker Karl Binding die Broschüre: "Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens". In dieser Schrift prägt er tabubrechend jene Begriffe, die Jahre später - in der Zeit des Nationalsozialismus - Todesurteile bedeuten werden: "Geistig Tote", "Ballastexistenzen", "lebensunwertes Leben". Hoche begründete die Tötung behinderter, kranker und alter Menschen in erster Linie damit, daß die gebrauchte Menge an Nahrungsmitteln, Kleidung, Heizung und Pflege dem Nationalvermögen ein ungeheures Kapital entzöge. Die deutsche Wirtschaft aber krankte nicht an den Pflege- sondern an den Kriegsfolgekosten deutscher Großmachtpolitik. (vgl. Ernst Klee, Interview in der Zeitung Die Woche vom 17.2.1995). Obwohl auch andere Mediziner längst über die Sterilisierung und "Ausmerzung" von "biologisch Minderwertigen" diskutierten, war Alfred Hoche doch der erste Psychiater mit ordentlichem Lehrstuhl, der ein regelrechtes Vernichtungsverdikt verfaßte. (ebd.)

Wenige Jahre nach Publikation dieser Schrift wurde auch in Österreich, vorerst an der Wiener Universität eine "Gesellschaft für Rassenpflege" gegründet, um die eugenische Lehre unter den Studierenden zu verbreiten. Später verband sich die Gesellschaft aufs engste mit der nationalsozialistischen Bewegung. (vgl. Josef Fragner, Die Vernichtung der Unbrauchbaren, in BEHINDERTE, Heft 1/88, Wien, S.10)

Bald nach der Machtübernahme Hitlers wurde im "Deutschen Reich" am 14. Juli 1933 das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" erlassen. Antragsberechtigt waren nicht nur der Kranke oder dessen gesetzlicher Stellvertreter, sondern auch Zahnärzte, Dentisten, Gemeindeschwestern, Masseure, "Kurpfuscher", Heilpraktiker und Hebammen. Antragsverpflichtet waren Amtsärzte und Anstaltsleiter (ebd., S.18). Opfer der Maßnahmen zur Verhütung erbkranken Nachwuchses waren "Geisteskranke, Krüppel, Fürsorgezöglinge, Arbeitslose, Trinker, Dirnen" und andere von Wissenschaftlern und Fürsorgepraktikern als "minderwertig" Bezeichnete (vgl. Ernst Klee, 1995). Nahezu alle namhaften Vertreter der medizinischen Disziplin begrüßten die Sterilisierungen. Genaue Zahlen, wieviele Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus unfruchtbar gemacht wurden, größtenteils gegen ihren Willen, beziehungsweise den ihrer Angehörigen, gibt es nicht. Die meisten Schätzungen liegen zwischen 200.000 und 350.000. (Rudolf Forster, Spuren der Vernichtung, 1996, S.8). Eine erste Steigerung ereignete sich nach 5 Jahren. 1939 bereits wurden Hebammen und Ärzte gesetzlich verpflichtet, alle Neugeborenen mit Mißbildungen den Gesundheitsämtern zu melden. Solche Kinder wurden unter dem Vorwand besonderer ärztlicher Betreuung in "Kinderfachabteilungen" eingewiesen und dort nach einiger Zeit getötet. Dieser "Reichsausschußaktion" fielen ca. 5000 behinderte Kinder zum Opfer (RUWuM 20.7b, S.1)

Als "Aktion T 4" bezeichneten die Nationalsozialisten schließlich ihr Euthanasieprogramm, das zunächst unter strenger Geheimhaltung begann und die Beseitigung aller körperlich und geistig behinderten, als minderwertig betrachteten Menschen im Deutschen Reich vorsah. Zunächst wurden vor allem Geisteskranke aus den Familien abgeholt. Den Angehörigen wurde mitgeteilt, die Kranken würden zu einer speziellen Therapie in Kliniken gebracht. Sie aber kamen in Vernichtungslager, wie Hadamar (bei Koblenz), Bernburg (in Anhalt), Sonnenstein (bei Pirna), Grafeneck (in Württemberg), Brandenburg (bei Berlin) oder Hartheim (bei Linz).

Am 18. 10. 1939 wurde erstmals das Vergasen von Menschen am Beispiel von polnischen psychisch Kranken im Fort VII der Befestigungsanlagen von Posen erprobt. Im Reichsgebiet selbst wurden die ersten "Probetötungen" im Jänner 1940 im Zuchthaus Brandenburg, ebenfalls an psychisch Kranken durchgeführt. (vgl. Hartmann Hinterhuber, ermordet und Vergessen, Verlag Integrative Psychiatrie, Innsbruck, 1995, S.27)

Es wurden drei Tarngesellschaften gegründet, die ohne direkte Beteiligung staatlicher Einrichtungen für die illegale Aktion T4 zuständig werden sollten: der "Allgemeinen Stiftung für Anstaltswesen" war das Personal der Tötungsanstalten unterstellt, die "Reichsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten" schickte die Meldebögen aus und veranlaßte die Begutachtungen, die "Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft" übernahm die Überführung der Patienten von den Krankenhäusern und Pflegeheimen in die Tötungsanstalten. (ebd.)

Allein in den Jahren 1940/41 wurden 70.273 Menschen in sechs Vergasungsanstalten ermordet. Noch mehr Patienten starben nach Einstellung der Aktion T4 in den Heil- und Pflegeanstalten, viele davon auch in Österreich. Sie verhungerten, wurden zu Tode gespritzt und vergiftet (vgl. Ernst Klee, 1995)

1939 wurde das Schloß Hartheim so umgebaut, daß es die Aufgabe einer Tötungsanstalt übernehmen konnte. Die Leitung der "Landesanstalt Hartheim" wurde dem ärztlichen Direktor der Landesheil- und Pflegeanstalt Linz-Niedernhart, dem SS-Hauptsturmführer Dr. Rudolf Lonauer, übergeben, sein Stellvertreter war Dr. Georg Renno, ebenfalls NSDAP- und SS-Mitglied. Die Beiden zeichneten verantwortlich für die regelmäßigen Transporte aus österreichischen Sozial- und Fürsorgeeinrichtungen, darunter auch jenen aus Tirol, nach Hartheim. Bei diesen Aktionen konnten sich die beiden Ärzte besonders auf eine "gute" Zusammenarbeit mit dem Leiter des öffentlichen Dienstes in Tirol und Vorarlberg, Dr. Hans Czermak, NSDAP und SA Mitglied, verlassen. Die Anstalt konnte als erklärte "Musteranstalt" öfters prominente Besucher empfangen, die dort "Demonstrationsvergasungen" beiwohnten.

Obwohl im August 1941 die "Aktion T 4" auf Grund von Protesten offiziell eingestellt wurde, änderte sich in Hartheim nur wenig. Die errechnete Zahl der Hartheimer Todesopfer liegt zwischen 30.000 und 60.000, darunter 502 TirolerInnen und 62 SüdtirolerInnen. (Hartmann Hinterhuber, 1995, S.127) Am 11. 12. 1944 erging die Anweisung an Hartheim "den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen". (ebd., S.35)
Die Südtiroler Geisteskranken befanden sich zu Beginn des Euthanasieprogrammes aufgeteilt auf mehrere Heil- und Pflegeanstalten: Der Großteil befand sich in der öffentlichen Irrenanstalt in Pergine, andere waren verteilt auf die verschiedenen Anstalten für psychisch und/oder physisch behinderte Menschen in Nordtirol, und Vorarlberg. (Leopold Steurer, Sturzflüge-Sondernummer "Euthanasie", Bozen 1982, S.9) Während die in Nordtirol und in Vorarlberg stationierten Südtiroler Patienten ihr Schicksal mit dem der österreichischen Patienten teilten, wurden die 299 Insassen der Anstalt in Pergine im Mai 1940 unter der Leitung des Südtiroler Arztes Dr. Simek in einer Blitzaktion nach Zwiefalten (Baden-Württemberg) in die dortige Heilanstalt "verlegt". (ebd.)

Im Sommer 1940 wird Alfred Hoche die Urne mit der Asche einer Verwandten, die Opfer der Euthanasie geworden war, zugestellt. Ob aus dem VORdenker der "Vernichtung unwerten Lebens" ein NACHdenker wurde, ist nicht bekannt. Hoche starb drei Jahre später.


Quelle:

BIDOK - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet
Marion Amort, Regina Bogner-Unterhofer, Monika Pilgram, Gabi Plasil, Michaela Ralser, Stefanie Stütler, Lisl Strobl: Humanwissenschaften als Säulen der "Vernichtung unwerten Lebens" - Biopolitik und Faschismus am Beispiel des Rassehygieneinstituts in Innsbruck


[1] "Auslese und Ausmerze. Analyse und Kritik von Eugenik, Euthanasie und Biopolitik" im Rahmen des Feministischen Theorie-Praxis-Seminars "Das Geschäft mit dem Leben" im SS 1998 von Michaela Ralser. Teil des Lehrveranstaltungskonzeptes war es gewesen, ein kleines Forschungsvorhaben zu unternehmen, welches geeignet war, die Themenstellung lokalhistorisch rückzubinden und sich vor Ort kundig zu machen. Ein Ergebnis der Recherchen ist der vorliegende - von einer Studentinnengruppe in Kooperation mit der Lehrveranstaltungsleiterin verfaßte - Aufsatz zur Organisationsgeschichte, Forschungspraxis und -politik des Erb- und Rassebiologischen Instituts der Universität Innsbruck.
[2] Vgl. Zygmunt Baumann, Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust, Europäische Verlagsanstalt, Hamburg, 1992
[3] Ernst Klee, Auschwitz. Die NS-Medizin und ihre Opfer, Fischer, Frankfurt am Main, 1997, sowie Ernst Klee, Euthanasie im NS-Staat, Fischer, Frankfurt am Main, 1993
[4] Robert Proctor, Racial Hygiene. Medicine under the Nazis, Harvard University Press, Cambridge, 1988
[5] Henry Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid. Von der Euthanasie zur Endlösung, BerlinVerlag, Berlin, 1998
[6] Vgl. Bernhard Rathmayr, Das Tier im Menschen (S 23). Skriptum der gleichnamigen Lehrveranstaltung am Inst. f. Erziehungswissenschaften der Univ. Innsbruck
[7] Weingart, P., Kroll, J., Bayertz, K.: Rasse, Blut und Gene. Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1988, S.244
[8] ebd., S. 253
[9] Fischer, v. Verschuer und Muckermann leiteten die Abteilungen Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik des Instituts für Rassehygiene, Rüdin das Institut für Genealogie und Demographie der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie, die 1924 in die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft aufgenommen wurde.
[10] Sauer, E.: Institutsneugründungen 1938 - 1945, S 317ff, in: Verein Kritische Sozialwissenschaften und politische Bildung (Hg.) Willfährige Wissenschaft. Die Universität Wien 1938-45, Verlag für Gesellschaftskritik, Wien, 1989
[11] Alle Angaben zu F. Stumpfl bzw. dem Erb- und Rassebiologischen Institut Innsbruck wurden, wenn nicht anders angegeben, dem umfangreichen Personalakt von F. Stumpfl am Universitätsarchiv Innsbruck entnommen. Bei wörtlichen Zitaten ist das Datum des betreffenden Schriftstücks in der Fußnote angegeben. Wir danken dem Universitätsarchiv für seine Kooperation.
[12] Schreiben vom 25.7.1938 im Personalakt F. Stumpfl des Universitätsarchivs Innsbruck
[13] Lebenslauf vom 7.12.1938 im Personalakt F. Stumpfl des Universitätsarchivs Innsbruck
[14] ebendort
[15] Dieses Institut war seit 15. März 1938 (3 Tage nach dem Anschluß Österreichs) ohne Vorstand. Dieser hatte sich nach der Gleichschaltung der Österreichischen Universitäten und den ersten Säuberungen des Lehrkörpers von "Volljuden" und "von zwei volljüdischen Großeltern abstammende Mischlinge", gemeinsam mit seiner Tochter das Leben genommen. Aus: Heider, Ralser, Rath, Soraperra, Verdorfer: SKOLAST-Sondernummer "Politisch zuverlässig - rein arisch - deutscher Wissenschaft verpflichtet", Zeitschrift der Südtiroler Hochschülerschaft, Jg. 34, Nr. 1/2, S 27
[16] Schreiben vom 19.3.1940 im Personalakt F. Stumpfl des Universitätsarchivs Innsbruck
[17] vgl. Projekt Ideologie-Theorie: Faschismus und Ideologie 1 und 2, ArgumentSonderband 60 und 62, Argumentverlag; Berlin, 1980
[18] Stumpf, Friedrich, Erbanlage und Verbrechen in Ernst Rüdin (Hg.); Studien über Verbrechen und Entstehung geistiger Störung, Verlag von Julius Springer, München, 1935, Vorwort
[19] ebd., S. 275
[20] Friedrich Stumpfl: Psychopathien und Kriminalität, Zeitschrift "Fortschritte der Erbpathologie, Rassehygiene und ihrer Grenzgebiete, 1941, Jg. V, 2/3, S.63
[21] Kurt Schneider, Die psychopathischen Persönlichkeiten, 1926, 9. Auflage, Deuticke, Wien, 1943; derselbe, Klinische Psychopathologie, 9. Auflage, Thieme, Stuttgart, 1971
[22] ebd., S. 63
[23] Lange Johannes, Verbrechen als Schicksal. Studien an kriminellen Zwillingen, Leipzig, 1929, oder ebender: Zirkuläres (manisch-depressives) Irresein. Handbuch der Erbkrankheiten, Leipzig, 1942
[24] Kranz, H.; Lebensschicksale krimineller Zwillinge, Springer, Berlin, 1936
[25] Friedrich Stumpfl, 1941 (a.a.O.), S.78
[26] in: Zeitschrift für menschliche Vererbungs- und Konstitutionslehre, 1950, Bd. 29, S. 665-694
[27] ebd., S. 690
[28] Friedrich Stumpfl, a.o. Professor der Psychiatrie und Neurologie an der Universität Innsbruck, Motiv und Schuld. Eine psychiatrische Studie über den Handlungsaufbau bei kriminellem Verhalten, in: Bayer u.a. (Hg.), Zeitschrift für Psychiatrie und Recht, Heft 1, Verlag Franz Deuticke, Wien, 1961
[29] Vgl. Huter, F.: Hundert Jahre Medizinische Fakultät, Innsbruck, 1869-1969, Teil II, Geschichte der Lehrkanzeln, Institute und Kliniken, Innsbruck, 1969, S 465
[30] Schreiben vom 10.6.1946 im Personalakt F. Stumpfl des Universitätsarchivs Innsbruck
[31] Hubenstorf, M.: Kontinuität und Bruch in der Medizingeschichte, Medizin in Österreich 1938 - 1955, S 330f, in: Kontinuität und Bruch 1938 - 1945 - 1955, Beiträge zur Österreichischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte, Hg.: Stadler, F., Jugend und Volk, Wien/München, 1988
[32] vgl. Vorlesungsverzeichnisse der Universität Innsbruck seit dem Jahre 1953/54 (in gesammelter Reihe an der Universitätsbibliothek verfügbar)
[33] Laut einem handschriftlichen Vermerk am betreffenden Schreiben vom 29.7.1959 wurde Stumpfl der Titel am 27.10.1959 zuerkannt.
[34] vgl. Sebastian Reinfeld/ Richard Schwarz: Biopolotische Konzepte der Neuen Rechten, in dieselben (Hg.), Bio - Macht, Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung, Disstexte, Nr. 25, 1993, S. 6-23

Editorische Anmerkungen:

Der Text wurde verfaßt von Marion Amort, Regina Bogner-Unterhofer, Monika Pilgram, Gabi Plasil, Michaela Ralser, Stefanie Stütler, Lisl Strobl  und erschien in : erziehung heute e.h. Heft 1, 1999 , er ist eine Spiegelung von:
http://bidok.uibk.ac.at/texte/ralser-unwert.html