Zerlegte Existenzen
Der Terror der Arbeit
Im 21. Jahrhundert muss sich der Antikapitalismus auf die Kritik der Arbeit konzentrieren. 
Von Ernst Lohoff

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Internet-Quelle: http://www.jungle-world.com/_2001/19/15a.htm 

Nichts als Arbeit: Die Jobs sind knapp, der Druck ist groß: Wer einen Arbeitsplatz besitzt, muss schuften wie verrückt. Und wer keine Arbeit hat, gilt als Sozialschmarotzer. Brutalisierung und Vereinzelung prägen das soziale Klima und lassen das Projekt der Emanzipation hoffnungslos überholt erscheinen. Anachronistisch ist aber nicht die Idee der Befreiung, sondern die Diktatur der Arbeit. In unregelmäßigen Abständen werden in den nächsten Ausgaben weitere Beiträge gegen die Arbeit veröffentlicht.


1. Repressive Toleranz und ihre Grenzen

Diese Gesellschaft behauptet von sich, sie kenne keine Tabus mehr. Und in der Tat, es bedarf mittlerweile schon extremer Reize, um das abgebrühte moderne Individuum noch irgendwie aus der Reserve zu locken. Diese Art von Vorurteilslosigkeit zeigt indes keineswegs an, dass im Vergleich zu früheren Dekaden die Verhältnisse weniger repressiv geworden wären. Ununterscheidbar von Indolenz, ist sie vielmehr Ergebnis und Ausdruck eines auf die Spitze getriebenen realen Gleichschaltungsprozesses.

Die gesellschaftliche Wirklichkeit hat sich in das Nebeneinander von Teilmärkten aufgelöst, die mit Glaubwürdigkeit, Geschmack, politischen Meinungen und sexuellen Präferenzen genauso handeln wie mit Waschpulver und Senf. Das moderne Individuum zeigt sich allzeit tolerant, weil es sich diesem Zustand mimetisch angepasst und sich darauf eingestellt hat, immer nur dem Gleichen zu begegnen, nämlich konkurrierenden Warenangeboten.

Dass die herrschende Toleranz nur die blinde Unterwerfung unter die Allgegenwart der Warenlogik reflektiert, kennzeichnet sie nicht nur als »repressive Toleranz« (Herbert Marcuse). Damit ist auch bereits der logische Umschlagspunkt markiert, an dem der alles verdauende Stumpfsinn des Warensubjekts in blanken Hass umschlägt. Für eine Gesellschaft, in der das Streben nach Verkäuflichkeit alles legitimiert, ist eins in jeder Hinsicht unannehmbar, ja undenkbar: die Weigerung, die eigene Verkäuflichkeit als den alles entscheidenden Maßstab anzuerkennen. Die gründlich verinnerlichte Zumutung, sich permanent als »Humankapital« zuzurichten, findet ihr Ventil in einer permanenten Mobilmachung gegen alles, was sich diesem Zwang nicht bedingungslos fügen könnte. Wer in dieser Gesellschaft kein Geld hat, das für ihn arbeitet, hat selbst zu arbeiten oder zumindest seine unbedingte Arbeitsbereitschaft unter Beweis zu stellen, ansonsten wird er als asoziales Element behandelt.

Dieser Geist »repressiver Toleranz« durchweht auch die politische Sphäre. Mehrheitsfähig sind heute vornehmlich virtuose Eklektiker, die sich allzeit »undogmatisch«, »lernfähig« und nach allen Seiten hin »dialogbereit« zeigen. In der Politik können aber nur deshalb alle mit allen über alles reden, weil es als undenkbar gilt, die gesellschaftlichen Ziele prinzipiell noch in Frage zu stellen.

Man gibt sich offen, weil es längst feststeht, dass es immer nur um Umsetzungsfragen gehen kann, darum, wie die unter dem Label »Modernisierung« verkauften ökonomischen Imperative durchzusetzen sind, aber nie um das Ob und Warum.

Wer sich an diese Geschäftsordnung nicht hält und die Zwangsorientierung auf Akkumulation und Beschäftigung selbst zum Thema macht, erfährt sehr schnell die Grenzen der offiziell allzeit beschworenen Diskussionsbereitschaft. Wirtschaftswachstum und Arbeit sind heute mindestens so sakrosankt wie im Mittelalter die heilige Dreifaltigkeit. Auch die Warengesellschaft hat ihr Tabu, an das niemand rühren darf, ohne dass die ach so Aufgeklärten sofort zu Gotteskriegern werden.


2. Wer das Kapital loswerden will, muss die Arbeit loswerden

Im vorletzten Jahr ist die Gruppe Krisis aus Nürnberg mit einem »Manifest gegen die Arbeit« an die Öffentlichkeit getreten (Jungle World, 32/99, 33/99 und 34/99). Schon der Titel verrät, dass die Publikation Anstoß erregen sollte. Wo alle politischen Richtungen sich im Schrei nach Arbeit einig sind, erklärt das Manifest das Gut der Güter zum Grundübel und die Erneuerung der arbeitsgesellschaftlichen Perspektive im Zeichen von New Economy, Dienstleistungskapitalismus und Arbeitskraftunternehmertum zur Fata morgana.

Den Verfassern ging es indes um mehr als eine Provokation. Die ebenso groteske wie allgegenwärtige Arbeitsideologie verweist unmittelbar auf den Kern kapitalistischer Zurichtung. Mit der Attacke auf die Arbeit soll die Grundlage und der schwache Punkt der warengesellschaftlichen Ordnung bloßgelegt werden. Es ist primär der Arbeitszwang und der positive Bezug auf ihn, der Menschen zu Warensubjekten abrichtet.

Bei der Kritik der Arbeit und dem Gedanken ihrer Aufhebung handelt es sich um weit mehr als eine polemische Überspitzung. Beides ist durchaus wörtlich zu nehmen. Das Manifest geht davon aus, dass sich eine theoretisch konsistente Kapitalismuskritik heute nur noch als konsequente Kritik der Arbeit formulieren lässt.

Der Versuch, Kapitalismuskritik mit einer radikalen Kritik der Arbeit neu zu begründen, hebt sich sehr deutlich vom überlieferten Antikapitalismus ab. Im Soziologenjargon würde man wohl von einem »Paradigmenwechsel« sprechen.

Das traditionelle Verständnis deutete Arbeit und Kapital als einander feindliche Prinzipien. Die Arbeit galt ihm als eine »ewige Naturnotwendigkeit«, die nur äußerlich vom Kapital überformt und für den Zweck der Profitproduktion missbraucht wird. Die Kritik der Arbeit unterstellt eine ganz andere Beziehung. Die Kategorien Arbeit und Kapital betrachten dasselbe gesellschaftliche Verhältnis, nur von zwei verschiedenen Seiten her. Arbeit kann grundsätzlich gar nichts anderes sein als die spezifisch kapitalistische Tätigkeitsform. Das Kapital wiederum stellt »geronnene Arbeit« dar.

Die Identität von Arbeit und Kapital ist nicht bloß im Sinne der vom Marxismus aus der klassischen Nationalökonomie übernommenen »objektiven Wertlehre« zu verstehen, derzufolge die Arbeit die »Substanz« des Werts und damit die einzige Quelle von Wertschöpfung bildet. Sie reicht wesentlich tiefer. All das, was kapitalistische Herrschaft ausmacht, ist bereits der Kategorie Arbeit eigen.

Vor allem an drei Charakteristika kapitalistischer Herrschaft lässt sich dies festmachen: an der Gleichgültigkeit der Verwertungsbewegung gegenüber ihrem stofflichen Inhalt, am Selbstzweck kapitalistischer Produktion und an der Sphärentrennung. Dass der arbeitskritische Zugang es erlaubt, diese Gesichtspunkte viel prägnanter zu fassen als es die marxistischen Termini konnten, ist schon Grund genug, dieser Neukonzeption den Vorzug zu geben.


3. Die Arbeit und ihr Inhalt

Der Prozess der Wertverwertung kann nicht vonstatten gehen, »tote Arbeit« kann nicht aufgehäuft werden, ohne dass sie die Gestalt irgendwelcher Gebrauchswerte annimmt. Der kapitalistische Verwertungsprozess verfügt aber über keinerlei Sensorium für seine eigene stoffliche Seite. Solange sich Arbeitsprodukte mit Gewinn verkaufen lassen, besteht kein Unterschied zwischen Kampfflugzeugen, Rheumapflastern oder Blumentöpfen. Als austauschbare Darstellungsformen abstrakter Arbeit und damit als Waren sind sie gesellschaftlich ein und dasselbe. Diese Nivellierung wird der Arbeit aber nicht erst von außen, durch die profitgierigen Kapitalisten aufoktroyiert. Sie haftet vielmehr bereits der Kategorie Arbeit selbst an und ist für sie sogar konstitutiv.

Was ihren sinnlichen Gehalt betrifft, haben der Unterricht von Kindern, die Produktion von Giftgas, die Darstellung künstlerischer Leistungen vor zahlendem Publikum und der Bau von Möbeln nicht das Geringste miteinander gemein. Konzentriert man sich auf das, was getan wird, und sieht konsequent von der gesellschaftlichen Form ab, in der es getan wird, löst sich die Abstraktion Arbeit gleich doppelt auf. Es lässt sich einerseits kein allgemeines Merkmal angeben, das die Artverwandtschaft all der Aktivitäten begründen könnte, die als Arbeit gelten.

Andererseits ist vom Standpunkt einer rein stofflichen Betrachtungsweise genauso wenig zu erklären, warum ein und dieselbe Tätigkeit - beispielsweise das Singen von Liedern oder die Züchtung von Blumen - einmal als Arbeit gilt, dann wieder als Hobby, je nachdem, ob sie dem Geldverdienen dient oder nicht. Ohne die Subsumtion unter die gleiche gesellschaftliche Zwangsform des Sich-Verkaufens existiert demnach zwar eine breite Palette unterschiedlicher Reichtum schaffender konkreter Tätigkeiten, aber keine allgemeine Tätigkeitsform namens Arbeit. Sie ist das Produkt einer das gesamte gesellschaftliche Gefüge prägenden Zwangsreduktion von Reichtum und Reichtumserzeugung auf Warenproduktion. Die vorkapitalistischen Gesellschaften sind denn auch nie auf die seltsame Idee verfallen, die Tätigkeit von Sklaven und Freien, von Priestern und Seefahrern unter eine gemeinsame Kategorie zu zwingen.

In allen europäischen Sprachen bezeichneten die Wörter, die heute für Arbeit stehen, ursprünglich entweder nur das Dasein der sozial Abhängigen oder ganz allgemein Not und Leid, jedenfalls keine Allgemeinheit gesellschaftlich anerkannter Tätigkeit. Eine nachkapitalistische Gesellschaft hätte genauso wenig Grund, an einem solchen Prinzip festzuhalten.


4. Arbeit ist Selbstzwecktätigkeit

Kapitalistische Produktion zeichnet sich durch ihren Selbstzweckcharakter aus. Die Erzeugung von Gütern zieht ihre Daseinsberechtigung nicht daraus, dass sie Mittel zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse bereitstellen würde. Produziert wird vielmehr um der Produktion willen, und die Bedürfnisse sind umgekehrt der Verwertung wegen da. Sie haben Abzugskanäle für die Warenströme zu öffnen. Soziale Bedürfnisse, die sich mit bloßem Warenkonsum nicht abspeisen lassen, bleiben in dieser ach so reichen Gesellschaft grundsätzlich unerfüllbar. Den übrigen kommt wiederum nur ein Existenzrecht zu, soweit sie sich in zahlungskräftige Nachfrage übersetzen und damit dem kapitalistischen Reproduktionskreislauf unterordnen lassen.

Die traditionelle marxistische Kapitalismuskritik konnte nicht das Hohelied der Arbeit singen, ohne die absurde Verkehrung von Mittel und Zweck de facto zu übernehmen. Die Erhebung der Arbeit zum Kerninhalt des menschlichen Daseins bedeutet ebenso das Lob des produktivistischen Selbstzwecks wie das Ja zum kapitalistischen Wirtschaftswachstum.

Spätestens der ökologische Protest hat aufs Tapet gebracht, dass der Zwang, die Welt unter Fabrikationsstätten und Warenlawinen zu begraben, sehr viel mit Zerstörung und Unterwerfung und nichts mit Emanzipation zu tun hat. Solange Antikapitalismus im Bannkreis eines positiven Bezugs auf Arbeit gefangen bleibt, lässt sich der produktivistische Irrsinn aber nur als eine von der eigentlichen Kapitalismuskritik getrennte Frage interpretieren und damit missverstehen. Die konservative Konsumkritik hat diese Leerstelle besetzt und es sogar fertiggebracht, den Ekel vorm Gebrauchswert der Waren gegen den antikapitalistischen Impuls zu mobilisieren.

Eine als Kritik der Arbeit reformulierte Kapitalismusanalyse nimmt das Bedürfnis- und Gebrauchswertelend mit ins Blickfeld. Sie behandelt es als genuinen Bestandteil einer in sich kohärenten Gesamtkritik der Selbstzweckbewegung des Werts. Die Kritik der Arbeit zeigt auf, wie grotesk und zynisch es ist, den produktivistischen Wahn mit überschießender Bedürfnisbefriedigung gleichzusetzen, um ihm irgendeine Verzichtsideologie entgegenzuhalten. Vielmehr gehören Akkumulationszwang, das rigide Abschneiden menschlicher Potenziale und die Reduktion menschlichen Bedürfnisreichtums zusammen.

Die Kritik der Arbeit hebt zugleich schon begrifflich darauf ab, dass es eben nicht allein darum geht, die abstrakte, wertsetzende Arbeit für sich aus der Welt zu schaffen. Auch die konkrete Arbeit, die Art und Weise, in der das Kapital die Naturaneignung organisiert, muss zur Disposition stehen. Die Arbeit überhaupt, also konkrete und abstrakte Arbeit, ist aufzuheben, weil die konkrete Arbeit als Arbeit von vornherein gar nichts anderes sein kann als der sinnlich-empirische Niederschlag eines übergreifenden Abstraktionsprozesses.


5. Arbeit heißt Sphärentrennung

Das herrschende Bewusstsein ist darauf konditioniert, die historischen spezifischen Verrücktheiten der Warengesellschaft zur ewigen Naturbedingung zu erklären und sie in die Vergangenheit und die Zukunft zu projizieren. Bei der Arbeit gelingt das dem Alltagsverstand und seinen theoretischen Fürsprechern in fast schon klassischer Manier. Offiziell will er in ihr nur ein unschuldiges Synonym für den »Stoffwechselprozess des Menschen mit der Natur« (Marx) sehen. Unter der Hand wird aber mit dem Begriff Arbeit immer schon die spezifische warengesellschaftliche Konstellation eingeführt und für unhintergehbar erklärt.

Wer von Arbeit spricht, drückt keineswegs nur die banale Tatsache aus, dass Menschen in jeder denkbaren Gesellschaft in irgendeiner Weise aktiv werden müssen, um die produktiven Potenzen zu entwickeln und zu realisieren. Der Terminus hat überhaupt nur einen Sinn, solange er im Kontrast zu anderen, entgegengesetzten Formen menschlicher Praxis steht, die dann unter Rubriken wie Freizeit, Hobby, freiwilliges Engagement, Familienleben usw. anderen, separierten (prä-) gesellschaftlichen Bereichen zuzurechnen sind.

Wäre alles Arbeit, dann wäre nichts mehr Arbeit und der Ausdruck hätte jede Bedeutung verloren. Indem die Arbeit in den Rang einer ewigen Naturnotwendigkeit erhoben wird, ist daher immer schon klammheimlich unterstellt, dass die Reichtumsproduktion sich als eine von allen anderen Lebensäußerungen fein säuberlich getrennte Form der Lebensentäußerung zu vollziehen hat und eine eigene, aus dem übrigen sozialen Zusammenhang herausabstrahierte Sphäre bildet.

Das mag dem Warensubjekt »natürlich« erscheinen. Es ist daran gewöhnt, eine zerlegte Existenz zu führen und in den Privatmenschen, den Staatsbürger und den Arbeitshomunkulus zu zerfallen, der tagein, tagaus acht Stunden lang eine aus den sonstigen Lebensbezügen herausfallende und dementsprechend auf einen betriebswirtschaftlich-zweckrationalen Kern reduzierte Tätigkeit verrichtet. Genau diese schizophrene Struktur macht aber eines der ganz zentralen Momente des warengesellschaftlichen Terrors aus.

Die Abstraktion Arbeit ist bei der Beschreibung vorkapitalistischer Verhältnisse schlicht fehl am Platz. Wo das Wirtschaften wie in den traditionellen Gesellschaften in weitergehende soziale und herrschaftliche Zusammenhänge eingebunden war, konnte sich kein Sonderphänomen Arbeit ausbilden. Die Unterstellung, auch jede nachkapitalistische Gesellschaft müsste Arbeit kennen, ist aber fast noch gefährlicher als dieser Anachronismus. Sie hintertreibt den Gedanken der Aufhebung der Sphärentrennung - und ohne dieses Motiv kann es heute keine Strömung geben, die das Attribut antikapitalistisch zu Recht führen würde.

Der klassische marxistische Gedanke, eine künftige Gesellschaft zerfalle in ein »Reich der Freiheit« und »ein Reich der Notwendigkeit«, schreibt, leicht verquast, die Abspaltung unseres Dasein in entleerte Privatheit und Arbeitsschwachsinn für alle Zeiten fest. Dass auch eine befreite Gesellschaft nicht wie das Schlaraffenland aussehen kann und keineswegs jedes Moment materieller Notwendigkeit hinter sich lässt, ist eine Sache. Die Vorstellung, sie als ein abgesondertes Gegenreich organisieren zu wollen, ist etwas völlig anderes.


6. Antikapitalismus muss arbeitskritisch sein

Der Begriff Arbeit gehört gleichzeitig zwei Welten an. Er kann einerseits zusammen mit dem Wert als die abstrakteste und allgemeinste Kategorie der Kritik der Politischen Ökonomie gelten, schließlich bezeichnet er nichts anderes als dessen Tätigkeitsseite. Andererseits ist Arbeit millionenfach unmittelbare Alltagspraxis und -erfahrung. Mit der Entwicklung der letzten Jahre hat dieses Spannungsverhältnis noch eine zusätzliche Komponente gewonnen. Die Arbeitszumutung, der beständig verschärfte Zwang, sich zu verkaufen, steht im Mittelpunkt jenes sozialen Präventivkriegs, den heute die Hüter der herrschenden Ordnung angesichts der realen Krise der Arbeitsgesellschaft gegen das ihrem Zugriff ausgelieferte Menschenmaterial führen. Arbeit ist im Zeitalter von Dauerarbeitslosigkeit, neuem Arbeitskraftunternehmertum, amtlicher Zwangsarbeit sowie Billig- und Kombilohnkampagnen mehr denn je zum Kampfbegriff geworden.

Vor diesem Hintergrund ist natürlich auch das Manifest der Gruppe Krisis zu sehen. Den Autoren geht es nicht allein darum, für ihre theoretische Position essenzielle Überlegungen zu einem wesentlichen Thema zu popularisieren. Mit dem Tabubruch einer radikalen Kritik der Arbeit ist auch eine längerfristige »strategische Option« verbunden.

Heute prägen Brutalisierung, Vereinzelung und Egomanie das soziale Klima und lassen das Projekt der Emanzipation als hoffnungslos überholt erscheinen. Diese Tendenz zur totalen, keine Grenzen mehr anerkennenden Konkurrenz hat aber nichts anderes zum Ausgangspunkt als die bedingungslose Unterwerfung unter die Arbeitsdiktatur. Eine antikapitalistische Strömung hat nur dann die Chance, noch einmal Ausstrahlungskraft zu gewinnen und offensiv zu werden, wenn sie das Arbeits- und Inwertsetzungsdiktat als Fokus begreift, an dem sich die ganze Gewalt der herrschenden Vergesellschaftungsform bündelt, und dessen Kritik zu ihrem eigenen Brennpunkt macht. Solange die Linke theoretisch wie praktisch jedoch auf Tauchstation geht und es versäumt, sich auf das heute erreichte, nur als Amoklauf der heiligen Arbeit beschreibbare Widerspruchsniveau der Warengesellschaft zu orientieren, wird sie keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen.

Im 21. Jahrhundert wird es entweder keinen Antikapitalismus mehr geben oder er wird sich auf die Kritik der Arbeit konzentrieren.


7. Repression und Emanzipation

Mehr als hundert Jahre lang zog Generation um Generation von Antikapitalisten im Namen der Arbeit gegen den Status quo zu Felde. Von wenigen, randständigen Positionen einmal abgesehen - man denke etwa an Paul Lafargues »Lob der Faulheit« - identifizierten sowohl »Reformisten« wie »Revolutionäre« Befreiung beharrlich mit der Befreiung der Arbeit. Diese zähe Gleichsetzung war natürlich nicht einfach Ergebnis eines kollektiven Blackouts.

Vor allem zwei säkularen Trends verdankte das Missverständnis, das ein letztes Mal in der durch die 68er Bewegung eingeleiteten sozialdemokratischen Reformära geschichtsmächtig wurde, seine einstmalige Plausibilität. Zum einen ließ sich die Arbeit, solange sich das System der kapitalistischen Arbeitsverwertung auf einem historischen Expansionskurs befand, als soziales Integrationsprinzip verstehen. Der nur von ökonomischen Krisen zeitweilig unterbrochene Heißhunger nach zusätzlicher Arbeitskraft bot den Besitzern dieser Ware auf dem Boden der bestehenden Ordnung tatsächlich eine Perspektive.

Zum anderen konnte in der Auseinandersetzung mit älteren, aus der Frühgeschichte der Warengesellschaft stammenden personellen Autoritätsbeziehungen der emanzipatorische Impuls mit dem Systemimperativ interferieren, die traditionellen sozialen Schranken einzureißen und an ihre Stelle die versachlichten Beziehungen gleichberechtigter Waren- und Arbeitssubjekte zu setzen. Die sukzessive Zentrierung sozialer Herrschaft auf das Akkumulationsgebot und die Indienstnahme des Staates für den Selbstzweck der Wertverwertung wurde weniger als Zuspitzung und Totalisierung von versachlichter sozialer Kontrolle wahrgenommen denn unter dem Aspekt der Zurückdrängung sichtbarer, personaler Gewalt. Das »Gehäuse der Hörigkeit« (Max Weber), das Menschen nur als Charaktermasken, als Arbeitsidioten, Rechtssubjekte, Staatsbürger usw. kennt und behandelt, konnte so als sein eigenes Gegenteil, als mühsam erkämpfter potenzieller Freiheitsgrad erscheinen.

Die antikapitalistischen Kämpfer hatten natürlich nie davon geträumt, die Fabrikherren in »Sozialpartner« zu verwandeln und die hungernden proletarischen Massen in Proleten mit Eigenheim, Mercedes und Gewerkschaftsbuch. Indem sie sich darauf versteiften, für das kapitalistische Prinzip der Arbeit Partei zu ergreifen, konnte aber kaum etwas anderes am Ende ihrer heroischen Anstrengungen stehen.

Der Kampf gegen die Sonderinteressen der Bourgeoisie und für die Verbesserung der Lebensbedingungen der breiten Massen merzte an der herrschenden Ordnung nur aus, was anachronistisch, also gemessen an den Kriterien warengesellschaftlicher Rationalität kontraproduktiv geworden war.

Gegen seine eigene Intention funktionierte der antikapitalistische Protest damit selbst als Motor der Durchsetzung der Warenlogik. Dieser »Modernisierungserfolg« wäre ohne ein überschießendes Moment, ohne die Entschlossenheit, mit der kapitalistischen Herrschaft Schluss zu machen, schwerlich zu haben gewesen.

Er war freilich auch gleichbedeutend mit dem sukzessiven Verlust dieses weitergehenden Impulses. Die paradoxe Vorstellung, man könne mit Ausbeutung und Herrschaft brechen und gleichzeitig die Arbeit hochleben lassen, hat sich als Jugendflause in der Geschichte der Warengesellschaft desavouiert. Es ist aber kein Zeichen von Altersweisheit, sondern von Altersschwachsinn, wenn daraus abgeleitet wird, man müsse den Gedanken der Emanzipation endlich in der Mottenkiste versenken. Anachronistisch ist nicht die Idee der Befreiung, sondern die Diktatur der Arbeit.


8. Die Gemeinschaft der Arbeitenden

Arbeit bedeutet nicht nur die Zurichtung des jeweiligen Arbeitsgegenstandes, seine Unterwerfung unter die Gesetze der betriebswirtschaftlichen Rationalität und der Verwertbarkeit. Sie schließt immer auch die Selbstzurichtung des Arbeitssubjekts ein. Auch und gerade wenn das Arbeitssubjekt lernt, sich mit der Gewalt, die ihm widerfährt, zu identifizieren, hinterlässt diese repressive Erfahrung unweigerlich ihren Stachel. Das Trauma, der Arbeit unterworfen zu sein, verkehrt sich in die Ablehnung derer, die nicht dem Idealbild des allzeit arbeitsbereiten weißen Arbeitsmannes entsprechen wollen oder können. Wo die Ehre der Arbeit hochgehalten wird, gelten sie als minderwertig und führen eine Randexistenz.

Trotz aller Gleichheitsemphase klang diese Herabsetzungslogik auch in den Verlautbarungen des linken Flügels der großen Pro-Arbeits-Bewegung des 19. und 20. Jahrhunderts regelmäßig an - und oft genug kaum überhörbar. In erster Linie waren es aber die Rechten, die mit der dem Arbeitsethos inhärenten Inferioritätsdoktrin Ernst machten.

Diese Tendenz zum Ausschluss blieb während der Aufstiegsphase der Arbeitsgesellschaft Gegenmoment innerhalb einer großen historischen Inklusionsbewegung. Die gemeinsame Distanz zu den im Sinne der Arbeitsherrlichkeit »Minderwertigen« stiftete ein stilles Einverständnis im Lager der Arbeit. Von der Identifikation mit dem arbeitsteiligen Prozess in den großen Fabriken war es nur ein kleiner Schritt zur Beschwörung der großen »Betriebsgemeinschaft«, und die ließ sich durchaus auch klassenübergreifend interpretieren.

Die Brüderschaft der Arbeit spielte in der Ideologie der Epoche eine Schlüsselrolle. Selbst den offenen Apologeten des Kapitalismus lag es fern, das Kapital als für sich stehende, selbstgenügsame Größe, als seinen eigenen Endzweck abzufeiern. Um sein Dasein zu rechtfertigen, hatte sich das Kapital stattdessen als unerlässlicher Bestandteil der auf immer höhere Stufen zu hebenden produktiven Kooperation zu beweisen und sich als eine spezielle Art koordinierender Arbeit zu verkaufen. Die Heiligkeit und Unverletzlichkeit des Kapitals wurde aus dem Pathos der Gemeinschaft der Schaffenden abgeleitet, und den Nimbus der Gemeinnützigkeit verschaffte sich das Kapital in der Pose des ersten Dieners der Arbeit.


9. Wert-Arbeit und die Lebensunwerten

Im »Vaterland der Arbeit«, in Deutschland, nahm die Dialektik von Inklusion und Exklusion eine besondere, ganz extreme Form an. In der »Volksgemeinschaft« wurde nicht nur die Betriebsgemeinschaft überhöht, der Impuls zur Exklusion schlug hierzulande in eliminatorische Wut um. Während ansonsten die für die Verwertung Untauglichen eine soziale Schattenexistenz zu führen haben, stand im Nationalsozialismus gleich die physische Existenz der von der arbeitsstolzen Volksgemeinschaft als lebensunwertes Leben Kategorisierten massenhaft zur Disposition.

Der Nationalsozialismus trieb aber nicht nur die Ausschlusslogik auf die Spitze, indem er zu systematischem Massenmord überging. Mit der Shoah sprengte er den Rahmen warengesellschaftlicher Funktionalität. Das Zerstörerische an der Arbeit, ein Begleitmoment des Kapitalistischen, verselbständigte sich in der Arbeit an der Vernichtung zum eigentlichen Inhalt. Seit den Tagen der »ursprünglichen Akkumulation« ist es in der Geschichte der Moderne immer wieder vorgekommen, dass Menschen massenhaft dazu gezwungen werden, sich zu Tode zu schuften. Das nationalsozialistische Genozidprogramm fällt aber schon insofern aus dieser Kontinutität heraus, als bei ihm die reale Arbeitsvernutzung zum Mittel geworden ist, die Vernichtung hingegen zum Selbstzweck.

In der Shoah vollzog sich Vernichtung als Parallelprogramm zur totalen Mobilmachung der »deutschen Arbeit«. Auschwitz erzeugte als »Fabrik zur Vernichtung des Werts« (Moishe Postone) zugleich die Ehre der »deutschen Arbeit« und natürlich auch die des »schaffenden deutschen Kapitals«.

Zusammen mit den realen jüdischen Opfern wurden phantasmagorisch die vom Arbeitsideal abgetrennten Momente der Herrschaft des Abstrakten vergast und verbrannt. Vor diesem Hintergrund ordnet sich denn auch der Nationalsozialismus in die Epoche arbeitsgesellschaftlicher Inklusion ein. Dass die Brüderschaft der »Arbeiter der Stirn« und der »Arbeiter der Faust« mit dem Blut derer besiegelt wurde, die aus der Gemeinschaft der deutschen Arbeit herausdefiniert worden waren, und dass sie in einem kontinentalen kollektiven Amoklauf ihren Höhepunkt und Abschluss fand, kündet nur davon, wie grauenhaft tragfähig diese Gemeinschaftlichkeit einmal gewesen ist.


10. Die Aufhebung der Lohnarbeit

Ein halbes Jahrhundert später hat sich die Konstellation verändert, auch in Deutschland. Im gleichen Maß, wie die Arbeitsgesellschaft ihre Fähigkeit einbüßt, real immer mehr Menschenmaterial einzusaugen und stattdessen Arbeitskräfte massenhaft als überflüssig ausspeit, kann die Inklusion auch im herrschenden Bewusstsein immer weniger als das übergreifende Moment funktionieren. Das exkludierende Moment schiebt sich in den Vordergrund.

Diese Veränderung hat eine Art Seitenwechsel zur Folge. Im postindustriellen Verständnis stellt sich die Identität von Arbeit und Kapital anders dar als noch in der fordistischen Ära. Nicht mehr das Kapital hat sich heute als Arbeit zu legitimieren, sondern die Arbeit muss sich ihrerseits zum (Human-) Kapital adeln. Wo Unternehmer einst als Unterart von Arbeitern firmierten, mutieren Arbeitskraftverkäufer nun sukzessive zu Arbeitskraftunternehmern, die alle anderen Anbieter in diesem Marktsegment belauern.

Mit dieser Umkehrung rückt das Trennende in den Vordergrund. Zum Eigentlichen wird gerade auch für den Arbeitnehmer zusehends die unmittelbare Selbstbehauptung auf dem Markt. Die früher Sinn, Legitimation und repressive Gemeinsamkeit stiftende Zusammenarbeit im Produktionsprozess verkommt zum Anhängsel, und entgrenzte Konkurrenzbeziehungen durchtränken sie.

Auf der Mikroebene haucht die alte, auf Sekundärtugenden gegründete Betriebsfamilie ihre Seele aus, auf der Makroebene verflüchtigt sich der tendenziell die ganze Gesellschaft einbeziehende Geist der »Sozialpartnerschaft«. Der neue Selbständige wird zur Charaktermaske einer neuen, kaum mehr durch Intermediärgewalten (Gewerkschaften, Betriebsräte) gebremsten, atomistischen Konkurrenz.

Diese Entwicklung lässt sich unschwer am Austausch der gesellschaftlichen Leitfiguren ablesen. Der Siegeszug der Arbeitsgesellschaft hatte einst den langfristig an »seinen« Betrieb gebundenen Gehaltsempfänger und Lohnarbeiter zur gesellschaftlichen Norm gemacht. Mit der Krise der Arbeit und mit der neoliberalen Offensive flüchtet sich das herrschende Bewusstsein in eine reaktionäre Pseudokritik des »unflexiblen« Normalarbeitsverhältnisses und feiert die unvermittelte Unterwerfung unter das Gebot der völligen Verkäuflichkeit als neu gewonnene »Selbstbestimmung« und Chance.

Die Beseitigung des gesicherten Lohns unter Beibehaltung und Steigerung des Arbeitszwangs soll einen Ausweg aus der Misere der Lohnarbeit eröffnen. Der Lohn kann zur Not auch verschwinden, solange nur die Arbeit bleibt. Diese perfide Logik zeigt an, dass die Arbeit aufgehört hat, als das zentrale Medium eines gesamtgesellschaftlichen Inklusionsprojektes zu fungieren, um sich in das Trennkriterium einer allmählich Konturen gewinnenden Apartheidsgesellschaft zu verwandeln. Die »Beschäftigung«, die die einen haben und verteidigen, bedeutet den sozialen Ausschluss der anderen und läuft gesamtgesellschaftlich auf Desintegration hinaus.


11. Die Debatte der achtziger Jahre

Die Debatte um die Krise der Arbeitsgesellschaft ist nicht neu. Schon in den frühen achtziger Jahren hatte sie einmal Konjunktur. Die nicht nur linken Soziologen, die damals konstatierten, Arbeit würde zum knappen Gut, propagierten eine Art Seitenausstieg aus den obsolet werdenden Zwängen der »Erwerbsgesellschaft«. Sie träumten von einer gesellschaftlichen Neudefinition dessen, was als nützliche Arbeit zu gelten hat. Sie hofften, diese Gesellschaft gewänne menschlichere Züge, wenn Hausarbeit, Selbsthilfe und andere nicht auf Gelderwerb ausgerichtete soziale Aktivitäten endlich als Teil der »gesellschaftlichen Gesamtarbeit« anerkannt würden.

Vom Standpunkt einer grundsätzlichen Gesellschaftskritik springt das theoretische Manko solcher Vorstellungen sofort ins Auge. Die Reduktion von sozialem Reichtum auf Warenreichtum und von gesellschaftlich anerkannter Tätigkeit auf Erwerbsarbeit ist nicht einfach das Resultat ideologischer Verblendung und damit eine bloße Definitions- und Bewusstseinsfrage. Sie geht vielmehr auf einen realen gesamtgesellschaftlichen Abstraktionsprozess zurück, der bereits in der schieren Existenz von Ware und Geld seinen Ausdruck findet und materielle Gestalt annimmt. Indem man sich in das Wolkenkuckucksheim einer friedlichen Koexistenz mit der Warenlogik rettet, wie das die Vertreter »dualwirtschaftlicher« Konzepte propagierten, wird man sich schwerlich deren Zugriff entwinden.

Natürlich wäre es angesichts des erreichten Produktivkraftniveaus von den stofflichen Voraussetzungen her kein Problem, ein hohes Niveau der Bedürfnisbefriedigung für alle sicherzustellen. Es war und ist aber naiv, einfach davon abzusehen, dass das Funktionieren der Warengesellschaft nicht von der Reichtumsproduktion überhaupt, sondern von der Realisation von Wert und damit von produktiver Arbeitsverausgabung im kapitalistischen Sinn abhängt. Hausarbeit, Selbsthilfe usw. schaffen nicht deshalb keinen »Wert«, weil es »dem Kapital« und »den Herrschenden« an Einsicht in deren gesellschaftliche Nützlichkeit gebricht, sondern weil dieses System überhaupt nur mit beschränkter, nämlich Warennützlichkeit operieren kann - und genau das meint Wertlogik.

Bis auf wenige Ausnahmen - etwa André Gorz - sind fast alle, die Anfang der achtziger Jahre von »postmaterialistischer« Orientierung redeten und die Arbeitsgesellschaft von ihrer »Arbeitssucht« (Ulrich Beck) therapiert sehen wollten, längst zu den Vertretern des Arbeitsterrors übergelaufen. Die einstige Forderung nach Raum für »selbstbestimmte Arbeit« ist als »Bürgerarbeitskonzept« in die Bemühungen der Sozialdemokratie eingegangen, den Sozialstaat zu einem Instrument der Durchsetzung prekärer Arbeitsverhältnisse und eines verschärften Arbeitszwangs umzubauen.

Das ist weder ein Zufall noch ein bloßes Problem von »Verrat«. Wo mit der arbeitsgesellschaftlichen Misere das soziale Klima zusehends frostiger wird, lässt sich die Vorstellung, die Verknappung der »Arbeit« biete ohne grundsätzlichen Angriff auf die heilige Dreifaltigkeit von Ware, Geld und Arbeit eine Chance, die arbeitsgesellschaftlichen Zwänge aufzuweichen, immer schwerer aufrechterhalten.

Die Mischung von Distanz zum Arbeitswahn und kategorialer Anerkennung der Vorherrschaft der Arbeit, die für die damalige Debatte prägend war, lässt sich indes in zwei Richtungen auflösen. Entweder man wird »realistisch« und schlägt explizit oder implizit eine Brücke von der eigenen Kritik am Normalarbeitsverhältnis zur neoliberalen Abqualifizierung des fordistischen Sozialcharakters. Oder man wagt den Sprung aus dem arbeitsideologischen Universum, geht von der Relativierung und phantasmagorischen Umwertung von Wert und Arbeit zu deren radikaler Entwertung über.

Gerade wer diese Perspektive ins Auge fassen will, kann weder einfach unmittelbar dort weitermachen, wo sich die Diskussion um die Krise der Arbeit zur Rechtfertigungstheorie entwickelte, noch sie einfach ad acta legen. Vielmehr gilt es, sie kritisch durchzusehen.


12. Gegen die keynesianische Nostalgie

Dies empfiehlt sich umso mehr, als die verbliebenen Reste von Opposition in den letzten Jahren weit hinter das damalige Bemühen, die Arbeitsideologie aufzuweichen, zurückgefallen sind. Die »Kritik der Arbeit« ist derzeit nur als hedonistisch eingefärbte Randblüte präsent, in der Gestalt von Happening-Gruppen wie den Glücklichen Arbeitslosen oder der inzwischen leider verblichenen APPD. Große Teile gerade der mit weiter reichendem theoretischem Anspruch auftretenden radikalen Linken haben sich dagegen ganz von der sozialen Frage abgewendet und sich aus der sozialen Realität in eine Welt bloßer Ideologiekritik bzw. Diskursdekonstruktion verabschiedet.

Das Gros derer wiederum, die vor der herrschenden Ideologie des reinen Marktes nicht die Waffen strecken wollen, hat sich nolens volens auf den Standpunkt bloßer Sozialstaatsnostalgie zurückgezogen. Man appelliert voller Überzeugung - oder weil einem nichts Besseres einfällt - mit Pierre Bourdieu an die Politik, sie möge diese Tradition aus eigener Machtvollkommenheit wieder aufleben lassen.

Eine tragfähige Re-Formierung einer oppositionellen Strömung kann sich nur in entschiedener Abgrenzung zu dieser heute vorherrschenden Tendenz vollziehen. Zum einen akzeptiert der staatsgläubige Kurs den Arbeitsterror stillschweigend, indem er den Verlust der Massenarbeit und nicht das Repressionsprinzip Arbeit zum Problem macht. Gelegentlich wird das fordistische Arbeitssystem sogar offen verklärt.

Wer heute noch immer eine Solidarität im Zeichen der Arbeit einklagt, nimmt einfach nicht zur Kenntnis, in welcher Welt er lebt. Die Gemeinschaft der Arbeitenden kann umso weniger für eine allgemeine soziale Abfederung und eine gewisse Moderierung der Konkurrenzlogik stehen, je mehr der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht. Das ist nicht bloß eine Frage ideologischer Konjunkturen und politischer Machtverhältnisse, wie sich das die keynesianisch orientierten Nostalgiker permanent einreden. Die Vorherrschaft des Neoliberalismus, seine Entstaatlichungsphantasien und seine begeisterte Kapitulation vor den Marktgesetzen waren vielmehr bereits Resultat und Ausdruck eines tief gehenden historischen Wandels und nicht dessen Ursache. Mit dem nationalökonomischen Bezugsrahmen, innerhalb dessen sie allein wirksam werden konnten, zerfallen auch die Mechanismen, die einem bedingungslosen Vernichtungswettbewerb aller gegen alle im Wege standen. Im Zeitalter der mikroelektronischen Revolution lässt sich der Zug zu einer breit angelegten Entsozialisierung nicht auf der Basis der Arbeit stoppen, sondern nur in dem Maß, wie diese Grundlage attackiert wird.