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Deutschland und die "albanische Frage"


von Eberhard Rondholz
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"Die albanische Frage ist offen" – dieses sibyllinische Diktum des deutschen Außenministers, verkündet am 22. März in einem Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ), war dem Blatt zu Recht einen dicken Aufmacher wert. Bekannte sich Fischer hier doch deutlich genug zu Veränderungen des Status quo in der zentralbalkanischen Region. Jedenfalls darf sich der Minister nicht wundern, wenn die albanischen Extremisten, nach Aufnahme des bewaffneten Kampfes auch in der bislang in trügerischem Frieden lebenden "Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien", ein deutsches Versprechen aus dieser Äußerung heraushören. Hat sich doch die deutsche Außenpolitik seit der albanischen Staatsgründung im Jahr 1912 mehr als einmal für eine Grenzziehung im Sinne des großalbanischen Nationalismus eingesetzt.

Geschichte einer zweifelhaften Gönnerschaft

Nach dem ersten Balkankrieg von 1912 war Berlin gemeinsam mit der Donaumonarchie für ein Albanien eingetreten, das vom Amselfeld bis zum griechischen Parga reichen und auch Nordwest-Mazedonien von Ochrid bis Tetovo umfassen sollte. Doch Deutschland und Österreich-Ungarn konnten sich damals nicht durchsetzen, die Grenzen Albaniens wurden gemäß den Vorstellungen der anderen Großmächte gezogen. Um die Interessen der Bevölkerung ging es damals ebenso wenig wie heute – so wurde der serbische Anspruch auf das vormals osmanische Vilayet Kosovo als Kompensation für den verweigerten Zugang zur Adria bestätigt, nicht der ethnischen Zusammensetzung wegen. Albanien kam bei der Aufteilung der Balkan-Konkursmasse des untergehenden Osmanischen Reiches ziemlich schlecht weg, und ein großer Teil der Albaner blieb außerhalb der Grenzen des von den Großmächten neu geschaffenen Nationalstaats, aber dieses Schicksal teilten sie mit mehr oder weniger allen Balkannationen.

Nach der Zerschlagung Jugoslawiens durch Hitler und Mussolini kam die erste Gelegenheit, deutsche Ordnungsvorstellungen auch für Albanien durchzusetzen und die kollaborationsbereiten Albaner territorial zu entschädigen. Ein Großalbanien wurde geschaffen, Reichsaußenminister Ribbentrop und sein italienischer Kollege Graf Ciano vermaßen im April 1941 die Grenzen neu. Danach umfasste Albanien nun neben dem Mutterland fast die ganze serbische Provinz Kosovo, etwa ein Drittel der heutigen Republik Mazedonien sowie Teile Montenegros. Nach der italienischen Kapitulation bestätigte Hitler die von Ribbentrop und Ciano gezogenen Grenzen noch einmal in aller Form. Die Albaner dankten dem Führer auf ihre Weise – sie stellten Kämpfer für eine SS-Division, die den Namen ihres Nationalhelden Skanderbeg trug und im Kosovo an deutscher Seite gegen Titos Partisanen kämpfte, aber auch bei der "Endlösung der Judenfrage" in Südserbien behilflich war. Im nordgriechischen Epirus betätigten sich ebenfalls von Deutschland bewaffnete albanische Verbände auf Seiten der Besatzer, in der Hoffnung auf Angliederung der teilweise von muslimischen Albanern besiedelten Region an Großalbanien nach dem "Endsieg". Sie zeichneten sich allerdings weniger in der Partisanenbekämpfung als durch Terrorisierung und Ausplünderung ihrer griechischen Landleute aus.

Doch die Kollaboration mit den Faschisten zahlte sich für die Albaner territorial nicht aus. Nach dem deutschen Abzug aus Jugoslawien und der Machtübernahme durch Titos Partisanen im Herbst 1944 kehrte die Provinz Kosovo zu Serbien zurück, als autonomes Territorium Kosovo-Metohija, die Region um Tetovo fiel an die neu geschaffene jugoslawische Teilrepublik Mazedonien, und auch die Grenzverschiebung im Süden Montenegros wurde revidiert. Und in Griechenland lieferte die Kollaboration der Albaner nach dem deutschen Abzug den Anlass, sie über die albanische Grenze zu vertreiben.

Über ein halbes Jahrhundert später spricht ein deutscher Außenminister nun erneut von einer "offenen albanischen Frage". Wie albanische Extremisten diese Äußerung interpretieren würden, dürfte Fischer klar gewesen sein, ist dieser Teil seiner Ausführungen zur rezenten Eskalation der Gewalt in der Republik Mazedonien doch vor dem Hintergrund einer bundesrepublikanischen Politik zu sehen, die die albanische Irredenta im Kosovo seit vielen Jahren mehr oder weniger offen unterstützt. Schließlich hatten Exilalbaner aus dem Kosovo ungehindert von deutschem Boden aus auf die Separation von Jugoslawien hinarbeiten können. In Bonn residierte eine Art ständige Vertretung der kosovo-albanischen "Schattenregierung", ihr Leiter Bujar Bukoshi war gern gesehener Gesprächspartner der Bundesregierung, unter deren Augen er beträchtliche Geldsummen von seinen in der Bundesrepublik lebenden Landsleuten eintreiben konnte. Und es ist kaum anzunehmen, dass modernste Waffen-Technologie der Bundeswehr ohne Wissen und Mithilfe des BND in das Kampfgebiet im Kosovo gelangen konnte, Waffensysteme wie die hochpräzise panzerbrechende "Armbrust", über die die Separatisten, wie der amerikanische Reporter Chris Hedges zu Beginn des bewaffneten Aufstands
der UÇK gegen serbische Armee- und Polizeikräfte im serbisch-albanischen Grenzgebiet beobachtete, reichlich verfügten.

Einer gewaltsamen Veränderung der Grenzen werde man entschlossen entgegentreten, hat der deutsche Außenminister in dem eingangs zitierten Gespräch mit der FAZ pflichtschuldigst versichert, doch wie auch immer die Antwort auf die von ihm für offen erklärte "albanische Frage" aussehen wird – geteilter oder integraler, unabhängiger oder an Albanien angeschlossener Kosovo (von der Kantonisierung oder gar Teilung des Kleinstaats Mazedonien einmal abgesehen) – am Ende wird die einschneidendste Veränderung bestehender Grenzen in Südosteuropa seit den Balkankriegen von 1912/13 stehen, und dies wird, so konstatierte die Londoner "Financial Times" (16.3.2001), im Ergebnis eben doch eine Veränderung bestehender Grenzen mit Gewalt gewesen sein. Selbst dann, wenn pro forma ein Referendum in der inzwischen unter dem Schutzschirm der NATO weitgehend gewaltsam "ethnisch gesäuberten" Provinz Kosovo die neue Grenzziehung legitimieren sollte. Und auf ein Referendum scheint der deutsche Außenminister anzuspielen, wenn er betont, es werde keine Regelung gegen den Willen der albanischen Bevölkerung geben. Letztendlich honorieren die Großmächte, allen anders lautenden Lippenbekenntnissen zum Trotz, auf dem Balkan de facto Gewalt als Mittel der Politik
– eine Ermunterung für die kroatischen Nationalisten in Bosnien-Herzegowina, eine Ermunterung vor allem aber für die albanischen Extremisten, weitere Geländegewinne mit Gewalt anzustreben, im serbischen Presevo-Tal ebenso wie im nordwestlichen Mazedonien.

Eskalation in Mazedonien

Die Eskalation in Nordwestmazedonien kam nicht unerwartet. Waffen wurden seit langem gehortet und es war nur eine Frage der Zeit, bis auch in Tetovo der erste Schuss für den Kampf um Großalbanien fallen würde, abgegeben von einem Ableger der UÇK. Ob alle Albaner ein solches Großalbanien tatsächlich wünschen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Zu unterschiedlich ist der zivilisatorische und der ökonomische Entwicklungstand in den einzelnen albanischen Siedlungsgebieten. Zu zerstritten sind auch die verschiedenen Clans der albanischen Narko-Mafia und ihre Paten, die mit der Schusswaffe ausgetragenen Bandenkonflikte in und um Priština liefern deutliche Signale. Letzten Endes könnte sich für sie die Existenz mehrerer albanischer Staaten oder Teilstaaten als die profitablere Lösung erweisen, schon ist von einer "Zweieinhalb-Albanien-Lösung" die Rede – Alt-Albanien, Kosovo-Albanien und ein albanischer Kanton Illirida in einer föderalisierten Republik Mazedonien. Im mazedonischen Kleinstaat warten weitsichtigere albanische Führer wie Arben Xhaferi ohnehin lieber ab, bis die normative Kraft des demographischen Faktors den Sieg davonträgt; spätestens in einer Generation, so durchaus realistische Prognosen angesichts der gegenwärtigen Geburtenraten, werde die slawo-mazedonische Staatsnation in die Minderheitenrolle geraten, könnten die Albaner in Skopje friedlich und qua Mehrheit die Regierung des Kleinstaats übernehmen, dessen gewaltsame Auflösung (und das hieße: Aufteilung zwischen Bulgarien und Albanien) zum jetzigen Zeitpunkt ohnehin nicht auf der Tagesordnung der Großmächte steht, vor allem die USA wollen das nicht.

Einen Erfolg können die albanischen Terroristen aber dennoch verzeichnen: die NATO-Länder mahnen die Regierung in Skopje, der albanischen Minderheit mehr Rechte zu gewähren. Dass der deutsche Außenminister von "berechtigten Beschwerden" der Albaner in Mazedonien und von "legitimen" Forderungen nach einem "Ende der Diskriminierung und nach Gleichberechtigung" spricht, dass ausgerechnet ein NATO-Außenminister eine "Öffnung der politischen Strukturen Mazedoniens auf allen Ebenen" fordert, das ist in den Augen der slawo-mazedonischen Mehrheit eine ziemliche Chuzpe – denkt man an das, was Minderheiten im NATO-Land Türkei zusteht. Aber allzu strenge zivilgesellschaftliche und menschenrechtliche Standards fordert die NATO lieber nur out of area – mit Rücksicht auf den kranken Mann an ihrer Südostflanke. Wünsche nach Minderheitenrechten auch nur zu äußern, wie sie in der Republik Mazedonien selbstverständlich sind, führen in der Türkei mit ebensolcher Selbstverständlichkeit in den Knast, Todesstrafe nicht ausgeschlossen.

In Skopje ist die albanische Minderheit mit drei Ministern an der Regierung beteiligt, in den Ressorts Justiz, Soziales und kommunale Selbstverwaltung. Albaner ist der stellvertretende Polizeiminster, Albaner ist der Polizeichef von Tetovo, ebenso der Bürgermeister dieser Stadt. Das staatliche Fernsehen strahlt albanische Programme aus, an den staatlichen Hochschulen sind mehr Studienplatzkontingente für die Minderheit reserviert als in Anspruch genommen werden. Verfassungsmäßig verbriefte Rechte gelten auch für kleinere Minoritäten, so sind die Roma im Parlament vertreten.

Vorreiter Deutschland, abgehängt

Seit die USA ihr "vitales Interesse" an der Region entdeckt haben, spielt Deutschland bei der Lösung der "offenen albanischen Frage" keine große Rolle mehr. Und auf seinen Freund aus Berlin, der sich noch vor kurzem mit ihm beim freundschaftlichen Shake-hands ablichten ließ, hört ein UÇK-Boss wie Hashim Thaci nicht mehr, auf Tom Koenig, Fischers Kumpel aus streetfighter-Tagen, schon gar nicht – im Kosovo haben europäische Zivil-Administratoren in entscheidenden Fragen nicht allzu viel zu sagen.

Das große Lamento, das Deutschlands Medien jetzt angesichts der schleichenden Machtergreifung der Drogenbarone im Kosovo anstimmen, ist jedenfalls die pure Heuchelei. Dem Bundeskriminalamt (und damit, das sei unterstellt, auch der Bundesregierung) war lange vor dem ersten Schuss der UÇK auf serbische Polizeistationen und der folgenden Eskalation des Kosovo-Konflikts bekannt, mit wem man sich da eingelassen hatte. Auch der US-Kongress hatte die Drogen-Connection der UÇK diskutiert, und lange genug galten die albanischen Kämpfer der US-Regierung als Terroristen und Kriminelle, bis geopolitische Präferenzen Vorrang vor der Drogen-Prävention bekamen. Und solange es darum ging, die öffentliche Meinung auf den Bombenkrieg gegen Serbien einzustimmen, fanden das BKA und die amerikanische Drug Enforcement Agency (DEA) mit ihren Warnungen wenig Gehör.

Auf dem Weg in den albanischen Schlamassel hat Deutschland die Vorreiterrolle gespielt. Die Kehrseite: Deutschland wird zu den Hauptleidtragenden der Konsequenzen dieses Balkan-Abenteuers gehören. Denn welchen völkerrechtlichen Status das im Aufbau befindliche neue Gemeinwesen in der Kosovo-Provinz letztendlich auch annehmen mag – in seinen administrativen und innenpolitischen Strukturen ist die organisierte Kriminalität schon fest verwurzelt. Eine zwar von vornherein absehbare Entwicklung, die aber schon heute nicht mehr reversibel sein dürfte. Und bereits jetzt ist Deutschland einer der Haupttummelplätze und wichtigstes Absatzgebiet der Drogen-Barone und Mädchenhändler von Priština, die, so das BKA, schwerer zu bekämpfen sind als alle Narko-Mafien zuvor. Das unter der Aufsicht von FBI und DEA aufgebaute interbalkanische Zentrum für Nachrichtenaustausch, eine Art "Balkan-Europol", wird im Kosovo sein Hauptbetätigungsfeld haben. Es ist ihm viel Erfolg zu wünschen.