Karlsruhe: 
Belegschaft und Gewerkschaft machen gegen Nestle-Konzern mobil, um Thomy-Werk zu retten 
von Martin Höxtermann 

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"Höhere Gewinne bedeuten sichere Arbeitsplätze". Dass dieser Satz blanker Unsinn ist, war marxistisch geschulten Mitmenschen schon immer klar. Nun macht sich in Karlsruhe flächendeckend die Erkenntnis breit, dass ein Konzern nicht zögert, eine Fabrik trotz hervorragender Gewinnlage komplett zu schliessen.

Die Nachhilfe-Stunden in Sachen kapitalistischer Profitmaximierung erteilt der Schweizer Nestle-Konzern, der weltweit über 500 Fabriken in 81 Ländern besitzt. Genauer gesagt sein hiesiger Ableger: die Nestle-Gruppe Deutschland.  1998 konnte sie ihren Umsatz um fast vier Prozent auf über 7,8 Milliarden Mark steigern, 1999 legte sie nochmals um 2,6 Punkte zu und erzielte einen Rekordumsatz von 8,034 Milliarden Mark. Im gleichen Jahr baute die Nestle-Gruppe ihre Belegschaft um knapp 800 auf nun 14.626 ArbeiterInnen ab. In diesem Jahr sollen noch einmal ein paar Hundert Arbeitsplätze über die Klinge springen; die meisten in den Nestle-Werken im Südwesten: in Singen und in Karlsruhe. Das Thomy-Werk mit 224 Arbeitsplätzen soll bis zum Jahr 2001 verkauft, die dortige Produktion nach NRW und Bayern verlegt werden. Im Maggi-Werk Singen will der Konzern 380 von 1140 Stellen streichen.

Seit Bekanntwerden der Pläne hagelt es an beiden Standorten massive Proteste. Die im Oktober gegründeten Solidaritätskreise "SOS-Thomy" und "Maggi Singen", die auch von kirchlichen Organisationen mitgetragen werden, finden breiten Zuspruch. Eine Unterschriftenkampagne für ein Ende der "Kahlschlagpolitik der Nestle Deutschland AG" läuft seit längerem. In Karlsruhe wurden nach Angaben des DGB bislang 6000 Unterschriften für den Erhalt des Thomy-Werkes gesammelt, in der Fußgängerzone, im Betrieb, auf Solidaritätsfesten. Rund 1500 Beschäftigte haben sich an einer Demonstration vor der Frankfurter Nestle-Zentrale Anfang November beteiligt. Eine riesige, zerquetschte Thomy-Tube sollte das Plattmachen der Werke darstellen. Außerdem wurde eine  Postkartenaktion mit der Aufschrift "Der Aktionär ist das größte Säugetier" gestartet. Das Motiv stammt vom Heidelberger Graphiker Klaus Staeck.

"Wir können keine Gründe erkennen, die einen Arbeitsplatzabbau rechtfertigen," sagen die Beschäftigten. Schließlich schreiben beide Werke schwarze Zahlen. Dies wurde durch ein unabhängiges Gutachten bestätigt, dass die Technologieberatungsstelle Rheinland-Pfalz (TBS) Mitte Februar vorgelegt hat. Demnach könnte die Produktion in Karlsruhe fortgesetzt werden, wenn die Belegschaft neue Arbeitszeitmodelle akzeptiere. Es bestätigt, das sowohl das Karlsruher Thomy-Werk wie auch das Neusser Werk schwarzeZahlen schreiben und rentabel arbeiten. Das Gutachten kümmert den Konzern jedoch wenig. Noch ehe es fertig gestellt war, ist man in der Frankfurter Zentrale auf Käufersuche gegangen. Auch nach Vorlage der TBS-Zahlen erklärte Nestle-Geschäftsführer Uwe Möller unmissverständlich: "Ich gehe davon aus, dass wir bei bei dem Entschluss bleiben, die Produktion von Karlsruhe zu verlegen". Der Grund: "Den Ausschlag für die geplanten Veränderungen gaben der Zwang zur Rationalisierung bei anhaltendem Konkurrenzkampf, die Kostenvergleiche für Exportlieferungen bzw. Importe und der Druck zum Abbau von Überkapazitäten,"so der Wortlaut der Pressemitteilung von Nestle.

Ein keineswegs naturgegebener "Zwang", sondern der stumme Zwang kapitalistischer Verhältnisse. Gerade der Nestle-Konzern ist - wie die Umsatzzahlen belegen - einer der Gewinner im Kampf um Marktanteile und steigende Profite. Weil der Lebensmittelriese mit großen Profitmargen arbeitet, genügen ihm kleine Gewinne nicht. Schließlich warten die Nestle-Aktionäre auf eine erneute Verbesserung ihrer Rendite.

"Es ist leider wie im Bilderbuch zum Modell kapitalistische Globalisierung", konstatiert der baden-württembergische PDS-Bundestagsabgeordnete Winfried Wolf in einem Solidaritätsschreiben an die Thomy-Belegschaft. Gerade weil Nestle so enorm profitabel arbeite, wolle er nun seine Profitabilität noch mehr steigern. "Weniger Beschäftigte an weniger Orten bei gleicher - oder nochmals gesteigerter - Produktion heißt nochmals höhere Gewinne". Ein Ende einer solchen unsozialen Unternehmenspolitik sei nicht abzusehen. Bei einer solchen Geschäftsstrategie werden die Menschen, die den Reichtum erwirtschaften, und deren Arbeitsplätze zur reinen Manövriermasse degradiert.

"Auch deshalb ist Widerstand angesagt", so Wolf. Widerstand auch gegen die Sabotage der vergleichsweise guten Tarifvereinbarungen in Baden-Württemberg, in denen bisher weder der Samstag noch der Sonntag Regelarbeitstag ist. Die sind der Konzernleitung offensichtlich nicht flexibel genug, vermutet die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gasstätten (NGG). "Nestle will eine eine Sieben-Tage-Woche und ein 365-Tage-Jahr, ohne Betriebsratszustimmung und ohne Zuschläge", sagt Karlsruhes NNG-Chef Dieter Griesheimer.

Dass die hohen Tarife im Südwesten durchaus eine Rolle spielen, räumte Nestle- Pressesprecherin Barbara Nickerson unumwunden ein. Schließlich wolle man die Karlsruher Produktion von Mayonnaisen und Saucen auch deshalb nach NRW und Bayern verlegen, weil dort die Lohnkosten niedriger sind. "Für das Gesamtunternehmen ist es günstiger, die Produktion an möglichst wenigen Orten zu konzentrieren".  Nachdem der Konzern trotz der Zahlen des TBS-Gutachtens daran festhält, das Karlsruher Werk zu schließen, beginnt nun die nächste Phase des Protestes.  Gewerkschaften und Betriebsrat wollen sich in diesen Tagen zusammensetzen, um weitere Aktionen gegen die Schließung des Werkes zu planen.

Kontakt: Dieter Griesheimer, NGG Karlsruhe, Tel. 0721- 93220-10, Fax. 0721-93229-15

Quelle: www.stattweb.de