R.Kurz: Schwarzbuch des Kommunismus

Von Schwarz nach Schwarz

eine kritische Würdigung von Willi Gettél

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 Die  Widerspruchsdynamik der kapitalistischen Produktionsweise treibt nicht nur den Verfall sozialer und politischer Strukturen voran. Sie ruft endlich radikalere Kritik hervor. Mit dem „Schwarzbuch des Kapitalismus“ hat sich Robert Kurz ins Zeug gelegt. Es läßt sich als Verdienst dieses Buches vorwegnehmen, dass es dem System moralisch den letzten Zentimeter Boden entzieht. Nach ihm muß etwas Ähnliches nicht mehr geschrieben werden.

Dem Kollaps des Realsozialismus folgte ein narkotisierender Triumphalismus. Der Kapitalismus wurde nicht nur zum historischen Sieger über den vermeintlichen Kommunismus, er wurde zum Endstadium der Geschichte erklärt. Die bürgerliche  Ideologie gebärdete sich immer vermessener. Mit der Attitüde moralischer Überlegenheit erhob sich die sogenannte westliche Wertegemeinschaft über die restliche Welt.  Die Fassade  sollte bald bröckeln. Die neuen marktwirtschaftlichen Verheißungen erwiesen sich  als illusorisch. Im Westen wie im Osten stieg die Arbeitslosigkeit rasant an.  Marktwirtschaft und politisches System gerieten in eine krisenhafte Entwicklung.

Die dritte industrielle Revolution, die totale Rationalisierung und Kapitalisierung aller gesellschaftliche Bereiche unter Einsatz ständig verbesserter Hochtechnologie läßt die Widersprüche des Systems offener denn je hervortreten. Dem neoliberalen Triumphgeschrei ist ein pragmatisch kalkulierendes Krisenmanagement fernab gesellschaftlicher Zukunfstgestaltung gefolgt.  Jetzt, wo nicht mehr zu verhüllen ist, dass immer größerer Reichtum immer größere Massenarmut hervorbringt, verzichten die Herrschenden zwar nicht auf Umdeutung und Täuschung. Sie  versprechen aber nicht mehr so großspurig die Vollbeschäftigung, versuchen dafür mehr die Kritikfähigkeit der Beherrschten durch  Infantilisierung herabzusetzen.

Dem  Neoliberalismus der  90er Jahre sind  in seinem Rauschzustand zwei nicht unbedeutende Irrtümer unterlaufen: Er hat nicht nur das weitere zivilisatorische Gestaltungsvermögen des kapitalistischen Systems überschätzt , er hat auch das Wesen seines niedergeworfenen Feindes verkannt,  indem er dessen Selbstlegitimierung  als Sozialismus  für bare Münze genommen hat.  Die Dynamik der eingetretenen  Systemkrise zeigt nicht die geringste Spur einer Abschwächung. Kritische Analyse und Beschreiben verschärfter Krisenmomente bilden die eine nützliche Seite. Die Suche nach einem Ausweg die andere. Ist Kurz mit seinem 800 Seiten starken Buch beiden gerecht geworden?

Kurz hat sein Buch in drei Hauptteile gegliedert, in denen er  die erste, zweite und dritte industrielle Revolution behandelt. In enger Verknüpfung zur ökonomischen kapitalistischen Entwicklung hebt er die jeweiligen ideologischen Formen hervor. Im Gegensatz zu Marx erscheint bei ihm diese Verknüpfung jedoch weniger als dialektisches Verhältnis zwischen Basis und Überbau im historischen Kontext, sondern eher als eine Art Entfaltungsprozeß eines liberalistischen Weltgeistes, der sein ideell schon fertiges Gesamtwerk nur noch kapitelweise aufschlägt und in Raum und Zeit materialisiert. Kurz´  „Weltgeist“ wirkt aber nicht im Hegelschen Sinne, sondern wie ein Geist der Finsternis. Als wolle er sich nicht mehr beirren lassen, hat er sich seinen ureigenen Luzifer geschaffen. Auf dieser Basis rechnet er radikal   mit sämtlichen Versuchen ab, den Kapitalismus politisch und moralisch zu rechtfertigen. Er brandmarkt ihn als menschenverachtende und menschenvernichtende Maschine von Anfang an. Alle Gegenentwürfe hätten sein Wesen nicht nur unangetastet gelassen, sondern in seiner permanenten Modernisierung gefördert. Jetzt aber treibe er in eine ausweglose Situation. 

 Kurz analysiert den Kapitalismus  nicht als historische ökonomische Formation, sondern begegnet ihm vorzugsweise auf   phänomenologischer Ebene. Die Marxsche Formationstheorie  übergeht er souverän. Nach wenigen  Seiten schon wird erkennbar, dass  vehemente moralische Empörung  sein Werk vorantreibt. Seinen einmal gepackten Satan läßt er bis zum Ende nicht mehr los. Wie es zur kapitalistischen Formation gekommen ist, bleibt bei ihm – materialistisch betrachtet –   im Dunkeln. Er greift sie sich regelrecht aus der Geschichte heraus und entlarvt sie schon in ihrer Wiege als Übel und Heimsuchung. Das heutige postfordistische Akkumulationsregime bildet für ihn den Gipfel. Danach stürzt der Kapitalismus in sich zusammen und hinterläßt nach Teufelsart nur noch rauchende Trümmern und Schwefelgestank.

Das „warenproduzierende System der abstrakten Arbeit“ tritt bei ihm unvermittelt als „Zumutung“ (Kurz) in die Geschichte. Irgendwann in der Neuzeit, jedenfalls mit dem Absolutismus als Brutkasten, ist es da. Hier entsteht der Eindruck, um diese Zeit herum hätte die Menschheit die Möglichkeit gehabt, etwas anderes als eine kapitalistische Entwicklung zu wählen, wäre aber um diese andere Wahl gebracht worden. Schließlich sei die kapitalistische „Zumutung“ nicht widerstandslos hingenommen worden. Doch dank ihrer furiosen Verfechter hätte sie sich durchgesetzt und andere Alternativen erstickt.

Abgesehen davon, dass mit nachträglichen Spekulationen nicht viel anzufangen ist, liefert Kurz über diese Alternativen nur vage Angaben. Er führt zwar verschiedene Revolten, Aufstände und Abwehrkämpfe gegen die Grausamkeiten der ursprünglichen kapitalistischen Akkumulation und die beginnende Modernisierung an, sagt aber nichts darüber, was aus ihnen geworden wäre, welche Produktionsweisen und welche gesellschaftlichen Verhältnisse sie hätten gestalten können, hätten sie sich gegen das Aufkommen des Kapitalismus durchgesetzt. Offen bleibt außerdem, welche Situation denn um den entstehenden Kapitalismus geherrscht hat. Gab es etwa die Möglichkeit des Sozialismus schon im 17 oder gar im 16. Jahrhundert? Angesichts des Scheiterns  der russischen Revolution  aufgrund ihrer unreifen Bedingungen im frühen 20. Jahrhundert mit der Konsequenz ihrer stalinistischen Thermidorisierung  dürfte das eine  waghalsige Spekulation sein.

Kurz bemüht ununterbrochen den kapitalistische Selbstzweck, hält ihn aber in reduktionistischer und ökonomistischer Sichtweise gefangen. Gleich am Anfang bezweifelt er, dass die marktwirtschaftliche Modernisierung jemals geeignet war, allgemeinen Wohlstand zu schaffen, obwohl sie „die Produktivkräfte verwissenschaftlicht und ungeheuer beschleunigt hat“. Diesen Zweifel formt  er   sukzessive zu   einem verdammenden Urteil. Im Gegensatz zu Marx  bildet  Kapitalismus für ihn keine progressive historische Formation und mögliche Ausgangsbasis einer sozialistischen Produktionweise. Kapitalistischer Selbstzweck erscheint  bei ihm nicht als sich selbst verwertender  Wert im Prozeß ständig erweiterter Reproduktion des Kapitalverhältnisses im historischen Prozeß, sondern   als ahistorische Selbstbewegung eines in sich geschlossenen Systems ohne Zivilisations- und Kulturgeschichte, das bis zu seinem Verglühen um sich selbst rotiert. Sozialismus als dialektische Negation des Kapitalismus kann sich daraus nicht ergeben. Die  Systematik  seines Gedankengangs zielt daran vorbei. 

Im Absolutismus sieht  Kurz den fruchtbaren Schoß des Kapitalismus. Als Erscheinungsform des Spätfeudalismus bildet er  unstreitig den Übergang zur kapitalistischen Epoche. Bei ihm aber liest es sich so, als wäre der Absolutismus nicht Moment historischer Transformation, sondern nur zur Herausbildung eines gewalttätigen  Staatswesens aus dem Dunkel der Geschichte hervorgetaucht, bereit, dem Kapitalismus mit Feuer und Schwert den Weg zu bahnen. Dafür steht insbesondere Thomas Hobbes, den er sowohl als Theoretiker des Absolutismus als auch als Stammvater des Liberalismus bezeichnet. Hobbes Leviathan ist nun das Vehikel, mit dem die „schöne Maschine“, wie er den Kapitalismus vorzugsweise nennt, ihre Widersacher aus dem Weg räumt. Kapitalistischer Selbstzweck und das Ungeheuer Leviathan vermählen sich, um die Menschheit für die „Zumutung“  zuzurichten. Von Marx und Engels einmal abgesehen, scheint Kofler seine hervorragende zweibändige „Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft“ umsonst geschrieben zu haben, ginge es nach Kurz.

Kurz tritt der materialistischen Geschichtsauffassung der Marxschen Theorie krass entgegen und verdeutlicht seine idealistische Position, wenn er nun seinen Geist der Finsternis jede Menge  Unterteufel ausschicken läßt, die jeweils die nächsten Schritte der „schönen Maschine“ verkünden. Nach Hobbes läßt er sämtliche Theoretiker und Ideologen der kapitalistischen Konkurrenz – auch die, die er dafür hält –  aufmarschieren. Immer wieder zitiert er diejenigen, die er für die schlimmsten hält, deren Weissagungen er auf alle nachfolgenden Entwicklungsstadien extrapoliert. Während er Marx beispielsweise historisch stringent determiniert, läßt er Jeremy Bentham (1748 - 1832) noch zu den Erscheinungsformen des Postfordismus zu Wort kommen. Der Kapitalismus erscheint so als Willensakt liberalistischer Ideologen, die anscheinend schon vor 300 Jahren über seinen gesamten Bauplan im Bilde waren.

Marx wird von Kurz zwischendurch nur gestreift. Doch unberührt von dieser Oberflächlichkeit bescheinigt er ihm ein von seiner Zeit geprägtes liberales Denken. Seine philosophischen Verallgemeinerungen der kapitalistischen Widersprüche in Form des historischen Materialismus tut  er konsequenterweise als Verabsolutierung der technischen Produktivkräfte als treibendes Moment der Geschichte ab. Damit scheint ihm das Wesentliche der Marxschen Theorie hinreichend ausgeschaltet. Auch die Sozialdemokratie erscheint bei Kurz nicht als ein den historischen Bedingungen unterworfenes und komplexen Wechselwirkungen ausgesetztes Subjekt, sondern ebenfalls  schon mit ihrem Entstehen vom liberalen Virus befallen. Auch hier der  Verzicht, Erscheinungsformen aus den Bedingungen ihrer Zeit zu analysieren.

Mit der Geschichte der 2. Industriellen Revolution beschreibt Kurz die wesentlichen Erscheinungen des Kapitalismus im 20. Jahrhundert. In diesem Kapitel widmet er sich insbesondere den Auswirkungen des Fordismus/Taylorismus auf die Entwicklung von Massenproduktion und  Massenkonsum. Hierbei sei nur am Rande erwähnt, dass auch Ford und Taylor als Bentham verwandte Gestalten erscheinen. Gleichwohl liefert er einen interessanten Überblick über den Fordismus als treibende Kraft der 2. industriellen Revolution, deren Geschichte für ihn aber offensichtlich eine Herausforderung darstellt, die ihn über längere Strecken zu tieferer Analyse veranlaßt. Auch wenn er zwischendurch seine Distanz zur Marxschen Theorie betont,  kommt er doch nun  öfter zu Schlußfolgerungen, die ihr nicht unähnlich sind. Sozialreformistischen Etatisten schreibt er ins Stammbuch, dass ihr Versuch, dem Keynesianismus neues Leben einzuhauchen, ein sinnlose Unterfangen ist. Seine auch in diesem Kapitel vorgenommene Demaskierung der bürgerliche Demokratie läßt sich ohne weiteres als gelungen bezeichnen.

Zwei von Kurz in diesem Zusammenhang getroffene Schlußfolgerungen sind für die weitere Diskussion von   Bedeutung. Zum einen bezeichnet er die Staaten des östlichen Realsozialismus als staatskapitalistische Diktaturen nachholender Modernisierung. Zum anderen bildet die fordistische Hochphase für ihn die einzige Phase kapitalistischer Entwicklung, in der die Massenarmut zurück gedrängt und relativer Massenwohlstand erreicht worden ist. Dies allerdings nur in den Metropolen und auf Kosten der Peripherie.

Beide Thesen sind – auch wenn sie nicht  neu sind –  geeignet, die Diskussion an zwei wichtigen Fronten voran zu treiben. Denn wenn sich der Realsozialismus (Selbstbezeichnung der östliche Systeme) nicht länger als sozialistische Systemqualität verkaufen läßt, dürfte der neoliberalen Ideologie eine empfindliche Schlappe bevorstehen. Verstärkt noch durch die sich allmählich aufdrängende Erkenntnis, dass der Kapitalismus mit seiner fordistischen Hochphase auch den Höhepunkt zivilisatorischer Gestaltungskraft hinter sich hat und mit dem Postfordismus  bereits in eine destruktive  Entwicklung getreten sein könnte.

Anzumerken ist jedoch, dass   Kurz  ihnen nicht  weiter nachgeht, sondern sie  im weiteren Verlauf durch  Inkonsequenz  und oberflächliche Einseitigkeit verwässert. Er stellt nicht nur den behaupteten östlichen Staatskapitalismus als Ergebnis liberalistischer Infizierung hin, er sieht auch alles weitere  von diesem Virus verseucht. Liberale Verseuchung gerät bei ihm  nicht nur zum generellen  Erklärungsmuster. Sie ist auch  finale Begründung für das Verschwinden jeglichen Widerstands.  Es mag mit dieser eigenartigen Betrachtungsweise zu tun haben, dass Kurz die kapitalistisch vergesellschaftete Zivilisation am Ende lieber wie einen vergifteten Organismus  zusammensacken läßt, als dass er nach Momenten ihrer dialektischen Aufhebung  sucht.

Mit seiner Verarbeitung der 3. industriellen Revolution zeichnet Kurz  im letzten Kapitel ein atemberaubendes Szenario und bilanziert: erfolgreiche Menschendressur (totale Verhausschweinung), die Fetischformen sind weitestgehend verinnerlicht, das bürgerliche Subjekt hat im 1. Weltkrieg abgedankt, die Selbstverleugnung der Massen ungeheure Ausmaße angenommen, die abstrakte Arbeit wird auf die Spitze getrieben.

Vieles, was Kurz nun in scharf gefaßten Bildern zuspitzt, findet sich in der Realität. Er beschreibt nicht nur die mannigfachen Verfallserscheinungen in faszinierender Plastizität. Er durchdringt sie, packt ihre Logik und prognostiziert mitreißend ihren weiteren Verlauf: Die Ausweglosigkeit des Kapitalismus veranschaulicht er auf allen Ebenen, geißelt die dramatische Verelendung der unterentwickelten Länder,  zeigt,  wie der wuchernde Widerspruch von Reichtum und Armut längst die Metropolen erfaßt hat und ihre Gesellschaften zerstört.

In der Dramatik dieser überreichen Bildhaftigkeit ist eine Orientierung an der Marxschen Kapitalanalyse nicht zu übersehen. Den nunmehr entfesselten Kapitalismus mit seiner immer stärkeren Überflüssigwerdung lebendiger Arbeit erklärt Kurz – wenn auch  verkürzt – aus dem Akkumulationsprozeß, dem permanenten objektiven Zwang zur Steigerung der Arbeitsproduktivität. Diese nun über zyklische Krisen hinausgehende, durch immer schärfere Rationalisierung verursachte Freisetzung lebendiger Arbeit aus der Konsequenz mikroökonomischer Konkurrenz sieht er als die vorantreibende destruktive Kraft.

Die Massenkaufkraft schwindet. Der in fordistischen Zeiten entstandene Massenkonsum weicht sukzessive um sich greifender Massenarmut. Staatliche Institutionen verfallen. Überall fehlt Geld. Die Anlage in der realen Produktion nimmt rapide ab, die spekulative Finanzphäre bläst  sich immer weiter auf. Nirgendwo ist eine diesen immer bedrohlicher werdenden Zustand aufhebende Kraft in Sicht. Der vom Liberalismus infizierte und zum Arbeiterbewegungs-Marxismus degenerierte Marxismus hat vor der Geschichte versagt. Vom bürgerlichen Staat bleibt nichts weiter übrig als ein Apparat nackter Repression. Hobbes Leviathan kommt in schlimmster Gestalt zurück. Nirgendwo Zukunft, nirgendwo soziale Gestaltung. Statt dessen Kriege, Armut, Hunger, Terror, Unterdrückung und möglicher Genozid an den Überflüssigen.

Ist das die von  sozialistischen Klassikern vorausgesehene Barbarei, sollte es nicht zur Überwindung des Kapitalismus kommen?  Kurz´ finales Bedrohungsszenario ist nicht so ohne weiteres von der Hand zu weisen. Die Verfallserscheinungen sind evident. Bei ihm  ist es  jedoch die   Ouvertüre zum Zusammenbruch. Bevor er resignierend zum Schluß kommt und im letzten Satz als noch verbleibenden Trost auf die Freiheit der Gedanken verweist, besinnt er sich  doch noch auf etwas: „Die Marxsche Theorie ist nicht widerlegt, sie gewinnt erst jetzt ihren historischen Wahrheitsgehalt...“, schreibt er im Epilog.    Na, ja, fast möchte man  da  vergessen, dass  er  sie in seinem dicken Buch nicht sonderlich beachtet hat.

 Dieses Buch ist eine radikale, jedoch idealistische Kritik. Einen Ausweg weist es nicht. Wie auch? Kurz hat sich durch metaphysische Herangehensweisen    in  theoretische Sackgassen hineingearbeitet. Was heißt denn Ende der Politik, Ende der Wertschöpfung! Mindestens die Herrschenden werden wie auch immer ihre Politik betreiben. Auch wird der Kapitalismus nicht zusammenbrechen, weil ihm die Arbeit ausgeht, die Wertschöpfung zu einem totalen Erliegen kommt und nur noch spekuliert wird. Wie das funktionieren soll, weist er  nicht nach. Vielmehr verfängt er sich in dem Widerspruch, dass er auf der einen Seite zwar richtigerweise die Überflüssigwerdung lebendiger Arbeit mit konkurrenzbedingter, immer schärferer Rationalisierung  erklärt, auf der anderen aber übersieht, dass damit die produktive (konkurrenzfähige) Arbeit nicht absolut verschwindet, sondern in immer verdichteterer Form existent bleibt, bzw. zu immer geringeren Löhnen ausgebeutet wird.  Durch schärfere Rationalisierung vorangetriebene    und damit immer höhere    Produktivität hebt  nicht die Wertschöpfung auf – jedenfalls ist das nicht absehbar. Die zwar rasant ansteigende  Tendenz spekulativer Geldanlage wird aller Wahrscheinlichkeit nach zu Finanz- und Wirtschaftskrisen führen, nicht aber  zu einer absoluten Spekulationsblase, die erst dann platzt, wenn alles zu spät ist. Kurz läßt  ein  Bild entstehen, auf dem  eine gigantische Geldblase über einen ebenso gigantischen Todesacker der Arbeit schwebt. Ihr von ihm vorausgesagtes Platzen wäre dann der  Zusammenbruch. Als Metapher passte das allerdings zu dem Teufelswerk, mit dem er  die kapitalistische „Zumutung“ auf die Welt kommen läßt.

Problematisch erscheint auch sein Verständnis von  „abstrakter Arbeit“. Er redet nicht etwa von Lohnarbeit, von der Arbeit als Ware, ihrem Gebrauchs- und  Tauschwert, von abstrakter und konkreter Arbeit. Er erweckt vielmehr den Eindruck, aus der „abstrakten Arbeit“  einen eigenständigen Begriff machen zu wollen, den er daraus ableitet, dass die vom Kapitalismus „total zugerichteten und verhausschweinten“ Lohnabhängigen primär nicht von dem konkreten Bedürfnis nach Lohn als Grundlage  der Reproduktion ihrer Arbeitskraft, sondern nur noch von dem wahnhaften  Bedürfnis nach Ausbeutung ihrer Arbeit getrieben sind, sich quasi als Hausschweine verselbständigt und somit ihr höchstes Entwicklungsstadium erreicht haben.

Nun läßt sich schwerlich bestreiten, dass die Masse der Lohnabhängigen vom protestantischen Arbeitsethos geprägt ist und sich systemkonform verhält. Dieses Arbeitsethos bewirkt, dass der durchschnittliche Arbeitsmensch nicht nur unter dem Verlust seines gewohnten Einkommens leidet, wenn er seinen Job verliert, sondern auch unter der Vorstellung, nutzlos zu sein. Das Einkommen aber als Reproduktionsgrundlage auszublenden und den Dressurakt des bürgerlichen Systems zu verabsolutieren,  ist übertrieben bis unsinnig. Es bliebe auch zu fragen, was passiert, gibt es für die ungeheure Masse  arbeitssüchtiger  „Hausschweine“ keine Arbeit mehr. Werden sie angesichts der fetten Geldblase als Verhöhnung ihres arbeitslosen Daseins nicht doch noch rebellisch?

Das Kurzsche „Hausschwein“ taugt jedoch weder als revolutionäres Subjekt noch als Kategorie. Als Bild allerdings ist es nicht schlecht. Sieht man sich beispielsweise nur  in narrenhafte Streiktüten gesteckte Gewerkschafter an, überkommt es einen geradezu. Das Ziel kapitalistischer Produktion  aber ist der Profit. Das setzt die Produktion von Mehrwert voraus, also das Einsaugen unbezahlter Mehrarbeit in Form des absoluten und relativen Mehrwerts. Wenn Kurz also nur von „abstrakter Arbeit“ redet, trifft er nicht   mehr  genau den Warencharakter der Lohnarbeit. Somit erscheint auch sein „Hausschwein“ weniger als humorvoller Vergleich. Es wird bei ihm zum ernstgemeinten Begriff, zu dem er aufgrund  verkürzter Auffassung von Lohnarbeit  gekommen ist.

Gänzlich geht Kurz  an den Bruchstellen des kapitalistischen Systems vorbei. Er schildert zwar anschaulich  die Verquickung von Ausbeutung und Selbstausbeutung in den Kernbereichen der Produktion, unterläßt aber, die in ihnen ablaufenden hochdynamischen Prozesse nach systemsprengenden Ansätzen zu untersuchen. Sein Zielgedanke ist der Zusammenbruch ohne Alternative. „Geldblase“ und „Hausschwein“ sind daher  bei ihm nicht als belustigende Metaphorik zu verstehen, sondern sind die unverzichtbaren   begrifflichen Krücken, ohne die er nicht so zielgerecht von Schwarz nach Schwarz gekommen wäre.

 Mai 2000