SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.8 vom 14.03.2000, Seite 7

NATO-Politik in der Sackgasse
Die Lage in Kosovo ein Jahr nach dem Krieg

05/00
trdbook.gif (1270 Byte)
trend
online
zeitung
Briefe oder Artikel:
info@trend.partisan.net
  
ODER per Snail:
Anti-Quariat
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin

Seit dem Beginn des NATO-Krieges gegen Kosovo hat sich die Lage in der Region umgedreht: War vor einem Jahr die Vertreibung von Kosovo-Albanern durch serbische Soldaten und Milizen von der NATO zum Anlass genommen worden, Jugoslawien den Krieg zu erklären - was die Massenvertreibung der Albaner erst richtig in Gang setzte -, setzte nach Beendigung der Bombenflüge und dem Abzug der serbischen Truppen ein Massenauszug der serbischen Bevölkerung ein. Den Angaben der UN- Flüchtlingsorganisation UNHCR und der OSZE zufolge sollen von den 194190 Serben, die 1991 im Kosovo registriert waren, nach dem Krieg wenig mehr als 100000 übriggeblieben sein (die jugoslawische Regierung spricht von 200000 Serben, die in die Flucht geschlagen worden seien, je nach Gelegenheit aber auch von 250000 oder 260000).

Die Machtverhältnisse in der Provinz haben sich dadurch umgekehrt: Anstelle eines serbischen Repressions- und Verwaltungsapparats beherrschen jetzt Albaner und die NATO das Feld - wobei "NATO" hier verkürzt für das Sammelsurium westlicher internationaler Organisationen steht, die dort ihr Lager aufgeschlagen haben. Die serbische Bevölkerung ist auf vier Enklaven zurückgedrängt, Roma und andere Minderheiten werden bedrängt und vertrieben.

Die Umkehrung der Machtverhältnisse hat die Konflikte in der Bevölkerung, die häufig ethnischen Charakter annimmt, nicht im mindesten entschärft. Im Kosovo gibt es heute nicht weniger Spannungen als am Tag des Waffenstillstands. Seit dem 9.Juni 1999 wurden 615 Feuerzwischenfälle und Mörserangriffe, 129 Granatenangriffe, 58 Minenexplosionen und 20 Zusammenstöße mit Menschenaufläufen registriert.

Nach Angaben des "Jugoslawischen Komitees für die Zusammenarbeit mit der UNO im Kosovo" kamen dabei bis Dezember 1999 414 Menschen ums Leben: 150 Albaner, 140 Serben und 124 Personen, deren ethnische Zugehörigkeit nicht festgestellt werden konnte (ami 3/00). Würde die KFOR heute abziehen, würde der "Bürgerkrieg" wilder toben als je zuvor.

Die NATO-Staaten leiten aus dieser Situation, die auch sie zugeben müssen, weiterhin eine Rechtfertigung sowohl für ihren Krieg als auch für ihr Besatzungsregime ab, von dem Karl Lamers, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, sagt, es werde noch 25 Jahre dauern; andere sprechen von Generationen. Es fällt schwer, in dieser Kombination von selbst produziertem (durch den Krieg produziertem) Chaos und ethnischem Hass und daraus gefolgerter Legitimation für ein Besatzungsregime mehr zu sehen als eine Selbstrechtfertigung für einen Prozess, in dem westliche, imperialistische Institutionen mehr und mehr die direkte politische und wirtschaftliche Kontrolle über Kosovo und den Balkan ausüben.

Dieser Prozess ist alles andere als widerspruchsfrei. Es ist keineswegs so, dass funktionierende kosovo-albanische Macht- und Verwaltungsstrukturen frühere serbische Machtstrukturen abgelöst hätten. Weder erlaubt die NATO den Kosovo-Albanern die Strukturen, die sie gerne hätten; deren neue Staatsorgane im Werden - Justiz, Polizei, bewaffnete Einheiten, Verwaltung - müssen sich stattdessen einfügen in ein umfassenderes Konzept der Allianz über die Neuordnung der politischen, wirtschaftlichen und staatlichen Verhältnisse auf dem Balkan, das im Widerspruch steht zur albanischen Forderung nach Unabhängigkeit des Kosovo auf der Basis ethnischer Säuberung. Noch hat die NATO selber eine klare Vorstellung davon, wie ein solches Konzept aussehen soll.

So wird am Aufbau eines Staatsapparats gearbeitet, von dem nicht klar ist, wozu er gehören soll: soll Kosovo unabhängig werden, Teil Jugoslawiens bleiben oder Teil Albaniens werden? Für letztere Variante macht sich weiterhin so gut wie niemand stark; bisher haben die NATO-Staaten das Konzept verfolgt, dass Kosovo jugoslawische Provinz in albanischer Selbstverwaltung bleiben soll. Damit begeben sie sich aber nicht nur in Widerspruch zum Mehrheitswillen der kosovarischen Bevölkerung, auch auf serbischer Seite gibt es dafür keinerlei Voraussetzungen.

Die Kosovo-Albaner wollen nicht Teil Jugoslawiens bleiben; die jugoslawische Führung beharrt auf ihrem Recht laut UN-Resolution, spätestens im Sommer dieses Jahres eine eigene bewaffnete Polizeitruppe zum Schutz der serbischen Bevölkerung in den Kosovo zu entsenden. Der deutsche KFOR-Kommandant Klaus Reinhardt hat vor Ablauf seiner Amtszeit erklärt, er wolle dieses Recht der jugoslawischen Regierung respektieren, aber dann müssten die serbischen Einheiten durch NATO-Truppen geschützt werden. Gleichzeitig duldet die KFOR, dass neue kosovo-albanische Milizen wie Pilze aus dem Boden sprießen, Waffenarsenale anlegen und vielfach außerhalb der Kontrolle des von ehemaligen UCK- Führern geleiteten Kosovo Protection Corps (KPC) agieren. Erst Mitte März haben US-Soldaten begonnen, systematischer dagegen vorzugehen.

Dreh- und Angelpunkt der NATO-Strategie ist ein Machtwechsel in Belgrad. Die NATO-Staaten setzen darauf, dass eine Regierungsübernahme durch die Opposition die serbischen Ansprüche auf Kosovo zurückschrauben und damit den Druck von der Provinz nehmen werde; auf diese Weise könnte der Weg frei werden, Kosovo formal im jugoslawischen Staatenverband zu belassen aber dennoch unter eine albanische Provinzverwaltung zu stellen, die auch noch nach westlichen Kriterien funktionieren soll. Nun nimmt die serbische Opposition gegenüber dem Kosovo keine andere Position ein als die Regierung von Milosevic.

Die NATO-Staaten rechnen allerdings damit, dass sie eine neue Regierung wirtschaftlich und politisch stärker an die Kandare nehmen könnten als Milosevic - über Wirtschaftshilfen, Privatisierung, EU-Integration und Veränderung der Außenhandelsstrukturen - und dass dies ihre stärkere Unterwerfung unter die globaleren Balkanpläne der NATO-Staaten nach sich ziehen würde. Das Haupthandicap dieser Konstruktion ist allerdings, dass ein Regierungswechsel in Jugoslawien derzeit nicht in Sicht ist - Milosevic sitzt fest im Sattel und die Glaubwürdigkeit der Opposition ist nicht groß. Damit hängt die gesamte Balkanpolitik der NATO derzeit in der Luft.

Sprecher der Hauptströmungen der serbischen wie der albanischen Bevölkerung im Kosovo nehmen derzeit eine Position ein, die fordert, über den Status der Provinz zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu entscheiden. Der serbische Exponent, Bischof Artemije, erklärt, eine Lösung der Statusfrage sei derzeit nicht aktuell, sie stehe erst in Zukunft an, wenn Serbien demokratisch werde und die serbischen wie die albanischen Vertreter gewählt sind. Der Bischof sucht eine Abnabelung von Milosevic, dessen Politik er "auf der Verliererstraße" sieht.

Auf albanischer Seite haben Hasim Thaqi und Agim Ceku Ende März erklärt, man wolle "auf die internationale Gemeinschaft keinen Druck ausüben, dass sie uns die Unabhängigkeit gewähre", es sei derzeit nicht an der Tagesordnung, über den Status von Kosova zu diskutieren, über den "eine internationale Konferenz entscheiden solle" (Albanian Daily News, 30.3.). Sie betrachten die Präsenz der KFOR als "historische Möglichkeit", die Unabhängigkeit zu erlangen (Ceku: "die Unabhängigkeit kommt von allein").

Der beiderseitige Versuch, Statusfragen aufzuschieben und die "internationale Gemeinschaft" für die jeweilige Seite einzuspannen, verhindert jedoch nicht das Auftreten neuer Konflikte; die Zeit scheint eher separatistischen Tendenzen in die Hände zu spielen, albanischen Milizen nicht weniger als der Regierung Milosevic, die in Südserbien und Montenegro zündelt. Er klärt auch nicht die Grundfrage, für die es mit oder ohne Milosevic keine Lösung zu geben scheint: Wie kann eine gemeinsame serbisch-albanische Verwaltung von Kosovo errichtet werden?

Sollte es der amerikanischen Diplomatie nicht gelingen, das bisherige NATO-Konzept durchzusetzen, scheint es unausweichlich, dass sich Positionen nach vorn schieben, die auf eine ethnische Kantonalisierung des Kosovo setzen, wie sie Karl Lamers offen befürwortet, wie sie aber auch von den "Radikalen" um den Albaner Agim Ceku und die Serben Mitrovicas unterstützt werden: eine weitere ethnische Teilung, die unter dem Titel "Europa der Regionen" angepriesen wird.