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Wer von Europol spricht, darf das RSHA nicht vergessen
Vor 60 Jahren gegründet: das Reichssicherheitshauptamt

von Ingo Niebel

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Die Terrorzentrale des NS-Regimes, das Reichssicherheitshauptamt, ist wieder in aller Munde, seitdem Mitte Januar us-amerikanische Fernsehsender eine aufwendige Tauchaktion im Toplitz-See in Österreich durchführen. Dort hatten Taucher in den 50er Jahren von der SS versenktes Falschgeld gefunden - aber angeblich keine Akten des RSHA. Zahlreiche mysteriöse Morde in der Umgebung des Sees haben seinen Namen zu einem Synonym für den Nibelungenschatz der SS werden lassen. Über den Toplitz-See wird also wieder geschrieben, nicht aber über das Amt, das ihn berühmt machte: das RSHA. Deshalb folgt einer kurzer Blick über den Rand der »Alpenfestung« zurück in die Zeit, als Berlin noch den Titel »Reichshauptstadt« führte.

»Gestapo« ist ein Wort, das überall Schrecken verbreitet, gleich in welcher Sprache es ausgesprochen wird. Es transportiert die Vorstellung von Männern mit Schlapphüten und in Ledermänteln, in deren Taschen sie Totschläger, Pistole und Polizeimarke versteckt bereithalten. »Gestapo« ist zum Inbegriff des Staatsterror geworden, und das nicht nur, weil die Gestapo tatsächlich eine »verbrecherische Organisation« war, so wie der Internationale Militärgerichtshof 1946 in Nürnberg urteilte, sondern auch, weil Kino und Literatur fleißig an diesem Image mit gefeilt haben. Dabei wird leicht (und von interessierter Seite auch gerne) vergessen, dass die Geheime Staatspolizei (Gestapo) ein wichtiger Baustein des 1939 errichteten Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) war.

Das RSHA war eines der zwölf Hauptämter, aus denen das Imperium der Schutzstaffel, der SS, bestand. Sein Ursprung lag zum einen im Sicherheitsdienst (SD) der SS, zum anderen in den Polizeibehörden Preußens und des Reiches, das heißt in der Geheimen Staatspolizei und im Reichskriminalamt. 1934 hatte der »Stellvertreter des Führers« Rudolf Heß den SD zum alleinigen Nachrichtendienst der NSDAP erklärt. Der SD unterstand dem »Reichsführer-SS« Heinrich Himmler, und sein Leiter war seit 1931 der ehemalige Marine-Leutnant Reinhard Heydrich. Nach der Machtübergabe an die Nazis 1933 betrieben Himmler und Heydrich kontinuierlich die organisatorische Weiterentwicklung des SD und parallel dazu die Übernahme der staatlichen Polizeiinstitutionen sowie deren Ausbau zum wirksamen Repressionsapparates des NS-Regimes. Fiel hierbei Himmler die Rolle des SS-Maklers auf höchster politischer Ebene zu, so sorgte Heydrich für die organisatorische Umsetzung dieser Pläne. Ihm zur Seite stand dabei eine Reihe von Intellektuellen in SS-Uniform, unter ihnen der Rechtsanwalt Dr. Werner Best. Best oblag es die Verschmelzung von parteigebundenem SS-Apparat und staatlichen Einrichtungen ideologisch sowie rechtlich vorzubereiten und abzusichern. Dieser 1933 einsetzende Prozess endete am 27. September 1939, als Himmler in seiner Eigenschaft als »Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei« per Erlas die Errichtung des RSHA befahl durch Zusammenlegung des Hauptamtes Sicherheitspolizei, bestehend aus dem Geheimen Staatspolizeiamt und dem Reichskriminalamt, mit dem Sicherheitshauptamt des »Reichsführers-SS«.

Organisatorisch gliederte sich das RSHA 1941 in sieben Ämter. Das Amt I war zuständig für Personalfragen, während das Amt II sich mit »Organisation, Verwaltung und Recht« beschäftigte. Für die »Deutschen Lebensgebiete« zeichnete das Amt III verantwortlich. Die »Gegnerforschung und -bekämpfung« unterstand der Geheimen Staatspolizeiamt, das jetzt als Amt IV firmierte. Hierzu gehörte unter anderem das berüchtigte »Judenreferat« von Adolf Eichmann. Die »Verbrechensbekämpfung« oblag weiterhin dem Amt V, dem Reichskriminalamt. Hinzu kam das Amt VI, der Auslandsspionagedienst des SD. Ebenfalls SD-dominiert war das Amt VII: »Weltanschauliche Forschung und Auswertung«. Diese horizontale Ausdehnung macht deutlich, wie breit Heydrich das mit geheimdienstlichen Mitteln zu kontrollierende Feld abgesteckt hatte.1 Polizei, Inlands- und Auslandsgeheimdienst befanden sich nun in einer, Heydrichs und später in Ernst Kaltenbrunner, Hand.

Aber Himmlers Gründungserlass führte nur zu einer organisatorischen Zusammenführung der einzelnen Ämter, nicht aber zu einer räumlichen. Zwar nahm das RSHA seinen Sitz im Berliner Prinz-Albrecht-Palais, wo bereits die »Reichsführung« der SS residierte, aber die Dienststellen waren weiterhin über das gesamte Gebiet der Hauptstadt verteilt.

Nachdem die SS ihre Machtposition innerhalb der NSDAP mit der Niederschlagung des sogenannten »Röhm-Putsches« (1934) und der faktischen Ausschaltung der SA-Führung gefestigt hatte, versuchte sie auch in die Domäne des militärischen Geheimdienstes, der Abwehr, vorzudringen. Angesichts der Bedeutung der Wehrmacht musste sie ihre Übernahmeversuche auf Kooperationsprojekte mit den uniformierten Agenten beschränken. Die Übernahme der Abwehr erfolgte erst 1944 angesichts der desolaten Kriegslage und der Verwicklung führender Geheimdienstoffiziere in das »Führerattentat« vom 20. Juli.

Eine wichtige Schnittstelle zwischen SS und Wehrmacht war die von Gestapo und Abwehr geschaffene »Geheime Feldpolizei« (GFP). Sie sollte innerhalb der Streitkräfte dieselben Aufgaben der »Gegnerbekämpfung« und Spionageabwehr übernehmen, wie es die Gestapo außerhalb der Kasernen tat. Ihre Feuertaufe erlebte die GFP, in der Abwehr-Leute zusammen mit Gestapo-Beamten arbeiteten, im Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939). In den 1939 einsetzenden Eroberungsfeldzügen fuhren GFP-Einheiten an vorderster Front mit, um wichtige Zielobjekte rechtzeitig einzunehmen und Geheimmaterial zu sichern. So wundert es nicht, dass im Juni 1940 ein SD-Kommando in GFP-Uniform die Zentrale der Sureté in Paris besetzte.2

Mit der Besetzung Europas übertrug die SS-Führung die Organisationsstruktur des RSHA auch auf ihre Residenturen in den okkupierten Gebieten. Während die SS im Osten des Kontinents mit Wehrmachtshilfe ihren Vernichtungskrieg durchführte und im befriedeten Hinterland die Polizeigewalt übernahm, musste sie sich in West-Europa mit der Armee arrangieren. Hinzu kam dort die Notwendigkeit, aufgrund fehlender Ressourcen mit den einheimischen Polizeien zusammenarbeiten zu müssen. Die Erfahrungen, die die RSHA-Beamten in der Zeit zwischen 1940 und 1944 beim Aufbau ihrer europaweiten Polizeibehörde sammelten, sind bisher einzigartig geblieben.

Angesichts der besonderen Gesamtlage des Reiches gab es innerhalb der SS Bestrebungen, anstatt brachialer Gewalt mittels einer bestimmten »Großraumpolitik« die Sicherheit und neue Ordnung in den besetzten West-Gebieten längerfristig zu gewährleisten. Einer ihrer herausragendsten Vertreter war der schon erwähnte Werner Best, der maßgebliche Mitorganisator des RSHA.3 Ihm schwebte die Idee vor, auf französischem Boden jeweils einen bretonischen, baskischen und korsischen Satellitenstaat entstehen zu lassen. Seine Pläne scheiterten am Widerstand in den eigenen Reihen sowie an der gegensätzlichen Auffassung des Auswärtigen Amtes bezüglich der zu verfolgenden Frankreich-Politik. Aber Bests Anliegen zeigt, dass die SS im allgemeinen und das RSHA im besonderen, sich nicht nur auf die Polizeiarbeit beschränkten, sondern aus ihr heraus eine eigene Polizeipolitik entwickelten, die zu einer separaten Außenpolitik führte.

Eine wichtige Aufgabe fiel hierbei den sogenannten »Polizeiattachés« zu, die in den nichtkriegführenden Staaten wie ihre militärischen Kollegen an den deutschen Botschaften akkreditiert waren, aber eigene Kompetenzen besaßen. In Spanien half Paul Winzer die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen dem RSHA und Francos Sicherheitsapparat am Auswärtigen Amt vorbei zu organisieren und vertraglich abzusichern.4 (Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, warum zum Kriegsende hin der Chef des Ausland-SD Walter Schellenberg, seine eigenen Kanäle nutzen konnte, um SS-spezifische Friedensverhandlungen mit den Alliierten zu führen.) In den besetzten Ländern oblag die Stellvertreterfunktion den »Höheren SS- und Polizeiführern«.

Die zwischen 1940 und 1944 existierende enge Verzahnung von deutschem RSHA und französischen Polizeibehörden ließ sich Ende der 50er Jahre vermuten, als die französische Justiz die beiden obersten SS-Vertreter in Paris, Karl Albrecht Oberg und Helmut Knochen, 1958 begnadigte und 1962 nach Deutschland abschob.

Das Schicksal von Oberg und Knochen ist symptomatisch für das der dritten Führungsriege des RSHA. Auch Werner Best überlebte den »Zusammenbruch«, die Verurteilung zum Tode und einige anschließende Gerichtsverfahren in der Bundesrepublik. Er starb 1989 als freier Mann, überzeugt, immer das Richtige getan zu haben.

Die Berliner Stadtverwaltung ließ 1953 das Prinz-Albrecht-Palais sprengen. Nur dem Engagement einiger weniger ist es zu verdanken, dass dort trotzdem die Gedenk- und Forschungsstätte »Topographie des Terrors« entstand.

Es wäre aus vielen Gründen falsch, Europol mit dem RSHA gleichsetzen zu wollen. Blendet man aber die geschichtlichen und politischen Begleitumstände aus und beschränkt sich auf die zukünftige Polizeiarbeit im und um den »Großraum EU«, so steht die europäische Polizeibehörde vor ähnlichen Probleme wie einst das RSHA: Über 300 Millionen EU-Bürger gilt es zu überwachen, Konfliktherde in Europa heißt es einzudämmen, die Grenzen der Festung Europa sind (diesmal) vor Zuwanderern zu schützen, diverse nationale Polizeien müssen grenz- und sprachübergreifend zusammenarbeiten, ihre Arbeit muß rechtlich abgesichert werden, die gemeinsame »Vorfeldaufklärung« beginnt vor den Toren der EU. Die polizeiliche Kooperation mit dem militärischen Arm der EU, der WEU, ist da nur noch eine Frage der Zeit nicht aber des Prinzips.

Die historischen Erfahrungen liegen vor, es gilt sie wieder aufzugreifen und die aktuelle Entwicklung kritisch zu verfolgen.

Auswahlliteratur zum Reichssicherheitshauptamt (RSHA)

1. Biographien

Aronson, Shlomo. Reinhard Heydrich und die Frühgeschichte von Gestapo und SD. Stuttgart: 1971.
Banach, Jens. Heydrichs Elite. Das Führerkorps der Sicherheitspolizei und des SD 1936-1945. 2. Aufl. Paderborn: Schöningh, 1999.
Birn, Ruth Bettina. Die Höheren SS- und Polizeiführer. Himmlers Vertreter im Reich und in den besetzten Gebieten. Düsseldorf: Droste, 1986.
Black, Peter. Ernst Kaltenbrunner. Vasall Himmlers: Eine SS-Karriere. Paderborn: Schöningh, 1991.
Deschner, Günther. Reinhard Heydrich. Statthalter der totalen Macht.
3. Aufl. Esslingen am Neckar: Bechtle, 1992.
Herbert, Ulrich. Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903-1989. 3. Aufl. Bonn: Dietz, 1996.
Petersen, Gita, Hg. Walter Schellenberg. Hitlers Geheimdienstchef. München: Moewig, o.J. (ca. 1987).

2. Allgemeine Darstellungen zur Geschichte des RSHA, der Gestapo und des SD

Buchheim, Hans u.a. Anatomie des SS-Staates. 2 Bde. München: 1979.
Delarue, Jacques. Geschichte der Gestapo. Königstein: Athenäum, 1979.
Döscher, Hans-Jürgen. SS und Auswärtiges Amt im Dritten Reich. Diplomatie im Schatten der »Endlösung«. Frankfurt a.M., Berlin: Ullstein, 1991.
Gellately, Robert. Die Gestapo und die deutsche Gesellschaft. Die Durchsetzung der Rassenpolitik 1933-1945. 2. Aufl. Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh, 1994.
Gessner, Klaus. Geheime Feldpolizei. Berlin: Militärverlag der DDR, 1986.
Graf, Christoph. Politische Polizei zwischen Demokratie und Diktatur. Die Entwicklung der preußischen politischen Polizei vom Staatsschutzkorps der Weimarer Republik zur Geheimen Staatspolizei des Dritten Reiches. Berlin: 1983.
Höhne, Heinz. Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS. Bindlach: Gondrom, 1990.
Krausnick, Helmut und Hans-Heinrich Wilhelm. Die Truppe des Weltanschauungskrieges. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD 1938-1942. Stuttgart: 1981.
Linck, Stephan. Der Ordnung verpflichtet: Deutsche Polizei 1933-1949. Der Fall Flensburg. Paderborn: Schöningh, 1999.
Ramme, Alwin. Der Sicherheitsdienst der SS. Zu seiner Funktion im faschistischen Machtapparat und im Besatzungsregime des sogenannten Generalgouvernements. Berlin: 1970.
Rürup, Reinhard, Hg. Topographie des Terrors. Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt auf dem »Pinz-Albrecht-Gelände«. Eine Dokumentation. 8. Aufl. Berlin: Willmuth Arenhövel, 1991.
Wegner, Bernd. Hitlers politische Soldaten: Die Waffen-SS 1933-1945. 6. Aufl. Paderborn: Schöningh, 1999.
Wilhelm, Friedrich. Die Polizei im NS-Staat. Die Geschichte ihrer Organisation im Überblick. 2., durchges. u. verbesserte Aufl. Paderborn: Schöningh, 1999.
Zipfel, Friedrich. Gestapo und Sicherheitsdienst. Berlin: 1960.

Anmerkungen:
1 Zur vertikalen Organisation der einzelnen Ämter in Gruppen und Referate sei verwiesen auf Rürup, Reinhard, Hg. Topographie des Terrors. Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt auf dem »Pinz-Albrecht-Gelände«. Eine Dokumentation. 8. Aufl. Berlin: Willmuth Arenhövel, 1991.
2 Die der Abwehr wohlgesonnenen Historiker stellen diese Operation des SD als eine illegale Aktion dar. Zur Geschichte der GFP siehe: Gessner, Klaus. Geheime Feldpolizei. Berlin: Militärverlag der DDR, 1986.
3 Zur Person von Werner Best siehe: Bordien, Hans Peter u.a. Blutige Spuren. Der zweite Aufstieg der SS. Dortmund: Weltkreis-Verlag, 1980: 182ff. Herbert, Ulrich. Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903-1989. 3. Aufl. Bonn: Dietz, 1996.
4 Zur Einflußnahme der SS auf das AA siehe Döscher, Hans-Jürgen. SS und Auswärtiges Amt im Dritten Reich. Diplomatie im Schatten der »Endlösung«. Frankfurt a.M., Berlin: Ullstein, 1991.