Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Kommunalwahlen inmitten der beginnenden Epidemie

04/2020

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Die Regierung setzte die Gesundheit der Französinnen und Franzosen auf’s Spiel, um wählen zu lassen, während die Welle der vom neuen Coronavirus ausgelösten Krankheit Covid19 bereits eingesetzt hatte. Doch die frankreichweit stattfindenden Kommunalwahlen mussten dann nach dem ersten Durchgang abgebrochen werden; die Stichwahl wird um mehrere Monate verschoben (womit ihr Zusammenhang zur ersten Runde verloren geht). Ein Rückblick unter besonderer Berücksichtigung, neben der Gesundheitsgefährdung, auch der neofaschistischen Bedrohung (mit einzelnen Stimmergebnissen bis zu 74 %...)

Bericht vom 23. März 20

Das hat man nun davon, wenn man den Regierenden und ihren Zusicherungen vertraut! Diese hatten der französischen Wahlbevölkerung zugesichert, es bestünde zu-keinem-Zeitpunkt-irgendeine-Gefahr-für-die-Bevölkerung, falls sie bei den Kommunalwahlen ihre Stimme abgeben gehe – und dies, während die Covid19-Pandemie bereits begonnen hatte. Ergebnis: Wie zu Anfang dieser Woche (am Montag, den 23.03.20) bekannt wurde, haben sich unter anderem der Leiter eines Wahlbüros im 17. Pariser Bezirks und mehrere Beisitzer, etwa drei Personen in Montmagny nördlich von Paris, mit der Krankheit COVID19 angesteckt.
Vgl.
https://www.nouvelobs.com/

Noch am Sonntag, den 15. März 20 hatte die Staatsmacht sich auf einen anderen Standpunkt gestellt: Es sei alles im Griff. An ihm diesen Tag – lange scheint es her, wie in einer Welt, als man noch frei ein- und ausging… - fand die erste Runde der Rathauswahlen in ganz Frankreich statt. Präsident Macron wäre zwar persönlich – dem Vernehmen nach – bereits in den Tagen zuvor zu ihrer Verschiebung im Prinzip bereit gewesen; seine Partei hatte allerdings auch nicht viel in positivem Sinne von ihrer Durchführung zu erwarten. Jedoch positionierten sich die Konservativen in Gestalt der Partei Les Républicains (LR), die im Senat die Mehrheit innehaben, strikt gegen eine Verschiebung. Dieses „Oberhaus“ des französischen Parlaments hätte jedoch einer Aufschiebung zustimmen müssen, und Senatspräsident Gérard Larcher (LR) signalisierte seine Ablehnung. Auch Macrons Premierminister Edouard Philippe, er kommt selbst ursprünglich aus dem konservativen Lager und behält dort viele politische Freunde, bezog bei seinem Chef gegen das Anliegen einer Verschiebung Position.

Stabilisierung der überlebten Altparteien auf lokaler Ebene

Tatsächlich profitierten vielerorts die Amtsinhaber in den Rathäusern am stärksten von dieser ersten Runde der Kommunalwahl, und das sind oft Mitglieder der beiden alten Großparteien, Parti Socialiste (PS) und LR. Zwar blieben die erhofften Zugewinne für die Konservativen aus, und ihre Wahlchancen in den Großstädten Marseille, Toulouse und Bordeaux – wo sie bislang regierten – sowie für ihre oppositionellen Kandidaturen in Lyon und Paris fallen schlechter aus als erwartet. Doch ihre amtierenden Stadtoberhäupter, wie Hubert Falco in Toulon mit über 61 Prozent der Stimmen, halten sich nahezu allerorten gut.

Anders als auf nationaler Ebene, wo PS und LR seit drei Jahren massive Einbrüche erlebten – sei es bei der Präsidentschaftswahl 2017 oder bei der Europaparlamentswahl 2019 – und die Präsidentenpartei LREM (La République en marche) sowie der rechtsextreme Rassemblement national (RN, „Nationale Sammlung“) in den Vordergrund drängten, bleiben sie also auf lokaler Ebene überwiegend stabil. Hingegen kann sich LREM nun, nach dem ersten Durchgang, so gut wie nirgendwo irgendwelche Wahlchancen ausrechnen. Selbst in Lyon nicht, wo der örtliche Spitzenkandidat, der frühere Rechtssozialdemokrat Gérard Collomb, landesweite Prominenz genießt und unter Macron 2017/18 Innenminister war. Obwohl er davor und danach fast zwanzig Jahre lang die Stadt regierte, erhielt er dieses Mal nur noch 22,36 % der Stimmen, das sind minus 13,4 Prozentpunkte weniger als bei der vorigen Wahl (2014).

LREM ist nicht nur eine erst vor vier Jahren gegründete Retortenpartei, die trotz zwischenzeitlicher Bemühungen keinen Aufbau einer aktiven Basis und erst recht keine lokale Verankerung hinbekam. Aufgrund jüngster Auseinandersetzungen, etwa um die geplante Rentenreform – deren parlamentarische Verabschiedungsprozedur wurde aufgrund der Coronavirus-Krise vorläufig auf Eis gelegt und soll erst im Oktober 20 neu debattiert werden -, bläst ihr überdies der Wind ins Gesicht, Protestierende störten vielerorts ihre Wahlversammlungen.

Dass die Stimmbeteiligung sinken würde, war allgemein erwartet worden. Um ein Drittel ging sie konkret zurück, von 63,55 % bei der letzten vergleichbaren Wahl (im März 2014) auf nunmehr 44,64 %. Dieser Beteiligungsgrad bildet einen Negativrekord seit der Gründung der Fünften Republik im Jahr 1958.

Dabei dürfte wohl die Faustregel gelten: Je bereitwilliger jemand ist, den Regierungs- oder jedenfalls etablierten Parteien zu glauben und ihren guten Willen abzunehmen, desto eher dürfte er oder sie auch bereit gewesen zu sein, deren Zusicherungen zu akzeptieren. Umgekehrt gilt, dass protestorientierte Wählerinnen und Wählern, die den Etablierten nicht über den Weg trauen, auch hier mutmaßlich stärkere Skepsis an den Tag legten. Entsprechend sind es vielerorts die bisherigen Rathauschefs und etablierten Politikprominenten, die von einem „Stimmbonus“ profitierten.

Der zweite Durchgang dieser Wahl wurde zu Anfang der Vorwoche (am 16./17/ März d.J.) nun, aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus und der seit Dienstag, den 17. März um 12 Uhr geltenden Ausgangsbeschränkungen, auf den 21. Juni 20 verschoben. Eine Stichwahl wird dann, zu Sommeranfang, zwar nur noch in rund 5.000 von insgesamt 35.000 Städten und Gemeinden in Frankreich stattfinden müssen – das Land weist sehr viele kleine und kleinste Kommunen auf -, doch in der deutlichen Mehrheit der größeren Städten wird dies der Fall sein.

Als landesweite politische Kraft hinzulegen konnten unterdessen vor allem die französischen Grünen, die in Städten wie Lyon (28,46 %) oder Strasbourg (27,86 %) als stärkste politische Einzelkraft abschneiden und in der bürgerlich geprägten Stadt Bordeaux (mit stattlichen 34,38 %) nur sehr knapp hinter der Liste des konservativen Amtsinhabers Nicolas Florian mit 34,55 % landen. Ihr Erfolg hängt vor allem mit der Aktualität und Relevanz des Klimaschutz-Themas zusammen. Wobei es in Bordeaux eine – allerdings in den letzten Wochen vor der Wahl angekündigte – Überraschung zu verzeichnen gibt, mit knapp 12 % der Stimmen für den Antikapitalisten und radikalen Linken Philippe Poutou.

Die neofaschistische Gefahr

Kontrastreich sind die Ergebnisse des rechtsextremen Rassemblement National (RN, „Nationale Sammlung“, vormals Front National) bei der ersten Runde dieser Kommunalwahlen in Frankreich.

Acht von zwölf Städten, in deren Rathäusern der FN – inzwischen RN – seit 2014 regierte, wurden die Bürgermeister bereits in der ersten Runde mit absoluter Mehrheit wiedergewählt; vor sechs Jahren hatte es nur eine absolute Mehrheit für den RN im ersten Durchgang (vom 23.03.14) gegeben, in Hénin-Beaumont mit damals 50,3 %. Die übrigen Kommunen wurden erst im zweiten Wahlgang gewonnen; zum Teil mit absoluten Mehrheiten, zum Teil auch mit relativen Mehrheiten, was immer dann möglich ist, wenn drei oder mehr Listen in der Stichwahl präsent bleiben. In den übrigen vier Städten wird es noch eine Stichwahl geben müssen.

Triumphal wiedergewählt wurden insbesondere die rechtsextremen Amtsinhaber in Hénin-Beaumont, Camaret-sur-Aigues, Béziers und Hayange. Im nordostfranzösischen Hénin-Beaumont, einer seit über zwanzig Jahren systematisch mit lokaler Kärrnerarbeit zur Hochburg der rechtsextremen Partei ausgebauten früheren Bergarbeiterstadt, holte Bürgermeister Steeve Briois (bis 2014 auch Generalsekretär des FN) stattliche 74,21 Prozent der abgegebenen Stimmen. Das zweithöchste Resultat erzielte Bürgermeister Philippe de Beauregard in der Kleinstadt Camaret-sur-Aigues (bei Orange in der Provence) mit 70,22 %. Im südfranzösischen Béziers erhielt der wohl bekannteste unter allen rechtsextremen Bürgermeistern, der frühere Linke und ehemalige Vorsitzende von „Reporter ohne Grenzen“ Robert Ménard, seinerseits 68,74 %. Hingegen scheiterten seine Parteifreunde in mehreren Kommunen im Umland von Béziers zum Teil deutlich. Und in Hayange in Lothringen, wo Amtsinhaber Fabien Engelmann aufgrund seines autoritären und personenbezogenen Führungsstils bis in die Reihen der eigenen Partei hinein umstritten blieb, gelang ihm die Wiederwahl mit 63,14 %. Etwas bescheidener fiel die Bestätigung anderer rechtsextremer Bürgermeister im Amt aus, wie bspw. für Franck Briffaut in Villers-Cotterêts in der Picardie mit 53,46 %.

Hinzu kommen noch drei Kommunen, die seit 2014 durch die ebenfalls rechtsextreme Regionalpartei Ligue du Sud regiert werden. In zwei der drei wird es ebenfalls eine Stichwahl geben müssen, in Orange (mit jetzt 47,6 % für den amtierenden Bürgermeister Jacques Bompard; 1995 mit relativer Mehrheit erstmals gewählt, 2001, 2008 und 2014 mit absoluten Mehrheiten von je rund sechzig Prozent wiedergewählt) und in Bollène. Dort erhielt die Liste von Marie-Claude Bompard, Ehefrau von Jacques Bompard und Bürgermeisterin seit 2008, 44,74 % und liegt damit nur um 0,07 % vor der zweitplatzierten Liste, die auf der Linken zu verorten ist. Da die drittplatzierte Liste (jene der französischen KP) ebenfalls auf der politischen Linken verortet ist, dürfte Marie-Claude Bompards Wiederwahl ernsthaft gefährdet sein. Dagegen wurde der Ligue du Sud-Bürgermeister der Kleinstadt Piolenc (in der Umgebung von Orange), der frühere Konservative Louis Driey, bereits jetzt mit 55,49 % wiedergewählt.

Die dortigen Bürgermeister haben es offensichtlich geschafft, einer in ihren Augen „einheimischen“ Bevölkerung erfolgreich zu vermitteln, dass diese nicht gemeint sei, wenn die Kommunalregierungen soziale Einschnitte und Mittelkürzungen bei Vereinen und NGOs vornehmen – sondern dass diese angeblich oder tatsächlich auf „Ausländer“ und Fremdstämmige konzentriert würden.

Über die fünfzehn bislang von Rechtsextremen regierten Städte und Gemeinden hinaus, die insgesamt rund 450.000 Einwohner aufweisen, blieben dagegen stärkere Zugewinne überall aus.

Chancen kann sich der RN ansonsten noch vor allem in der südwestfranzösischen Großstadt Perpignan ausrechnen. Dort erzielte Louis Aliot, Vorstandsmitglied der Partei und bis vor einigen Monaten Lebensgefährte ihrer Chefin Marine Le Pen, einen ersten Platz mit 35,65 % der Stimmen. Allerdings konnte er dort bereits 2014 ein hohes Ergebnis von 34,19 % einfahren, das er nur unwesentlich steigerte. Damals verlor er in der Stichwahlrunde, weil die sozialdemokratische Kandidatur zugunsten der konservativen zurückgezogen wurde. Ob Ähnliches wieder der Fall sein wird, ist unterdessen unsicher. Hinter der RN-Liste folgen die der Konservativen mit 18,43 %, jene der Grünen (auf der auch Sozialdemokraten antraten) mit 14,51 % und die Macron-Partei LREM mit 13,17 %.

Unterhalb von 20 Prozent, was als Misserfolg gelten muss, schnitt der RN in mehreren Städten ab, in denen er sich zuvor erhebliche Chancen ausrechnete. In Städten wie Calais – wo die RN-Liste unter Marie-Caroline Le Pen, einer Schwester der Parteivorsitzenden, sich aufgrund ausgedehnter „wilder“ Migranten-Camps im Umland Chancen versprach, jedoch nur 17,91 % erhielt und auf dem dritten Platz landete, während Amtsinhaberin Natacha Bouchart bereits wiedergewählt wurde -, Toulon (die Stadt wurde von 1995 bis 2001 vom damaligen FN regiert, der RN erhielt nun 14,99 %, doch der Konservative Hubert Falco wurde mit 61,39 % wiedergewählt) oder Nîmes; in der südfranzösischen Stadt landete der RN mit 14,34 % nur auf dem vierten Platz. Auch in Nizza in Südostfrankreich wurde der RN enttäuscht, die Partei erzielte dort mit 16,69 % einen zweiten Platz, weit hinter der uneinholbaren Liste des konservativen Amtsinhabers Christian Estrosi mit 47,62 %.

Wer Aufschub vorschlug, könnte an Legitimität gewinnen

Am Sonntag Abend (15. März) schlugen der RN einerseits und die Grünen andererseits als erste Parteien vor, die geplante zweite Runde abzusagen, als Vorsichtsmaßnahme infolge der Covid19-Epidemie. Der RN wird versuchen, besonders davon zu profitieren, zumal er sich nun Chancen ausrechnet, den weiteren Krisenverlauf mit seiner ideologischen Begleitmusik zu unterlegen – habe er doch schon immer vor Globalisierung, ungezügeltem Freihandel und kontrolllosen Grenzen gewarnt, und nun bestätige der Virus angeblich die Richtigkeit seiner Mahnungen. Tatsächlich hatte RN-Chefin Marine Le Pen bereits im Januar 20 eine Grenzschließung für Flüge aus China gefordert. Was im Einzelfall aus sanitären Gründen vielleicht richtig gewesen wäre, möchte die extreme Rechte nun als prinzipiell richtig herausstellen.


Editorischer Hinweis
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