Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Protest gegen Renten-Konterreform
am Weltfrauen
kampftag
Weitere Mobilisierungsschritte geplant

04/2020

trend
onlinezeitung

NACHTRÄGLICHE ANMERKUNG: Dieser Artikel, verfasst in der Woche vor dem Beginn der Ausgangsbeschränkungen infolge der Covid19-Seuche, liest sich heute beinahe wie aus einer anderen Welt… Die Renten„reform“ in Frankreich, deren Verabschiedung infolge der Pandemie ausgesetzt wurde, scheint unterdessen gescheitert. Laut Echos der Satire- und Enthüllungs-Wochenzeitung Le Canard enchaîné vom 1. April 20 dürfte die Beratung dazu vor dem Ende der laufenden Legislaturperiode (im Frühjahr 2022) nicht wieder aufgenommen werden…

Bericht vom 09. März 20

Einen wichtigen Mobilisierungsmoment auch für die soziale Opposition in Frankreich bildete am zurückliegenden Sonntag, den 08. März d.J. die alljährliche Demonstration für Frauenrechte am „Tag der Frau“. Ein zentrales Motto für die diesjährige Pariser Demo, die Zehntausende Menschen auf die Straße brachte, lautete: „Die großen Gewinnerinnen“ (Les grandes gagnantes). Unter ironischer Bezugnahme auf eine Behauptung des amtierenden oder noch amtierenden französischen Premierministers Edouard Philippe, welcher angibt, weibliche Beschäftigte zählten zu den „Hauptgewinnerinnen“ der Renten-„Reform“pläne seiner Regierung, wurde dabei die wichtigste laufende Konterreform thematisiert. (Zur Widerlegung der Regierungsbehauptungen an diesem Punkt vgl. bereits: https://www.labournet.de/i, und besonders den Abschnitt „Zur feministischen Kampagne gegen die Rentenreform“). Im hinteren Teil des Demozugs liefen auch Gewerkschaften mit, darunter auf LKWs monierte Heißluftballons der CGT und der Union syndicale Solidaires.

Am Vorabend – also am Samstag Abend, 07. März – hatte es in Paris bereits einen feministischen Protestzug aus Anlass des bevorstehenden Mobilisierungsdatums gegeben. Dabei kam es am späteren Abend zu einem massiven polizeilichen Gewalteinsatz gegen Teilnehmerinnen, weil der Zug sich nicht an die vorgegebene Route und Auflösungs-Uhrzeit hielt – was am darauf folgenden Tag zu massiver Empörung nicht nur bei NGOs und linken Oppositionsparteien, sondern bis hin zur Emmanuel Macrons Ministerin für Frauenrechte, Marlène Schiappa, führte. Letztere verlangte „Erklärungen“ von ihrem Regierungskollegen, dem amtierenden Innenminister Christophe Castaner; jener reichte die Aufforderung zu Erklärungen an den Pariser Polizeipräfekten, den von ihm Mitte März 2019 als Hardliner (und Ersatz für den wegen vermeintlichen „Weicheiertums“ gegenüber den „Gelbwesten“protesten geschassten Michel Delpuech) eingesetzten Didier Lallement, weiter.

Vgl. dazu unter anderem: https://actu.orange.fr und https://www.lefigaro.fr oder https://www.francetvinfo.fr/l und auch https://fr.sputniknews.com/f ; sowie zu weiteren Reaktionen: https://actu.orange.fr/ -

Besagter Polizeipräfekt gilt bis in die Reihen der Einsatzkräfte hinein als tendenzieller Psychopath. Vgl. zu jüngsten Enthüllungen über (allem Anschein nach heftige) innerpolizeiliche Auseinandersetzungen zu seiner harten Linie, insbesondere betreffend Einkesselungen bei „Gelbwesten“- und Klimaschutz-Protesten, ausführlich: https://www.mediapart.fr/ sowie https://www.francetvinfo.fr/

Am Freitag und Samstag, den 06. und 07. März fand überdies an der Universität in Nanterre eiN Treffen von Streikkollektiven aus dem Hochschulwesen, wo am Donnerstag – 05. März 20 – eine Protestmobilisierung begann, statt. (Vgl. dazu die dort verabschiedete Erklärung: https://academia.hypotheses.org/20662 ) Dieses wurde zeitweilig für eine Beratungs- und Diskussions-Runde zusammen mit Vertreter/inne/n anderer sozialer Protestkräfte geöffnet. Auch der Autor dieser Zeilen nahm daran zeitweise, als einer der derzeit streikenden Anwälte/Anwältinnen, teil. Im Hochschulwesen selbst war der Ausstand am Donnerstag, den 05. März jedenfalls an einer Reihe von Universitätsstandorten ein Erfolg – der Protest richtet sich neben der Renten„reform“ auch gegen einen Mittel- und Personalmangel in Forschung & Lehre, und die geplante Verallgemeinerung von nur noch befristeten Arbeitsverträgen in vielen Bereichen -, setzte sich jedoch nach dem Donnerstag nicht als breit befolgter unbefristeter Streik fort.

Die Debatte drehte sich hauptsächlich um die Mobilisierungsdaten für die kommenden Wochen. Einige Teilnehmende bemängelte, es gebe kein zentrales und gemeinsames, zugleich zeitnahes Protestdatum, das alle Kräfte bündeln könne; erforderlich seien nicht viele Einzelbewegungen, sondern ein gemeinsames (de facto gemeint war: ein Generalstreik-)Datum. Andere entgegneten dem, dies sei in den vergangenen drei Monaten seit dem Beginn des Transportstreiks gegen die Renten„reform“ (vom 05. Dezember 19 bis Ende Januar 2020) hinreichend versucht worden, habe jedoch nicht funktioniert; es gelte deswegen, sektorenweise soziale Widerstandskräfte aufzubauen. Zu einem Konsens kam es nicht, wahrscheinlich gibt es kurzfristig auch keine alle zufrieden stellende Lösung. Auch aus diesem breiteren Treffen resultierte eine gemeinsame Erklärung, über die die Verf. dieser Zeilen als Whatsapp-Nachricht verfügt, die jedoch bislang noch nicht im Netz steht (sondern erst noch redigiert und gelayoutet werden muss); wir werden unsere Leser/innen alsbald über ihre Veröffentlichung unterrichten.

Die Erklärung listet mehrere anstehende Mobilisierungsdaten auf. Einen gemeinsamen Termin mit den am Sozialprotest beteiligten Gewerkschaftsdachverbänden und -zusammenschlüssen (CGT, FO, Union syndicale Solidaires u.a.) wird es erst wieder am 31. März dieses Jahres geben, infolge der Entscheidung der beteiligten Gewerkschaften am 02. März, auch nach dem Abwürgen der Parlamentsdebatte durch die Regierung dieses relativ späte Datum zu wählen. (Bekanntlich würgte die Regierung die Aussprache im Parlament zum Thema Renten„reform“ unter Rückgriff auf den Verfassungsartikel 49 Absatz 3 dadurch ab, dass sie die Vertrauensfrage aufwarf. Dadurch wird die Parlamentsdebatte beendet und eine Abstimmung über eventuelle Misstrauensanträge von Abgeordneten anberaumt. Zwei Misstrauensanträge der parlamentarischen Linksopposition einerseits, der Konservativen andererseits scheiterten am Dienstag und Donnerstag, 03. März sowie 05. März, was in Anbetracht der Sitzverteilung allerdings von vornherein klar war.)

Zuvor steht am Samstag, den 14. März ein Mobilisierungsdatum an, zu dem eine Reihe von Exponenten der „Gelbwesten“bewegung, aber auch gewerkschaftliche Vertreter/innen aus in den letzten Wochen kämpferisch auftretenden Sektoren aufrufen – ohne „Umweg“ über die Vorstände von Gewerkschaften oder Gew.verbänden. Vgl. den Aufruf dazu: (v.a. Abschnitt Appel national du 14 mars 2020): https://herault.demosphere.net/rv/14330  und einen weiteren Beitrag dazu bspw. unter: https://www.revolutionpermanente.fr

Derzeit bleiben die sozialen Protestherde tendenziell zersplittert und – im Vergleich zu Januar 2020 – geschwächt, dennoch wäre es falsch, davon auszugehen, es tue sich nichts. Wir werden unsere Leser/innen selbstverständlich im Bilde halten.

Post scriptum : Seit dem gestrigen Sonntag, den 08. März 20 am Abend wurden aufgrund der aktuellen Bedrohungslage durch den Coronavirus < Versammlungen mit über 1.000 Teilnehmer/inne/n > im Grundsatz verboten. Der neue Gesundheitsminister Olivier Véran beeilte sich jedoch, bei der Pressekonferenz hinzuzufügen, << für das Leben der Nation nützliche > Menschenansammlungen blieben erlaubt; dazu zählten neben der Nutzung öffentlicher Transportmittel durchaus auch << Demonstrationen >>. Nunmehr seien die Präfekten aufgefordert, der Regierung Listen mit solchen autorisierten, als nützlich eingestuften Ereignissen zu übermitteln. Konkret dürfte es also auf eine Einzelfall-Lösung zur Frage << erlaubt oder verboten ? >> hinauslaufen. Wir dürfen gespannt abwarten, wie es aussehen wird, wenn wieder politische Protestzüge anstehen.


Editorischer Hinweis
Wir erhielten den Beitrag vom Autor für diese Ausgabe.