Versammlungen
sind innerhalb der radikalen Linken ein gern
genutztes Mittel der Meinungskundgabe. Es gibt
sie in allen Facetten: Stehende Kundgebungen
mit verschwindend geringer
Teilnehmer*innenzahl, wütende
Spontandemonstrationen, Scherbendemos, als
Demonstration getarnte Freilichtkonzerte, der
Vernetzung dienende Vorabenddemonstrationen,
Zubringerdemonstrationen zu Blockaden,
Infostände oder langweilige Latschdemos für
irgendeinen „guten Zweck“. Dabei ist das
Ausdrucksmittel der Demonstration zu einem so
vielgenutzten und universalen Mittel der
Protest- und Meinungskundgabe geworden, dass
sich nur noch sehr selten Gedanken um die
konkrete Zielsetzung, die mit einer
Demonstration erreicht werden soll, gemacht
werden.
Bündnispolitik
statt Inhalte
Vielmehr als
die Zielsetzung einer Demonstration scheint oft
die Größe zu wiegen. So werden nicht selten
(Aktions-)Bündnisse mit dubiosen, teils rechten
Organisationen eingegangen, oft unter dem
Stichwort „breiter und vielfältiger Protest“.
Prominente Beispiele dafür aus München sind
etwa die noPAG- und #ausgehetzt-Demonstrationen
(Unter anderem mit im Bündnis: Die Grünen, die
SPD, die LINKE, die ÖDP, und viele weitere) in
2018, die Anti-Integrationsgesetzdemonstration
2016 (Mit im Bündnis: Die SPD, die das
bundesweite „Integrationsgesetz“
mitverantwortete), die alljährlichen
Anti-SIKO-Proteste (wobei die Beteiligung
autonomer Gruppen hier schon seit längerer Zeit
zu Recht deutlich abgenommen hat), aber auch
viele weitere, oft auch bedeutend kleinere
Bündnisse.
Nicht alle
Argumente autonomer Linker für die Beteiligung
an solchen Bündnissen sind absurd: Eine
verbreitete Idee ist es, das
Mobilisierungspotenzial einflussreicher
Organisationen (wie Parteien, Gewerkschaften,
usw.) zu nutzen, um eigene Positionen einem
größeren Kreis von Menschen zugänglich zu
machen. (Groß-)Demonstrationen werden also als
Chance begriffen, durch eigene Blocks, Flyer
und Redebeiträge eine deutlich größere
Zielgruppe als üblich zu erreichen. Sicherlich
lässt sich dabei darüber streiten, inwiefern
ein*e Teilnehmer*in, die*der von der SPD
mobilisiert wurde, eine geeignete Zielgruppe
für beispielsweise anarchistische Positionen
ist, doch das soll nicht Teil meiner
Überlegungen sein.
Doch es gibt
auch andere Beweggründe für derartige „breite
und vielfältige“ Bündnisse. Ein im Zusammenhang
mit Demonstrationen gegen Neonazis und extreme
Rechte häufig beschriebener und gefühlt noch
häufiger von irgendeiner*irgendeinem
Wichtigtuer*in in eine Kamera geäußerter
Beweggrund für solche Bündnisse ist das
Argument der „Vielen“ gegen „Wenige“. So
feierten sich im vergangenen Jahr etwa in
Berlin anlässlich einer Demonstration gegen die
AfD 70.000 Menschen unter dem Slogan „AfD
wegbassen. Reclaim Club Culture“ für ihre
Überzahl. Dass sich unter ihnen zahlreiche
Rassist*innen, Sexist*innen und Menschen mit
anderweitig autoritären, neoliberalen und
konservativen Positionen, die sie auch offen
zur Schau trugen, befanden, störte dabei
offenbar ebensowenig wie die Tatsache, dass sie
Teil einer riesigen Marketing-Kampagne (für
Clubs) wurden. Das dabei zu beobachtende,
gesteigerte kollektive Bewusstsein der
„Demonstrierenden“ ist keineswegs einzigartig,
sondern ist bei ähnlichen Veranstaltungen in
fast beliebiger Größe erkennbar.
Ein anderes
Beispiel, bei dem das Prinzip des #wirsindmehr
bereits der Name der ganzen Aktion war, fand
ebenfalls im letzten Jahr in Chemnitz statt.
Nachdem es bei einem Aufmarsch von Nazi-Hools
zu Hetzjagden vermeintlich nicht deutsch
aussehender Personen gekommen war, lud ein
Bündnis unter dem Namen #wirsindmehr zum
(öffentlichen) Konzert mit Bands wie den „Toten
Hosen“, „K.I.Z.“, „Kraftklub“ und ähnlichen. Im
Aufruf dazu heißt es: „Wir freuen uns, wenn
sich noch viel mehr Menschen ihr Herz/ihre Eier
fassen und auf die Straße gehen […]“.
Antifaschismus
in diesem Sinne ist, wenn Anhänger*innen der
SPD mit autoritären Kommunist*innen und
Anarchist*innen zu einem „wir“ verschmelzen und
gemeinsam „Alerta Antifascista“ grölen. Mensch
möchte kotzen!
Aber es sind
nicht nur die Bündnisse mit der SPD und
ähnlichen Organisationen, die aus meiner Sicht
stärker überdacht werden sollten. Immer wieder
gehen antiautoritäre Linke Bündnisse mit
autoritären, kommunistischen Organisationen
ein, immer wieder werden Parolen des
„Zusammenhalts“ und gegen jede „Spaltung“
ausgegeben. Dabei sollten doch wir alle, die
wir eben keine Lust auf eine Einheitspartei und
die damit verbundenen, autoritären Zumutungen
haben, eine klare Grenze denen gegenüber
ziehen, die schon heute autoritäre
Umgangsformen pflegen, Parteilinien festlegen
und sich in autoritären Strukturen
organisieren. Ich zumindest sehe keine
gemeinsamen Ziele, die ich mit solchen
Organisationen und ihren Angehörigen haben
könnte.
Demonstrationen als staatlich legitimiertes
Mittel des Protests
Neben der in
meinen Augen oft verfehlten Wahl der
Bündnispartner*innen als Konsequenz der (auch
uneingestandenen) Sehnsucht nach einer
Massenbewegung, stellt sich jedoch auch die
Frage, wann eine Demonstration denn eigentlich
das richtige Mittel des Protests oder der
Meinungskundgabe ist. Lassen sich
anarchistische Positionen und Ideale überhaupt
durch klassische Formen der Demonstration
verwirklichen/vermitteln? Und worauf kommt es
dabei an?
Grundsätzlich
nicht vergessen darf mensch dabei, dass brav
angezeigte Demonstrationen immer auch eine
Zusammenarbeit mit dem Staat darstellen. Sie
sind eine Form der Meinungs- oder
Protestkundgabe unter staatlicher Aufsicht,
meist mehr oder weniger auch zu den Bedingungen
des Staates. Das muss selbstverständlich nicht
bedeuten, dass diese Demonstrationen per se
immer staatsaffirmativ wären und auch nicht,
dass es bei jeder Form der Meinungskundgabe
immer auch darum gehen muss, sich dem Staat um
jeden Preis zu widersetzen. Dennoch sollte
dieser Umstand meiner Meinung nach nicht in
Vergessenheit geraten und zumindest in die
Überlegungen einfließen.
Letztlich
bleibt also immer abzuwägen, wie das jeweilige
Ziel bestmöglich erreicht werden kann. Dass
dabei nur so wenig wie unbedingt nötig mit
staatlichen Institutionen zusammengearbeitet
wird, halte ich für selbstverständlich. Aber
wie viel Zusammenarbeit bedeutet „so wenig wie
unbedingt nötig“? Wahrscheinlich lässt sich
diese Frage pauschal nicht beantworten, sondern
jede*r muss dabei für sich eine Antwort finden.
Insgesamt
jedoch scheint es mir erforderlich, diese Frage
bei der Organisation von Demonstrationen wieder
stärker zu berücksichtigen.
Quelle:
https://zuendlumpen.noblogs.org/post/2019/03/22/schaulaeufe-der-massen/
Zündlumpen: "Über uns"
16.02.2019
Wir sind
umgeben von einer Welt der Herrschaft.
Kameras überwachen weite Teile der Stadt,
Bull*innen patroullieren durch die Straßen,
am Arbeitsplatz sind es unsere Chef*innen,
die über uns gebieten, in der Schule die
Lehrer*innen. Andere Formen der Herrschaft
sind subtiler, aber deshalb keinesfalls
weniger unerträglich: Rassistische,
sexistische, homofeindliche,
transfeindliche, antisemitische,
sozialchauvinistische (bsp.
obdachlosenfeindliche), antiziganistische,
lookistische und viele weitere Formen der
Diskriminierung üben gewaltvoll Macht über
betroffene Personen aus, gesellschaftliche
Normen und Sachzwänge engen die Freiheit
aller Menschen ein.
Doch gegen
all diese Herrschaft gibt es auch
Widerstand: Demonstrationen, direkte
Aktionen, Publikationen, aber auch die
alltägliche Auflehnung der Menschen gegen
Herrschaft zeichnen ein vielfältiges Bild
des Widerstandes. Selbstbestimmte Formen
der Organisation stellen selbstverständlich
gewordene Formen der Herrschaft in Frage
und schaffen Räume der Befreiung.
Wir wollen
mit diesem Wochenblatt Geschichten des
Widerstandes gegen jede Form der Herrschaft
in München erzählen. Einmal in der Woche,
immer freitags, wollen wir von Vergangenem
und Kommendem berichten. Dabei verstehen
wir uns als ein strömungsübergreifendes,
anarchistisches Organ.
Wir laden
alle Anarchist*innen dazu ein, bei der
Gestaltung dieses Blattes mitzuwirken:
Schickt uns Berichte von euren Aktionen
oder Veranstaltungen, schickt uns eure
Termine und Aufrufe, erzählt uns über eure
Projekte oder schickt uns Bilder,
Zeichnungen und was euch sonst noch so
einfällt.
Ihr könnt
uns auch bei der Verbreitung dieses Blattes
helfen. Legt es in (euren) Räumen aus,
verteilt es auf der Straße, in der Ubahn
oder präsentiert es bei Infotischen. Wir
planen für die Zukunft auch die Möglichkeit
eines Abos für Menschen aus München, sowie
den Aufbau einer Webseite. Näheres dazu
werden wir dann hier bekannt geben.
Quelle:
https://zuendlumpen.noblogs.org/post/2019/02/16/ueber-uns/
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