Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Nachrichten aus Nord-Neukölln
Karl-Marx-Strasse & Weisestrasse

zusammengestellt von nk44

04/2018

trend
onlinezeitung

8. April 2018

Es geht voran – in der Karl-Marx-Strasse

Am Samstag , den 7. April 2018 machte das Rixdorfer Kiezforum einen Spaziergang zu Orten von Aufwertung und Verdrängung, Protest und Widerstand in Rixdorf. Mehr als 60 Menschen beteiligten sich an dem Rundgang der ohne Generve durch Polizei stattfinden konnte. Am Alfred-Scholz-Platz gab es einen Redebeitrag zu den neuen Entwicklungen in der Karl-Marx-Strasse, den wir hier dokumentieren.

Redebeitrag am Alfred-Scholz-Platz,
Kiezspaziergang Rixdorfer Kiezforum am 07.04.18

Sie nennen es „Revitalisierung“. Wir nennen es Verdrängung. Sie sprechen von „Anker-“ oder „Schlüsselimmobilien“, wir fragen: wer darf ankern, wer muss den Anker lichten – muss gehen, wer hat den Schlüssel, wem wird er genommen? Sie nennen es „New Economy“, wir nennen es Prekariat im digitalen Kapitalismus.

Noch unter der Ägide von Bürgermeister Buschkowsky und dem rot-roten Senat wurde 2011 das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße festgesetzt. Das Ziel: die auf „Billig-Niveau“ herabgesunkene Straße im sog. Problembezirk wieder in eine lebendige Geschäftsstraße zu verwandeln, in ein städtisches Zentrum des Handels und der Dienstleistungen. Eine Straße des gehobenen Konsums für neue kaufkräftige Milieus soll sich entwickeln. Soziale Aspekte und Mieter*innenschutz spielen keine Rolle.

Nach Vorstellungen der ehemaligen Bezirksbürgermeisterin Giffey soll „die Karl-Marx-Straße (…) den neuen Ansprüchen von Leben und Arbeiten gerecht werden“. Also werden für Millionen Plätze aufgehübscht, Gehsteige verbreitert, die Fassaden erneuert – als „Vorlage für Investoren“, wie es der damalige Baustadtrat Blesing unverblümt auszudrucken wusste. Von den Noch-Bewohner*innen mit kleinem Geldbeutel ist keine Rede.

Auch die Neugestaltung dieses Platzes hier, des Alfred-Scholz-Platzes, fungiert als jene Investorenvorlage. 2014 wurde er eröffnet. Und die Investor*innen kommen, gerufen durch das Stadtmarketing, die Marke Neukölln und vor allem durch die erhofften hohen Renditen durch Vermietung von sanierten und umgebauten Gebäuden, die lange leerstanden und als Spekulationsobjekte dienten.

Wir stehen hier vor dem ehemaligen Quelle- bzw. Sinn-Leffers-Kaufhaus, das aktuell noch ein Schnäppchenmarkt beherbergt. Dazu gehört auch ein Parkhaus mit 500 Parkbuchten. Ein Investor, die S Immo Aktionsgesellschaft mit Sitz in Wien, baut hier das „101 Neukölln“. Sie hat die sog. Kreativszene als künftige Nutzerin im Blick und baut mit mindestens 30 Mio. einen Mix aus Büros, Einzelhandel, Gastronomie und Fitness, macht zusammen eine Nutzfläche von 22.000 qm. Von zum Teil 6 Meter hohen Bürodecken ist die Rede, von Höfen und einem Garten, und ganz oben ein Café mit Dachterasse und Freilichtbühne. Der Geschäftsführer der S Immo offenbarte seine Inspirationsquelle, nämlich die Event-Gastronomie Klunkerkranich auf dem Parkdeck-Dach der Neukölln-Arkaden. Dort ist treffenderweise auch die Kaufentscheidung gefallen. Von mehreren hundert neuen Arbeitsplätzen spricht der Bezirk, und erhofft sich eine Belebung des ganzen Zentrums. Anfang 2019 soll Eröffnung sein. Mit dem Umbau wurde allerdings noch nicht begonnen.

Etwas weiter oben haben wir die Alte Post mit dem alten Fernmeldeamt. Hier saniert denkmalgerecht und baut die Commodus Real Estate Capital mit Sitz in München und Berlin, für mehr als 50 Mio. „Eine einzigartige Immobilie mit hohem Wertschöpfungspotential“, wird verlautbart. Geplant sind rund 400 Büroplätze, vor allem als hochwertig eingerichtete Co-Working-Spaces für die Start-up-Szene. Hochwertig vermietet durch den größten Hauptmieter im Gebäude, Regus, einem global agierenden Anbieter von komplett eingerichteten „Bürolösungen“ in sog. Business-Centern. Saftige Mietpreise sind auch für die insgesamt 73 neu entstehenden Wohnungen zu erwarten. Mini-Wohnungen sollen im Hof als Neubau entstehen, für Studierende und Young Professionals. Die Maisonette-Wohnungen mit 4-6 Zimmern für Familien kommen in zwei dem Telegrafenamt aufgesetzten Stockwerken unter. 9.000 qm sind insgesamt für Büros, Einzelhandel und Gastronomie vorgesehen. Die Fertigstellung inklusive des Neubaus ist für Ende 2019 geplant.

Der Um- und Neubau hat bereits begonnen.Und hinter der Alten Post steht das C&A-Gebäude – auch diese Immobilie dürfte ein ähnliches Schicksal blühen. Zuletzt wurden dort noch auf mehreren Etagen Geflüchtete auf engstem Raum zusammengepfercht untergebracht. Der sich bisher bedeckt haltende Vermieter und Investor darf bei der Verwirklichung seiner Umbaupläne sicherlich mit großzügiger Unterstützung des Bezirksamtes rechnen.

Es gab für das eine oder andere Gebäude in der Vergangenheit Besetzungsversuche, zum Beispiel für ein „Social Center 4 all“ oder im Rahmen einer 1. Mai-Demo – alles ohne sichtbare geschweige denn bleibenden Folgen. Die kulturellen Zwischennutzungen in der Alten Post blieben Platzhalterinnen für die nun anstehende Zukunftsinvestition eines neuen Neuköllns der Besserverdienenden.

Die Aufwertungsmaschine legt, angetrieben durch die Verheissungen der New Economy, nochmals einen Gang zu. Viele der bisherigen ärmeren Bewohner*innen und Mieter*innen hier werden von dieser tollen zukünftigen Erlebniswelt des Wohnens, Arbeitens und Konsumierens, wie sie ihre Befürworter*innen gern verkünden, ausgeschlossen sein bzw. sind es bereits. Sei es dass sie schon längst verdrängt wurden, sei es dass sie keinen finanziellen oder kulturellen Zugang mehr finden zu ihrer sich wandelnden Nachbarschaft. Modernes hippes Neukölln, das Diversität feiert, aber gerade den ärmeren Menschen aus anderen Kulturkreisen, die den Bezirk geprägt haben, sagt: wir wollen euch nicht! Das immer wieder gern angeführte Ziel einer sozialen Durchmischung der Wohnbevölkerung entlarvt sich als das was es ist: Ideologie. Denn solange Einkommen und Vermögen darüber entscheiden wer wo wohnen darf, können Milieuschutzverordnungen oder Mietpreisbremsen an der Verdrängung nur sehr bedingt etwas ausrichten.

Der geplante Google-Campus in Kreuzberg, der ebenfalls Start-ups Raum geben möchte, wird bekämpft. Nur hier in Neukölln, wo Entsprechendes in noch größerem Maßstab geplant ist und die Auswirkungen auf die Nachbarschaften gemessen an den hunderten anvisierter neuer Arbeitsplätze um ein Vielfaches höher sein dürfte, bleibt es relativ ruhig – bisher.

Weisestrasse 47: Wohnungen im Angebot
35 neue Wohnungen zu vergeben. Für wen?

Nach fast 1,5 Jahren nähert sich die Sanierung und Modernisierung des Hauses im Neuköllner Schillerkiez ihrem Ende. Über 10 Jahre hat die Henning Conle GmbH & Co. KG das Haus fast komplett leerstehen lassen. Dagegen wurde seit Jahren protestiert mit Flyeraktionen, Kundgebungen, Scheinbesetzungen usw. . Am 28. April 2012 gab es eine Hausbesetzung, die von der Polizei brutal beendet wurde.

Das Haus ist immer noch eine Baustelle, der Hinterhof ist eine Baugrube, der Hausflur nicht fertig, ein Blick durch die Fenster des Erdgeschosses zeigt Bauaktivitäten. Aber seit Ostern werden Online insgesamt 15 2- bis 3-Zimmerwohnungen zwischen 60 und 74 m² angeboten zu Kaltmieten zwischen 11 und 12 €. Die kleine 2-Zimmerwohnung mit 60 m² bietet sogar den Luxus eines 2. WC, wer immer das auch braucht. Die restlichen 20 Wohnungen, die noch nicht angeboten werden , dürften 1-Zimmerwohnungen sein.

Es ist gut, dass das Haus jetzt endlich bewohnbar wird. Denn viele Menschen in dieser Stadt brauchen Wohnungen, vor allem gering Verdienende, Wohnungslose und Geflüchtete. Wer es sich allerdings 10 Jahre leisten kann, ein Haus leerstehen zu lassen, braucht auch zukünftig keine Mieten, wie sie jetzt für die ersten Wohnungen von der Hausverwaltung angeboten werden. Die jetzt geforderten Mieten können sich Menschen mit wenig Geld nicht leisten.

Deshalb fordern wir den Besitzer auf, sein Haus nach vollendeter Sanierung diesen Menschen zu Mietpreisen um die 5 € zur Verfügung zu stellen. Vor einem Jahr gab es schon einige Treffen von Menschen, die sich für die Wohnungen interessieren. Wegen der Dauer der Fertigstellung der Wohnungen sind diese Treffen eingeschlafen. Jetzt, da die Wohnungen fertig werden, laden wir wieder zu einem Treffen ein, um mit euch darüber zu reden, wie wir jetzt mit den 35 renovierten Wohnungen in der Weisestraße 47 verfahren wollen. Was können wir tun, damit auch Menschen mit geringen Einkommen eine neue Wohnung bekommen?

Die Häuser denen , die sie brauchen!

Treffen am Dienstag, den 17.4. 2018 um 20 Uhr
Nachbarschaftstreff Schillerkiez
Mahlower Str. 27

Infos und Artikel zu dem Haus unter Texte zur Weisestr. 47 oder weise47.nostate.net
Kontakt: smashtaskforce@freenet.de

Editorische Hinweis
Die Artikel wurden erstveröffentlicht bei http://nk44.blogsport.de/